Die Unternehmerin Melanie Rocksien-Riad will im Mai den Posten der ersten Oberbürgermeisterin von Stralsund antreten. Vorgeschlagen wurde die parteilose Kandidatin im Oktober von SPD und Grünen. Eines ihrer ersten Anliegen ist die Reduktion des Individualverkehrs an Wasserstraße, Fischmarkt und Hafeninsel. „Das hohe Verkehrsaufkommen in dem Bereich macht viel zunichte“ so die Geschäftsführerin der Möbelkette MMZ. Sie wolle die Aufenthaltsqualität für die Stralsunder:innen verbessern, Rad- und Fußwege an den vielbefahrenen Straßen sicherer machen. „Die gesundheitsschädigende Lärmbelästigung ist für viele Anwohner vor allem in der Saison nicht mehr hinnehmbar“, so die Kandidatin am Donnerstag.
Eine Verkehrszählung im Oktober 2020, unter Pandemiebedingungen, ergab in der Wasserstraße ein erhöhtes Verkehrsaufkommen von 4.800 Autos am Tag – untragbar, findet Rocksien-Riad und beruft sich auf bereits im Jahr 2013 erstellte Verkehrskonzepte. Die damals vorgelegten Verkehrskonzepte für die Altstadt nennt sie „revolutionär“ – „nur leider wurde davon bislang nicht viel umgesetzt“. Sie wolle mit ihrem Vorschlag nun mutig sein und „es einfach mal ausprobieren“.
Keine suchenden Touristen am Hafen
Bis zum Hiddenseeanleger soll demnach eine verkehrsberuhigte Zone gelten. Die Hafeninsel soll für den ruhenden Verkehr komplett gesperrt werden – auch für die zahlreichen Reisebusse, die bislang vor dem Ozeaneum auf ihre Fahrgäste warten. Der Fischmarkt solle zukünftig zu einer absolut verkehrsberuhigten Straße für Fußgänger und Radfahrer werden, die Wasserstraße nur noch von Nord nach Süd befahrbar sein – eine mögliche Sackgassenregelung nicht ausgeschlossen. In der Theorie müsste man die Altstadt dann komplett umfahren. Als Ausgleich wolle sie dafür eine höhere Taktzahl der Linienbusse, Park and Ride und gegebenenfalls auch ein Rufbussystem einführen.
Eine komplett verkehrsberuhigte Innenstadt kann sich die Unternehmerin jedoch nicht vorstellen. „Dafür ist der Lieferverkehr für den Einzelhandel zu wichtig“, so Rocksien-Riad. Für die etwa 6.000 Anwohner der Altstadt sollten kluge Lösungen gefunden werden – Ausnahmeregelungen für Anlieger schließt die Kandidatin jedoch aus.
Weitere OB-Kandidaturen
Der langjährige Bürgermeister Alexander Badrow (CDU) will sein Amt fortführen. Er ist seit 2008 Oberbürgermeister am Sund. Bereits im Juni 2021 wählte ihn die städtische CDU mit 92 Prozent zum OB-Kandidaten. Weitere Kandidaturen für den Posten des Stadtoberhaupts sind von Linkspartei und AfD zu erwarten. Das Bündnis „Bürger für Stralsund“ wird in diesem Jahr keinen Kandidaten stellen, mögliche Unterstützungen im Wahlkampf schließt es bislang jedoch nicht aus. Die Linke wird am 22. Januar ihren Kandidaten küren. Bislang ist die Kandidatur des Stralsunder Rechtsanwalts Marc Quintana Schmidt im Gespräch. Eine Entscheidung bezüglich einer Kandidatur seitens der AfD sollte im Dezember bekanntgegeben werden, steht jedoch noch aus.
KATAPULT MV hat mit Melanie Rocksien-Riad über ihre Kandidatur als erste Stralsunder Oberbürgermeisterin gesprochen.
KATAPULT MV: Sie waren lange in der SPD und sind Anfang 2021 ausgetreten. Ihre Kandidatur für die Oberbürgermeisterwahl wird von der SPD und den Grünen unterstützt. Wie ist es für Sie, jetzt parteilos zu sein?
Melanie Rocksien-Riad: Ich finde, dass man als Parteilose freier agieren kann. Ich könnte mir jetzt nicht mehr vorstellen, einer einzigen Parteilinie zu folgen. Es ist toll, im Diskussionsprozess gemeinsame Positionen zu finden, auch wenn wir uns da alle manchmal ein bisschen entgegengehen müssen. Um am Ende die Stadt mit ihren Bürgern in den Mittelpunkt zu stellen und nicht das Parteipolitische. Das ist ein sehr spannender Punkt.
Ich glaube auch, dass es in der Kommunalpolitik nicht anders geht, als parteiübergreifend zu arbeiten. Das kennt man ja auch aus vielen kleineren Parlamenten, wo das Parteibuch im Grunde Wurst ist.
Wenn man irgendeinen Vorteil beschreiben will, wenn eine Kandidatin nicht ursprünglich aus der Stadt kommt, dann dass es keine tiefe Verbandelung gibt. Natürlich bin ich hier als Unternehmerin, aber letztlich frei von persönlichen Interessen, und ich glaube schon, dass das ein großer Vorteil sein kann. Außerdem muss da eine Frau ran.
Sie wären die erste Oberbürgermeisterin in der 787-jährigen Stadtgeschichte. Warum braucht Stralsund eine Frau an der Spitze?
Weil es überall Frauen an guten Positionen braucht. Weil wir, wenn ich es aufs Geschlecht beziehe, doch einen ganz anderen Führungsstil pflegen. In meiner Branche sind es ja leider auch eher Männer, die da arbeiten. Aber die wenigen Frauen, die es gibt, die führen ihre Unternehmen anders – und nicht weniger erfolgreich im Übrigen. Aber eben anders und häufig sehr viel empathischer und interessierter mit den Mitarbeitenden. Das erlebe ich bei allen meinen Kolleginnen, dass ihnen die Mitarbeiter sehr wichtig sind. Und ich stelle mir das auch für die Stadtverwaltung vor.
Ich glaube, dass man ganz viele Chancen hat, sich moderner aufzustellen, wenn man ganz genau zuhört, was die Leute sagen, was sie für Ideen haben und sich wünschen. Aus meiner Erfahrung als Unternehmerin weiß ich, es braucht demokratische Prozesse, man muss den Leuten vertrauen und sie machen lassen. Dann hat man häufig so viel mehr engagierte Mitarbeiter und merkt auch manchmal, wenn jemand auf einer Position falsch ist und vielleicht eine ganz andere Gabe hat. Das muss man aber auch zulassen wollen und nicht in so starren Strukturen arbeiten, wie es ja Verwaltungen häufig tun.
Wie hat sich Stralsund Ihrer Meinung nach seit der Wende entwickelt?
Also ich glaube, baulich ist Stralsund, wenn ich den Vergleich zu Greifswald ziehe, wirklich mit Meilenstiefeln vorangegangen. Es hat so viele bauliche Projekte gegeben. Ich glaube trotzdem, dass für die Lebensqualität der Menschen noch viel Luft nach oben ist.
Da muss jemand einfach genauer hinhören, was sich die Menschen wünschen. Also ich hatte als Unternehmerin jetzt nicht das Gefühl, irgendwie besonders gehört zu werden.
Was glauben Sie, sind gerade die wichtigsten Probleme, die in Stralsund angegangen werden müssten?
Unbedingt muss man sich auch um die ganzen Fragen der älteren Mitbürger kümmern. Das fängt in der Innenstadt an, die mit so vielen Schwellen für gehbehinderte Menschen eine Herausforderung ist. Genauso wie in einigen Stadtteilen und Wohnungen der Stralsunder Wohnungsbaugesellschaft, in denen es keine Fahrstühle gibt. Und das sind die Stellen, an denen man die Angebote deutlich verbessern muss, an denen ältere oder eingeschränkte Menschen leben. Das ist ein Herzensthema von mir.
Wie sieht es aus mit den jüngeren Menschen?
Die große Frage ist, wie hält man Jugendliche, Kinder und andere Menschen auf Dauer in einer Stadt? Wie schafft man es, so attraktiv zu sein, dass es nicht nur als diese Tourismusnummer funktioniert. Ich glaube, dass sind die wichtigen Fragen der Zukunft. Wie man sich als Stadt gut aufstellt. Ich habe für die nächsten Monate schon mehrere Verabredungen, um genau überall da hinzugehen und um zu hören, was sich die Leute vorstellen.
Auch Wohnen in attraktiver Umgebung muss für alle Menschen möglich sein. Anders geht es einfach nicht. Und ich kann mir vorstellen, dass man zukünftig häufiger über Mischgebiete nachdenkt. Dass man keine Ghettoisierung schafft in den Stadtteilen, sondern immer eine Kombination aus öffentlicher Bebauung, Städtebaugenossenschaft und privatem Wohnungsbau hat und einen guten Mix hinbekommt.
Was könnte Stralsund politisch von Greifswald lernen?
Die beiden Städte sind von der Einwohnerzahl ja wirklich vergleichbar. Ich finde, was in Greifswald sehr gelungen ist, ist die Einbeziehung der Bürger. Da gibt es zum Beispiel Stadtteilbeiräte, die viel näher an den Menschen sind. Dort, wo die Leute leben, können sie immer Empfehlungen abgeben, sich aktiv einmischen, und ich glaube, dass man da von Greifswald lernen kann. Ein ganz einfacher, unaufgeregter Punkt.
Ich halte auch das Kinder- und Jugendparlament in Greifswald für sehr gelungen. Meine zwei älteren Teenagerkinder finden das ganz spannend, weil sie dort auch Leute kennen. Ich finde, das ist auch ein Beitrag zur politischen Teilhabe und Bildung.
Das sind zwei einfache Dinge, die man einfach adaptieren kann und damit sofort viel mehr Menschen mitnimmt.
Ihr Mann ist ärztlicher Direktor des Krankenhauses in Teterow. Die Rekommunalisierung des Krankenhauses steht auch auf ihrer Wunschliste für die Hansestadt.
Korrekt. Das ist natürlich der Grund, warum sowas als Herzensanliegen kommt, weil über viele Jahre bei uns zu Hause diskutiert wurde, was das für die Patientenversorgung bedeutet, wenn es eher um Gewinne geht und nicht um die Menschen. Da wäre ich wirklich stur, weil ich finde, dass Krankenhäuser Orte müssen sein, wo es um Fürsorge geht, und Profit darf da nicht im Vordergrund stehen. Natürlich sollte am Ende eine schwarze Null drunterstehen, aber das Geld, was man mit dem Krankenhaus verdient, sollte man in bessere Leistungen für Patienten, Infrastruktur und verbesserte Bedingungen für die Mitarbeiter stecken.
Haben Sie einen Lieblingsplatz in Stralsund?
Also ich glaube, es werden sich noch viele mehr entwickeln, aber gerade finde ich es in Devin im Naturschutzgebiet richtig bezaubernd.
Eine Frage, die wir auch den Landtagskandidat:innen gestellt haben: Was wollten Sie als Kind gerne werden?
Ich habe als Kind immer gesagt, ich will Bundeskanzlerin werden (lacht). Jetzt will ich das aber nicht mehr. Dafür will es momentan meine achtjährige Tochter.