Prostitution

Die Geschäftsfrau

Ihr Leben ist überraschend anders, gar nicht so, wie Medien ihren Berufsstand normalerweise zeichnen. Ein Gespräch über die skurrilsten Kunden, Manuela Schwesig und wie man seinen Eltern sagt, dass man jetzt eine Hure ist.

KATAPULT MV: Ich verdiene bei KATAPULT 2.000 Euro netto im Monat. Was verdienst du?

Katharina Pieris: Ich habe gerade erst angefangen, meinen Kundenstamm nach dem Lockdown wieder aufzubauen. Ich verdiene jetzt netto und nach Steuern etwa 3.000 Euro.

Was wäre ohne Pandemie möglich gewesen?6.000.

Ist Katharina Pieris ein Künstlername?Ja, definitiv. Also Arbeitsname. Modelname. Weil Sexarbeiter:innen keinen Künstlernamen haben dürfen.

Wo steht das?Wir dürfen nicht in die Künstlersozialkasse, also sind wir keine Künstler.

Was machst du?Ich bin Escort. Ich habe noch nie im Bordell oder auf der Straße gearbeitet. Ich bin über eine Freundin da reingerutscht. Damals hieß ich noch ganz anders, aber den Namen will ich nicht sagen.

Hast du studiert?Ich bin sogar fürs Studium nach Rostock gezogen, um meinen Master zu machen, den ich letztes Jahr auch abgeschlossen habe. Davor habe ich in Greifswald meinen Bachelor gemacht.

Wie viel hast du zur Corona-Zeit verdient?Gar nichts. Na gut, ich habe zwei, drei illegale Dates gemacht und dann alles online, Onlyfans, Bestfans.

Wie viel nimmt man da ein?Jetzt fast gar nichts mehr. Ich mache lieber direkte Treffen. Macht mir mehr Spaß.

Hast du Stammkunden?Ja genau, eigentlich schon. Ich freue mich aber trotzdem auf jeden Neukunden. Aber vor allem wünsche ich mir, dass jeder Kunde zum Stammkunden wird. Es gab aber auch eine Ausnahme.

Warum?Letztens hat sich einer gemeldet, der noch nie in seinem Leben Sex hatte, aber da wusste ich vorher schon, dass er nicht noch mal buchen wird. Da konnte ich nicht Nein sagen. Aber ich finde Stammkunden besser. Die Intimität ist anders. Man kann besser aufeinander eingehen.

Wen hast du zur Landtagswahl gewählt?Das ist ein Geheimnis.

Wen hast du nicht gewählt?Die SPD!

Du hast ne neue Wohnung, hast du bei Twitter geschrieben?Ich habe über ein Jahr gesucht und jetzt endlich was gefunden. Mein Hausrat ist zu groß. Zu viele Schuhe, zu viele Kleider, dann brauche ich ein Arbeitszimmer.

Wo machst du die Treffen mit den Kunden?Immer auswärts. Hotel, oder zu Hause bei jemandem.

Foto: Ole Kracht

Was sind die größten Probleme bei der Wohnungssuche?Erstens die Selbständigkeit. Das wollen Vermieter immer nicht. Und wenn die dann zweitens rausbekommen, dass ich Escort bin, sagen sie: „Oh, ach so, Escort. Nee, das machen wir nicht.“ Beim letzten hat es dann trotzdem geklappt!

Lehnst du Nazis als Kunden ab?Ja, hab ich auch schon getan.

Und wenn man das zu spät mitbekommt?Das ist halt Pech, aber dann kann er halt nicht noch mal buchen.

Auf einer Skala von 1 bis 10 – wie überzeugt bist du von Claus Ruhe Madsen?Ich habe ihn damals gewählt, weil er ein Image hatte und alle anderen hatten keins. Ich find’s cool, dass er so alternativ ist. Ich fand’s cool, dass er mit den Bürger:innen gesprochen hat.

Also ne 8?Mhh …

Ne 9?Na ja, ich hab mitbekommen, dass er mit Frau Schwesig gut kann. Deshalb ne 7!

Was ist mit Frau Schwesig kaputt?Ich habe ihr mehrere Mails geschrieben. Sie hätte wenigstens antworten können.

Was stand in den Mails?Warum körpernahe Dienste erlaubt sind und Prostitution nicht. Ich habe einfach keine Antwort erhalten. Das Schlimmste ist nicht, dass sie gegen meinen Berufsstand ist, sondern dass sie gar nicht erst antwortet. Sie ignoriert uns, dadurch fühlt man sich minderwertig.

Mayo oder Ketchup?Sour Cream!

Sexworkerin oder Prostituierte?Ich würde mich als Sexworkerin bezeichnen. Aber ich bin auch Prostituierte. Der Begriff „Sexworkerin“ will alles Negative des Jobs abstreifen, aber das ist ja auch problematisch. Durch das Wording wird dann Prostitution noch stärker negativiert. Es wird noch eher als Zwangsprostitution gesehen, es wird mit Zuhälterei, Zwangsarbeit, Dunkelfeld gleichgesetzt, was in der Absolutheit falsch ist.

Wie hast du dich entschieden, Prostituierte zu sein?Ich wollte das schon immer machen, aber ich hatte einen Freund und das war zu schwierig.

Wie kam es zur ersten Buchung?Eine Freundin von mir hat gefragt, ob ich ihren Stammkunden übernehmen kann. Das war der Einstieg. Dann war ich direkt auch in einer Agentur. Die haben dann noch mehr vermittelt. Die sagen einem auch, was die für Wünsche haben, aber wenn ich sage, dass ich heute kein blaues Kleid tragen will, dann mache ich das auch nicht!

Wie war die erste Buchung?Ich hatte den optimalen Einstieg. Der Kunde war bekannt. Der konnte nicht schlecht sein. Ich habe das Geld zu dem Zeitpunkt nicht mal gebraucht.

Was macht einen guten Kunden aus?Dass er respektvoll ist. Aber es ist schwierig zu sagen, was ein guter Kunde ist. Es ist leichter zu sagen, was ein schlechter ist.

Was ist ein schlechter Kunde?Welche, die sagen, „Ich hab das bezahlt, also machst du das jetzt“. Oder welche, die feilschen wollen, die versuchen, über Kondome zu diskutieren.

Wie oft kommt das vor?Mittlerweile gar nicht mehr. Wenn ich nur eine Stunde auf Kaufmich.de anbiete, dann kommt die Frage sehr häufig. Jetzt mache ich aber minimum sechs Stunden, da kommt dann eine andere Klientel, weil es viel teurer ist. Da kommt die Frage nicht mehr.

Was, wenn die Hygiene nicht stimmt?Passiert nicht so häufig. Ich frage dann einfach, ob wir als Vorspiel nicht zusammen duschen gehen können. Aber bei meiner Klientel gibt es das fast gar nicht. Der größte Teil ist vollkommen in Ordnung!

Welche Partei vertritt die Rechte von Prostituierten?Viele kleine. Ich selbst bin ja auch in einer Partei. Bei den Humanisten. Ich muss mich da aber noch mehr einbringen. Und auch Volt. Die sind sowieso superclose zu unseren Vorstellungen.

Was ist die nervigste Frage, die du gestellt bekommst?„Warum machst du das eigentlich?“ „Bist du schon mal vergewaltigt worden?“ Die Frage ist so dreist! Und dann noch „Wie oft erfährst du Gewalt in deinem Job?“, die nervt auch. Ich wurde nie geschlagen. Wenn Gewalt auftritt, dann eher in der Form, dass jemand das Kondom abzieht. Das ist ja auch ne Form von Gewalt. Das ist die häufigste Form der Gewalt, die mir passiert ist früher.

Foto: Ole Kracht

Was ist das Schönste, was dir bisher in deinem Job passiert ist?Da kann ich mich gar nicht entscheiden! Ich bekomme total gerne Geschenke. Aber nicht so Taschen, mehr so Geschenke, die Aufmerksamkeit zeigen. Jemand hat mir mal eine Schüssel Erdbeeren hingestellt. Ich liebe Erdbeeren! Das find ich total schön. Ich habe aber auch Kunden, die mir ihre Lieblingsbücher schenken. Oder als ich noch Alkohol getrunken habe, haben mir manche den Lieblingsdrink gemacht. Also die Aufmerksamkeit und das Respektvolle daran, das find ich klasse. Und: Ich habe viel emotionaleren Sex auf Arbeit als privat.

Wenn ich bei KATAPULT viel lesen muss, dann will ich abends keine Zeitung mehr lesen. Fährt das private sexuelle Bedürfnis bei dir auch etwas runter, wenn man das beruflich macht?Ist bei mir genauso. Wenn ich einen Abend ein Kundendate habe, dann habe ich den Abend auch sonst nichts mehr. Vor allem auch Aufmerksamkeit möchte ich dann nicht mehr geben. Das laugt viel mehr aus als das Körperliche. Ich stecke da viel Energie rein, abends kann ich dann nicht mehr so viel zuhören und Aufmerksamkeit geben.

Sind das eher „Beziehungen“, die du mit den Kunden führst?Ja klar, meine Dienstleistung kann man auch „girl sex experience“ nennen.

Spielst du dann auch in der Öffentlichkeit, dass du deren Freundin bist?Händchen halten, klar, mache ich! Ich kann vor anderen auch sagen, dass ich seine Freundin bin, aber das gibt es eher selten.

Würdest du mitmachen, wenn er dir seine Eltern vorstellen möchte?Würde ich machen, aber dann muss man das vorher besprechen. Wir haben mal zufällig die Arbeitskollegen eines Kunden beim Essen getroffen. Da habe ich dann improvisiert und mich als neue Freundin ausgegeben.

Wirst du auch von Frauen angefragt?Leider nicht. Von Pärchen ja, aber Frauen leider nicht.

Was ist das Skurrilste, was passiert ist?Manche sagen, es ist skurril, dass ich mal beide Hände in einem Männerarsch hatte.

Beide Hände?Beide Hände. Manche sagen auch, es wäre skurril, wenn ich mit Leine um den Hals aufm Sessel sitze und der Kunde mir dabei zuguckt, wie ich mich befriedige.

Noch was?Ja, jetzt fällt mir noch was ein. Ich hatte mal mit einem vorher stundenlang besprochen, was wir alles für verrückte Sachen machen wollen. Dies und das. Alles sehr ausgefallen. Am Ende hoch ins Zimmer und das war’s. Wir haben gar nichts gemacht. Haha! Da hab ich mich auch komisch gefühlt.

Aktien oder Sparbuch?Aktien.

Wie viele Kinder willst du haben?Null.

Wie viel Prozent deiner Kunden sind Politiker?Weiß ich nicht. Es gibt ein paar, ne Handvoll oder so. Wenn die das nicht von alleine erzählen, dann frag ich auch nicht nach.

Wie viel Prozent wollen denn von sich und ihrem Leben erzählen?Viele! Richtig, richtig viele!

Ist dann eigentlich ein Psychologendienst.Sowieso! Zuhören ist superwichtig, das wollen alle. Das ist der Hauptgrund, warum die mich nehmen. Gespräche und dann erst Sex.

Freust du dich auf manche Kunden besonders?Ich freue mich auf alle!

Gleichermaßen?Ja okay, es gibt vielleicht zwei, drei, wo ich sage, die kann ich nicht immer ertragen. Die sind mir an manchen Tagen zu anstrengend. Man kann nicht immer ne krasse BDSM-Session liefern. Aber eigentlich freue ich mich auf jeden!

Was würdest du machen, wenn das mit der Prostitution nicht geklappt hätte?Wissenschaftlerin. Das war mal Plan A, ist dann aber Plan B geworden. Ohne meine Freundin damals würde ich jetzt vielleicht meinen Doktor machen.

Miete oder Eigentumswohnung?Ich hätte gerne eine Eigentumswohnung. Aber eigentlich hätte ich gerne ein Haus.

Hier in Rostock?Ja!

Was ist so gut an Rostock?Hier ist Meer. Die Größe der Stadt ist passend. Die ist nicht so winzig, aber auch nicht so groß. Auch ein paar Leute finde ich hier ganz witzig. Nur die AfD nervt mich.

Wie findest du die Hansa-Leute?Ich find die ganz witzig, aber die Gewaltbereiten mag ich nicht.

Du sagst immer „Kunden“ und nie „Freier“.Ich hasse diesen Begriff.

Warum?Es ist noch viel krasser als bei den Begrifflichkeiten „Prostituierte“ und „Sexworkerin“. Es ist ein stigmatisierender Begriff. Mit „Freier“ verbindet man automatisch die Männer, die Frauen gegen ihren Willen zum Sex bewegen. Aber das stimmt nicht. Ich biete eine normale Dienstleistung an. Ich bin selbständig, wie jeder andere Selbständige auch. Nach deutschem Recht ist das eine legale Dienstleistung und deshalb sind das auch Kunden.

Wie wirkt der Begriff „Hure“ auf dich?Die Leute benutzen den, um mich abzuwerten, deshalb komme ich dem zuvor und nenne mich selbst Hure.

Wie viele deiner Kunden können in ihrem sozialen Umfeld offen sagen, dass sie zu einer Prostituierten gehen?Noch weniger Kunden können sagen, dass sie Kunden sind, als dass Sexarbeiter:innen sagen können, dass sie Sexarbeiter:innen sind. Die sind noch stigmatisierter als ich.

Gibt’s auch Anfragen von zwei Männern?Leider noch nicht.

Welchen Sport machst du?Gerade keinen, aber ich will wieder Kampfsport machen.

Was genau?Hab mit zehn mit Karate angefangen. Dann MMA, Taekwondo, Kung-Fu, dann wieder Karate.

MV oder Meck-Vorp?Wer hat eigentlich „Meck-Vorp“ erfunden?! Das ist ja ne Katastrophe! Ziehe ich jetzt Hater an, wenn ich Meck-Vorp nicht nehme?

Ja klar.Also ich nehm MV!

Wie wird „Meck-Vorp“, wenn du es zwanzigmal aufsagst?Bleibt scheiße. (lacht)

Und Schle-Holst und Sach-An?Die sind geil, aber Meck-Vorp geht nicht!

Bist du Feministin?Obwohl ich nicht viel mache, ja! Ich stehe für meine Rechte ein, das ist oft feministisch.

Wie haben deine Eltern auf deinen Beruf reagiert?Ich habe lange gebraucht, bis ich was gesagt habe. Aber ich bin in meiner Familie auch irgendwie so groß geworden, dass man nicht lügen muss. Eine Zeit lang habe ich das gemacht, aber lange konnte ich das nicht. Mir ist immer öfter schlecht geworden beim Lügen. Mein Bruder wusste das von Anfang an. Dann habe ich es irgendwann zuerst meinem Papi erzählt, weil ich mal Dokumente von der IHK liegen lassen habe, die er gesehen hat. Er hatte eigentlich so getan, als hätte er nichts gesehen, aber dann habe ich es einfach gesagt.

Wie hat dein Vater reagiert, als du ihm gesagt hast, dass du Prostituierte bist?Er hat gesagt: „Also, da du ja jetzt selbständig bist, pass mal auf, da musst du jetzt das und das beachten.“ Haha, er hat sich nur auf die Selbständigkeit konzentriert und mir Tipps gegeben.

Mehr nicht?Er hat noch gefragt, ob ich glücklich bin, und damit war das für ihn erledigt.

Und deine Mutter?Der habe ich das gesagt und die war frech und hat gesagt: „Das passt aber auch zu dir.“ Sie konnte sich das anscheinend irgendwie denken. Der größere Schock war eigentlich bei meinen Großeltern. Die sind viel konservativer. Für die war das härter, aber am nächsten Morgen kam mein Opi zu mir und hat gesagt: „Egal was du machst, solange du glücklich bist, du bleibst unser kleines Mäuschen und wenn du Hilfe brauchst, kannst du immer zu mir kommen – auch wenn ich nicht gut finde, was du machst.“

Hast du einen Freund?Ja.

Wie geht das?Der wusste das vorher. Der wusste, worauf er sich einlässt. Er hat mich ja selber über Twitter gefunden und wusste genau, was ich da alles mache. Wir sind sehr locker.

Wie viel Arbeit steckst du in die sozialen Medien?90 Prozent. Und vor allem Twitter.

Was wünschst du dir von der Politik?Ich fänd’s wichtig, dass die überhaupt mal mit uns kommunizieren. Wir haben viel zu wenig Fachberatungsstellen. In MV sowieso, aber auch bundesweit. Die müssen gefördert werden, zum Beispiel der KOK (Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel). Es liegt gar nicht an den Gesetzen, sondern an der Umsetzung. Und: Der Hurenpass muss weg!

Wie heißt der offiziell?Anmeldebescheinigung oder so.

Warum muss der weg?Die Intention ist nett, aber da dann zu sitzen und sich erklären zu lassen, dass es HIV gibt, das ist würdelos. Aber die meisten trauen sich da natürlich gar nicht erst hin, also machen sie es am Ende illegal. Der Pass kriminalisiert also mehr Leute, als notwendig ist.

Wie oft musstest du den Pass schon vorzeigen?Nie. Aber ich mache alles ordentlich, Buchhaltung, Steuern, Anmeldung. Ich mache das ordentlich.

Wir haben hier einen positiven Fall der Prostitution vorgestellt. Natürlich gibt es auch Missbrauch in der Branche. In Rostock gibt es die SeLA, eine Beratungsstelle für Menschen, die in der Sexarbeit tätig sind, und für deren Unterstützer:innen. Dort kann jede Person hingehen. Egal wie es einem geht oder wer man ist.STARK MACHEN e.V.SeLA Beratungsstelle für Menschen in der SexarbeitDoberaner Straße 7 (3. Etage)18057 Rostockhttps://stark-machen.de/sela-20381 – 873 98 737

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