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Bürgerschaft

Rostock lehnt Genderverbot ab – und verbietet geschlechtersensible Sprache doch

Die Rostocker Bürgerschaft hat Anträge von AfD und CDU abgelehnt, die eine Überarbeitung beziehungsweise ein Verbot des Leitfadens für geschlechtergerechte Sprache der Stadtverwaltung forderten. Doch ein Antrag von Rostocker Bund und Freien Wählern wurde angenommen. Die Verwaltung darf in der Außenkommunikation keine Sonderzeichen als Symbol für Mehrgeschlechtlichkeit mehr nutzen. Das Gendern mit Sternchen ist der Verwaltung nun nur noch intern gestattet.

In ihrer Sitzung am Mittwoch lehnte die Bürgerschaft sowohl einen Antrag der AfD als auch einen ersetzenden Änderungsantrag der CDU ab, die es der Stadtverwaltung untersagt hätten, Sonderzeichen als Symbol für Mehrgeschlechtlichkeit im Wortinneren zu nutzen.

Die AfD argumentierte mit einer vermeintlich schweren Verständlichkeit geschlechtersensibler Sprache. Michael Meister nannte als Beispiel verständlicher Sprache die Tagesschau in Einfacher Sprache. Im Europawahlkampf hatte der Spitzenkandidat von Meisters Partei das Angebot der ARD noch diffamiert.1

Mit der vermeintlich schweren Lesbarkeit argumentierte auch die CDU, die im Grunde dasselbe forderte wie die AfD. Dabei stützten die Christdemokrat:innen ihren Antrag auch auf eine vermeintlich bessere Verständlichkeit für „Menschen mit Migrationshintergrund“ . Daniel Peters, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Landtag und Mitglied der Rostocker Bürgerschaft, machte vor Kurzem mit diesem Plakat Bundestagswahlkampf in MV:

Foto von einem Wahlplakat der CDU MV. Zu sehen sind ein Foto von Daniel Peters und in großer Schrift: "Illegale Migration Stopp"

Einen Antrag von Rostocker Bund und Freien Wählern, der die Verwaltung auffordert, in der Außenkommunikation auf Sonderzeichen zu verzichten, nahmen die Stadtvertreter:innen jedoch an. „Die AfD möchte den Leitfaden (der Stadtverwaltung für geschlechtergerechte Sprache, Anm. d. Red.) anpassen, die CDU dessen Umsetzung auflösen“, erklärte Sybille Bachmann (Rostocker Bund) ihren Antrag. Beides seien Eingriffe in die Verwaltung und stünden der Bürgerschaft nicht zu. Sowohl Bachmann als auch Lisa Rieker (Volt) verwiesen auf einen kürzlich in Greifswald gefassten Beschluss zum gleichen Thema, dessen Umsetzbarkeit fraglich sei. Doch über die Außenkommunikation der Verwaltung könne die Bürgerschaft entscheiden, so Bachmann.

Gleichzeitig finden die Sonderzeichen, um die es in der Debatte geht, gar keine Verwendung in amtlichen Schreiben, wie die Stadtverwaltung in einer Stellungnahme erklärt. Mit dem angenommenen Antrag ist der Stadt die Nutzung von Sonderzeichen in der Außenkommunikation, also in Pressemitteilungen oder Außenwerbung, von nun an verboten. Nur intern darf die Verwaltung noch mit Sonderzeichen gendern. Was das für konkrete Auswirkungen auf die Verwaltung hat, ist unklar und werde geprüft, heißt es aus dem Rathaus.2

Angriffe auf queere Menschen und ihre Schutzräume

Vorangegangen war eine Diskussion über Sinn und politische und gesellschaftliche Dimensionen geschlechtergerechter Sprache. Alle waren sich darin einig, dass Sprache klar und verständlich sein müsse. Dem Argument, geschlechtersensible Sprache sei schwerer lesbar und verständlich, erteilte Oberbürgermeisterin Eva-Maria Kröger (Die Linke) eine Absage.

Sie verwies darauf, dass behördliche Schreiben oft nicht zugänglich, verständlich oder gar barrierefrei seien – und das ganz ohne geschlechtersensible Sprache, denn in offiziellen Schreiben werde gar nicht gegendert. Im Vorfeld der Sitzung erklärte Kröger gegenüber KATAPULT MV: „Manchen politischen Akteuren ist das Bekämpfen gendergerechter Sprache offenbar extrem wichtig. Ich finde es viel wesentlicher, dass queere Menschen und ihre Schutzräume wieder angegriffen werden und vor allem FLINTA3 massiven Anfeindungen ausgesetzt sind. Die Vielfalt in unserer Demokratie braucht unseren Schutz.“

Weiterlesen: Zweiter Brandanschlag auf queere Kneipe

Seit Mai 2024 nutzt die Stadtverwaltung einen Leitfaden für gendersensible und wertschätzende Kommunikation. In einer Allgemeinen Dienst- und Geschäftsanweisung forderte die Oberbürgermeisterin die Verwaltung dazu auf, sprachlich die Gleichstellung aller Geschlechter zu achten. Dabei sollten vorrangig geschlechtsneutrale und Pluralformen genutzt werden – also auf Sonderzeichen verzichtet werden. Weiter heißt es in der Anweisung: „Für die freiwillige Nutzung der gendersensibilisierten Sprache ist der (…) Leitfaden als Orientierung durch die Stadtverwaltung und die Eigenbetriebe zu nutzen.“4 Dieser ermögliche auch die Nutzung des Gendersterns, gebe aber auch andere sprachliche Möglichkeiten der Repräsentation von Mehrgeschlechtlichkeit, so Kira Ludwig (SPD): „Der Leitfaden lässt uns alle Freiheiten.“

Städtepartnerschaft mit Russland

Lange diskutiert und am Ende abgelehnt wurde der Antrag des BSW auf eine Städtepartnerschaft zwischen Rostock und Kaliningrad. Mitglieder der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen.Volt, die Linke, SPD sowie Sybille Bachmann vom Rostocker Bund wiesen darauf hin, dass ein solcher Dialog in Kriegszeiten unmöglich sei. Ziel von Städtepartnerschaften sei es, sich kulturell und wirtschaftlich auszutauschen und die Demokratisierung in Staaten zu unterstützen, betonte Bachmann.

Stefan Posselt (SPD) nannte es „naiv“ zu glauben, dass ein Format der Völkerverständigung die Stimmung in der seit Jahren politisch indoktrinierten Bevölkerung Russlands ändern könne. Außerdem hob er hervor, dass Kaliningrad keine normale Stadt sei. Die Stadt an der Ostsee in der gleichnamigen russischen Exklave zwischen Polen und Litauen sei für Russland das „militärische Sprungbrett nach Europa“: Dort seien Kasernen an den Nato-Außengrenzen sowie Iskander-Raketen stationiert. Die Kurzstreckenraketen, die nuklear bestückt werden können, reichen bis nach Berlin.5

Kenny Grafenhorst (CDU) betonte, dass an dem Tag der Sitzung ein russisches Schiff auf der Ostsee in Anwesenheit eines Hubschraubers der Bundeswehr mit Signalmunition geschossen hatte.6 Er nannte den Antrag des BSW realitätsfern und „völlig deplatziert“. Dieser würde dem Kreml „gerade heute in die Karten spielen“.

Die Stadtverwaltung verwies in einer Stellungnahme darüber hinaus auf fehlende Ressourcen für eine Städtepartnerschaft.

BSW und AfD

Bachmann unterstrich in dem Zusammenhang die ideologische Nähe zwischen BSW und AfD. Erst kürzlich habe die AfD-Fraktion in der Kieler Stadtvertretung in einem ähnlichen Antrag eine Städtepartnerschaft mit Kaliningrad gefordert. Und bereits 2022 war die Rostocker AfD mit einem Antrag zur Städtepartnerschaft mit zwei ukrainischen Städten gescheitert, die zum damaligen Zeitpunkt russisch besetzt waren.

AfD-Fraktionschef Tilmann Lamberg distanzierte sich von dem damaligen Antrag. Er nannte Stefan Treichel, der damals für die AfD den Antrag einbrachte, einen „russifizierten Ukrainer“, der „ideologisch völlig überzogen“ sei und „aus gutem Grund“ nicht mehr Mitglied der Partei. Gleichzeitig kündigte Lamberg an, einem solchen Antrag des BSW in einem Jahr zustimmen zu wollen.

Weitere Anträge und Beschlüsse der Bürgerschaft

Nach langer Debatte lehnte die Bürgerschaft einen „Rettungsschirm“ für Parkplätze ab, den die Fraktion aus FDP, Unabhängigen und Die Partei gefordert hatte.

Ebenfalls lange diskutiert wurden die Planungen einer Schwimmhalle im Nordwesten der Stadt. Linke und Grüne wollten den lange Jahre gehegten Wunsch einer kombinierten Eis- und Schwimmhalle endgültig begraben, um schnell eine 25-Meter-Schwimmhalle zu bauen, für die Bedarf vorhanden sei. Darüber hinaus wurde auf Antrag von SPD, CDU, Rostocker Bund und Freien Wählern beschlossen, auf demselben Areal die Planung einer separaten Eishalle zu prüfen.

Außerdem wurde ein erneuter Antrag des Rostocker Bunds abgelehnt, die Zahl der Sitze in den Ausschüssen zu erhöhen. Seit der Kommunalwahl bildet die Wählergemeinschaft mit den Freien Wähler eine Zählgemeinschaft – für eine Fraktion fehlt eine Person. Daher stehen ihr auch keine Sitze in den Ausschüssen zu.

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  1. Frankfurter Allgemeine Zeitung (Hg.): Krah pöbelt gegen „Tagesschau“ in einfacher Sprache, auf: faz.net (5.7.2024). ↩︎
  2. E-Mail der Hanse- und Universitätsstadt Rostock vom 5.12.2024. ↩︎
  3. Frauen, Lesben, intersexuelle, nichtbinäre, trans und agender Personen. ↩︎
  4. E-Mail von der Hanse- und Universitätsstadt am 4.12.2024. ↩︎
  5. Spiegel (Hg.): Russland lässt „Iskander“-Raketen in Kaliningrad auffahren, auf: spiegel.de (4.5.2018). ↩︎
  6. DPA (Hg.): Russische Schiffsbesatzung schießt bei Bundeswehr-Einsatz auf der Ostsee (4.12.2024). ↩︎

Autor:in

  • Bild von KATAPULT MV Redakeurin Victoria Flägel

    Redakteurin in Rostock

    Rostock-Redakteurin und kinderlose Katzenlady

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