Will man in Vorpommern-Greifswald seinen Müll trennen, hat man einen gelben Sack für Plastik, eine schwarze Tonne für Restmüll, eine blaue für Papier und eine braune für … Nein, hier hat man keine braune Tonne für Biomüll. Der Landkreis Vorpommern-Greifswald ist der einzige in MV ohne Biotonne. Fragt man beim Landkreis nach dem Grund, kommt prompt die Antwort: „Fehlwürfe, Fehlwürfe, Fehlwürfe.“ Für Achim Froitzheim, Pressesprecher des Landkreises Vorpommern Greifswald, ist die Situation klar. Führt man eine Biotonne ein, landen zu viele Nichtbioabfälle darin. Auch mit hohem technischen Aufwand könnte so die Verwertung des Bioguts zu sauberem Kompost nicht mehr sichergestellt werden.
Wertstoffhöfe und Kompost – Ihr könnt doch trennen!
Diese sogenannten „Fehlwürfe“ in den Müll entschieden auch die Wahl zwischen gelbem Sack oder gelber Tonne. In die Tonne hatten die Menschen alles geworfen, der Kunststoffabfall konnte somit nicht mehr ordentlich recycelt werden. Man entschied sich gegen die Tonne. Und für den gelben Sack, denn dieser reißt sofort, wenn er mit schwereren Dingen als Plastik befüllt wird. Beim Bioabfall ist diese Methode leider nicht anwendbar. Deshalb lieber gar keine Tonne zum Trennen. Selbst zum Wertstoffhof bringen oder einen Kompost anlegen, lautet die Devise des Landkreises.
Froitzheim betont dabei, dass es somit jedem und jeder Bürger:in offenstehe, ressourcenschonend zu handeln und Biomüll gesondert zu trennen. Es existiere ein flächendeckendes Netz an Wertstoffhöfen, zu denen man seinen Bioabfall bringen könne. Auf diesen würde der Abfall sortenrein angeliefert. Außerdem unterstreicht der Pressesprecher, dass in VG als ländlich geprägtem Landkreis eine Vielzahl an Menschen selbst die Möglichkeit der Eigenkompostieren habe.
Insgesamt schätzt der Landkreis das Interesse an einer Biotonne daher als eher gering ein. Der Versuch, in der Hansestadt Greifswald eine Biotonne auf freiwilliger Basis einzuführen, rief nur geringes Interesse hervor, sodass sie Ende 2016 wieder abgeschafft wurde. Seitdem seien Nachfragen aus der Bevölkerung bezüglich einer einheitlichen Sammlung des Bioguts noch immer eher selten, so Froitzheim.
Biotonne nicht mehr wegzudenken
Schaut man dagegen in einen anderen Landkreis, sieht es hinter dem Haus ganz anders aus. Im Landkreis Vorpommern-Rügen wurde die braune Biotonne bereits vor 20 Jahren eingeführt und ist seitdem nicht mehr wegzudenken von den Hinterhöfen, berichtet Torsten Ewert vom Eigenbetrieb Abfallwirtschaft Vorpommern-Rügen.
Im Landkreis VR hatte 1996 ein neues Kreislaufwirtschaftsgesetz dazu geführt, dass eine Biotonne eingeführt wurde, „und das Interesse in der Verwaltungsspitze“, ergänzt Ewert. Heute, vermutet er, könnte wie derzeit im Landkreis Vorpommern-Greifswald wahrscheinlich keine Mehrheit im Kreistag für die Einführung gewonnen werden. Sowohl in Vorpommern-Greifswald als auch in Vorpommern-Rügen stellt die CDU die größte Fraktion im Landtag.
Die Macht der Öffentlichkeitsarbeit
Vor 20 Jahren habe es jedoch in VR nicht nur das Problemverständnis, sondern auch den Mut gegeben, einen Schritt in eine neue Richtung zu machen, sagt Torsten Ewert. Nach Einführung der Biotonne seien er und seine Kollegen zu Fuß von Haus zu Haus gegangen, um jedem ein Abfallgefäß zu überreichen, in dem der Küchenmüll für die Biotonne gesammelt werden konnte. Denn besonders in der Anfangszeit war es schwer, die Gewohnheiten der Menschen hin zur richtigen Mülltrennung umzustellen, und Fehlwürfe in den Biotonnen waren keine Seltenheit. Doch betrieb der Landkreis intensive Öffentlichkeitsarbeit. Ewert erzählt weiter von Müllfahrzeugen mit Fremdstoffdetektoren. Registrierten diese Detektoren andere Abfallarten als Biomüll, ließen die Müllwerker die Biotonne stehen und hängten eine rote Karte an. „Erziehungsprozess“ nennt es Torsten Ewert erfolgsbewusst. Heute registriert der Landkreis bei 30.000 Jahrestonnen Bioabfall 0,2 Prozent Fehlwürfe. Das sind pro Jahr 60 Tonnen falsch abgefüllter Abfall. Also etwas mehr als eine Tonne pro Woche. Eine falsche Tonne im ganzen Landkreis. Ewert: „Das Horrorszenario, dass zu viel falsch weggeworfen wird, kann ich damit nicht bestätigen.“
Ewert erklärt, sie hätten außerdem über die Jahre bestimmte Gebiete ausmachen können, in denen systematisch falsch getrennt werde. Darunter seien Plattenbauviertel, aber auch Urlaubsorte. „In solchen Fällen sagen wir: Dann werft lieber einfach alles in den Restmüll und wir kommen mit dem Biomüllauto nicht mehr.“ Es seien Erfahrungswerte, die man über Jahre sammele, so Ewert. Insgesamt aber ist er überzeugt: „Menschen nutzen das System.“ So registrierte der Landkreis einen stetigen Anstieg der Bioabfallmenge. Waren es 2016 noch 78 Kilogramm Bioabfall pro Einwohner, sind es nun 130 Kilogramm.
Wertstoffhof ist keine wirkliche Alternative
Zu der von Greifswald beworbenen Alternative, seinen Biomüll selbst auf den Wertstoffhof zu bringen, meint Torsten Ewert, es sei vielleicht eine Option für die Entsorgung von Grünschnitt, aber für den Biohausmüll sei die Hürde zu hoch. Er illustriert es an einem Beispiel: „Wenn bei einer Familie am Sonntagmittag Essensreste anfallen, sammelt sie diese dann in einer extra Tüte, um sie am Montag zum Wertstoff zu fahren?“ Er macht eine rhetorische Pause und ergänzt, dass man schließlich auch nicht davon ausgehen könne, dass jede:r ein eigenes Fahrzeug oder das Geld besitze, regelmäßig die Fahrtkosten aufzubringen.
Einzig den Ausbau der Infrastruktur lässt der Vorpommern-Rügener als Argument gegen die Einführung einer Biotonne gelten. Würde Vorpommern-Greifswald ein ähnliches System wie sein Nachbarlandkreis einrichten wollen, bräuchte es eine eigene neue Verwertungsanlage. Dazu müsste eine neue Logistik in der Kreisverwaltung aufgebaut, Touren geplant, Fahrer und Fahrzeuge angeschafft werden. Doch besonders die Anschaffung letzterer sei in Anbetracht der Treibhausgasemissionen, die bei den wöchentlichen Individualfahrten zum Wertstoffhof entstünden, ohnehin zu diskutieren, so Ewert. Dies unterstreichen auch Zahlen der Deutschen Umwelthilfe: Deutschlandweit könnten mit der Einführung und der gesammelten Abholung der Biotonne 740.000 Tonnen CO₂ pro Jahr eingespart werden.
Ein deutschlandweites Problem?
Denn Vorpommern-Greifswald ist nicht der einzige Landkreis, der sich noch gegen die Einführung der Biotonne stemmt. In 47 von 401 deutschen Landkreisen und kreisfreien Städten steht keine Biotonne zur Verfügung. Dabei könnte man durch die Kompostierung der Abfälle sowohl Ressourcen als auch das Klima schonen.
Womit wir beim eigentlichen Grund für die Biotonne angekommen wären: dem Klimawandel. Biomüll kann entweder stofflich oder energetisch verwertet werden. Stofflich kann kompostierter Biomüll konventionelle Dünger und torfhaltige Erden wie zum Beispiel aus Mooren – die ein wichtiger Kohlenstoffspeicher sind – ersetzen. Energetisch verwertet lässt sich aus Bioabfällen Biogas zur Wärme- und Energiegewinnung erzeugen. Statt den vom Landkreis Vorpommern-Greifswald zwar angepriesenen, gleichzeitig unpraktikablen Bringsystemen fordert die Deutsche Umwelthilfe daher, flächendeckend Biotonnen einzurichten. Um das „wertvolle Biogut“ nicht mit dem Restmüll zu verbrennen, sollte es getrennt gesammelt und anschließend verwertet werden.
Quellen
- Telefonat mit Achim Froitzheim am 21. Januar 2022.↩
- Telefonat mit Torsten Ewert am 26. Januar 2022.↩
- Daten des Eigenbetriebs Abfallwirtschaft Vorpommern-Rügen.↩
- Deutsche Umwelthilfe (Hg.): Sammlung von Bioabfall: Deutsche Umwelthilfe fordert flächendeckende Biotonnen statt unpraktikabler Bringsysteme, auf: duh.de (26.4.2021).↩
- Umweltbundesamt (Hg.): Aufwand und Nutzen einer optimierten Bioabfallverwertung hinsichtlich Energieeffizienz, Klima- und Ressourcenschutz, auf: umweltbundesamt.de (August 2010).↩