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Festivals in Meck-Vorp

Detect Classic auf Schloss Bröllin

Wenn Cello wie Karamell schmeckt, dann ist Detect Classic. Bei dem Festival im südlichen Vorpommern trafen am vergangenen Wochenende Techno und Orchestermusik aufeinander. Die Kraft der Symbiose führte die etwa 1.200 Anwesenden auf eine musikalische und kulinarische Reise über die Grenzen der Musik hinweg.

Die Abläufe sind klar und doch ist nicht alles vorhersehbar: Eigentlich gibt es ab 19 Uhr Abendessen, doch das Trickster Orchestra, eines der auftretenden Ensembles, hat keine Zeit und bereits eine Stunde vorher Hunger. Alles schon fast Routine für die Cateringcrew im Backstagebereich um Pierre, Josefa und Jeremy. Denn die drei sind erfahren. „Solange es rechtzeitig kommuniziert wird, ist fast jeder Wunsch erfüllbar“, sind sie sich einig. Dann werden die Portobellopilze früher in die Pfanne geworfen. Mehr als 200 Stück anzubraten, dauert ohnehin eine Weile. Dann sind pünktlich um 19 Uhr auch alle anderen Crewmitglieder und Künstler:innen, die im Backstage verköstigt werden, mitversorgt.

Das Detect Classic Festival wird ausgerichtet von der Jungen Norddeutschen Philharmonie (JNP) in Kooperation mit den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern und lässt scheinbar grundverschiedene Welten aufeinanderprallen. Da ist Kommunikation ganz generell wichtig, denn alle haben eigene Bedürfnisse. Die Küchenmannschaft der Berliner Firma La Vie en Toast braucht einen leeren Kühlraum, das Philharmonieorchester klare Raumakustik und die Crews auf der Open-Air-Technobühne beschäftigt die Frage, wie sie die Musik aufdrehen können, ohne Beschwerden fürchten zu müssen, und wie der Strom auf Wald und Wiese kommen soll.

Techno trifft Klassik

Das Detect Classic hat sich der Begegnung scheinbarer Gegensätze verschrieben. Musiker:innen gehen experimentell der Frage nach, was Klassik heute bedeutet und wohin das Genre gehen kann.

Techno trifft als Gegengewicht auf klassische Musik. Beides findet nicht nur nebeneinander, sondern auch zeitgleich auf einer Bühne statt. Da tritt der gebürtige Greifswalder Produzent und DJ Christian Löffler gemeinsam mit dem Streichquartett des Detect Ensembles auf (siehe Titelbild). Dort wird Techno von Livemusiker:innen, wie der Berliner Band Komfortrauschen, produziert.

Spannend ist die Uraufführung von „Ein Mahler Palimpsest“ mit Fragmenten aus der unvollendeten 10. Sinfonie des österreichischen Komponisten Gustav Mahler (1860-1911). JNP und das Trickster Orchestra führen das Stück gemeinsam auf. Dessen Musiker:innen bringen mit asiatischen und arabischen Instrumenten neue Einflüsse ein und verschieben so bereits die Grenzen der klassischen Musik, wie der Moderator vor Konzertbeginn betont. So erklingen etwa eine Sheng, ein über 3.000 Jahre altes Blasinstrument aus dem chinesischen Raum, eine Koto, ein japanisches Saiteninstrument, oder eine arabische Version der Zither, das Kanun. Cymin Samawatie, künstlerische Leiterin des Trickster Orchestras, dirigiert die Aufführung, für die es am Ende stehenden Applaus gibt.

Mitglieder der Jungen Norddeutschen Philharmonie vor dem Konzert (Foto: Oliver Borchert)

Wer Klassik eher statisch betrachtet, wird auf dem Detect Classic überrascht. Denn hier kann es passieren, dass ein Konzert klassisch beginnt und während der Darbietung derart an Energie gewinnt, dass es das Publikum zum Tanzen bewegt. Das gefällt nicht allen, aber den meisten. Auf mehreren Floors, drinnen wie draußen, wird ein vielfältiges, sorgsam kuratiertes musikalisches Programm geboten. Performances und Workshops begleiten die Auftritte der Musiker:innen. So sucht Milan Glatzer in seinem Vortrag „Klassismus und Geschmack“ nach sozialen Klassen zwischen Klassik und Techno.

Letztlich wird auf dem Festival eine experimentelle Auseinandersetzung darüber geführt, wie, wofür und mit wem ein musikalisches Ereignis stattfindet. Musik öffnet den Raum für eine Annäherung der verschiedenen Genres. Es sind diese Momente, in denen dieses Festival seinem avantgardistischen Anspruch gerecht wird und das Gefühl entsteht, Teil etwas Besonderen sein zu dürfen.

Das Detect Classic Festival steht auf gewachsenen Strukturen und nutzt die Erfahrung der beteiligten Organisationen. Die Verantwortlichen der Festspiele MV wissen, wie man Konzerte, vor allem im personell und finanziell aufwendigen Klassikbereich, über die Bühne bringt. Die Kollektive bringen die Erfahrung und das Spielerische mit, das es braucht, um ein Publikum über mehrere Tage bei Laune zu halten. Dazu gehören auch die Deko und die vielen kleinen Details, die es auf dem Gelände zu entdecken gibt. Für den Gastgeber JNP ist es bereits das dritte Detect Festival, wenn auch zum dritten Mal an neuem Ort. Nach zwei Versuchen in und um Neubrandenburg wurde dieses Jahr der vom Volksmund zum Schloss geadelte Gutshof in Bröllin als Gastgeber gewonnen.

Dabei muss das Veranstaltungsgelände verschiedenen Ansprüchen gerecht werden. Wenn alle Rädchen ineinandergreifen, genießen Zuhörer:innen den Klang leisester Geigentöne, die durch den Konzertsaal bis in die hinterste Ecke schweben, während gleichzeitig am anderen Ende des Geländes Bässe über eine Wiese hämmern.

Kollektive sorgen für Infrastruktur

In der Branche ist es üblich, Großveranstaltungen weit im Voraus zu planen. Die unabhängig organisierten Kollektive, die auf dem Detect Classic Bühnen aufbauen, einrichten und gestalten, sind schon Wochen vor Festivalbeginn angereist.

Die Kollektive werkstatttraum und Kollektives Bewusstsein (beide aus Berlin) gestalteten den Anthropolis-Floor, der mit Säulen und Statuen die Antike zitiert. Auch der Kokon-Floor wurde in wochenlanger Detailarbeit rund um das als Baudenkmal geschützte älteste Bienenhaus Europas gestaltet. Stilisierte, riesige Honigtropfen hängen von den Zeltplanen. Hier hat sich das lange.weile Kollektiv aus Leipzig ausgetobt. Sogar ein kleines Postamt zum Verschicken von Liebesbriefen gibt es hier. Ein weiteres beteiligtes Kollektiv ist dunkelstrom, verantwortlich für das Lichtkonzept auf dem Gelände und die Deko im „Vogelfrei“ genannten Orchesterkonzertsaal.

Der Kokon-Floor – eine überdimensionale Bienenwabe (Foto: Oliver Borchert)

Erwähnt werden soll auch die weitere Infrastruktur, die für ein Festival geschaffen werden muss: Zeltplätze werden eingerichtet, Parkplätze markiert, Sanitäranlagen wie Duschcontainer und nachhaltige Kompostklos sowie ein „Discounter“ genannter Kiosk auf dem Gelände vervollständigen das Angebot. 

Im Gegensatz zu den aus der Open-Air-Szene kommenden Kollektiven, die auf viel Zeit und ehrenamtliche Arbeit vertrauen, setzen die Festspiele Mecklenburg-Vorpommern, die über 100 Veranstaltungen im Jahr ausrichten, auf straffe Zeitpläne. Sie sind akribisch festgelegt, doch der eigentliche Aufbau beginnt gerade einmal drei Tage vor Festivalbeginn. Dass der Konzertsaal am Ende kleiner ist, als die Scheune von außen vermuten lässt, ist eine der Kommunikationspannen, die auch bei der Detect Classic hin und wieder vorkommen. Der Raum war nicht leer und konnte innerhalb von drei Tagen auch nicht ganz ausgeräumt werden. Die Küchencrew kennt diese Probleme von früheren Veranstaltungen und weist seitdem immer darauf hin, dass ihr zugewiesener Raum auch nutzbar sein muss.

„Der Raum für Fehler ist bei den Kollektiven aus der elektronischen Musikszene einfach größer, was natürlich auch am gröberen Zeitmanagement liegt“, erklärt Jasmin Falk, studierte Medienwissenschaftlerin, freischaffende Texterin und Social Media Manager. Sie arbeitet in der Kommunikationsabteilung von Detect Classic. Diese Fehlertoleranz ist der Vorteil der kleinteiligen Kollektive gegenüber ungleich größeren und hierarchischer organisierten Partnern, lässt diese Herangehensweise doch Raum für spontane, kreative Gestaltung. Das funktioniert bei kleinen Bands und DJs, ein Orchester jedoch ist schon aufgrund seiner Größe auf eine straffere Organisation angewiesen. Die Organisator:innen der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern sind an den Spielorten einen glatten Ablauf gewohnt, größere Probleme, die improvisatorisch gelöst werden müssen, gibt es praktisch nicht. Aber auch sie profitieren im Rahmen einer solchen dreitägigen Veranstaltung von der verspielten Lust am Gestalten der Kollektive.

Auf der anderen Seite profitieren die kleinen, unabhängigen Veranstaltungskollektive finanziell von der Kooperation mit den Festspielen MV und der damit verbundenen Kulturförderung. Das sind zumindest die kleinen Kollektive, die sonst oft Raves und ähnliche kleine Events veranstalten, nicht unbedingt gewohnt. Ohne diese Förderung würde eine so große Veranstaltung kaum funktionieren, da Orchester wesentlich teurer sind als DJs. Auch die Besucher:innen profitieren von dieser Zusammenarbeit. Mit den vorhandenen Mitteln und der Kreativität der Veranstalter:innen und Künstler:innen wurden so überdurchschnittlich gute Festivalbedingungen geschaffen.

Das Lichtkonzept von dunkelstrom verführt durch die Nächte (Foto: Oliver Borchert)

Kulinarisches im Akkord

Auf dem Detect Classic wird jeder Hunger zu jeder Zeit gestillt, selbst nachts um zwei, wenn die Techniker:innen endlich eine ruhige Minute haben. Die Verpflegung für die Gäste ist vielfältig: Mehrere Foodtrucks stehen auf dem zentralen Platz innerhalb der Mauern von Schloss Bröllin und bieten Köstlichkeiten wie Knödel mit verschiedenen Soßen, Rührei mit Baba Ganoush (Auberginen-Sesam-Püree) oder frisches Fladenbrot an. Daneben gibt es einen Kaffeestand auf dem Gelände und natürlich mehrere Bars.

Außerhalb des Festivalgeländes haben die Einwohner:innen Bröllins einen Stand aufgebaut, an dem Frühstückshungrige mit Bioeiern versorgt werden und außerdem den ganzen Tag Grillgut über den Rost geht. Es ist der einzige Imbiss, an dem Fleisch verkauft wird. Das Angebot auf dem Festival ist ausschließlich vegan und vegetarisch, Teil des nachhaltig ausgerichteten Veranstaltungskonzepts.

Für die Versorgung aller Mitarbeitenden der Veranstaltung wurde eine eigene Struktur geschaffen: Seit einer Woche begleitet die kleine Crew um Josefa, Pierre und Jeremy, Gründer:innen des Kollektivs La Vie en Toast, bereits die JNP und das Trickster Orchestra bei ihrem Sommer- und Probenlager. Auch nach dem Detect Classic werden sie die Probewoche auf Schloss Gadebusch für die anstehenden Sommerkonzerte begleiten und die JNP verpflegen.

Mit dem Orchester umzuziehen und an beiden Orten zu kochen, ist eine logistische Höchstleistung. Besichtigungsfahrten im Frühjahr, Kalkulationen, Aufstellen und Kontrollieren von Zutaten- und Bestelllisten, das Zusammenstellen der Speisen – der Aufwand allein dafür ist kaum messbar. Immerhin: Geballtes Lob kommt zurück. Das Konzept ist aufgegangen.

Das Backstagecatering ist so etwas wie das Herz der Veranstaltung. Hier kommen die ausgelaugten Mitarbeitenden und Künstler:innen vorbei, um Kraft zu tanken, bevor sie wieder hinter und auf den Bühnen für einen reibungslosen Ablauf des Festivals sorgen. Mit möglichst regionalen und saisonalen Zutaten und einer Portion Idealismus und Einsatzbereitschaft will La Vie en Toast über das klassische Bereitstellen von Nahrung hinausgehen: Freitagabend um elf wird beschlossen, aus dem übriggebliebenen Kochwasser von Kichererbsen und Schokolade eine vegane Mousse zuzubereiten: „Ist zwar nicht Teil des Auftrags, aber die Leute werden sich morgen freuen!“, ist Pierres Kommentar, bevor er sich daranmacht, den Schaum beim Anrühren in der halben Küche zu verteilen.

Solche spontanen Aktionen, aber auch das Vorbereiten von Speisen für den nächsten Tag, lassen einen Küchentag oft erst weit nach Mitternacht enden. Am Morgen bereitet die Frühschicht bereits ab 6:30 Uhr das Frühstück vor.

Spätestens um acht Uhr morgens steht das Frühstücksbüffet bereit (Foto: Pierre Lorenz)

Immerhin sind Küchenhelfer:innen im Budget vorgesehen. Neben den klassischen Schnippel- und Spülschichten können hier einige je nach Erfahrung auch ganze Arbeitsschritte bei der Zubereitung übernehmen. Doch für das Kernteam gibt es trotzdem genug zu tun, manchmal geht es nur mit Galgenhumor. Erst recht, wenn die Rückreise zur Probewoche mit der JNP nach Gadebusch im laufenden Betrieb organisiert werden muss. Doch auch das wird gelöst beziehungsweise von Josefa übermüdet weggewitzelt, während Pierre und Jeremy sich schon wieder auf das nächste Gericht fokussieren, den Nudelsalat mit frischem Pesto und eingelegten Tomaten, den es Sonntagmittag geben soll.

Spannungen fördern kreative Auseinandersetzung

Das Detect Classic Festival einer Kategorie zuzuordnen, ist nicht leicht. Es ist kein Technofestival, es ist kein Klassik-Open-Air und es ist auch keine Hippie-Party. Es ist all das gleichzeitig und es wird von Vertreter:innen aus entsprechend vielen Welten organisiert.

Aus den Pannen und Missverständnissen, die bei einer so heterogenen Veranstaltung zwangsläufig passieren, lernen alle Beteiligten. JNP-Geschäftsführer Konstantin Udert erzählt von Orchestermusiker:innen, die überrascht waren, an dem ungewöhnlichen Ort und angesichts des bunten Publikums eine derart aufmerksame Zuhörer:innenschaft zu erleben. Das Zielgruppenmarketing übernehmen eher Personen aus der Elektroszene, die wissen, wie man Menschen über verschiedene Kanäle erreicht. Laut Udert ist es auch für die Festspiele MV eine wohltuende Erfahrung, zu beobachten, wie die Mitorganisator:innen an die Veranstaltung herangehen, ohne finanzielle Sicherheit, mit Idealismus und zwei Wochen Urlaub für Aufbau und Veranstaltung. Für ihn entsteht eine „positive Irritation“, wenn er sieht, wie viele Menschen nicht davon leben, sondern einfach gerne dabei sind. Dass das Improvisierte neben den professionellen Strukturen funktionieren kann, erfordere Transparenz untereinander, so Udert. Durch dieses Mit- und Durcheinander der verschiedenen Musikrichtungen, Strukturen und Herangehensweisen entstehen dann die „Wunder“ des Detekt Classic, wie Udert sie nennt.

Beim Detect Classic verschwimmen die scheinbaren Grenzen der Genres: Jung und Alt feiern zusammen, Streicher:innen mit Glitzer im Gesicht tanzen auf Technofloors und DJs treten in bunter Kleidung mit klassischen Ensembles auf. Überschneidungen hat es schon immer gegeben. Und was aus diesem Aufeinandertreffen entsteht, ist eine konstruktive Auseinandersetzung, die im besten Fall in musikalische Symbiose übergeht und so etwas Neues entstehen lässt. Wenn es so weit ist, können auch die größten Raver zu ganz eigenen Erkenntnissen zu klassischer Musik kommen, wie eine Person beim Abendessen im Backstage erzählt: „Wenn man LSD nimmt, dann schmeckt Cello wie Karamell.“

Der Termin für das nächste Detect Classic Festival steht noch nicht fest. Infos unter: detectclassicfestival.de

Die nächsten Termine des Hauptveranstalters Junge Norddeutsche Philharmonie:

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