Ein etwa zehn Meter breiter Kontrollstreifen, ein fünfhundert Meter breiter Schutzstreifen und eine fünf Kilometer breite Sperrzone mit 157 Kilometer Länge: Das war die innerdeutsche Grenze, die Mecklenburg-Vorpommern von Schleswig-Holstein und Niedersachsen trennte. Grenznahe Siedlungen galten für das DDR-Regime als gefährlich – immer wieder flüchteten von dort Menschen in die BRD. Das Rezept der SED-Führung: Als „politisch unzuverlässig“ geltende Personen entfernen, Fluchten verhindern und ein freies Sicht- und Schussfeld Richtung Westen schaffen.
Dafür wurden Anwohner:innen der Grenzdörfer enteignet, zwangsausgesiedelt und die Gebäude abgerissen, also „geschleift“. Bei der Aktion Ungeziefer und der Aktion Grenze 1952 sowie der Aktion Kornblume und der Aktion Festigung 1961 wurden entlang der gesamten innerdeutschen Grenze insgesamt 23.000 Menschen umgesiedelt, 3.000 Menschen flohen in den Westen. In Westmecklenburg waren über 3.000 Menschen gezwungen, ihre Häuser innerhalb von 48 Stunden zu verlassen. Wer blieb, musste Repressionen hinnehmen: Orte in der Sperrzone durften nur mit Passierschein verlassen und betreten werden. Besuch durften sie nur in dringenden Ausnahmefällen empfangen, sich nachts im Freien aufhalten, war im Schutzstreifen ganz verboten.1
Rüterberg liegt direkt an der Elbe, der natürlichen innerdeutschen Grenze, und damit im besonders bewachten Schutzstreifen. Das Elbdorf war seit 1967 vollständig eingezäunt und damit sowohl von der BRD als auch von der DDR abgeschnitten. Als auch der Angel- und Badebereich des Dorfes zum Sperrgebiet erklärt werden sollte, regte sich Widerstand: In einer Dorfversammlung am 8. November 1989 riefen die anwesenden 90 von insgesamt 140 Bewohner:innen einstimmig die „Dorfrepublik Rüterberg“ aus. Sie wollten sich künftig eigene Gesetze geben und nicht länger von der Grenzpolitik der DDR schikanieren lassen. Einen Tag später fiel die Berliner Mauer.2
Dieser Beitrag erschien erstmals in unserem Buch Mecklenburg-Vorpommern ist Deutschland von hinten – 71 Karten über oben rechts.
- Amt Rehna (Hg.): Lankow (1209 – 1976), auf: rehna.de / Biosphärenreservatsamt Schaalsee-Elbe (Hg.): Erinnerungslandschaft, auf: elbetal-mv.de / Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (Hg.): Zeitreisen 2. Die DDR im Unterricht, auf: bundesstiftung-aufarbeitung.de (2010), S. 39 / Hunka, Martina: Wer an der Grenze wohnte, auf: insuedthueringen.de (11.8.2022). ↩︎
- Jaschik, Gisela: Tschüss DDR: Rüterberg wird Dorfrepublik, auf: ndr.de (8.9.2009) / Landesbeauftragter für Mecklenburg-Vorpommern für die Aufarbeitung der SED-Diktatur (Hg.): Zwangsaussiedlungen und geschleifte Dörfer 1952 und 1961 in Westmecklenburg, auf: landesbeauftragter.de / Metropolregion Hamburg (Hg.): Gedenkstätte Vockfey: Denkpyramide, auf: metropolregion.hamburg.de / Mikuteit, Hanna-Lotte: Die versunkenen Dörfer, auf: abendblatt.de (2.10.1999) / Stadt Dömitz über Amt Dömitz-Malliß (Hg.): Rüterberg, auf: doemitz.de / Tourismusverband Mecklenburg – Schwerin (Hg.): Rüterberg Dorfrepublik 1967-1989, auf: mecklenburg-schwerin.de / Veit, Sven-Michael: Der Weg der Steine, auf: taz.de (17.7.2009).
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