Interview

Drei Fragen – drei Antworten … mit Steffen Fleßa

Mit der Zusammenlegung der Krankenhäuser Crivitz, Hagenow und Ludwigslust zu den LUP-Kliniken fällt in Meck-Vorp erneut ein Schlaglicht auf den Handlungsbedarf für bessere medizinische Versorgung. Wir sprachen mit dem Gesundheitsökonomen Professor Steffen Fleßa von der Universität Greifswald, stellvertretender Vorsitzender der Expertenkommission zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung in MV, über die Integration der drei Kliniken, die politische „Aufklärungs“-Aufgabe bei der Weiterentwicklung der Versorgungsangebote und das Aufbrechen althergebrachter Strukturen.

KATAPULT MV: Landrat Stefan Sternberg hat die Bündelung der Kliniken in Crivitz, Ludwigslust und Hagenow unter die neu zu gründende Gesellschaft LUP-Kliniken ab Januar 2023 verkündet. Die Standorte sollen dabei erhalten bleiben. Was halten Sie von diesem Schritt und wie ordnen Sie ihn ein?

Steffen Fleßa: Die Integration von kleinen Krankenhäusern ist absolut richtig. Das umfasst Funktionen wie die Verwaltung, Hygiene, Apotheke oder Speisenversorgung, aber auch eine gewisse Aufgabenteilung bei den Leistungen zwischen den Kliniken. Dafür gibt es gute Gründe.

Zum ersten die Finanzierbarkeit: Kleine Krankenhäuser ohne Spezialisierung haben kleine Fallzahlen, dadurch steigen die Kosten pro Fall. Da kann man machen was man will: Behandlungen mit großer Fallzahl sind einfach wirtschaftlicher, fehlende Spezialisierung führt dagegen zu Verlusten. Die Ressourcen der Landkreise sind begrenzt, sodass Verluste eines Krankenhauses in anderen Bereichen eingespart werden müssen, etwa bei Schulen oder der Jugendhilfe.

Zum zweiten die Qualität: Eine geringe Fallzahl bedeutet immer ein Qualitätsproblem. Da ist die Literatur eindeutig: Wenn man zu wenig übt, ist man einfach schlechter. Und zwar besonders bei seltenen Komplikationen. Zum Beispiel kommt es bei ungefähr zwei Prozent der Geburten zu unerwarteten Komplikationen, die man nur beherrschen kann, wenn man die Situation häufig genug erlebt. Wenn in einem Krankenhaus nur noch 300 Geburten pro Jahr anfallen, aber fünf Hebammen angestellt sein müssen, damit eine 24/7-Bereitschaft existiert, bedeutet das etwas mehr als eine Geburt pro Woche pro Hebamme. Da kann sich bei seltenen Komplikationen keine Routine einstellen.

Und zum dritten die Erreichbarkeit: In Notfällen ist es oft wichtig, schnell in einem Krankenhaus zu sein. Zu viel Konzentration ist deshalb risikoreich, weil die Strecken zu lang werden.

Damit kann man klar schließen: Das, was der Landrat hier vorhat, macht Sinn. Allerdings ist der Prozess sehr kompliziert und verlangt die Abstimmung mit allen Beteiligten – auch mit Personal, Patientenvertretern und anderen Trägern.

Ist angesichts der seit Jahren immer wieder aufkeimenden Krisen und Diskussionen um die Zukunft mancher Klinikstandorte und Fachrichtungen eine Spezialisierung einzelner Häuser, wie sie bei den LUP-Kliniken geplant ist, der richtige Weg? Auch angesichts der Angst der Menschen, die medizinische Versorgung – gerade in der Fläche – könne sich verschlechtern.

Bei der Bevölkerung wurde viel versäumt. Sie hat Angst vor „Krankenhausschließungen“. Tatsächlich hat die Landesregierung – zu Recht – festgelegt, dass keine Krankenhausstandorte geschlossen werden. Aber sie müssen umgebaut werden. Das muss aber nicht schlechtere Versorgung bedeuten. Anders ist nicht automatisch schlechter! Durch eine stärkere Verknüpfung von ambulanten und stationären Angeboten am Ort kann die Qualität der Leistungen steigen. Wie ärgerlich ist es für Patienten, wenn sie zu unterschiedlichen Orten fahren müssen oder wenn im Krankenhaus dieselben Untersuchungen wie vorher noch mal durchgeführt werden? Und wenn in einem höheren Krankenhaus dann alles erneut von vorne anfängt, versteht das doch kein Patient mehr. Durch eine bessere Verknüpfung wird es besser für den Patienten. Aber das müssen wir immer wieder erklären. Das ist eine politische Aufgabe.

Bei der Ankündigung der LUP-Kliniken wurde auch von „sektorübergreifenden Versorgungsmodellen“ gesprochen, die ausprobiert werden sollen. Wie bewerten Sie die angestrebte Einführung solcher Angebote und inwiefern können diese aus Ihrer Sicht zu einer besseren Versorgung gerade der ländlichen Räume beitragen?

Das ist eine große Chance, endlich die Mauern zu überwinden, die ambulant, akutstationär und Reha voneinander trennen. Am besten stellt man sich ein Krankenhaus mit einer hohen Mauer vor. Wer es hinter die Mauer geschafft hat, wird optimal versorgt. Aber was draußen passiert, ob die Patienten dort gut behandelt werden, ob sie überhaupt ins Krankenhaus überwiesen werden, ob sie dann auch kommen, oder ob die falschen Patienten kommen, interessiert die „klassische“ Krankenhausleitung so wenig wie die Frage, ob die Patienten anschließend in der Reha und von den niedergelassenen Kollegen richtig weiterbehandelt werden. Das Ergebnis ist klar: hohe Gesamtkosten bei schlechter Qualität. Patienten können damit nicht zufrieden sein. Jemand, der nicht aus dem Gesundheitswesen kommt, aber mit hellem Verstand heute das Gesundheitswesen noch einmal neu planen müsste, käme nicht auf die Idee, das so zu machen. Für den Patienten ist eine Behandlung ein Prozess, der von der ersten Verdachtsdiagnose über ambulante Abklärung, Krankenhausbehandlung, Reha, Weiterbehandlung und letztlich – hoffentlich – Heilung reicht. Für ihn zählt der Gesamtprozess. Und genau daran müssen wir uns im Gesundheitswesen ausrichten. Und das bedeutet: sektorübergreifende Versorgung. Oder noch besser: Abschaffung der Sektoren.

Dieser Artikel erschien in der Dezember-Ausgabe von KATAPULT MV.

Autor:in

  • Redakteurin in Greifswald

    Geboren in Berlin, aufgewachsen in Berlin und Brandenburg. Tauschte zum Studieren freiwillig Metropole gegen Metropölchen.