Anfang Juli bebildert der Nordkurier einen Artikel zum Klimaschutz mit einer Fotomontage. Darauf ist eine MV-Landkarte zu sehen, die komplett mit Wasser bedeckt ist. Daneben befinden sich überflutete landwirtschaftliche Flächen. „Riesige Flächen unter Wasser – sind diese Moorpläne für MV realistisch?“ lautet die Überschrift. Im Artikel wird auf „drastische Maßnahmen“ hingewiesen, auf die „Wissenschaft“ als Urheberin. Eine Fläche so groß wie der Landkreis Vorpommern-Rügen solle bis 2040 wiedervernässt werden.
Auch Thomas Diener, der agrarpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, wird zitiert. Er zeichnet ein Bedrohungsszenario durch die Wiedervernässung von Mooren in MV. In einer von der Fraktion veröffentlichten Pressemitteilung spricht Diener im Zusammenhang mit der Wiedervernässung von „Enteignungen“ und hält die Pläne der Landesregierung für „Wahnsinn“ und eine „höchst zweifelhafte“ sowie „überzogene“ Idee. Außerdem bezeichnet er die Wiedervernässung von Mooren als eine Gefahr für den gesellschaftlichen Frieden im Land.
Was ist an den Vorwürfen dran? Bricht in Meck-Vorp bald eine Revolution aus? Zerbricht das gesellschaftliche Gefüge, weil trockene Moore wieder nass werden? Und warum macht die Spreewaldgurke so vieles besser? KATAPULT MV hat Hans Joosten vom Greifswald Moor Centrum um eine Einschätzung der wichtigsten Aussagen gebeten.
KATAPULT MV: Grundsätzlich: Kann die Wissenschaft von der Landesregierung konkrete Handlungen und Entscheidungen wie die Wiedervernässung von Mooren einfordern?
Hans Joosten: Nein. Die Wissenschaft befasst sich mit Fakten, kann aber weder Entscheidungen einfordern noch vorschreiben. Die Regierung trifft – informiert durch Fakten und auf Basis einer Abwägung von Interessen – eine Entscheidung. Die Wissenschaft kann allerdings darauf hinweisen, dass die faktische Basis einer Regierungsentscheidung nicht stimmt – falls zum Beispiel eine Regierung entscheidet, dass eins plus eins drei ist.
Wie wichtig ist die Wiedervernässung von Mooren für den Klimaschutz in MV?
Der Weltklimarat hat 2018 festgestellt, dass, um das 1,5-Grad-Ziel zu halten, bis zum Jahr 2050 die CO2-Emissionen weltweit auf „netto null“ gebracht werden muss. Diese „Nettonull“ ist auf allen politischen Ebenen – EU, Deutschland, Bundesländer – als Ziel, und sogar in geschärfter Form, übernommen worden.
CO2-Emissionen aus entwässerten Mooren sind nur durch Luftabschluss anzuhalten, das heißt durch vollständige Wiedervernässung. Wie bei einer Spreewaldgurke im Glas. Die Alternative, eine vollständige Überdeckung – mit Ton, Baggerschlamm, Beton, Asphalt: Deckel drauf –, ist nicht großflächig umsetzbar.
„Moor muss nass“ ist keine Wahnvorstellung, sondern eine unvermeidbare Konsequenz politischer Entscheidungen. Wer diese Konsequenz nicht akzeptieren kann, muss die Sinnvollheit dieser politischen Entscheidungen, beginnend mit dem Pariser Klimaabkommen und der deutschen Verfassung, in Frage stellen.
Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird Ende dieses Jahrhunderts die mittlere Welttemperatur um 2,7 Grad Celsius angestiegen sein. Die Emissionen aus den Mooren in MV werden dann über 500.000 Menschen ein menschenwürdiges Leben unmöglich gemacht haben. Diese Leute werden sterben, kämpfen, um zu überleben, und verzweifelt einen Ausweg suchen.
Werden Moore tatsächlich geflutet, wie es der Artikel des Nordkuriers nahelegt?
Bei der Wiedervernässung geht es darum, dass das entwässerte Moor sich bis etwa Geländeoberkante wieder mit Wasser füllt. In entwässerten Mooren wird der Wasserstand dauernd aktiv abgesenkt. Man muss kontinuierlich etwas machen, um ein Moor im entwässerten Zustand zu halten. Wenn man damit aufhört, „läuft“ das Moor oft von sich aus „voll“, weil es von Niederschlag und Grundwasser gespeist wird.
Eine permanente Überflutung schadet der Biodiversität. Allerdings lässt sie sich aufgrund der geografischen Beschaffenheit und des ober- und unterirdisch variierenden Wasserhaushalts nicht immer und überall vermeiden.
Der agrarpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Thomas Diener, erklärt, dass die Pläne zur Wiedervernässung nicht ohne Enteignung umsetzbar seien. Wie viel Enteignung steckt ihrer Meinung nach in den Plänen?
Enteignungen sind bisher nicht geplant. Ich schließe nicht aus, dass es ausnahmsweise dazu kommen wird, wie das auch für andere Aufgaben, die im öffentlichen Interesse liegen, geschieht. Es gibt aber viele Möglichkeiten, um Wasserstände im Siedlungsbereich zu erhöhen, ohne auf die Wohnfunktion zu verzichten. Die Niederlande zeigen, wie es gehen kann. Dort wird der Anstieg des Wasserstands gerade stimuliert, um die Wohnfunktion zu schützen.
Diener erklärt weiter, dass ein Moor nicht einfach wiederhergestellt werden könne. Für ihn sei es unwahrscheinlich, dass ein wiedervernässtes ehemaliges Moor erneut als CO2-Speicher herhalten könne. Er halte die Annahmen zur Speicherfähigkeit für „deutlich überzogen“. Wie schätzen Sie diese Aussagen ein?
Moore speichern überhaupt kein Kohlenstoffdioxid, also CO2. Sie speichern Kohlenstoff in Form von organischem Material, das Pflanzen vorher durch Photosynthese aus CO2 und Wasser hergestellt haben. Dieses organische Material wird im Moor durch permanente Wassersättigung und den daraus hervorgehenden Sauerstoffabschluss konserviert. So geschieht es auch bei der Spreewaldgurke, die im Topf unter Wasser konserviert wird.
Bei Entwässerung kommt dieses Material wieder in Kontakt mit der Luft und rottet weg, wobei sich der Kohlenstoff mit Sauerstoff aus der Luft zu CO2 verbindet. Auch die Spreewaldgurke verrottet, wenn man sie aus dem Topf holt und eine Weile rumliegen lässt.
Vereinfacht gesagt: ohne Sauerstoff keine CO2-Freisetzung. Sobald das Moor wiedervernässt ist, endet die Reaktion mit dem atmosphärischen Sauerstoff und das Moor hört sofort auf, CO2 freizusetzen. Auf ähnliche Weise, wie auch Herr Diener sofort aufhört, CO2 zu produzieren, wenn er keinen Sauerstoff mehr kriegt.
Bedeutet eine Wiedervernässung der Moore in MV, dass eine Fläche so groß wie der Landkreis Vorpommern-Rügen unter Wasser gesetzt wird?
Nein. Aus Klimasicht ist der ideale Wasserstand zehn Zentimeter unter der offenen Flur, also der Geländeoberkante. Um diesen Wasserstand im Jahresdurchschnitt zu erreichen, wird es oft notwendig sein, die Moorflächen im Winter zu überstauen, um ausreichend Wasser für den Sommer verfügbar zu haben. Es ist aus Klimasicht aber nicht beabsichtigt, die Flächen dauerhaft zu überstauen und offene Wasserflächen entstehen zu lassen.
Diener warnt ebenfalls, dass vom gesellschaftlichen Frieden in Mecklenburg-Vorpommern „nicht mehr viel übrig sein“ wird, wenn die Moore im Land wiedervernässt werden. Was meinen Sie: steile These oder realistische Einschätzung?
Dem sozialen Frieden ist am besten gedient, wenn man die großen gesellschaftlichen Probleme, die mit Moorentwässerung einhergehen, erkennt, Verantwortung für das Wohlergehen der Menschen hier und anderswo, jetzt und später, übernimmt und die enormen Herausforderungen gemeinsam angeht, um für alle akzeptable Lösungen zu finden.
Quellen
- Becker, Andreas: Riesige Flächen unter Wasser – sind diese Moorpläne für MV realistisch?, auf: nordkurier.de (5.7.2023).↩
- CDU-Landtagsfraktion MV (Hg.): Thomas Diener: Hände weg von der Heimat tausender Menschen – Mecklenburg-Vorpommern braucht einen Moorfrieden (liegt der Redaktion vor).↩