Ein Frühstück vor dem Amtsgericht mit „containerten“ Lebensmitteln und Picknickdecken veranstalten etwa 30 Sympathisant:innen am Mittwochmorgen in Greifswald. Neben massenhaft Brot und Brötchen, Süßigkeiten und Zitrusfrüchten sind sogar Weihnachtsbäume zu finden. Woher sie die ganzen Sachen haben, wollen die Aktivist:innen nicht verraten. Eines betonen sie aber: Alles komme aus der Tonne. Deshalb stehe hinter der Aktion auch eine politische Botschaft: Es soll sichtbar gemacht werden, wie viele Lebensmittel eigentlich gerettet werden können. „Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft, die so viel Luxus hat, dass Genießbares einfach in die Tonne kommt“, sagt Nora Willenbockel. Gemeinsam mit anderen Menschen habe sie sich zusammengeschlossen, um zu zeigen: Containern sollte entkriminalisiert werden.
Aber was ist eigentlich Containern? Der aus den USA stammende Trend bedeutet, noch genießbare Lebensmittel vor dem Wegwerfen, also aus Containern, zu retten. Menschen, die containern, nehmen verpackte Lebensmittel wie Brot, Wurst, Käse, aber auch frisches Obst und Gemüse aus Abfallcontainern von Supermärkten mit. Es ist eine von vielen Möglichkeiten, um der Lebensmittelverschwendung und -überproduktion entgegenzuwirken, sagen die Sympathisant:innen, denn häufig sind Produkte nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums noch genießbar. Trotzdem ist Containern in Deutschland strafbar. Anklagen erfolgen meist wegen Diebstahls, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruchs.
450 Euro Strafe oder 30 Tage Knast
So auch im aktuellen Fall: Salome K. stand am Mittwoch wegen Hausfriedensbruchs vor dem Greifswalder Amtsgericht. Sie soll im Juli vergangenen Jahres in den späten Abendstunden vor einem Supermarkt in der Hansestadt nach Pfandflaschen gesucht und dabei unbefugt ein Privatgrundstück betreten haben, so der Vorwurf. Im gleichen Zeitraum wurde Salome K. von der Polizei kontrolliert, wie sie nach der Verhandlung selbst erklärte. Dabei habe die Polizei einen welken Kopfsalat und braune Bananen in ihrem Rucksack gefunden. Jetzt sei es Aufgabe des Gerichts, herauszufinden, ob zwischen den zwei Ereignissen ein Zusammenhang bestehe, so die Angeklagte, und fügt hinzu: „Ich finde es läppisch, dass hier ein Strafverfahren folgt.“ Aber sie wolle das Beste daraus machen und drehe gemeinsam mit anderen Menschen den Spieß um: „Dann halt Verhandlung mit Ausstellung und Protest.“ Als Strafe hätte Salome K. 450 Euro zahlen oder 30 Tage ins Gefängnis gehen können. Aus politischen Gründen habe sie sich gegen beides entschieden und weiter geklagt.
Demonstration vor Gericht war nicht erwünscht
Kurz nach Beginn der Verhandlung traten einige Unterstützer:innen an das Fenster des Gerichtssaals. Sie riefen im Chor: „Lebensmittel retten ist kein Verbrechen“ und zeigten unter anderem Banner mit der Aufschrift „Repressionen gehen mir auf den Keks – Gerichte sind zum Essen da“. Im Nachgang erzählte die Angeklagte, dass die Aktivist:innen noch bis kurz vor Verhandlungsbeginn dafür gekämpft hätten, vom Gericht eine Genehmigung für die Ausstellung der containerten Lebensmittel zu bekommen. Das Gelände sei jedoch Privatgrund und Proteste darauf seien nicht erwünscht. Deshalb hätten sie ihre Aktion wie auch schon andere Proteste in sichtbarer Nähe zum Gericht durchgeführt.
Strafantrag wegen öffentlichen Interesses?
Der Fall der Greifswalderin bringe einige Auffälligkeiten mit sich, sagt Max Pfeifer, ihr Wahlverteidiger. Eine Verurteilung setze einen Strafantrag des Verletzten, in diesem Fall der Supermarktkette, voraus. „Derzeit ist unklar, ob der überhaupt vollständig vorliegt“, so Pfeifer. Ohne einen solchen Antrag dürfe die Tat nicht weiter verfolgt werden, das Verfahren würde somit eingestellt. Bei einem Hausfriedensbruch sei das eigentlich ein gängiger Ablauf, erklärt Pfeifer. Auffällig sei hierbei aber nun, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren nicht eingestellt habe. Privatpersonen hätten somit noch die Möglichkeit, den Strafantrag weiter zu verfolgen, wenn daran Interesse bestehe. Ob der Supermarkt daran Interesse hat, lasse sich aus den Ermittlungsakten nicht eindeutig entnehmen. Die Staatsanwaltschaft führe ein solches Verfahren sonst nur weiter, wenn es im Interesse der Öffentlichkeit liege. Aktuell sieht der Wahlverteidiger keinen Grund, die Tatvorwürfe gegen Salome K. so zu behandeln. Trotzdem gilt: „Ob ein öffentliches Interesse vorliegt oder nicht, beurteilt die Staatsanwaltschaft selbst“, erklärt der Wahlverteidiger.
Prozess wird im neuen Gebäude des Amtsgerichts weitergeführt
Im Gerichtssaal verweigert die Angeklagte ihre Aussage. Sie mache das nicht nur, um sich selbst nicht zu belasten, sondern auch, um proaktiv auf die Lebensmittelverschwendung aufmerksam zu machen: „Die allermeisten Menschen entscheiden sich für die Strafe, aber wir wollen die Auseinandersetzung mit dem Thema“, erklärt die Anfang-dreißig-Jährige. Klarheit hätte möglicherweise ein geladener Zeuge schaffen können. Doch der ist auch 30 Minuten nach Verhandlungsbeginn nicht erschienen. Das Verfahren wird vertagt, einen neuen Termin gibt es bislang nicht. Da das Amtsgericht Mitte Dezember umzieht, wird die Verhandlung im neuen Gebäude weitergeführt. Salome K. kündigt dafür weitere Container-Frühstücke an: „Wir werden auch im neuen Gebäude wieder aushandeln müssen: Wie viel Protest darf in der Nähe eines Gerichts stattfinden?“
Quellen
- Wirbel, Clemens: Strategien zur Bekämpfung von Lebensmittelverschwendung im Lichte des wohlgeordneten Rechts, 2020, S. 40-41.↩
- Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (Hg.): Strafrechtliche Aspekte des sogenannten „Containerns“ in Deutschland, Frankreich, Niederlande und Schweden, S. 10-11, auf: bundestag.de (12.4.2022).↩