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IG Metall

„Die jungen Leute brauchen eine Perspektive“

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Ein klassischer Antrittsbesuch, wie nach einer Regierungsbildung üblich, war das sicherlich nicht: MVs neuer Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) traf am Mittwoch Gewerkschaftsfunktionär Daniel Friedrich. Die Pleite der MV-Werften beschäftigt Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände und die Politik seit Wochen. Direkt danach sprach KATAPULT MV mit dem Leiter des Bezirks Küste der IG Metall über die Transfergesellschaft, die Zukunft von Angestellten und Auszubildenden und die industriellen Kerne von MV.

KATAPULT MV: Herr Friedrich, Sie hatten einen Termin mit Wirtschafts- und Arbeitsminister Meyer. Sicherlich ging es auch um die Werften. Können wir davon ausgehen, dass die Beschäftigten ab dem 1. März bei den Transfergesellschaften in Lohn und Brot stehen?

Daniel Friedrich: Zum heutigen Zeitpunkt tun wir alles dafür, dass uns das gelingt. Aber da müssen noch Finanzierungen sichergestellt und letzte rechtliche Unklarheiten beseitigt werden. Und dann hoffen wir, dass wir diese Nachricht, dass die Beschäftigten bei den Transfergesellschaften angestellt sind, am Ende der nächsten Woche bekommen. Ansonsten heißt es am ersten März: Arbeitslosigkeit.

Wird es gelingen, die Auszubildenden in der Transfergesellschaft zu halten?

Die Auszubildenden werden erst einmal nicht in die Transfergesellschaft gehen. Unser Ziel ist es, im März eine Lösung zu finden, wie und wo sie ihre Ausbildung beenden können. Das ist ein großes Thema – neben der Transfergesellschaft. Auch daran wird hart gearbeitet, weil die jungen Leute eine Perspektive brauchen.

Wird es gelingen, das Know-how und die hochqualifizierten Beschäftigten über ein, zwei, drei Jahre zu halten?

Das ist schon eine lange Zeit. Wir haben jetzt erst mal eine Transfergesellschaft, bei der reden wir von vier Monaten. Da sehen wir, wie weit ein, zwei, drei Jahre davon weg sind.

Ich glaube, wir müssen Investoren erst mal zeigen: Die Mannschaft bleibt zusammen. Und wenn wir Investoren haben, für die wir dann auch die Beschäftigten zusammenhalten können – auch über diese vier Monate hinaus –, dann brauchen wir sowieso die Verlängerung der Transfergesellschaft. Und am Ende des Tages müssen wir natürlich wissen, wo dauerhafte Beschäftigung entstehen kann, und dahin müssen wir die zeitliche Brücke bauen. Aber drei, vier Jahre wird keine Transfergesellschaft gehen.

Die Frage ist: Wie können wir trotzdem Perspektiven aufzeigen? Wie können wir peu à peu wieder Arbeit schaffen, Leute wieder übernehmen? Klar ist, wer erst mal weg ist – in Hamburg, Baden-Württemberg oder Bayern –, kommt schwer zurück. Was wir doch alle gemeinsam nicht wollen, ist, dass die Arbeitskräfte Mecklenburg-Vorpommern verlassen. Das können wir nicht wollen.

Die IG Metall sagt: Wir müssen die industriellen Kerne sichern. Was sind die industriellen Kerne von Mecklenburg-Vorpommern?

Der stärkste Kern ist die maritime Wirtschaft mit den Werften und den Zulieferern. Darüber hinaus haben wir natürlich ein bisschen Mischindustrie. Wir haben ein wenig Automobilindustrie: In Laage mit „ZF“ ein großes Werk, in Wismar mit „Lear“, „Webasto“ in Neubrandenburg; da geht es um die Frage der Transformation. Und wir haben das Thema Luftfahrt mit „Flamm“ in Schwerin, wo man sich auch hinentwickeln kann.

Wir haben also nicht so eine geballte Kraft wie Baden-Württemberg mit der Automobilindustrie. Hier verteilt sich die Industrie mehr, aber das Rückgrat ist und waren die Werften und da haben wir auch die Ausbildung und Qualifizierung. Daran hängen auch technische Hochschulen et cetera. Wenn die Werften ihre Beschäftigung verlieren, stellt sich die Frage, wie wir insgesamt industrielle Beschäftigung langfristig sichern können.

Es wird immer davon geredet, dass erneuerbare Energien Arbeitsplätze schaffen können, besonders in einem deutschen Küstenland. Wer wäre da Ihrer Meinung nach möglicher Investor?

Wir haben ein großes Interesse an dem Thema „Offshore-Industrie“. Die Energieunternehmen haben schon im Sommer sehr deutlich gesagt: Wir wollen eigentlich, dass in Deutschland unsere Plattformen gebaut werden. Und wir wissen, dass das an der Ostsee – in Wismar, in Warnemünde, in Stralsund – schon gelungen ist. Da müssen wir ansetzen. Die Amprions dieser Welt suchen Firmen, die das mit ihnen gemeinsam machen, und da gibt es eine Perspektive.

Aber selbst, wenn wir heute damit anfangen, würde die Produktion erst in zwei Jahren beginnen. Die Zeit davor würde erst mal Konstruktion bedeuten. Das ist zwar eine lange Zeit, aber das sind die Firmen, die wir hierherholen müssen.

Und der Bundeswirtschaftsminister hat bei seinem Besuch in Wismar gesagt: Deutschland braucht einen Offshore-Standort. Und der müsste aus meiner Sicht in Mecklenburg-Vorpommern liegen.

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Fußnoten

  1. Die Dortmunder Firma Amprion betreibt in sieben westdeutschen Bundesländern das mit knapp 11.000 km Stromkreislänge zweitgrößte Höchstspannungs-Stromnetz in Deutschland.

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