Auf dem Deich bläst der Wind ins Gesicht. Der Tee im Becher ist kalt, alles andere auch. Eine Handvoll Surfer steht in Neoprenanzügen in Ufernähe. Zwischen zwei Bullis suchen sie Schutz. Ihr Blick geht aufs Wasser, auf die Wellenkronen. Zu wenig Schaum tanzt auf dem Bodden.
„Wir haben zu wenig Wind und zu wenig Zeit“, erklärt Markus Marsand. Gegen Samstagmittag sind es gerade einmal 15 bis 17 Knoten. „Das ist nicht so doll, aber wir machen das Beste draus.“ Gemeinsam mit Florian Scholz und Philipp Grzybowski organisiert Marsand die Island Games Rügen, die an diesem Novemberwochenende in die erste Runde gehen.
Die Island Games: das ist ein Windsurfwettkampf für alle Niveaustufen in den Disziplinen Freestyle und Wave. „Bevorzugt möchten wir Amateure ansprechen, aber es ist natürlich offen für alle“, sagt Philipp Grzybowski. Eine Kamera mit Teleobjektiv hängt um seinen Hals. Er ist für die Fotos während der zehnminütigen „Heats“ verantwortlich. Heat, so nennen die Surfer ihre Rennen. Ihre Sprache ist international, genauso wie das Wasser. Da draußen sind alle gleich.
Freestyle ist wie Eiskunstlaufen
Zwischen den Bullis auf dem Deich kriecht die Kälte in die Neoprenanzüge. Sie wird mit Strecksprüngen und Armkreisen gekontert. Eigentlich ist die Saison bereits vorbei. Von März bis Oktober dauert sie üblicherweise auf Rügen. Aber die ersten Island Games wollen sich die Anwesenden nicht entgehen lassen. Daran ändert auch der zunächst schwache Wind nichts. Gespannt schauen Surfer und Organisatoren hinaus auf den Bodden. Die ersten Tricks werden gefahren. Air Jibes, gesprungene Halsen, und Flakas, bei denen das Brett um 360 Grad auf dem Wasser gedreht wird, gehören zum Repertoire.
„Freestyle musst du dir vorstellen wie Eiskunstlaufen. Du machst deine Tricks und bekommst dafür Punkte. Viele Amateure können aber nur ein oder zwei Tricks. Also sagen wir: Du kannst die Manöver wiederholen und bekommst jedes Mal Punkte dafür“, erklärt Grzybowski den Bewertungsmodus. Insgesamt sechs Tricks, drei pro Fahrtrichtung, fließen in die Wertung ein.
Gefahren wird in der sogenannten „double elimination“, in einer Qualifizierungs- und Platzierungsrunde. Das Los und die Könnensstufe entscheiden die Paarungen. „Die Idee ist, dass zumindest am Anfang jeder die Chance hat, weiterzukommen“, stellt Grzybowski den Fairnesscharakter heraus. So gibt es gesetzte Fahrer, die erst später in den Wettkampf einsteigen, und andere, die sich mit ihren Heats durch den kompletten Turniertag fahren.
Fiona Jendrzi aus Leipzig ist mit 16 Jahren die jüngste der insgesamt 13 Teilnehmenden. Seit ihrem neunten Lebensjahr steht sie bereits auf dem Surfboard. Der Schladitzer See nördlich von Leipzig ist ihr Heimatrevier, aber auch das Wasser vor Ummanz ist Jendrzi nicht fremd. „Ich kenne den Spot seit Jahren. Wir kommen immer mal wieder an den Wochenenden hierher“, sagt sie und fügt mit strahlendem Lächeln an: „Hier lohnt sich das Surfen immer.“
Jendrzi gehört der erste Heat des Tages. Die Island Games sind ihr erster Windsurfwettkampf überhaupt und auch Tricks fährt sie erst seit wenigen Wochen. Um sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen, wählt Jendrzi Duck Jibes und Spocks. Beide Manöver meistert sie so gut, dass sie nicht nur den ersten Heat übersteht, sondern auch ihre Gruppe gewinnt. Die Kälte im frühen November nimmt sie gern an, denn surfen ist für sie, wie für alle anderen Teilnehmenden, nicht nur Sport und Hobby, sondern Leidenschaft. „Man kann aufs Wasser und das Gehirn vorher abgeben. Das ist geil“, schwärmt Jendrzi.
Rügens herausragende Reviere für Amateure und Profis
Hinterm Deich hämmern Lautsprecher Gute-Laune-Musik in den wolkenverhangenen Nachmittag. Foo Fighters und Reggae. Kai Borrmann, Leiter der Wassersportstation Ummaii, moderiert die Island Games. Flotte Sprüche gegen einen Wind, der sich herausgefordert fühlt. „Der Wind da draußen reicht für ein Körpergewicht bis 100 Kilo“, sagt Borrmann lachend und kurz darauf sind es bereits 19 Knoten, die über den Bodden fegen.
Borrmann ist mit der Surfszene vertraut. Die Island Games sind nicht der einzige Wettkampf, dem er eine Plattform bietet. Die international besetzten German Freestyle Battles (GFB) waren schon hier und auch Kitesurfer tummeln sich gern im hiesigen Revier. Pia Boni gehört zu ihnen. Sie leitet mit Deaf Ventures Kite- und Wassersportkurse für Gehörlose, aber auch den Windsurfern der Island Games schaut sie mit Begeisterung zu. Auch Boni geht aufs Wasser, doch zuvor versichert sie sich, dass die Deichsauna angeheizt ist. „Ich gehe da nicht raus, wenn ich hinterher nicht in die Sauna komme“, grinst sie. Mehr Wind bedeutet größere Kälte. „Je schwieriger die Bedingungen, desto mehr schweißt es die Leute zusammen“, weiß Borrmann, der Suppe und Glühwein an die Frierenden austeilt.
Neben dem Freestylewettbewerb planen die Macher der Island Games Rügen auch einen Wettbewerb auf der Welle. Die Ostsee vor der Nord- und Ostküste Rügens bietet dafür hervorragende Bedingungen. „Wir haben auf Rügen sehr oft Wind aus Südwest, der gute Wellen bringt, dann sind wir meist im Norden in Kreptitz und bei östlichen Windrichtungen sind wir in Neu Mukran“, erklärt Grzybowski. Auch für die Disziplin Freestyle könne er sich ein zusätzliches Revier vorstellen. „Es sollen ja die Rügenspiele sein und da wollen wir überall ein bisschen was machen. Wir müssen mal schauen, ob es noch eine andere Surfschule gibt, die mit ins Boot kommt.“
In der Zwischenzeit steht Florian Scholz auf dem Deich und schreibt Tricks und Punkte auf Bewertungsbögen. Der Wind bläst mittlerweile mit 20 Knoten. „Ich wäre auch gern auf dem Wasser“, sagt er, doch eine Knorpelverletzung hält ihn an Land. Dann eben der Job als Wertungsrichter. Die Punktevergabe läuft großzügig. „Der Spaß soll natürlich im Vordergrund stehen. Wir machen das auch mit den Leuten auf Rügen zum ersten Mal“, sagt Grzybowski.
Einer, der an diesem Tag nicht zum ersten Mal an einem Windsurfwettbewerb teilnimmt, ist Mathias Genkel. Der gebürtige Parchimer gewann 2017 die GFB Rügen hier im gleichen Revier und gehört im Freestyle zu den besten deutschen Windsurfern. Er freut sich über die neu ins Leben gerufene Veranstaltung, merkt aber auch an, dass es für solche Events immer schwieriger werde. „Es gibt immer mehr Reglementierungen und es sind auch immer mehr Leute auf dem Wasser“, sagt Genkel. „Früher waren die Windsurfer vor allem in den kalten Monaten unter sich. Heute sind da Kiter, Stehpaddler, Wingsurfer.“ Es sei viel mehr los auf dem Wasser.
Dramatisches Finale der ersten Island Games
Der finale Heat am Qualifikationstag hält dann alles bereit, was einen guten Wettkampf zu einem herausragenden macht. Mathias Genkel und Markus Marsand surfen gegeneinander. Nach dem Heat sind beide gleichauf. Selbst für den jeweils besten Trick bekommen sie die gleiche Punktzahl, weshalb ein Entscheidungsrennen gefahren werden muss. Genkel entscheidet den Lauf für sich und ist damit im Finale am Folgetag gesetzt.
Der Modus der „double elimination“ sorgt weiterhin für Spannung. Am Sonntag reißt die Wolkendecke auf. Sonne über dem Bodden, Sonne in den Gesichtern der Surfer. Der Wind bläst konstant und kräftig über das Wasser. Es geht um die Platzierungen.
Im Finale stehen sich wieder Genkel und Marsand gegenüber. Diesmal mit dem besseren Ausgang für Marsand. Weil nun beide Fahrer jeweils ein Finale für sich entscheiden konnten, kommt es erneut zum Stechen. Den letzten Heat gewinnt Marsand mit lediglich vier Punkten Vorsprung. Es ist ein knappes Ergebnis, das die ersten Island Games entscheidet.
Zu diesem Zeitpunkt hat Fiona Jendrzi ihren Neoprenanzug bereits gegen bequemere Kleidung getauscht. Auch für sie war das Wochenende ein Erfolg. Am Sonntag gewinnt sie einen weiteren Heat und belegt am Ende den neunten Platz. „Ich hätte nie gedacht, dass ich so weit komme“, freut sich die junge Frau über ihre persönliche Leistung.
Die Heats sind durch, alle Entscheidungen gefallen. „Es hat richtig Spaß gemacht“, resümiert Philipp Grzybowski. „Die Leute waren super drauf. Wir hatten einen coolen Samstagabend, richtig familiär. Ich bin glücklich, zufrieden und müde.“
Im nächsten Jahr dürfen sich die Amateursurfer auf Rügen und in Meck-Vorp auf weitere Wettkampftage freuen. Ein Wettbewerb pro Quartal ist angedacht, sobald die Temperaturen zweistellig sind. Es geht auch dann wieder um den Spaß, um die Rügenmeisterschaft, aber auch um das Zusammensein. „Die Surfszene in Stralsund und Rügen ist schon ziemlich groß, aber sie ist leider nicht so connected“, sagt Grzybowski. „Darum sind wir der Meinung, dass Rügen ein offizielles Event braucht, damit die Leute vor Ort mehr voneinander wissen.“
Wenn das gelingt, haben die Island Games auf Rügen mit den tollen Bedingungen in unterschiedlichen Revieren etwas erreicht, was über den Sport und die Szene hinaus Strahlkraft entwickeln kann. Auf Rügen wird gesurft und alle sollen es wissen.
Quellen
- 1 Knoten entspricht rund 1,85 Kilometer pro Stunde.↩