Nach Kritik an Ukraine-Projekt

KATAPULT-Gründer Benjamin Fredrich tritt zurück

Mein Verhalten innerhalb des Ukraine-Projekts wird hart kritisiert. Einiges ist gerechtfertigt, einiges nicht. Ich ziehe daraus die Konsequenzen und trete als KATAPULT-Geschäftsführer und -Chefredakteur zurück. Um das zu verwirklichen, was ich angekündigt habe.

Die Kritik an meiner Person ist groß. Stefan Niggemeier von Übermedien und ehemalige KATAPULT-Mitarbeitende werfen mir in einem Artikel (derzeit noch hinter einer Bezahlschranke) vor, unfair mit Mitarbeitenden unserer Redaktion in Odesa umgegangen zu sein und das gesamte Projekt größer verkauft zu haben, als es tatsächlich war. Mein Vorhaben sei ein PR-Coup gewesen und ich hätte Spenden für die Ukraine gesammelt und sie für andere Projekte zweckentfremdet.

In einem Punkt hat Niggemeier recht: Wir hatten nicht nur Erfolge mit dem Projekt. Ich verstehe, dass genau die Leute, von denen wir uns wieder trennen mussten und die Niggemeier für seinen Artikel interviewt hat, verärgert sind. Doch diese Trennungen waren für KATAPULT existenziell und unumgänglich: Manche Leute haben trotz Bezahlung keine Artikel abgegeben, manche haben diskriminierende Sprache verwendet, manche haben bei der Übersetzung unserer Artikel in andere Sprachen eigenmächtig kritische Abschnitte über die Ukraine entfernt. Diesen letzten Punkt kann ich sogar ein wenig verstehen. Die Leute wollten das Maximum für ihr Land herausholen. Aus journalistischer Sicht ist dieses Vorgehen jedoch untragbar. Wir sind nicht die Pressestelle der ukrainischen Regierung. Wir sind Journalist:innen. Auch wenn wir unsere Projekte oft auch aus idealistischen Motiven beginnen.

Dass ich es nicht geschafft habe, grundlegende Erwartungen zu erfüllen, und schlecht kommuniziert habe, stört mich. Dass ich das Projekt nicht mit der konsequenten Ausdauer verfolgt habe, wie ich es angekündigt habe: Auch das tut mir leid. Ich wollte, es wäre anders, und ärgere mich über mich selbst. Deshalb ziehe ich daraus die Konsequenzen: Ich werde die operative Geschäftsführung sowie die Chefredaktion von KATAPULT abgeben. Die beiden neuen Geschäftsführerinnen werden Nasrin Morgan und Juli Katz sein, derzeit Referentin der Geschäftsführung und Online-Chefredakteurin. Die Besetzung der Chefredaktion steht noch aus.

Nun könnte man meinen, dass ich mir die Sache etwas leicht mache, indem ich einfach die Flucht ergreife. Ich werde kritisiert, trete zurück und kümmere mich nicht mehr um die Vorhaben, die ich großspurig initiiert habe. Doch genau das will ich nicht. Mein Rücktritt hat ein konkretes Ziel: Ich möchte mich auf das Projekt konzentrieren, das mir besonders wichtig ist – KATAPULT Ukraine.Ich will das wahrmachen, was ich angekündigt habe, denn es stört mich, dass Stefan Niggemeier nicht nur ungerechtfertigte Kritikpunkte vorbringt. Genau diese Punkte möchte ich bearbeiten und vor allem möchte ich Transparenz herstellen. Dass man bei KATAPULT von außen immer in unser Innerstes gucken konnte, hat uns innerhalb der Medienlandschaft hervorgehoben. Ich möchte, dass es so bleibt.

Denn Niggemeier hat unrecht, wenn er das gesamte Ukraine-Projekt als gescheitert darstellt und uns Etikettenschwindel vorwirft. Denn unser Engagement geht über das Odesa-Büro hinaus. Das Ukraine-Projekt hat genau das hier geleistet:

Was haben wir gemacht?1. Wir haben einen Teil unseres Redaktionsgebäudes zu einer Unterkunft für Geflüchtete umgebaut. Das war bautechnisch und verwalterisch eine große Herausforderung. Seitdem leben geflüchtete Ukrainer:innen in unserem Verlagshaus. Manche von ihnen konnten dadurch aus einer Greifswalder Turnhalle in normale Räume ziehen. Heute bekommen wir regelmäßig Anfragen vom Uniklinikum, ob wir verletzte Geflüchtete aufnehmen können, weil unsere Unterkunft über barrierefreie Zugänge verfügt. Wenn Platz frei war, haben wir kein einziges Mal Nein gesagt. Bis jetzt haben hier insgesamt 25 Menschen gewohnt. Tür an Tür mit unseren Redakteur:innen.

2. Wir haben eine funktionierende Ukraine-Redaktion in Greifswald aufgebaut, die bisher 144 Artikel veröffentlicht hat. Auch hier bekommen wir Zuarbeiten und Artikel von Redakteur:innen aus der Ukraine. Die Zusammenarbeit funktioniert gut.

3. Wir haben finanzielle Soforthilfe für 30 Journalist:innen geleistet, die ihren Job in den Anfangstagen der Invasion verloren haben. Wie angekündigt, haben wir diesen Menschen monatlich 1.650 Euro überwiesen. Bei manchen länger, bei manchen kürzer. Dass es nicht immer zu Einstellungen gekommen ist, hat rechtliche Gründe (die Ukraine ist kein EU-Mitglied). Ja, ich habe mich bei der Formulierung „einstellen“ verschätzt. Das Geld haben die Leute trotzdem bekommen.

4. Wir produzieren ein neues Magazin, das in Charkiw gedruckt wird. Die erste Ausgabe ist im Dezember erschienen, die nächsten Erscheinungstermine sind Juni und Dezember 2023.

5. Wir haben ein Ukraine-Buch produziert, das wir, wie angekündigt, in drei Sprachen übersetzt haben. Die russische Ausgabe ist als vierte Sprache in Arbeit und wird in den nächsten Wochen als kostenloses E-Book erhältlich sein. Insgesamt umfassen die Ausgaben 400 Karten, die wir allein für dieses Projekt bearbeitet haben.

6. Wir produzieren derzeit ein Buch über Russland, das im Sommer erscheint.

7. Wir haben die Stadt Greifswald finanziell bei der Erstaufnahme der ersten Geflüchteten unterstützt.

8. Wir haben Geflüchtetenprojekte und -unterkünfte in Vorpommern ausgestattet, indem wir gespendete Betten und Matratzen an sie weitergegeben haben.

Was hat die Ukraine konkret durch unser Projekt bekommen?9. Wir haben Helme und schusssichere Westen nach Irpin und Butscha gebracht (zu einzelnen Journalisten, zu einem Zentrum für freie Journalist:innen in Kyjiw und zu Pressesoldaten).

10. Wir haben Smartphones, Kameras und Laptops an eine Kirche in Kyjiw (Церква) und an Journalist:innen übergeben.

11. Wir haben Medikamente nach Kyjiw und Isjum in schwer beschädigte, aber noch betriebene Krankenhäuser gebracht.

12. Wir haben die ukrainische Botschaft auf deren Ersuchen hin mit Sachspenden (Büchern) unterstützt.

Was sonst noch?13. Wir haben einem Geflüchteten Arbeit mit KATAPULT-Einheitslohn gegeben (Gärtner).

14. Wir haben einer Geflüchteten Arbeit mit KATAPULT-Einheitslohn gegeben (Reinigungskraft).

Das alles lässt Niggemeier weg, obwohl ich ihn in seinem Interview im Vorfeld des Artikels auf vieles davon hingewiesen habe. Wahrscheinlich passt es nicht in seine Skandalgeschichte. Die Fragetechniken bei Übermedien schwanken zwischen Suggestivfragen und Gotcha-Journalismus. Es scheint, ihm ist der Skandal immer ein bisschen wichtiger, als die tatsächlichen Zusammenhänge korrekt wiederzugeben, als alle Argumente und das Projekt in seiner Gesamtheit darzustellen. Wir haben niemals jemanden angelogen. Wir haben das Geld, das wir bekommen haben, für das Ukraine-Projekt ausgegeben, mehr noch, einige freiwillige Mitarbeiter:innen haben auf Gehalt verzichtet, damit wir das Ukraine-Projekt überhaupt erst einmal starten und noch mehr darin investieren konnten. Mein Team und ich – wir haben viel versucht. Diese 14 mehr oder weniger relevanten Sachen haben geklappt. Dass auch Vorhaben gescheitert sind, bedauere ich. Das Odesa-Büro ist gescheitert. Das ist meine Schuld.

Tschüss

Das wars, Leute. Acht Jahre sind rum. 2015 habe ich diesen Laden gegründet. 2023 ziehe ich mich aus der Geschäftsführung und von der Chefredaktion zurück. Die jetzige KATAPULT-Ausgabe wird noch von mir zu Ende produziert, danach kommt eine neue Person. Von mir wird es erst mal keine neuen KATAPULT-Projekte mehr geben. Ich bedanke mich bei meinem Team, das es sicher selten leicht mit mir hatte. Ich bin stolz auf euer Durchhaltevermögen und eure Resilienz – der politischen Lage gegenüber, unserer Arbeit gegenüber und mir gegenüber. Wir haben versucht, einen Unterschied zu machen. Wir haben einen Unterschied gemacht. Ich bin nun aber offensichtlich gescheitert. Nasrin und Juli werden vieles besser machen.

Die ständigen Kliemann-Vergleiche, die weder Kliemann noch mir gerecht werden, zermürben mich. Bei Instagram hat mir eine Person „Krise kann auch geil sein“ als Kommentar hingeschrieben. Der Satz soll wohl sagen, dass ich mich in dieser humanitären Krise persönlich bereichert hätte und die Krise deshalb „geil“ finde. Das tut mir weh. Ich habe dieses Projekt und unser Engagement ehrlich und aufrichtig gemeint. Und ich meine es immer noch so. Ja, ich habe es großspurig angekündigt, ja, ich habe eine Art an mir, die immer gleich was Großes bewegen will, die sich wehren will, die vieles für möglich hält, bei der ich gerne Risiken eingehe – und die dabei anderen Menschen oft auch dieselbe Kompromisslosigkeit abverlangt. Ich habe ernsthaft daran geglaubt – an meine Kraft und an jedes einzelne Projekt und auch an die Redaktion in Odesa. Einiges hat geklappt, einiges nicht.

Ich habe auf Gehalt verzichtet, ich mache es heute wieder, ich habe mich für KATAPULT acht Jahre lang voller Überzeugung aufgerieben, ohne dabei etwas für mich privat zu tun, ich wohne immer noch in meiner kleinen Wohnung, ich bin zweimal ins ukrainische Kriegsgebiet gefahren, habe mich in einem Minenfeld verlaufen, zwei geflüchtete Nichtjournalisten eingestellt, die ersten Wochen der Invasion weniger als vier Stunden pro Nacht geschlafen, weil ich einfach nicht anders konnte, weil unsere ukrainischen Bauarbeiter immer wieder mit ihren Angehörigen telefoniert haben, um zu erfahren, wie es ihnen geht, ich habe viel versucht und bin an manchem gescheitert – aber einen Artikel zu schreiben, der die Situation dermaßen verzerrt, indem er nur den misslungenen Teil eines größeren Projektes abbildet, einen Artikel zu schreiben, der absichtlich eine falsche Stimmung wiedergibt, der die Arbeit der restlichen Ukraine-Redaktion unsichtbar macht und der den unwürdigen Kommentar „Krise kann auch geil sein“ provoziert, das ist schäbig.Niggemeier stützt seine Ausführungen auf zum Teil haltlose Vermutungen und Vorwürfe ehemaliger Mitarbeitender und unterstellt damit ein Kalkül, das es nie gab. Niggemeier veröffentlicht sie trotzdem. Er weiß, dass sich die Aussagen nicht beweisen lassen, und sät die Zweifel trotzdem.Dieser Krieg hat mein Leben aus den Angeln gehoben. Auch wenn ich nicht direkt betroffen war – ich konnte nicht einfach so weitermachen. Mein Bedürfnis, zu helfen, etwas beizutragen, war und ist aufrichtig. Weil sich Beweggründe aber nicht beweisen, sondern nur nachvollziehbar erahnbar machen lassen, werde ich KATAPULT als Leiter verlassen und meine Kraft komplett in KATAPULT Ukraine stecken.

Tschüss.–PS: Ich stehe zu meiner Entscheidung, Leute, die kaum noch Artikel abgegeben haben, nur noch artikelweise und nicht mehr monatlich zu bezahlen. Ich hätte das aber früher und besser kommunizieren müssen. Deshalb haben wir die Gelder für Oktober und November und das Honorar der freien Autorin, die von Übermedien genannt wird, überwiesen. Anbei die Screenshots.

(Zur Vorgeschichte: Niggemeier schreibt, dass es eine Vorgeschichte zwischen KATAPULT und Übermedien gibt. Er schreibt weiter, dass ich vor einiger Zeit den bisher größten Angriff auf Übermedien gestartet hätte. Das ist korrekt. Was Niggemeier weglässt, ist der Auslöser meines Angriffs, der eigentlich eine Verteidigung war: Ein Übermedien-Journalist hatte mich in einem Interview sechsmal angelogen, um einen Skandal über mich zu erzeugen. Ich habe das Gespräch und auch speziell diese manipulativen Interviewstellen als Audio veröffentlicht. Bei Twitter hat Übermedien danach versucht, den Hashtag „Kackebenni“ zu etablieren. Ich habe im Nachgang der Geschichte um Entschuldigung gebeten, weil ich jemanden in meinem Roman unnötig verletzt hatte. Und selbstverständlich habe ich die unehrliche Art von Übermedien hart angegriffen. Niggemeier bedauerte danach, dass Übermedien mir gegenüber unzureichend kommuniziert hat, und kritisierte meine Replik als „im Kern falsch“.)

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