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Diskriminierungsfreiheit als Kinderrecht

„Kinder haben das Recht, dass ihre Stimme gehört und berücksichtigt wird“

Die Sozialwissenschaftlerinnen Maike Nadar und Anna Bahr haben im vergangenen Jahr das Transferzentrum für Kinderschutz und Kinderrechte am Institut für Allgemeine Pädagogik und Sozialpädagogik der Universität Rostock ins Leben gerufen. Es soll eine Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Praxis und Kindern und Jugendlichen sein. Im Telefonat mit KATAPULT MV berichtet Nadar über ihr Projekt und erklärt, warum sie zu den Internationalen Wochen gegen Rassismus einen wichtigen Beitrag leisten können.
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KATAPULT MV: Ihr versteht Kinder in eurer Arbeit als Rechtssubjekte. Warum ist es so wichtig, sie als solche zu betrachten?

Maike Nadar1: Alles, was wir tun, dreht sich darum, die Situation von Kindern und Jugendlichen als Gestalter:innen, als Rechtssubjekte in unserer Gesellschaft zu verbessern. Die UN-Kinderrechtskonvention ist in Deutschland geltendes Recht. Leider führt sie aber immer noch ein Schattendasein in unserer Gesellschaft. Das heißt, Kinder und Jugendliche sind, was ihr Gehörtwerden und ihre Belange betrifft, immer noch auf das Wissen und Wohlwollen von Erwachsenen, von Fachkräften und Politiker:innen angewiesen.

Kinder allein sind zahlenmäßig in unserer alternden Gesellschaft eine Minderheit, die kein Gewicht hat. Sie müssen aber trotzdem in dieser Gesellschaft leben. Und sie haben das Recht, dass ihre Stimme bei allen sie betreffenden Belangen gehört und auch berücksichtigt wird.

In Deutschland sind Kinderrechte aber zu wenig bekannt. Und dass Deutschland mehr tun müsste, um sie bekannt zu machen und umzusetzen, darauf weist der Kinderrechtsausschuss der Vereinten Nationen immer wieder hin. Diesen Appell nehmen wir auf, wollen in diese Lücke rein und das verbessern.

Was kann ich mir unter dem von euch konzipierten Transferzentrum2 vorstellen? Was ist das Ziel eurer dortigen Arbeit?

Wir haben unsere Arbeit auf drei Säulen aufgebaut. Die erste Säule haben wir Wissenschaft und Forschung genannt. Dabei verstehen wir uns als ein Kugelgelenk, das sich zwischen den Akteursgruppen hin- und herdrehen kann und auch die Praxis fragt, was dort gebraucht wird, was die Bedarfe und Themen sind. Kinder und Jugendliche, Familien und Fachkräfte sollen dabei zu Wort kommen – damit es nicht nur praxisorientiert, sondern wirklich auch praxisrelevant ist. Mittelfristig möchten wir selbst auch Forschungsakteur werden.

Die zweite Säule haben wir Transfer und Innovation genannt. Das Wissen aus der Forschung muss in die Praxis transferiert werden, aber die Fragen der Praxis eben auch in die Forschung. Und die dritte Säule heißt Dialog und Begegnung, weil wir eben Menschen miteinander ins Gespräch bringen möchten. Wir wollen Räume schaffen und eröffnen – zum Diskutieren, zum Miteinander-Austauschen, aber auch zum wissenschaftlichen Streiten. Das meint auch physische Räume, in denen Handeln im Kontext von Kinderschutz ausprobiert und eingeübt werden kann. Zum Beispiel im Rahmen von Rollen- oder Planspielen oder der kollegialen Fallberatung, zu der Einrichtungen an uns herantreten können. Das Lernen ist eben das eine, wenn man dann aber in einer solchen Situation ist, dann gibt es oft viel Verunsicherung. Da ist es gut, wenn man auch mal üben kann.

Kinder und Jugendliche sollen an allen Stellen, also in allen Säulen, mit zum Zug kommen. Das ist unser großes Vorhaben, was wir verwirklichen wollen.

Ihr beteiligt euch mit drei Veranstaltungen aktuell an den Internationalen Wochen gegen den Rassismus. Wie und wieso kam es dazu?

Wir haben, um die vielen Themen, die Kinder betreffen, sichtbar zu machen, eine Ringvorlesung organisiert. Dafür haben wir nach Leuten recherchiert, die zu Kinderrechten und Kinderschutz arbeiten. Und tatsächlich haben alle zugesagt. Allerdings hatten wir plötzlich viel zu wenig Termine für die ganzen Leute. Und Themen wie zum Beispiel Rassismus, Behinderung, sexuelle Identität oder Armut waren zum einen noch gar nicht abgedeckt. Zum anderen wäre es tatsächlich sträflich, sie in einem Beitrag von anderthalb Stunden quasi abzuhaken.

Wir haben uns gefragt, was wir machen sollen, und haben schließlich geguckt, wann internationale Tage sind, die sich für diese Themen anbieten würden. Wie zum Beispiel jetzt unsere beiden Workshops und die Abendveranstaltung zum Thema Rassismus im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus. Denn natürlich sind auch Kinder und Jugendliche von Rassismus betroffen. Aus der Kinderrechtskonvention ergibt sich ihr Recht, vor jedweder Form der Gewalt geschützt zu werden. Das schließt den Schutz vor Diskriminierung aller Art ein – dazu gehört auch Rassismus.

An wen richten sich eure Veranstaltungen genau?

Der Diskussionsabend richtet sich an alle Menschen, die interessiert sind. An alle, die am Thema Rassismus oder an diversitätssensiblem Handeln interessiert sind. Aber natürlich auch speziell an Vertreter:innen von kindsnahen Professionen – also alle Tätigkeiten und Berufe, die im weitesten Sinne mit Kindern oder den Belangen von Kindern zu tun haben. Das sind zum Beispiel Erzieher:innen, Lehrer:innen, Ehrenamtliche aus dem Sportverein, Sozialarbeiter:innen oder Erziehungs- und Bildungswissenschaftler:innen. Wir denken aber auch an die Polizei, an Richter:innen oder Verwaltungsfachangestellte.

Weiterlesen:

  1. Nadar gab das Interview in enger Absprache mit ihrer Kollegin Anna Bahr. ↩︎
  2. Die Leitung des Projekts obliegt dem Institutsleiter Jens Brachmann.
    ↩︎

Autor:in

  • Redakteurin und Betriebsrätin in Greifswald

    Geboren in Berlin, aufgewachsen in Berlin und Brandenburg. Tauschte zum Studieren freiwillig Metropole gegen Metropölchen.

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