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Neue Studie zu Kitas

Auf dem Weg zur Chancengleichheit: Kitas in MV brauchen 12.000 Fachkräfte mehr bis 2030

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Das Problem: Auch wenn es in Meck-Vorp sehr viele Krippenkinder und umso mehr Kindergartenkinder gibt, fehlen Fachkräfte, um einen angemessenen Betreuungsschlüssel und damit eine bessere Qualität der Kindertagesstätten zu gewährleisten. 

Mecklenburg-Vorpommern biete zwar im bundesweiten Vergleich sehr viele Kita-Plätze an, für faire Bildungschancen sei aber nicht allein die Zahl der Plätze entscheidend, so die Autor:innen der neuen Bertelsmann-Studie „Ländermonitor Frühkindliche Bildungssysteme“. Zu einem ähnlichen Ergebnis war die Stiftung bereits vor einem Jahr gekommen. Gemessen an der Personalsituation hätten die meisten Kita-Kinder schlechtere Bildungschancen als in westdeutschen Bundesländern. Rein rechnerisch betreue eine Kita-Fachkraft in Mecklenburg-Vorpommern fast fünf Kindergartenkinder mehr als Erzieher:innen im Westen.

Fast alle Kinder in Meck-Vorp besuchen eine Kita

In Meck-Vorp besuchen 96 Prozent der Kinder ab drei Jahren bis zum Schuleintritt eine Kita oder frühkindliche Betreuungseinrichtung. Damit nutzen fast alle Eltern in Meck-Vorp das kostenfreie Kita-Angebot der Landesregierung.

Diese 96 Prozent bedeuten bundesweit die höchste Teilhabequote. Sie weist aus, wie viele Kinder einer bestimmten Altersgruppe im Verhältnis zu den altersgleichen Kindern in der Bevölkerung ein Betreuungsangebot in Anspruch nehmen. Ähnlich sieht es bei den Krippenkindern in der Altersgruppe von null bis drei Jahren aus. Auch hier weist Mecklenburg-Vorpommern mit einer 58-prozentigen Teilhabequote im bundesdeutschen Vergleich neben Sachsen-Anhalt und Brandenburg das höchste Niveau auf. Auch die Quote der erwerbstätigen Eltern in MV ist, unter anderem aufgrund des Kita-Angebots, hoch: 79,5 % der unter dreijährigen Kita-Kinder werden 45 Wochenstunden und mehr betreut. Bei den Kindern ab drei Jahren sind es gut 77 % , bundesweit werden 39 % der unter Dreijährigen mindestens 45 Wochenstunden betreut.

Viele Kinder in den Kindertagesstätten bedeuten in MV nicht automatisch viele pädagogische Fachkräfte. Der „Ländermonitor Frühkindliche Bildungssysteme“ zeigt, dass der Kita-Personalschlüssel in MV im Vergleich zu Westdeutschland deutlich ungünstiger für Kinder und Personal ist. Die Konsequenz daraus: Die Kitas sind weit entfernt von den wissenschaftlichen Empfehlungen zu kindgerechter Bildungs- und Entwicklungsqualität. Ein rechnerischer Personalschlüssel von einer Betreuungskraft zu 5,9 Krippenkindern in MV bedeutet bundesweit weiterhin den ungünstigsten Schlüssel. Im Westen kommen 3,5 ganztagsbetreute Krippenkinder auf eine Vollzeitfachkraft.

Die Zahl der Erzieher:innen ist in MV zwischen 2011 und 2020 in den Kitas um 38 % auf 11.047 und in den Horten um knapp 27 % auf 2.090 gestiegen. Demgegenüber ist im gleichen Zeitraum ein Rückgang bei den Kindertagespflegepersonen von 1505 auf 906 zu verzeichnen.

Auch wenn es einen Qualitätsverlust durch den Personalmangel gibt: Die bereits in MV arbeitenden Pädagogen in Kitas und Horten sind laut Ländermonitor sehr gut ausgebildet. Der Anteil des Kita-Fachpersonals in den Einrichtungen ist mit 85 % bundesweit spitze. 

Personalsituation leicht verbessert, aber nicht ausreichend

Die Macher:innen der Bertelsmann-Studie prognostizieren anhand verschiedener Faktoren wie Leitungszeit, Betreuungszeiten in den Kitas, Personalschlüssel, Bevölkerungsentwicklung und Teilhabequote den erwarteten Fachkräftebedarf für jedes Bundesland bis 2030.

Bei gleichbleibenden Angebotskapazitäten wäre in MV bis 2030 eine Lücke von fast 6.000 Personen zu erwarten. „Die Schaffung von kindgerechten Rahmenbedingungen für eine gute Kita-Praxis in allen Einrichtungen in MV im nächsten Jahrzehnt muss jetzt geplant und vorbereitet werden“, resümieren die Forscher:innen. Weitere 5.000 Fachkräfte würden benötigt, um die Kitas so „kindgerecht“ auszustatten, wie es Wissenschaftler:innen empfehlen, so die Studie. Diese Zahl sei jedoch kaum noch zu schaffen – weder durch mehr Ausbildungsplätze noch durch Quereinsteiger in den Beruf.

Ministerin Drese betont, dass für gute Bildungschancen nicht nur die Zahl der Plätze und der Personalschlüssel entscheidend seien. „Wichtig sind zudem die Gruppengrößen und das Qualifikationsniveau des pädagogischen Personals“, so Drese. „Und in beiden Bereichen steht Mecklenburg-Vorpommern bundesweit am besten da.“

Die größte Herausforderung in den kommenden Jahren ist der Qualitätsausbau vor allem durch die Gewinnung von zusätzlichen Fachkräften.
Stefanie Drese (SPD), Sozialministerin

Anne Shepley, Grünen-Spitzenkandidatin für den Landtag, kritisiert die Kita-Politik der Landesregierung: „Diese Politik ist nicht zukunftsfähig. Es reicht nicht, Bundesmittel aus dem Gute-Kita-Gesetz in die Beitragsfreiheit zu stecken und sich danach nicht mehr um die Qualität der Erziehung zu kümmern. Um den Betreuungsschlüssel in den Kitas zu verbessern, müssen die Rahmenbedingungen für Ausbildung und Beschäftigung für Erzieher*innen dauerhaft verbessert werden.“

Kritik kommt auch aus der Opposition. Die kinder- und jugendpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Jacqueline Bernhardt, kommentiert die Studie so: „Die Ergebnisse zeigen erneut deutlich, dass in Mecklenburg-Vorpommern noch immer ein flächendeckendes Personalproblem in der Kindertagesförderung herrscht. Meine Fraktion fordert seit vielen Jahren, dass wir mehr Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas brauchen. Um diese bereitzustellen, ist eine aktualisierte Ausbildungsplatzplanung notwendig, die Einführung eines landesweiten Mindestpersonalschlüssels und eine deutliche Verbesserung der Fachkraft-Kind-Relation. All das zögert die Landesregierung seit Jahren bewusst hinaus.“

Der Landtagsspitzenkandidat der FDP, René Domke, erklärt zur Kita-Studie: „Der bisherige Personalaufbau ist völlig unzureichend. In allen Altersgruppen liegt unser Bundesland deutlich über dem bundesweiten Durchschnitt. In Hinblick auf die wissenschaftlichen Empfehlungen zur optimalen personellen Ausstattung zeigt sich, dass wir den aktuellen Personalbestand verdoppeln müssten. Anstatt einseitig die Beitragsfreiheit herauszustellen, sollte die Landesregierung mehr Wert auf die Personalgewinnung legen. Es ist zudem schade, dass die Studie die Erwerbsquoten der Mütter von Kindern im Kita-Alter in der Corona-Pandemie außer Acht lässt. Die Schließung der Kitas hat hier wichtige Betreuungsangebote blockiert und den Müttern ein Erwerbsleben verwehrt. Eine wichtige Lehre aus der Pandemie muss daher sein, dass das Schließen von Schulen und Kitas nur das allerletzte Mittel sein darf.“

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Autor:innen

Redakteurin bei KATAPULT MV.

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