Das Foto zeigt den Mückenforscher Patrick Gutjahr vom Friedrich-Loeffler-Institut auf dem Riems. Die Bildunterschrift lautet: Mückenforscher Patrick Gutjahr hat seit 2023 mittlerweile 50.000 Mücken gesammelt.

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Mückenforschung

Kriechen für die Mücken

Patrick Gutjahr und Mandy Schäfer forschen am Friedrich-Loeffler-Institut auf Riems zu Mücken – und müssen dafür manchmal auf allen Vieren durch Moorgebiete im Peenetal kriechen. KATAPULT MV hat sie dabei begleitet.
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Patrick Gutjahr weiß genau, an welcher Stelle er wenden muss. Im Rückwärtsgang fährt er über den Grasweg, zu seiner Rechten meterhohe Brennnesseln, auf der Linken rast ein Rehbock über den Acker. Wenige Hundert Meter entfernt ragen die Dächer der Anklamer Zuckerfabrik in den Himmel. Hier, zwischen Vogelgezwitscher und Deich, steigt Gutjahr aus dem Wagen, cremt sich das Gesicht mit Sonnenschutz ein, setzt einen Hut auf und tritt in die erste Pfütze. Frösche springen auf.

Gemeinsam mit seiner Chefin und Laborleiterin Mandy Schäfer geht er heute wieder auf Stechmückenjagd – besser gesagt: Larvenjagd. Beide arbeiten im Labor für Stechmücken-Monitoring am Friedrich-Loeffler-Institut und wollen alles darüber herausfinden, wo sich welche Mücken befinden, wann sie sich dort befinden, ob die Tiere einheimisch sind und welche Rolle sie bei der Übertragung von Krankheitserregern spielen. Definitiv lassen sich die beiden als Mückenprofis bezeichnen, denn so intensiv wie sie beschäftigen sich nur wenige Menschen in Deutschland mit Mücken. Was es dafür braucht: Mücken natürlich. Mindestens alle zwei Wochen fährt Gutjahr deswegen – mal alleine, mal in Begleitung – in die Natur, um Larven zu sammeln und aufgestellte Fallen zu leeren. Zumindest zwischen April und Oktober.

Das Foto zeigt die Mückenforscher beim Ausladen ihrer Ausrüstung.
Um Larven und Puppen zu fangen, benötigt es einiges an Ausrüstung. Vor allem die Gefäße, in denen die Tiere nach Riems transportiert werden, brauchen Platz im Auto.

Eine Pfütze in Anklam

Schon in den ersten 20 Minuten des Gesprächs räumen die beiden mit dem wohl gängigsten Mückenvorurteil auf. Die eine Mücke gibt es nicht, im Gegenteil: „Weltweit sind es 3.700 Stechmückenarten, in Deutschland, Stand 2022, insgesamt 54 Arten“, sagt Gutjahr. Die Zahl könne allerdings schwanken, weil die Tiere häufig nicht zu unterscheiden seien und fraglich sei, ob in dieser Anzahl auch Arten inbegriffen sind, welche Jahrzehnte nicht mehr in Deutschland nachgewiesen wurden, ergänzt Schäfer.

Im Peenetal hat Gutjahr seit Projektstart im vergangenen Jahr insgesamt 24 Arten gefunden. Wahrscheinlich gibt es noch viele mehr. Genau sagen kann er es nicht, denn seine Forschung ist auch deswegen besonders, weil bisher wenig über Mücken im Peenetal bekannt ist. Historische Daten gibt es nicht und damit keine Möglichkeit, Erkenntnisse zu vergleichen. Gutjahr und Schäfer müssen also erstmal Informationen sammeln. Wie aber wird aus einer Mückenlarve in einer Pfütze nahe Anklam eine Information, die der Menschheit nutzt?

Das Foto zeigt, wie die Mückenforscherin Mandy Schäfer eine Pfütze kontrolliert.
Körpereinsatz gefordert: In der Sommerhitze prüft Schäfer schwer bepackt eine Wasserpfütze an einer Stelle nahe Anklam.

50.000 Tiere im Labor

Alles beginnt mit einer guten Ausrüstung. Dazu gehören Anti-Mücken-Spray, lange Gummistiefel oder Wathose, ausreichend Trinkwasser und eine Käsestulle. Daneben gibt es besondere Geräte, die Gutjahr und Schäfer auch heute dabei haben. Mit dem Dipper – einer Art Kelle – schöpfen sie Wasser aus Pfützen und gießen es in eine weiße Plastikschale. Über dieser kniet Schäfer und zieht den Turkey Baster auf – ja, das Teil, das man auch für Bratensoße verwendet. Damit saugt sie gezielt Larven aus der Wasserschale und überführt sie in ein weiteres Plastikgefäß. Zugeschraubt wandert es in den Rucksack, Gutjahr notiert Zahlenkombinationen darauf. So weiß er später, wo welche Tiere eingefangen wurden. Außerdem prüft der Forscher mit einem Sensor Salzgehalt, Temperatur und pH-Wert an der Stelle, an der er Tiere entnommen hat. Diese Informationen können Hinweise liefern, ob sich beispielsweise immer dieselbe Mückenart an immer derselben Stelle bei immer derselben Wassertemperatur aufhält. Das ist die erste Variante, Mücken zu sammeln.

Das Foto zeigt einen sogenannten Dipper. Mit diesem können die Mückenforscher:innen Wasser entnehmen und dieses auf Puppen oder Larven kontrollieren.
Mit dem Dipper entnimmt Schäfer Wasser in der Hoffnung, dort auch Puppen oder Larven vorzufinden.
Das Foto zeigt, wie Mandy Schäfer das Wasser aus dem Dipper in eine weiße Plastikschüssel umfüllt.
Vom Dipper kommt die Entnahme dann in eine Plastikschüssel mit weißem Untergrund. Dort sind die Tiere noch mal besser zu sehen.

Die zweite: Stechmückenfallen. Diese stehen an 15 fest installierten Standorten im Peenetal und locken die Tiere mittels Schweißfußgeruch und Kohlendioxid an. So sollen mittelgroße Säugetiere imitiert werden. In einem Beutel befinden sich mal ein Dutzend, mal Tausende Tiere, erklärt Gutjahr. Auch diese kommen mit ins Labor. Der Großteil seiner Arbeit findet nämlich nicht unterwegs statt, sondern auf der Insel Riems. Dort befindet sich das Labor des Mückenforschers. Er nimmt sich ein paar Hundert Tiere weg, die gerade mal zwei oder drei Gramm auf der Petrischale ausmachen. Die bekannteren Arten kann man „wegzählen“, andere muss Gutjahr bestimmen – mithilfe von Bestimmungsschlüsseln oder Genanalyse. Spannend werde es für ihn, sobald die Daten ein Bild ergeben. Dann nämlich könne er damit anfangen, Fragen zu stellen. Knapp eineinhalb Jahre nach Projektstart hat Gutjahr 50.000 Tiere im Labor.

Das Foto zeigt einen Sensor, der Salzgehalt, Temperatur und pH-Wert von Wasser an einer Entnahmestelle messen kann.
Mit einem Sensor misst Gutjahr Salzgehalt, Temperatur und pH-Wert des Wassers an der Stelle, an der er Tiere entnommen hat. Die Daten helfen später, Muster zu erkennen.

Probennummer 323 – ganz hübsch für ’ne Mücke

An der ersten Stelle war die Suche nicht ergiebig, also geht es weiter. Vorbei an vier Hochsitzen, Torfgräben und Silberreihern, mal auf erdigen, mal auf sandigem Untergrund, halten Gutjahr und Schäfer neben dem Schild „Naturschutzgebiet“, steigen aus und marschieren los, einen Weg entlang, auf dem – gemessen am hohen Bewuchs – wohl sonst niemand unterwegs ist.

Gute 200 Meter vom Parkplatz entfernt feierte Gutjahr vor knapp einem Jahr den bisher größten Erfolg seines Forschungsprojekts: den Fund einer Uranotaenia unguiculata. Eine deutsche Übersetzung des Namens gibt es nicht. Die Mückenart ist eher rund ums Mittelmeer verbreitet und wurde vor knapp 30 Jahren erstmals am Oberrhein nachgewiesen. Die Weibchen dieser Art saugen Blut an Reptilien und Amphibien – besonders Fröschen. Gutjahrs erste Mücke dieser Art hatte die Probennummer 323, Datum des Fundes: 7. Juni 2023. Das weiß er heute noch genau. Es ist das erste Mal, dass diese Mückenart im Peenetal und so weit nördlich gefunden wurde. Sie hat silbrig-weiße Streifen und bläulich schimmernde Beinchen – „ganz hübsch für ’ne Mücke“, sagt Gutjahr.

Das Foto zeigt die Mückenforscher:innen Patrick Gutjahr und Mandy Schäfer, wie Sie in langen Gummistiefeln durch Wasser laufen.
Ohne lange Gummistiefel wären die beiden aufgeschmissen: Sie legen oft Wege zurück, auf denen sich sonst wahrscheinlich selten Menschen befinden.

Im Mückentaxi nach Deutschland

Normalerweise kennt er seine Tiere. Doch als er die Uranotaenia unguiculata gefangen hatte, musste er das Tier erst einmal bestimmen. Im nächsten Schritt kommen Fragen auf. Handelt es sich beispielsweise um ein einzelnes Exemplar, das sich ins Peenetal verirrt hat? Das könnte sein, wenn die Mücke durch Tourismus ins Land gekommen ist, also irgendwo mit ins Auto eingestiegen und in MV wieder ausgestiegen ist. Wahrscheinlicher ist, dass es sich um eine stabile Population handelt – denn das Exemplar wurde im Larvenstadium aufgefunden.

Die einzige Möglichkeit, mehr über die Tiere herauszufinden, ist, noch mehr Tiere zu finden. Im vergangenen Jahr waren es elf, mittlerweile hat der Forscher ungefähr 50 Tiere dieser Art gefangen. Ein Trick, um sie anzulocken: Froschlaute. Diese gaukeln den Tieren vor, dass es hier ihre Lieblingsnahrung Froschblut gibt. Deswegen tönt aus den Lautsprechern neben vier zusätzlich installierten Mückenfallen 15 Minuten am Stück Gequake verschiedener Froscharten – dann folgen 45 Minuten Pause. So geht das den ganzen Tag. „Das ist brutal aufwendig, aber es lohnt sich“, betont Gutjahr.

Viele Mücken, gute Frösche

Was sagen die Tiere über das Peenetal und dessen Bewohner aus? Gutjahr erklärt: Erstmal, dass es möglicherweise eine stabile Froschpopulation gibt. Gerade weil das nicht für alle Amphibien in Mitteleuropa gilt, könnte dies also eine positive Nachricht sein. Dass die Amphibienmücke eigentlich in sehr warmen Regionen vorzufinden ist und es nun bis in Deutschlands Norden geschafft hat, könnte auf verändertes Klima hinweisen – aber diese Information möchte Gutjahr nicht überbewerten. Die Tatsache, dass die Exemplare zwei Jahre in Folge gefunden wurden, weist darauf hin, dass die Mücke eine Überwinterungsstrategie gefunden hat. So können Schäfer und Gutjahr basierend auf ihren Funden also feststellen, wo und wie sich die Tiere verbreiten und vermehren.

Das ist aber nicht das Einzige, das die beiden interessiert. Sie wollen auch wissen, ob und unter welchen Umständen bestimmte Mückenarten dem Menschen gefährlich werden. Deswegen infizieren sie Mücken im Labor mit verschiedenen Viren, prüfen verschiedene Kombinationen von Mückenarten und Krankheitserregern und testen somit, ob eine Übertragung stattfinden kann. Denn Stechmücken können Krankheitserreger übertragen – gerade deswegen ist es wichtig, viel über sie zu wissen. Mehr Wissen ermöglicht es, Risiken einzuschätzen und Handlungsmöglichkeiten abzuwägen.

Das Foto zeigt, wie Patrick Gutjahr ein Gefäß kennzeichnet und via GPS verortet.
Gefäße richtig kennzeichnen und in eine GPS-App eintragen ist wichtig, damit Gutjahr später im Labor alles richtig zuordnen kann.

Fallen auf Pferdehöfen

Informationen bekommt das Team nicht nur aus dem Peenetal oder MV, sondern aus ganz Deutschland. In jedem Bundesland steht mindestens eine Stechmückenfalle. Dort werden Stechmücken eingefangen, gesammelt und eingefroren – um später abgeholt und auf der Insel Riems weiter analysiert zu werden. Zur Zeit stehen die meisten Fallen auf Pferdehöfen. Grund: das West-Nil-Virus. Das Virus zirkuliert zwischen Vögeln und Stechmücken, aber auch Pferde und Menschen können infiziert werden. Fragt man sie, ob ihr Beruf wegen möglicher Infektionen gefährlich ist, fängt Schäfer an zu lachen, und sagt: „Das Gefährlichste, das Ihnen passieren kann, sind Begegnungen mit Wildschweinen.“ Und dann müsse man einfach laut sein.

Auf dem Weg zum nächsten Spot müssen Gutjahr und Schäfer Baumstämme, tiefe Schlammpfützen und hohe Gräser überwinden. Manchmal, erzählt Gutjahr, muss er auch kriechen. Bis März 2026 läuft sein Forschungsprojekt. Irgendwann, wenn er erstmal genügend Informationen hat, kommt dann auch sein Lieblingsteil der Arbeit: Daten auswerten, Muster erkennen und analysieren. Damit trägt die Stechmückenforschung ihren Teil dazu bei, etwas mehr darüber zu erfahren, wie es den Ökosystemen im Peenetal geht.

Autor:in

  • Bild von freier KATAPULT MV Redakteurin Juli Katz

    Ehemals KATAPULT-Chefredakteurin, jetzt freie Journalistin mit Fokus auf Wissenschaft, Arbeit, Kultur für diverse überregionale Medien. In MV geblieben und für KATAPULT MV als freie Reporterin und Redakteurin tätig.

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