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Krieg in der Ukraine

„Meine Mutter schreibt mir jeden Morgen, dass sie am Leben ist“

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An Meck-Vorps sieben staatlichen Universitäten und Hochschulen studieren derzeit 86 Ukrainer:innen sowie 162 Frauen und Männer aus Russland. Zwei von ihnen haben mit KATAPULT MV darüber gesprochen, wie es sich anfühlt, wenn zu Hause Krieg tobt und in einer anderen Stadt, in einem anderen Land das Leben als Student:in weitergehen soll.

Sie sind einer Beziehung – er ist Russe und sie Ukrainerin. Mark und Sofia wohnen gemeinsam in Greifswald. Er kam 2019 als Erasmus-Student nach Deutschland und ist mittlerweile selbständig. Sie studiert Pharmazie und lebt bereits seit fünf Jahren in Mecklenburg-Vorpommern. Ihre Eltern wohnen in Kyjiw. Bisher hätten sie sich etwa 40 Kilometer außerhalb der Stadt aufgehalten, wo es relativ sicher gewesen sei, erzählt Sofia. Am Wochenende mussten sie dann in den Westen der Ukraine flüchten. Die Studentin befindet sich in den letzten Zügen ihres Studiums, im Sommer steht ihr Staatsexamen an. Geplant war, bereits jetzt dafür zu lernen, von morgens bis abends. Doch vor ein paar Tagen hat sich alles geändert: „Meine Mutter schreibt mir jeden Morgen, dass sie am Leben ist. So beginnt mein Tag, jeden Tag.“ Ihre ehrenamtliche Arbeit im Bündnis „Greifswald Stand With Ukraine“ hilft Sofia, mit der Situation in der Ukraine umzugehen.

Finanzen, Psyche, Prüfungen

Sofia muss also, wie viele ukrainische Studierende, im Moment mit einer extremen Doppelbelastung umgehen. Zur Zeit könne sie weder lernen noch arbeiten, erzählt die Studentin und fügt hinzu, dass sich viele andere Menschen, die aus der Ukraine stammen und in Deutschland leben, gerade genauso fühlen. Die Universität Greifswald biete zwar viele Hilfsangebote an, vor allem um psychisch zu entlasten, aber bei dem Thema Prüfungen würde sich die Studentin noch mehr Entgegenkommen wünschen. Tritt Sofia ihre Klausur im Sommer nicht an, muss sie ziemlich lange warten, bis sie wiederholen darf: „Es kann nicht sein, dass nur weil ich aus der Ukraine komme und die Ukraine jetzt angegriffen wird, ich ein Jahr auf meine Klausur warten muss.“ Sie wünscht sich verbesserte Regelungen, mit denen alle Studierenden aus der Ukraine, Russland und Belarus die Chance haben, erst dann Klausuren anzutreten, wenn sie mental dazu bereit sind. Das ist bisher noch gar nicht diskutiert worden, obwohl es eine sehr große Last für Studierende sei, kritisiert die Studentin aus Greifswald.


Neben der psychischen Belastung kommen vermutlich noch finanzielle Probleme von Studierenden hinzu, da es in der jetzigen Situation kaum möglich ist, Geld aus der Ukraine zu überweisen: „Die meisten Banken haben ihren Betrieb eingestellt“, so Sofia. Ihr Studium ist glücklicherweise noch bis Ende des Jahres abgesichert, garantiert durch ein Sperrkonto. Alle internationalen Studierenden müssen in Deutschland über solch ein Konto verfügen, um für den geplanten Aufenthalt finanziell gestützt zu sein. Könnte Sofia ihre Klausur im Sommer aber nicht antreten, würde auch ihr langfristig das Geld ausgehen: „Geldprobleme machen verrückt. Man kann sich dann nicht auf das Studium konzentrieren.“

Auch russische Studierende leiden

Doch nicht nur ukrainische Studierende leiden unter der Kriegssituation, betont auch Sofias Freund Mark. Auch für Russ:innen, die an MVs Universitäten studieren, sei es schwer: „Ich habe gehört, dass russische Studenten kein Geld mehr durch ihr Stipendium bekommen und sie Schwierigkeiten mit ihren Finanzen haben.“ Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) hat alle Stipendien gestoppt und den wissenschaftlichen Austausch mit russischen Universitäten eingestellt. Dies solle zur Isolation der Russischen Föderation beitragen. Außerdem ist die russische Währung durch die wirtschaftlichen Sanktionen der EU und der USA extrem gefallen: „Der Rubel ist jetzt richtig wertlos. Viele Banken in Europa funktionieren nicht mehr und Überweisungen kommen einfach nicht an“, erklärt der ehemalige Student, der selbst aus Russland stammt. Dass keine Banküberweisungen mehr möglich sind, haben mehrere russische Studierende der Uni Greifswald berichtet. Auch das kann zu psychischen Belastungen führen. Über direkte Anfeindungen habe er aus seinem Bekanntenkreis jedoch noch nichts gehört. Er selbst möchte über seine persönlichen Beziehungen nach Russland nicht sprechen. Mit seinen Eltern habe er starke Meinungsverschiedenheiten und sie hätten Ansichten, die ihn sehr belasten. So versucht er, sich auf die Situation und Hilfsangebote hierzulande zu konzentrieren.

Land unterstützt mit 50.000 Euro

Vom Ministerium für Wissenschaft, Kultur- und Europaangelegenheiten MV wurde gemeinsam mit den Hochschulen und Universitäten des Landes eine Wissenschaftsbrücke eingerichtet. Davon profitieren sollen Wissenschaftler:innen und Studierende aus der Ukraine. Mit einem Budget von 50.000 Euro werden vor allem psychologische Unterstützung, Sprach- und Integrationskurse sowie Studieninteressen ukrainischer Staatsbürger:innen gefördert. Wissenschaftsministerin Bettina Martin (SPD) betont: „Den Studierenden und Forschenden aus der Ukraine, die bei uns Schutz suchen, zu helfen, ist das Gebot der Stunde. Freie Wissenschaft und freie Lehre sind ein Bauteil eines freien und friedlichen Europas. Diese Freiheit wird im Moment angegriffen. Wir stehen für unsere Werte ein und helfen den Menschen auf konkrete Art und Weise.“ Die Wissenschaftsbrücke wird in engem Kontakt zu den staatlichen Hochschulen und Universitäten in Mecklenburg-Vorpommern realisiert.

Hilfsangebote an MVs Universitäten

Die Solidarität an MVs Hochschulen ist groß. Innerhalb kürzester Zeit haben sich Akteure aus verschiedensten Fachrichtungen koordiniert und Hilfsangebote organisiert. Da der Krieg erst einige Tage dauert, versuchen die meisten Universitäten, sich zunächst einen Überblick über die Lage ukrainischer und russischer Studierender zu verschaffen. Viele Besprechungen stehen erst in dieser Woche an.

Universität Greifswald

Dass die Lage ungewiss ist, bestätigt Jan Meßerschmidt, Pressesprecher der Universität Greifswald: „Wir sind aktuell dabei, uns ein detailliertes Bild der Situation zu machen. An vielen Punkten gibt es offene Fragen, die wir noch nicht beantworten können. Es werden auch mögliche Unterstützungsangebote erwogen.“

Hilfe wird bereits von der Initiative für Psychische Gesundheit der Universität Greifswald in Zusammenarbeit mit dem Psychosozialen Zentrum für Asylsuchende und Migrant:innen Vorpommern angeboten. Zweimal pro Woche können sich betroffene Studierende zu einer Gruppentherapie anmelden. Der Allgemeine Studierendenausschuss (Asta) der Uni Greifswald arbeitet mit Hochdruck an einer Wohnungsbörse über das Studierendenportal, Freitischkarten für die Mensa und Dolmetscherangeboten. Eine kurzfristige Rückzahlung der halbjährlichen Studiengebühren sollen ebenfalls in Betracht gezogen werden. Dennoch blickt Lukas Voigt, Asta-Öffentlichkeitsreferent, skeptisch in die Zukunft: „Die meisten ukrainischen Studierenden können vermutlich ein bis zwei Monate überbrücken. Das Akute liegt noch vor uns.“

Hochschule Stralsund

Die Hochschule Stralsund steht mit ihren ukrainischen und russischen Studierenden in Kontakt. Einer von ihnen sei gerade wieder nach Russland gezogen, würde aber sehr gerne wieder nach Deutschland zurückkehren. Das sei aufgrund der Sanktionen jedoch derzeit nicht möglich, so Nicole Pätzold-Glaß, Sprecherin der Hochschulkommunikation Stralsund. Der russische Luftraum ist aktuell für deutsche Flugzeuge gesperrt und umgekehrt. Eine Ausreise wäre nur über den Landweg möglich. Weiterhin werde man finanzielle Fördermöglichkeiten prüfen – mit dem Fokus auf ukrainischen Studierenden, so Pätzold-Glaß. Bei psychischen Belastungen dürfen die bereits erwähnten Hilfsangebote der Universität Greifswald genutzt werden.

Hochschule Wismar

An der Hochschule Wismar studieren aktuell 20 Ukrainer:innen und 35 Männer und Frauen aus Russland. Kerstin Baldauf, Pressesprecherin der Hochschule Wismar, kann bislang von keinen akuten Problemen vor Ort berichten: „Es haben sich noch keine Studierenden mit Problemen an die Hochschulleitung oder das International Office gewandt.“ Ukrainische Student:innen könnten aber mit jeglicher Unterstützungen rechnen, betont sie. Die Universität sichert ihnen in einer Stellungnahme volle Solidarität und Unterstützung zu: „Humanitär werden wir alles versuchen, um im Verbund mit anderen Hochschulen Studierenden und auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus der Ukraine hier eine sichere wissenschaftliche Heimat anzubieten beziehungsweise ihnen bei der Rückkehr nach Wismar zu helfen.“ Ob russische Studierende ebenfalls unterstützt werden, kann die Universität bisher nicht sagen. Bodo Wiegand-Hoffmeister, Rektor der Hochschule Wismar, appelliert trotzdem an alle Beteiligten, weiterhin Respekt vor russischen Studierenden zu wahren, solange sie den russischen Angriff nicht gutheißen: „Ich bitte alle darum, das Verhalten staatsleitender Personen wie des Präsidenten der Russischen Föderation, so verbrecherisch es auch ist, nicht gleichzusetzen mit den Ansichten und dem Verhalten der hier anwesenden insbesondere russischen Studierenden, die als Hochschulangehörige nach wie vor unsere Studierenden sind.“

Universität Rostock

Auch die Universität Rostock steht in engem Kontakt mit ihren ukrainischen und russischen Student:innen. Bisher gab es ähnlich wie an der Hochschule Stralsund keine konkreten Anfragen von Betroffenen. Kirstin Werner, Leiterin der Presse- und Kommunikationsstelle, erklärt aber, dass das Rostock International House auf spezifische Anliegen vorbereitet sei. Betroffene können sich außerdem jederzeit unter uni.hilft@uni-rostock.de melden.

Über die Initiative „Rostock hilft“ zeigen sich viele Studierende bisher sehr hilfsbereit. Laut dem Asta werden wie bereits 2015 viele Sach- und Geldspenden gesammelt. Die Universität Rostock sei außerdem Mitglied der Initiative „Science with Ukraine“, so Werner, mit der Projektstellen für geflüchtete Wissenschaftler:innen und Studierende aus der Ukraine bereitgestellt werden.

Die Hochschule Neubrandenburg und der Asta der Hochschule Neubrandenburg haben auf die Anfrage von KATAPULT MV bisher nicht geantwortet.

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Fußnoten

  1. Ministerium für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten MV (Hg.): Unterstützung für Forschende und Studierende infolge des Ukrainekrieges, auf: regierung-mv.de (25.2.2022).
  2. Auswärtiges Amt (Hg.): Eröffnung eines Sperrkontos in Deutschland für Studierende vor der Einreise, auf: auswaertigesamt.de (23.7.2021).
  3. Der Spiegel (Hg.): Deutscher Hochschuldienst DAAD schränkt Austausch mit Russland ein., auf: spiegel.de (25.2.2022).
  4. Der Tagesspiegel (Hg.): Russischer Rubel fällt auf Rekordtief, auf: tagesspiegel.de (28.2.2022).
  5. Ministerium für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten MV (Hg.): Mecklenburg-Vorpommern richtet Wissenschaftsbrücke für ukrainische Studierende und Wissenschaftler ein, auf: regierung-mv.de (3.3.2022).
  6. Tagesschau (Hg.): Russland sperrt seinen Luftraum, auf: tagesschau.de (28.2.2022).
  7. Hochschule Wismar (Hg.): Anschreiben an Hochschulangehörige, auf: hs-wismar.de (25.2.2022).

Autor:innen

Freie Reporterin in Greifswald.

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