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Corona-Demo in Anklam

Menschenkette gegen „Spaziergang“

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Kurz nach 13 Uhr. „Es ist zu damit zu rechnen, dass der ‚Spaziergang‘ in Anklam wieder nicht angemeldet wird“, sagt Achim Froitzheim, Pressesprecher des Landkreises Vorpommern-Greifswald, am Telefon. „Wir erwarten, dass im Landkreis heute noch drei weitere Versammlungen ohne Anmeldung zustande kommen, und zwar in Penkun, Löcknitz und Torgelow.“

Dass die Demos gegen die Corona-Maßnahmen – ob angemeldet oder nicht, ob „Spaziergang“ genannt oder nicht – stattfinden, ist also ein offenes Geheimnis. Die Demonstrant:innen organisieren sich über die sozialen Medien. Das bekommen alle mit, die sich dafür interessieren. So auch Gegendemonstrant:innen: In Anklam hat ein Bündnis aus Zivilgesellschaft und Politik kurzfristig zu einer Menschenkette aufgerufen, als Zeichen für Solidarität und Rücksichtnahme und gegen Gewalt. Sie wollen ein Gegengewicht zu den Kritikern der Maßnahmen bilden. Um 17:30 Uhr soll es am Markt losgehen, die Kette einmal um den Rathausplatz reichen.

Marius Denda Anklam
Der 17-jährige Marius Denda kurz nach der Auflösung der Menschenkette.

„Die Demo der Maßnahmenkritiker am letzten Montag mit seinen Gewaltausbrüchen war für uns der Grund, zu sagen, wir müssen jetzt was machen“, erzählt Marius Denda. Ich telefoniere mit ihm in der Hofpause. Denda ist 17, Schüler und engagiert sich im Anklamer Jugendparlament, bei Queer Anklam, dem Demokratiebahnhof Anklam und dem Bündnis „Anklam für alle“. „Eigentlich wollten wir schon länger etwas machen. Bisher gab es in Anklam noch keine Demo gegen die Maßnahmenkritiker.“ Angemeldet haben die Veranstalter der Gegendemo 50 Leute, angesichts der Kurzfristigkeit rechnet Denda mit wenigen Teilnehmenden. „Wir werden aber sicher noch weitere Aktionen starten.“ Dass das notwendig ist, merke er auch in den sozialen Medien. „Dort werden wir öfter angefeindet.“

Storch-Heinar-Aktivist:innen.

Insgesamt sei es schwierig, zu sagen, wie Bürger:innen in Anklam so drauf sind. „Aber bei den Demos der Maßnahmenkritiker ist ein guter Teil an Menschen dabei, die man dem rechten Spektrum zuordnen kann. Und die anderen, die da mitlaufen, nehmen das zumindest hin.“ In Anklam gebe es nur wenige Leute, die etwas dagegen sagten, erzählt Denda. In der Schule bekomme er die eine oder andere Anfeindung – allerdings nicht erst seit Corona. Genauso gebe es auch Mitschüler:innen, die die Gegendemos zu den Maßnahmenkritikern gut fänden. Aber es werden wohl eher wenige von ihnen zur Menschenkette kommen, vermutet er. „Ab und zu trifft man allerdings doch auch mal welche, die man gar nicht kennt. Lehrer waren, soweit ich weiß, noch auf keiner Aktion vertreten.“ Diese versuchten wohl eher, neutral zu bleiben. Manche Lehrer:innen würden den Diskurs im Unterricht hingegen auch aufgreifen. Es gebe teils hitzige Diskussionen etwa darüber, ob eine Impflicht gut sei oder nicht.

Marktplatz Anklam, 17:10 Uhr. Der Platz ist ruhig, kaum jemand da. Temperaturen um den Gefrierpunkt. Wir haben unsere Handschuhe vergessen. Erste Mannschaftswagen der Polizei tauchen auf.

17:15 Uhr. Dirk Bruhn, stellvertretender Landesvorsitzender der Linken und Bürgermeister der Gemeinde Siedenbrünzow (Mecklenburgische Seenplatte), ist vor Ort. Er hat die Menschenkette für das Bündnis „Anklam für alle“ angemeldet.

Dirk Bruhn Anklam
Dirk Bruhn, stellvertretender Landesvorsitzender der Linken und Bürgermeister der Gemeinde Siedenbrünzow (Mecklenburgische Seenplatte).

17:30 Uhr. Etwa 50 Teilnehmende jeglichen Alters bilden eine Menschenkette. Statt sich an den Händen zu halten, nutzen die Teilnehmer:innen Schals, um Abstand zu wahren. Alle tragen Mund-Nasen-Schutz. Die Polizei spricht von etwa 60 Einsatzkräften, die vor Ort sind. Polizist: „Katapult? Cool, hab euch abonniert.“

Menschenkette Anklam Storch Heinar
Menschenkette vor dem Rathaus Anklam formiert sich. Erster "Spaziergänger" beschwert sich bei Storch-Heinar-Aktivist:innen.

17:45 Uhr. Die Menschenkette ist 200 bis 300 Meter lang. Es bleibt bei den etwa 50 Teilnehmer:innen. Auf dem Markt und den Straßen ringsum versammeln sich immer mehr Menschen, die augenscheinlich nicht an der Menschenkette teilnehmen wollen.

17:50 Uhr. Wenige Meter vor der Menschenkette hat sich ein Pärchen um die 50 aufgebaut. Der Mann hält ein Schild, auf dem steht: „Sklaven – die sich wie Sklaven verhalten, werden wie Sklaven behandelt“. Auf die Frage, ob sie hier wären, um gegen die Menschenkette zu demonstrieren, antwortet die Frau: „Wir sind nur so hier, um zu spazieren.“ Warum haben Sie ein Schild dabei? Antwort: „Nur so.“ Und kurze Zeit später: „Wir sind hier, um diese Botschaft zu verbreiten.“ Was diese Botschaft denn bedeute, frage ich. „Das ist eine BOT-SCHAFT. Was das bedeutet, müssen Sie selbst herausfinden“, sagt die Botschafterin. Woher sie kommen? „Aus einem Dorf um die Ecke.“ Ihre Namen wollen sie nicht nennen.

Botschaft eines "Spaziergänger"-Paares. Wie sie das meinen, wollten sie nicht erläutern.

17:55 Uhr. Ansage Dirk Bruhn: „Achtet auf die Hygienemaßnahmen und lasst euch nicht provozieren.“

17:58 Uhr. Auf der gegenüberliegenden Seite haben sich mittlerweile nach Schätzungen der Polizei etwa 200 bis 250 Menschen versammelt, die nicht zur Menschenkette gehören. Polizeidurchsage auf der dortigen Seite des Marktplatzes: „Es sind Mund-Nasen-Bedeckungen zu tragen. Der Konsum alkoholischer Getränke ist untersagt. Das Tragen von Waffen oder Gegenständen, die dafür genutzt werden können, ist verboten.“ Die 250 Menschen tragen keinen Mundschutz. Hier und da trinkt jemand ein Bier.

Etwa 250 "Spaziergänger:innen" versammelten sich auf dem Markt. Die Versammlung war nicht angemeldet.

18:00 Uhr. Die „Spaziergänger“ verlassen den Markt in Richtung Keilstraße, angeführt von mehreren Polizeiwagen.

18:08 Uhr. Bruhn beendet die Menschenkette offiziell. Man könne sich noch warme Getränke abholen.

18:15 Uhr. Marius Denda: „Ich bin positiv überrascht, dass so viele Leute an der Menschenkette teilgenommen haben.“ Durch die Anwesenheit der Polizei habe er sich sicherer gefühlt. Auch Dirk Bruhn freut sich über die Anzahl der Teilnehmenden. „Wir wollen der schweigenden Mehrheit eine Stimme geben.“

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