Proteste in Lubmin
Ostsee-Zeitung verharmlost rechtsradikale Demo-Organisatoren
Von Sophia Rockenmaier und Benjamin Fredrich
Lesedauer: ca. 5 Minuten
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Die Ostsee-Zeitung beschrieb am 4.9.2022 die Proteste in Lubmin als „Volksfest aus der Mitte der Bevölkerung“. An diesem Satz ist vieles falsch, aber vor allem die Präposition „aus“. Organisiert wurde die Demonstration nämlich nicht aus der Mitte der Gesellschaft, sondern von einem Mitglied der „Querdenken“-Partei „Die Basis“. Mitorganisiert und beworben wurde die Kundgebung von der AfD und vom rechtsextremen Magazin Compact, das von Leuten wie Roy Grassmann vertrieben wird, der eine handgroße Hakenkreuz-Variante auf der Brust tätowiert trägt. Diese Demo kommt nicht aus der Mitte der Gesellschaft, sondern aus dem extrem rechten Spektrum, von erfahrenen Politikern und Leuten mit viel Demoerfahrung, die sie bei den Corona-Demos der letzten zweieinhalb Jahre gesammelt haben. Ein Blick in die Telegram-Gruppen der Organisator:innen zeigt: Wogegen genau demonstriert wird, ist zweitrangig. Dieselben Personen, die jetzt für die Öffnung von Nord Stream 2 mobilisieren, riefen vor zehn Monaten zum Sturm gegen die „Corona-Diktatur“ auf. Wenige Wochen später, am 25. September, findet eine weitere Demonstration derselben Veranstalter:innen in Lubmin statt. Auch hier ist man kräftig dagegen: gegen die Regierung, gegen Impfungen, gegen das Gendern, gegen „feminine“ (gemeint ist feministische) Außenpolitik. In erster Linie dienen die Proteste der Destabilisierung und Verunsicherung der Bevölkerung, um die eigenen Umsturzfantasien zu verwirklichen. Dafür wird jedes Thema gekapert, das sich anbietet: gestern die Pandemie, heute der Ukrainekrieg, morgen eine vermeintliche Öko- oder Genderdiktatur. Ein bekanntes Muster von rechten und rechtsextremen Bewegungen. Was ist mit dem Anfang des OZ-Satzes? Auch der ist falsch. Es gab kein „Volksfest“, es gab eine Demonstration, die als solche auch offiziell angemeldet wurde. Ein Volksfest ist keine Versammlung ist keine Demo – das deutsche Recht trennt das sehr klar und die OZ entpolitisiert die Demo mit diesem Begriff als bloßes Zusammenkommen von Menschen. Es ist das Gegenteil von dem, was dort stattgefunden hat – rechtlich und auch in jeder anderen Hinsicht. Die OZ schreibt zwar auch, dass es „eindeutig Rechte“ auf der Demo gab, aber sie ist nach wie vor nicht in der Lage, die Struktur solcher Demos zu analysieren, und gibt stattdessen Hinweise für die Anfahrt und fürs Parken. Das ist nicht die Aufgabe von kritischem Journalismus. Das sind Serviceartikel für Querdenker und Rechtsradikale. Die OZ macht sich mit diesen Demos gemein.
Wer demonstriert in Lubmin?
Unter den Teilnehmern fanden sich mehrere Dutzend Personen aus dem rechtsextremen Spektrum, beispielsweise auch der stellvertretende NPD-Landeschef Enrico Hamisch oder der Fraktionschef der AfD, Nikolaus Kramer, und weitere AfD-Bundestagsabgeordnete wie Enrico Komning. Komning ist Mitglied der rechtsextremen Burschenschaft Rugia zu Greifswald und schlug schon mal öffentlich vor, die parlamentarische Demokratie abzuschaffen. Neben Demonstrant:innen, die die Sorge um hohe Stromrechnungen oder Spritpreise nach Lubmin treibt, finden sich auch solche mit Tattoos der sogenannten Schwarzen Sonne, eines Symbols, das aus übereinandergelegten Hakenkreuzen besteht. Auf einem Shirt steht „Bin ich zu braun, bist du zu bunt“. Das rechtsextreme Magazin Compact verteilt am 4.9. an mehreren Stellen Magazine und das Banner mit der Aufschrift „Nord Stream aufdrehen“ ist dasselbe, vor dem sich der Rechtsextremist Martin Sellner (Identitäre Bewegung Österreich) wenige Tage zuvor auf dem Betriebsgelände von Nord Stream 2 ablichten ließ. Das alles auf einer Demo, von der die Ostsee-Zeitung schreibt: „Hier fehlt noch ’ne Bratwurstbude und ein Kinderkarussell, dann würde das als Schützenfest durchgehen.“ Kein einmaliger Ausrutscher. Am 25.9. versammeln sich erneut Demonstrant:innen, unter ihnen etliche mit rechtsextremen Symbolen wie dem Wotansknoten oder dem Wehrmachtsspruch „Klagt nicht, kämpft“. Der Auftritt des Rechtsextremen Andreas Kalbitz, dessen Kontakte zu neonazistischen Vereinigungen zu seinem Ausschluss aus der AfD führten, finden in der Berichterstattung der OZ keine Erwähnung (Stand 25.9.22). Stattdessen werden im Liveticker unkommentiert Fotos von Demoplakaten geteilt, auf denen behauptet wird, Ukrainer:innen hätten im Zweiten Weltkrieg ihre eigenen Kinder gegessen. Dass ukrainische Gegendemonstrant:innen auf der Veranstaltung zur Seite gedrängt und geschubst werden, während im Hintergrund russische Flaggen wehen, bezeichnet die Reporterin als „kleinen Vorfall“.
Wissenschaftler sieht „merkwürdige Mischung“
Wolfgang Muno, Professor für Vergleichende Regierungslehre an der Universität Rostock, beobachtet die Vereinnahmung durch undemokratische und rechtsextreme Akteure bereits seit Beginn der Corona-Proteste: „Im letzten Winter haben wir eine merkwürdige Mischung aus bürgerlichen, gutsituierten und gut gebildeten Menschen aus einer alternativen Szene, Querdenkern und Verschwörungstheoretikern sowie ausgewiesenen Rechtsextremen gesehen.“ Was diese Gruppen schließlich verbinde, sei die Ablehnung staatlicher Maßnahmen oder eine grundsätzliche Ablehnung des Staates. Zukünftig sei auch zu erwarten, dass sich Rechte mit Klimawandelleugnern verbünden würden, wie das auch schon in anderen Ländern zu beobachten sei. Der Ukrainekrieg und die Energiekrise beschleunigten diese Tendenz: „Das müssen nicht direkt Klimawandelleugner sein, sondern alle möglichen Kritiker:innen der Energiewende und der damit verbundenen Kosten“, prognostiziert Muno. In den vergangenen Wochen mischten sich auch prorussische Demonstrant:innen unter die Demo, sowohl von rechts als auch von links: „Auf jeden Fall eignet sich die Angst vor Kosten und vor sozialem Abstieg, die existiert und die von verschiedenen Gruppen politisch instrumentalisiert wird, zur Mobilisierung“, resümiert der Politikwissenschaftler. In Zeiten, in denen Menschen in Telegram-Gruppen den Umsturz planen, reicht es nicht mehr, bloß anwesend zu sein. Je weiter sich die Proteste im Laufe der kommenden Monate verschärfen, desto wichtiger ist eine kritische Betrachtung und Einordnung. Denn auch wenn die Ostsee-Zeitung dies entgegen leicht erkennbarer Tatsachen so darstellt: Eine Demo ist kein Volksfest und Rechtsextreme sind nicht die Mitte der Gesellschaft.
Dieser Artikel erschien in Oktober-Ausgabe von KATAPULT MV.
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Autor:innen
Geboren 1998. Studiert Journalistik und Politikwissenschaft in Passau und scheiterte bereits drei Mal bei dem Versuch, ein Auslandssemester zu absolvieren, an der Corona-Pandemie. Ihre journalistischen Schwerpunkte sind Politik und Feuilleton. Praktikantin bei KATAPULT
Ist einsprachig in Wusterhusen bei Lubmin in der Nähe von Spandowerhagen aufgewachsen, studierte Politikwissenschaft und gründete 2021 KATAPULT MV.
Veröffentlichungen:
Die Redaktion (Roman)
Fredrich rastet aus