Eingriff in die Pressefreiheit
Polizist attackiert KATAPULT-MV-Journalisten
Von Patrick Hinz
Lesedauer: ca. 7 Minuten
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Liebe Leute,
heute melde ich mich mit einer ernsten Sache: Am vergangenen Samstag bin ich während der Berichterstattung auf dem Christopher Street Day (CSD) in Wismar von einem Polizisten mit einem Schlagstock angegriffen worden.
Das passierte um 16:47 Uhr. Ich kann das so genau sagen, weil ich ein Video davon gemacht habe. Was ich eigentlich aufnehmen wollte: die gewaltsame Festnahme einer Person, die am CSD-Umzug teilgenommen hat. Was ich stattdessen aufgenommen habe: einen Polizisten mit Helm und Schutzausrüstung, der ganz unvermittelt mit gezogenem Schlagstock auf mich zustürmt, mich damit mehrfach stößt und meine „Ich bin Presse“-Rufe ignoriert. Das war nicht nur ein gewaltsamer Angriff auf einen Unbeteiligten, sondern auch ein gewaltsamer Eingriff in die Pressefreiheit.
Der Kontext
Am 14. September fand zum allerersten Mal ein Christopher Street Day in Wismar statt. Die Hansestadt ist zwar bekannt für ihre Altstadt mit Welterbestatus – aber seit den Neunzigern auch für rechtsextreme Strukturen und Vorfälle. Schon Wochen vorher haben Nazis in Sozialen Netzwerken dazu aufgerufen, den CSD zu stören. Für unsere Redaktion war klar, dass wir darüber berichten müssen. Also sind wir zu dritt nach Wismar gefahren, um den Demozug für die Rechte queerer Menschen zu begleiten und rechtsextreme Gegenbewegungen zu dokumentieren.
Als wir gegen 14 Uhr in Wismar ankamen, hatten sich schon um die 150 Neonazis im Lindengarten – unweit des Bahnhofs – versammelt. Viele von ihnen hatten Szeneklamotten an: „Landser“-Aufdrucke, schwarze Sonnen, Reichsadler und ’ne Menge Schriftzüge in Fraktur. Viele von ihnen waren sehr jung – wahrscheinlich jünger als 20 Jahre. Die Rechtsextremen mussten vorerst im Lindengarten bleiben, weil sie im Vorfeld keine Demo angemeldet hatten.
Parallel dazu versammelten sich auf dem Wismarer Marktplatz Menschen, die den CSD feiern oder unterstützen wollten. Etwa 2.100 Leute kamen dafür zusammen. Gegen 14:30 Uhr gab es ein paar Redebeiträge von CSD-Mitwirkenden und Politiker:innen, dann zog der Demozug friedlich durch die Innenstadt. Die Route führte allerdings auch am Bahnhof vorbei, vor dem sich die mittlerweile 200 Rechtsextremen versammelt hatten. Sie durften eine Spontandemo anmelden und auf den Bahnhofsvorplatz ziehen. Die Gruppe zeigte sich aggressiv und provozierend. Sie brüllten Dinge wie „ganz Deutschland hasst den CSD“, „Zeckenschweine“ und „Ostdeutschland“.
Begleitet wurden beide Versammlungen von rund 200 Polizeikräften. Diese blieben währenddessen ruhig. Sie schafften es, beide Gruppen ohne den Einsatz von Gewalt voneinander fernzuhalten. Generell haben wir die allermeisten Polizist:innen an diesem Tag als kommunikativ und diplomatisch wahrgenommen. Wir haben mehrfach mit der Polizei gesprochen und auch mehrfach unsere Presseausweise gezeigt. Alles ohne Probleme, alles sehr kooperativ.
Der Angriff
Das änderte sich aber gegen 16:30 Uhr, als der CSD-Zug wieder am Marktplatz ankam. Dort kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen mutmaßlich Antifa und mutmaßlich rechten Jugendlichen. Daraufhin griffen Polizeibeamt:innen ein und nahmen einen der rechten Jugendlichen unter polizeilichen Zwangsmaßnahmen fest. Diesen gewaltsamen Eingriff empfand ich als unverhältnismäßig. Dann hörte ich von einigen CSD-Teilnehmenden, dass diese Jugendlichen eine Deutschlandflagge und ein Beil dabeigehabt hätten. Das haben weder ich noch meine Kolleginnen gesehen. In der Pressemitteilung der Polizei zum CSD war am Ende auch nichts davon zu lesen.
Keine zehn Minuten später – und dann überschlugen sich die Ereignisse ziemlich – nahmen Polizist:innen plötzlich eine Person aus der CSD-Demo fest, die ich dem linken Spektrum zuordnen würde. Warum es dazu kam, wissen wir nicht. Wir haben lediglich beobachtet, wie Polizeibeamte eine Person gewaltsam aus der Menge in Richtung Rathauseingang zogen und aggressiv gegen andere Demonstrierende vorgingen, die das nicht zulassen wollten.
Das wollte ich filmen und habe mich ebenfalls in Richtung Eingang bewegt. Plötzlich stürmte einer der Polizisten mit gezogenem Schlagstock auf mich zu und stieß damit mehrfach gegen meinen Oberkörper. Während ich versucht habe, das Gleichgewicht zu halten und weiterzufilmen, rief ich mehrmals, dass ich von der Presse sei. Das beeindruckte den Polizisten aber nicht. Als er mich dann ein paar Meter nach hinten gestoßen hatte, zog er wieder ab und ich habe ihn aus den Augen verloren.
Das Problem
Dieser Angriff hat viele problematische und komplizierte Aspekte. Zuallererst: Ein Polizist greift eine unbeteiligte, unbewaffnete Person gezielt an. Es fand keine Kommunikation, keine Warnung, kein Austausch statt. Ich war nicht einmal Teil einer Menschenmenge, sondern war alleine mit zwei Kameras und großem Kamerarucksack vor dem Rathaus unterwegs. Der Polizist hat mir weder vor noch nach dem Angriff eine Chance gegeben, mich als Pressevertreter auszuweisen.
Das nächste Problem: Durch seinen Angriff auf mich hat der Polizist direkt in die Pressefreiheit eingegriffen. Der Staat – und somit die Polizei – hat die aus dem Grundgesetz abgeleitete Pflicht, Pressevertreter:innen auf solchen Veranstaltungen zu schützen. Natürlich könnte jetzt argumentiert werden, der Polizist hätte präventiv gehandelt. Dass keine Gefahr von meiner Person ausging, war jedoch offensichtlich.
Keine 30 Minuten nach dem Angriff habe ich mit Polizist:innen einer Kommunikationseinheit gesprochen. Dabei ging es um die Anzahl der Teilnehmenden, aber auch um die Frage: Wie sollen wir mit diesem Angriff umgehen? Der Beamte, mit dem wir sprachen, war sehr freundlich, nahm sich Zeit und hörte zu. Seine Vermutung: Der Polizist hat mich verwechselt, weil wir nicht wie Pressevertreter:innen aussehen. Ich verstehe diesen Gedanken, frage mich aber gleichzeitig, wie Pressevertreter:innen denn überhaupt aussehen? Es gibt keine Berufsbekleidung. Es gibt keine gesetzlichen Vorgaben wie beispielsweise das Tragen von Westen oder Ähnlichem. Und das wäre aktuell durch die Bedrohung von Rechtsextremen auch einfach zu gefährlich. Erst recht für unsere Redaktion, die regelmäßig zu extremistischen Strukturen recherchiert und rechte Netzwerke aufdeckt.
Wir jedenfalls haben an diesem Tag mehrere Personen gesehen, die wir eindeutig aufgrund ihres Verhaltens und ihrer Ausrüstung als Pressevertreter:innen identifizieren konnten – auch ohne Pressewesten. Da waren Kolleg:innen der Ostsee-Zeitung, ein großes Team des NDR, da waren Hörfunkjournalist:innen von Radio Lohro aus Rostock oder DPA-Fotograf:innen. Alle sahen komplett unterschiedlich aus und konnten – soweit ich weiß – unbeschadet ihrer Arbeit nachgehen.
Ich habe in MVs Innenministerium nachgefragt, ob und wie die Polizei im Umgang mit Journalist:innen geschult ist. Gleichzeitig wollte ich wissen, wie sich Pressevertreter:innen am besten zu erkennen geben sollen, wenn gleichzeitig Hunderte Rechtsextreme in der Stadt sind, die die Sicherheit von Journalist:innen gefährden.
Die Pressestelle schrieb uns, dass „der Umgang mit Medienschaffenden und den Aspekten der Pressefreiheit“ Bestandteil der polizeilichen Aus- und Fortbildung sei. Weiterhin gebe es regelmäßige Schulungen zu Presserechten für Polizeieinheiten.
Die Antwort zur Kenntlichmachung als Presse ist allerdings enttäuschend. Hier empfiehlt das Innenministerium, dass wir Journalist:innen uns beispielsweise durch Westen kenntlich machen. Das könne Beamt:innen dabei helfen, Verwechslungen zu vermeiden. Das Problem dabei: Auch für Rechtsextreme und andere Journalismusgegner:innen wird eindeutig klar, wer zur Presse gehört und wer nicht.
Weiterhin schreibt das Ministerium, dass sich einzelne Medienschaffende in der Regel durch Sicherheitsdienste selbst schützen. Journalist:innen sollen ihre Sicherheit also selbst finanzieren? Obwohl genau das zu den Pflichtaufgaben der Polizei gehört? Das ist im Sinne der Pressefreiheit, im Sinne des Grundgesetzes nicht akzeptabel! Für solche Dienstleistungen haben kleine Redaktionen wie unsere außerdem schlichtweg keine Mittel.
Der Appell
Wenn Rechtsextreme von ihrem spontanen Versammlungsrecht Gebrauch machen dürfen, erwarten wir, dass die Politik und die Polizei einen Rahmen schaffen, in dem alle Journalist:innen so sicher wie möglich ihrer Arbeit nachgehen können. Die Polizei muss dafür sorgen, dass die Pressefreiheit zu jedem Zeitpunkt, in jeder – auch konfliktbeladenen - Situation uneingeschränkt gewährleistet wird. Ist das nicht der Fall, liegt schlichtweg eine Grundrechtsverletzung vor. Der Öffentlichkeit können dadurch wichtige Informationen, beispielsweise zu Polizeigewalt, vorenthalten werden.
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Autor:innen
Geboren in Vorpommern, aufgewachsen in Mecklenburg. Einziger KATAPULT-Redakteur mit Traktorführerschein UND Fischereierlaubnis. Layouter und Chefredakteur.