Der neue Standort soll nicht allein den Kreativen vorbehalten sein. Auch andere Bürger:innen soll er ansprechen und Kultur und Wirtschaft miteinander vernetzen, Impulse sollen von ihm ausgehen. Rostock, so heißt es in einem Medienbericht von 2020, könne sich in diesem Jahrzehnt zu einer Hochburg für Start-ups entwickeln. Lediglich in Berlin, München und Leipzig wird eine höhere Bruttowertschöpfung erwartet.
Das Entwicklungspotenzial ist vorhanden, doch es fehlt die notwendige Infrastruktur. Bisher sind Kreative und Kulturschaffende in der Stadt verstreut. Für ein gemeinsames Quartier sind unterschiedliche räumliche Bedürfnisse ebenso bedeutsam wie die Erreichbarkeit und eine Atmosphäre, in der es gelingt, kreativ zu sein. Bastian Lange vom Berliner Forschungs- und Beratungsbüro Multiplicities spricht von einer kleinteiligen Branche, die keine einheitlichen Voraussetzungen und Interessen aufweist. Ein Standort müsse ganz unterschiedliche Parameter erfüllen, denn die Kultur- und Kreativwirtschaft stelle je nach Art besondere Anforderungen. Dazu gehören verschiedene Werkstätten ebenso wie Büros und Ausstellungsräume, die entsprechend ihrer Nutzung unterschiedlich gestaltet werden. Kreativwirtschaft, so Lange, sei dann besonders wirksam, wenn verschiedene Akteure aus verschiedenen Bereichen an einem Standort zusammenkommen.
Das Beratungsbüro Multiplicities ist zusammen mit der Inpolis Urbanism GmbH seit dem Sommer von der Rostocker Bürgerschaft mit einer Machbarkeitsstudie für ein derartiges Kreativquartier beauftragt. Nun werden Bedarfe und Voraussetzungen für einen möglichen Standort analysiert. „Uns ist vor allem wichtig, dass der neue Standort für alle gut erreichbar ist, aber auch eine langfristige Perspektive bietet“, erklärt Karolin Quandt, Vorstandsvorsitzende des Vereins Warnow Valley. Das gleichnamige Kreativquartier beherbergt aktuell etwa 70 verschiedene Akteure und besteht seit 2015 als Provisorium in der Nähe des Stadthafens. Doch die Pachtverträge mit dem Grundstückseigentümer laufen aus. Ursprünglich sollte das Quartier zum Ende des Jahres geräumt werden, doch aktuell gibt es noch keinen Bescheid.
Nichtsdestotrotz ist ein neuer Standort unerlässlich, denn das Warnow Valley stößt seit Langem an seine Kapazitätsgrenze. Nicht nur Kreative, sondern auch gemeinnützige Organisationen sind in den dort verfügbaren Räumlichkeiten untergebracht. Dazu gibt es immer wieder neue Nutzungsanfragen. „Es gibt so viele Ideen, aber wir haben aktuell keine Möglichkeit, sie umzusetzen, weil uns die Räume fehlen“, sagt Quandt. Mit dem Bürgerschaftsbeschluss sei jedoch eine „neue Dynamik in die Dialoge“ gekommen. Viele Akteure wurden zusammengebracht, um ihre Bedürfnisse zu erläutern und gemeinsam die Planung des neuen Quartiers voranzutreiben.
Wachsende Kreativbranche
Der neue Standort soll Innovationskraft vereinen, die sowohl aus einem technologischen als auch aus einem sozialen Verständnis heraus entsteht, erklärt Bastian Lange. Produktion und Lehre sollen hier ebenso stattfinden können wie gemeinsames digitales Arbeiten. Die Branche bietet dafür viel Potenzial. Einerseits gibt sie mit Veranstaltungen und Ideen Impulse für das gesellschaftliche Gemeinwohl und ist andererseits Schnittstelle zu etablierten Einrichtungen der Wissenschaft und Wirtschaft. „Dieses Potenzial ist innerhalb der Branche lange bekannt“, erklärt Quandt. Was bisher fehlte, waren belastbare Daten. Die Machbarkeitsstudie liefert nun mit ihrer Potenzialanalyse handfeste Belege.
Seit einem Jahr ist Quandt mit dem Warnow Valley und der Bürgerschaft auf der Suche nach einem neuen Standort. „So ein Kreativquartier ist Ausdruck von Haltung der Stadt“, erklärt Anke Knitter, die für die SPD in der Bürgerschaft sitzt. Sie erhofft sich vom neuen Quartier Strahlkraft über die Stadtgrenzen hinaus. „Rostock soll sich als Standort für Kreative einen Namen machen.“
Oberbürgermeister-Kandidatin Eva-Maria Kröger (Die Linke) beobachtet die Entwicklung der Kultur- und Kreativwirtschaft im Land seit Jahren. Sie sieht das Potenzial, mahnt aber auch, dass das umliegende Land, der Landkreis Rostock, langfristig mitgedacht werden müsse, damit kreative Menschen nicht von dort weggelockt werden. Kröger hofft, dass der neue Standort deshalb nicht nur Ideen anzieht, sondern auch Entwicklungen über Rostock hinaus fördern kann.
Wirtschaftliche Überlegungen
Für Karolin Quandt ist Transparenz im Entscheidungsprozess wichtig. Sie möchte möglichst viel Beteiligung; nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft. Dabei sieht sie das Warnow Valley auch als Betreiber des zukünftigen Standortes. Ein Genossenschaftsmodell sei denkbar, aber lediglich eine von mehreren Ideen. Bis jetzt ist noch vieles vage. Wo, wann und wie ein neues Kreativquartier entstehen wird, ist noch unklar. Gewiss ist nur, dass es kommen wird.
Die Potenziale sind vorhanden, die Dringlichkeit ist gegeben. Doch die Standortsuche ist ein heißes Eisen, heißt es aus der Stadtverwaltung. Bürgerschaftsmitglied Knitter verweist auf die notwendige Wirtschaftlichkeit eines derartigen Quartiers. Nur so sei eine ausreichende Förderung möglich, egal ob es sich letztendlich um Flächen in kommunaler oder in privater Hand handeln wird.
Zu welchem Ergebnis die Machbarkeitsstudie auch kommen mag, klar ist, dass die Rostocker Kreativwirtschaft einen langfristig nutzbaren Standort braucht. Eine Beschlussvorlage soll bis zum Ende des Jahres an die Bürgerschaft übergeben werden.
Quellen
- Scheppe, Michael: Der Langfristgewinner: Rostock könnte sich zur Hochburg für Start-ups entwickeln, auf: handelsblatt.com (20.11.2020).↩