Gute Arbeit?

Jeder Euro hilft, neue Recherchen zu realisieren!

Ehrenamt in der Rechtsprechung

Wie ist es, Schöff:in zu sein?

In ganz Mecklenburg-Vorpommern werden aktuell ehrenamtliche Richter:innen für die nächste fünfjährige Amtsperiode ab 2024 gesucht. KATAPULT MV hat mit zwei Schöff:innen der Landgerichte Rostock und Schwerin über ihr eher unbekanntes Ehrenamt gesprochen.

Noch immer werden bundesweit Schöff:innen für die nächste Amtszeit vom 1. Januar 2024 bis zum 31. Dezember 2028 gesucht. Auch in Mecklenburg-Vorpommern bemüht man sich um genügend Bewerber:innen als ehrenamtliche Richter:innen an den Amts- und Landgerichten. Rund 1.500 Stellen müssen in MV besetzt werden, bewerben müssten sich dafür doppelt so viele Menschen, um als Vertreter des Volkes an der Rechtsprechung in Strafsachen teilnehmen zu können.

Die Laienrichter:innen müssen Beweise würdigen und aus Zeugenaussagen, Gutachten und Urkunden ableiten können, ob sich ein Geschehen so ereignet hat oder eben nicht. Dazu müssen sie über soziale Kompetenz verfügen, um das Handeln eines Menschen in seinem gesellschaftlichen Umfeld beurteilen zu können. Erfahrung im Umgang mit Menschen ist wichtig, juristische Kenntnisse sind jedoch keine Voraussetzung.Jedoch verlangt das Amt der Schöff:innen ein hohes Maß an Unparteilichkeit, Objektivität und Selbständigkeit sowie geistige Beweglichkeit und die gesundheitliche Eignung für den anstrengenden Sitzungsdienst. Auch muss man als Schöff:in die persönliche Verantwortung für beispielsweise mehrjährige Freiheitsstrafen, versagte Bewährungen oder Freisprüche aus Mangel an Beweisen tragen können. Denn: Schöff:innen sind den Berufsrichtern gegenüber gleichberechtigt.Wie ist es, als Schöff:in in MV ehrenamtlich bei Gericht tätig zu sein? KATAPULT MV hat mit zwei Schöff:innen der Landgerichte Schwerin und Rostock über ihre Arbeit gesprochen.

Schöffin am Landgericht Rostock: Nicole Witthuhn

Nicole Witthuhn wohnt in einer kleinen Gemeinde unweit von Rostock. Vor vier Jahren begann sie ihre Arbeit als Schöffin am Landgericht Rostock. Die ausgebildete Zollbeamtin ist nach ihrem Dienst an der polnischen Grenze seit einigen Jahren in der Aus- und Weiterbildung von Kolleg:innen in der Hansestadt beschäftigt. Nachdem sie schon lange den Wunsch gehegt hatte, Schöffin zu werden, bewarb sie sich vor der letzten Amtsperiode um das Amt. Ihr Großvater war zu DDR-Zeiten Schöffe und hatte immer wieder von Fällen berichtet, die sie neugierig machten.

Heute gehören Vorbesprechung mit den hauptberuflichen Richter:innen, Aktenstudium, Beweisaufnahme, Verlesung der Anklageschrift, Zeugenvernehmung, Abläufe und Gerichtsvokabular zur Routine der 43-jährigen Mutter von drei Kindern. Auch wenn es pandemiebedingt nicht so viele Verfahren gab, kennt sie sich im Verfahrensablauf schon gut aus. „Bei juristischen Fachbegriffen habe ich immer ohne Scheu nachgefragt, wenn ich sie mal nicht verstanden habe. Das hat auch schon so manchen Richter wieder auf den Boden der Realität gebracht“, sagt Witthuhn selbstbewusst.

Als Schöffin an Urteilen beteiligt

Mittlerweile hat sie zahlreiche Verfahren mitgemacht, hauptsächlich Betrugs- und Finanzdelikte. An das erste Verfahren erinnert sie sich jedoch besonders gut. Der Vorwurf wog schwer, es ging um ein Mord- beziehungsweise Totschlagsdelikt. Im Laufe der Verhandlung wurde sie dann mit dem Krankheitsbild einer paranoiden Schizophrenie konfrontiert. „Eine Lebenserfahrung, die mir neu war“, sagt Nicole Witthuhn. Sie erinnert sich genau an die Situationen im Gerichtssaal und wie ergreifend es war, als der psychisch kranke Mensch in Hand- und Fußfesseln aussagen musste.

In ihrer persönlichen und beruflichen Umgebung kommt es immer wieder mal zu Bemerkungen über ein vermeintlich zu geringes Strafmaß. Ihr Wissen um die Hintergründe der Straftaten helfe ihr aber, die Motive des Fehlverhaltens zu verstehen. „Es geht um Gerechtigkeit; es geht nicht nur um Bestrafung, wir wollen die Menschen wieder zurück in unsere Gesellschaft bringen“, hat Witthuhn eine klare Vorstellung von ihrer Aufgabe. Natürlich müsse immer die Schwere des Deliktes gesehen werden, aber für die Zollbeamtin muss die Strafe auch eine Rehabilitation ermöglichen.

„Kick“ für die ehrenamtliche Beteiligung an demokratischen Institutionen

Sie hat auch schon mal erlebt, dass es in einem großen Verfahren sehr laut wurde und sowohl der Zeuge, der sich angegriffen fühlte, als auch der Richter mal eine Abkühlungspause brauchten. „Wir Frauen hatten in dem fünfköpfigen Richtergremium die deutliche Mehrheit und konnten in der Pause für die Rückkehr zu angemessener Lautstärke sorgen“, erinnert sie sich. Sie versuche immer die menschlichen Aspekte zu sehen, betont Witthuhn. So gebe es mitunter bei langwierigen Prozessen das Problem, dass sich Zeug:innen nicht mehr an Details erinnern. Wenn dann den hauptberuflichen Richter:innen, Staats- und Rechtsanwält:innen das Verständnis für die Erinnerungslücken fehle, erinnere sie die „Profis“ daran, dass für Zeug:innen der Gerichtssaal eine Ausnahmesituation sei. Und da gebe es dann durchaus die Wertschätzung der hauptberuflichen Richter:innen, wenn diese bei den Schöff:innen nachfragen, ob wirklich alle Bedenken ausgeräumt seien.

Zu Beginn ihres Ehrenamtes war sie skeptisch, wenn in den Beratungen sogenannte Deals vorgeschlagen wurden. Dass bei der Einigung zwischen Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Gericht oftmals nur die Angeklagten profitierten, sei ein Vorurteil. Heute hält sie die Abwägung zwischen zeitraubendem und kostspieligem Verfahren und der Bemessung des Strafmaßes für sinnvoll. „Wenn man sich im Grundsatz einig ist, dann sollte auch die Belastung der Steuerzahler:innen eine Rolle beim Strafmaß spielen“, gibt Nicole Witthuhn zu bedenken. Solche Überlegungen führen dann auch dazu, dass mitunter sehr lange nach einem für alle Parteien akzeptablen Kompromiss gesucht wird. Das aber sei es wert, ist sich Witthuhn sicher. Vor dem Hintergrund von „Demokratie- und Wahlmüdigkeit“, so die Schöffin Witthuhn, erhoffe sie sich durch die allen Bürger:innen offenstehende Möglichkeit, ebenfalls Schöff:in zu werden, einen „Kick“ für die ehrenamtliche Beteiligung an den demokratischen Institutionen.

Schöffe am Landgericht Schwerin: Stefan Timm

Der 46-jährige gelernte Maurer Stefan Timm wurde in Crivitz geboren, aufgewachsen ist er in Schwerin. Nach dem Militärdienst und Studium der Betriebswirtschaftslehre in Wismar begann er beim Schweriner Energieversorger Wemag. Dort arbeitet der Diplomkaufmann heute im Controlling. Schöffe ist der Hobbysportler seit neun Jahren. Während seiner Zeit bei der Bundeswehr hat er sich als Vertrauensmann für die Interessen der Soldat:innen in seiner Einheit eingesetzt. Ehrenamtlich bildet er Rettungsschwimmer:innen aus. Bei einer richterlichen Urteilsfindung als gleichberechtigter ehrenamtlicher Richter mitwirken zu können, fand der Schweriner spannend. Vor zehn Jahren bewarb er sich über das Internetportal als Schöffe.

Nachdem er erst Ergänzungsschöffe wurde, ist Timm heute Hauptschöffe bei einer großen Strafkammer am Schweriner Landgericht. Als Schöffe nimmt er an durchschnittlich zehn Tagen im Jahr an Prozessen teil. In zahlreiche Fälle, von Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz, Gewaltdelikten oder Verfahren wegen Raubes und Diebstahls, hat er sich einarbeiten müssen.

Bestärkende Erfahrungen und schwierige Entscheidungen

Wenn junge Menschen, zumeist Männer, erneut vor Gericht erscheinen und schon eine Liste von Vorstrafen haben, dann frage er sich, warum die Angeklagten aus den vorherigen Strafen nicht gelernt haben: „Warum bist du denn schon wieder hier, du weißt doch, wo die Reise hingeht“, meint Stefan Timm nachdenklich. Doch es habe auch schon Fälle gegeben, bei denen es spät, aber nicht zu spät, bei dem Angeklagten „klick“ gemacht habe. „Wenn man sieht und hört, dass sich Angeklagte intensiv mit ihrer Tat beschäftigt haben und sich gut überlegen, wie sie sich entwickeln wollen, dann ist das auch eine bestärkende Erfahrung für mich als Schöffen“, sieht Stefan Timm die positiven Seiten seines Ehrenamtes.

Knifflige Entscheidungen hat es auch schon gegeben. „Da gilt es dann genau hinzuhören und zu versuchen, zu verstehen, wie es zur Tat kam“, beschreibt Timm die komplexen Seiten der Schöffentätigkeit. Zum Beispiel, als mehrere junge Männer wegen bewaffneten Raubes angeklagt waren. Sie hatten ihren Opfern die Beute mit Waffengewalt abgenommen.

Oder als es um die Einweisung eines psychisch gestörten Mannes ging, der Menschen verbal bedrohte. Keine einfachen Fälle, denn man nehme Menschen die Freiheit, gibt Timm zu bedenken. „Zum Glück hatte ich noch keine Fälle, die mich seelisch belastet haben, aber ginge es beispielsweise um Kindesmissbrauch, da glaube ich, komme ich an meine Grenzen“, beschreibt Stefan Timm eine Situation, die er sich gern ersparen würde.

Auch wenn er schon bei harten Urteilen, zum Beispiel über Gewalttäter, mitwirken musste, hat Timm bislang noch keine Befürchtungen vor Bedrohungen gehabt. „Man macht sich natürlich Gedanken, man hat Familie, aber bislang hat es noch keinen Anlass zur Sorge gegeben“, so der Familienvater. 

Sein Resümee bis heute lautet, dass das Schöffenamt eine spannende Tätigkeit ist, bei der man aktiv mitgestalten und -bestimmen kann. Für Stefan Timm ist es eine Bereicherung, den Rechtsstaat im Detail kennenzulernen und sich aktiv daran zu beteiligen. In der öffentlichen Wahrnehmung erscheinen Urteile oft voreilig als zu hart oder das Strafmaß als zu gering. Durch die Schöffentätigkeit habe er aber gelernt, wie kompliziert und schwierig es sei, ein juristisch korrektes und gleichzeitig gerechtes Urteil zu sprechen. „Manche Urteile versteht man erst, wenn man weiß, wie der Rechtsrahmen aussieht, welche Umstände zur Tat führten und um was für einen Menschen es sich handelt“, gibt der Schöffe Stefan Timm zu bedenken. Schöffe zu sein, ist eine Erfahrung, die er nicht missen möchte. Er wird sich auch für die kommende Amtsperiode wieder bewerben.

Autor:innen

Gute Arbeit?

Jeder Euro hilft, neue Recherchen zu realisieren!