Im Schweriner Stadtteil Neu-Zippendorf, in der Hamburger Allee 120, befindet sich die russisch-orthodoxe Kirche. Das Gotteshaus, in traditioneller Bauweise von ukrainischen Fachleuten aus Fichtenstämmen errichtet, war der erste hölzerne Neubau der russich-orthodoxen Kirche in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Rund 200 Gläubige gehören der Gemeinde des heiligen Großmärtyrers Demetrius von Thessaloniki zu Schwerin an, die sich bis nach Hagenow und Rostock erstreckt.
Der Gemeindevorsteher, Erzpriester Dionisij Idevayn, betont, dass seine Kirche allen Menschen – unabhängig der Herkunft – offenstehe. Die Bezeichnung russisch-orthodoxe Kirche mache nur deutlich, dass in der Gemeinschaft der Gläubigen die russische Sprache in den Gottesdiensten und als Verkehrssprache der Gemeindemitglieder genutzt werde. Die Nationalität spiele für die Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft keine Rolle.
KATAPULT MV: Inwiefern beeinflusst der Krieg in der Ukraine das menschliche Zusammenleben Ihrer Gemeindemitglieder? Dionisij Idevayn: In jeder russischen Familie gibt ein, zwei oder drei Verwandte in der Ukraine. Die Verflechtung ist unglaublich. Es gibt Russen, die einen ukrainischen Namen tragen, obwohl sie nie in der Ukraine gelebt haben. Sie haben diesen Namen von ihren Vorfahren geerbt. Die Politik und das Menschliche sollte man nicht miteinander vermischen. Sobald man das tut, wird es schwierig.
Kann man denn die Politik aus der Gemeinde heraushalten?Ja. Alle haben eine Meinung zu dem, was in der Ukraine passiert. Aber schon seit langer Zeit befolgen wir das Prinzip, dass, wenn wir uns in den Räumen unserer Gemeinde versammeln, die Politik draußen bleiben muss. Und in einer Debatte über die aktuelle Situation in der Ukraine gehen natürlich die Meinungen unter unseren Mitgliedern auseinander. Das war aber sogar im Bundestagswahlkampf so. Denn viele haben die deutsche Staatsbürgerschaft, sind wahlberechtigt und haben eine eigene Meinung. Weil ich aber keine Spaltung in unserer Gemeinde haben möchte, muss die Politik draußen bleiben. Wir haben auch ukrainische Gemeindemitglieder. Und wenn Menschen Schmerz erfahren, dann ist es manchmal einfach besser, zu schweigen. Wir haben vieles, worüber wir sprechen können, aber durch gegenseitige Schuldzuweisungen wird der Schmerz der Menschen nicht gelindert. Deshalb ist es besser, zu fragen: Wie können wir dir helfen?
Kennen Sie Russ:innen, die aus Russland wegwollen?Nicht dass ich wüsste. Ich habe noch keine getroffen. Vielleicht, weil sie nicht herkommen können. Aber es gibt hier Russen, die nicht wegfahren können. Menschen, die zum Arbeiten hierhergekommen sind, wie zum Beispiel Lastwagenfahrer. Die arbeiten für ein russisches Unternehmen, die LKW haben russische Kennzeichen, dürfen aber jetzt nicht beladen werden. Die Fahrer können kein Geld von der Bank holen. Das Konto ist gesperrt. Sie wurden einfach vergessen und können nicht nach Hause fahren.
Spüren Sie eine antirussische Stimmung?In Hamburg habe ich gesehen, dass in Geschäften in Deutschland produzierte Waren, die aber ein russisches Etikett hatten, aus dem Sortiment genommen wurden. Ich weiß nicht, ob das sinnvoll ist. Ob gerade eine antirussische Stimmung auf uns zukommt oder ob sie schon da ist, kann ich nicht beurteilen. Was mir aber sehr große Sorgen macht, sind unsere Kinder. Schulkinder, sieben, acht oder zehn Jahre alt, sind plötzlich von Kindern zu Russen geworden. Da gibt es Kinder, die hier geboren wurden, die Deutsche sind. Plötzlich sind sie aber „Russen“. Deren Muttersprache ist oft Deutsch. Russisch beherrschen sie in vielen Fällen nicht so gut, und die werden nun mit negativer Konnotation als Russen bezeichnet. Die werden auf dem Schulhof danach gefragt, was Putin macht. Hier muss man eine Grenze ziehen. Die Kinder muss man aus diesem Wirrwarr, aus der für alle schwierigen Lage heraushalten. Wenn ich das in unserer Gemeinde erleben würde, würde ich etwas dagegen tun. Es ist unsere Aufgabe als Erwachsene, gerade die Kinder in den ersten Schuljahren aus diesen Konflikten herauszuhalten.
Gibt es eine Zusammenarbeit der Kirchen?Ich nehme am interreligiösen Dialog teil und ich will das auch weiterhin tun. Wir versuchen, in diesem Konflikt neutral zu bleiben, und wir können weder für die Ukraine noch für Russland Partei ergreifen. Die Kirchen haben es in 2.000 Jahren immer wieder erlebt, dass es Konflikte und Krieg gab. Die Regimes, Parteien und Herrscher haben sich dabei abgewechselt und sind untergegangen. Die Kirche ist geblieben. Die Menschen müssen sich darauf verlassen können, dass, wenn sie die Schwelle zur Kirche überschreiten, sie nicht gefragt werden, welche Staatsangehörigkeit sie haben. Meine Aufgabe als Priester ist es nicht, danach zu fragen, welchen Politiker sie unterstützen. Ich muss danach fragen, wie ich ihnen helfen kann, ihre Schmerzen zu lindern. Wir bieten allen Menschen, Ukrainern und Russen, allen Flüchtenden unsere Hilfe an. Hier wurden schon so viele Pakete von unseren Gemeindemitgliedern gepackt, es ist eine große Bereitschaft zur Hilfe da. Unsere Aufgabe ist es, zu helfen.