„Die gerichtliche Aufarbeitung von Straftaten kann für die Betroffenen mit einer erneuten Traumatisierung einhergehen“, sagte Schwerins Oberbürgermeister Rico Badenschier (SPD) anlässlich der Eröffnung des ersten Childhood-Hauses in MV am Dienstag. Häufig erstrecken sich Befragungen und Begutachtungen durch Justiz, Polizei, Medizin und Jugendarbeit auf längere Zeiträume. Diesem Problem möchte die World Childhood Foundation mit ihren Childhood-Häusern begegnen.
Die Idee des Childhood-Hauses stammt ursprünglich aus Schweden. Die Kinderschutzhäuser verstehen sich als kinderfreundliche, multidisziplinäre, ambulante Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche, die Opfer oder Zeug:innen von sexualisierter und körperlicher Gewalt wurden. Die Einrichtungen bieten räumliche Möglichkeiten für eine koordinierte und kinderfreundliche Versorgung während der juristischen Aufarbeitung des Geschehenen.
Das Schweriner Childhood-Haus soll zukünftig für die Betreuung von betroffenen Kindern und Jugendlichen aus der Landeshauptstadt sowie den Landkreisen Nordwestmecklenburg und Ludwigslust-Parchim zuständig sein. Ereignet sich eine Gewaltstraftat zu ihrem Nachteil, findet ihre Betreuung künftig nur noch in den hellen, freundlichen Räumen in der Schweriner Friesenstraße statt.
Eine Einrichtung für alles
Bislang mussten Geschädigte in MV noch mehrere Anlaufstellen aufsuchen. So habe beispielsweise die rechtsmedizinische Begutachtung in Schwerin bisher über der Trauerhalle im Krematorium stattgefunden, ärgert sich Fallmanagerin Nadine Schirrmacher vom Jugendamt. Im neuen Childhood-Haus steht den Rechtsmediziner:innen der Rostocker Universitätsmedizin jetzt dagegen ein großer Untersuchungsraum zur Verfügung. Direkt nebenan ist ein Vernehmungszimmer eingerichtet. Betroffene brauchen so künftig für ihre Zeugenaussage im Ermittlungsverfahren nicht mehr Polizei oder Gericht aufzusuchen, erklärt Schirrmacher. Stattdessen komme der Ermittlungsrichter ins Childhood-Haus. Polizist:innen, Anwält:innen, Sachverständige, Mitarbeiter:innen des Jugendamts und – in strikter räumlicher Trennung – Beschuldigte können der Vernehmung per Videoschalte in Nebenzimmern beiwohnen. So sind die jungen Zeug:innen nicht mit einer einschüchternden Atmosphäre konfrontiert und müssen nur eine einzige Vernehmung über sich ergehen lassen. Zukünftig sei auch geplant, Vernehmungen im Rahmen von Gerichtsverhandlungen im Childhood-Haus stattfinden zu lassen. Momentan fehle es den Gerichten aber noch an entsprechender Technik, berichtet Schirrmacher.
Dauerhafte Finanzierung noch offen – Interesse aber vorhanden
Das Schweriner Childhood-Haus ist bundesweit das siebte seiner Art. Der Eröffnung ging eine mehr als zweijährige Planungs- und Vorbereitungsphase voraus. Die Trägerschaft hat die Kommune übernommen. Dies sei einmalig, freut sich Anka Wittenberg, Vorsitzende der World Childhood Foundation in Deutschland. Die international tätige Stiftung ist an dem Projekt finanziell und ideell beteiligt. Die langfristige Finanzierung ist allerdings noch offen. Die Stadt hofft auf eine Beteiligung durch das Land.
Interesse an dem in MV neuen Ansatz ist auf Landesebene jedenfalls schon vorhanden. So fungiert etwa Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) als Schirmherrin. Zur Eröffnung am Dienstag war zudem Justizministerin Jacqueline Bernhardt (Die Linke) persönlich anwesend. Neben weiteren Vertreter:innen aus der Landes- und Kommunalpolitik befanden sich unter den Gästen auch Repräsentant:innen der Behörden, die die Einrichtung in Zukunft nutzen werden.
Versäumnisse des Jugendamts in der Vergangenheit
Rico Badenschier sprach in seinem Grußwort von einem „Meilenstein für den Kinderschutz“ in Schwerin. Gerade vor dem Hintergrund, dass es beim Jugendamt in der jüngeren Vergangenheit Versäumnisse gegeben habe. So etwa, als im Jugendtreff „Power for Kids“ im Stadtteil Mueßer Holz von 2010 bis 2015 mehrere Jungen vielfach von einem Betreuer sexuell missbraucht wurden. Jugendliche hatten die Behörde frühzeitig auf den Verdacht hingewiesen. Das Amt war aber zunächst untätig geblieben.
Kein Kind könne sich alleine schützen, betont Anka Wittenberg von der World Childhood Foundation. „Es braucht das kompetente Umfeld“, mahnt sie. Die Stadt Schwerin habe zur Schaffung dieses Umfelds mit der Eröffnung des Childhood-Hauses einen wichtigen Beitrag geleistet. Großes Lob erreichte die Initiator:innen aus Schweden. Königin Silvia, Mitgründerin der Childhood Foundation, drückte den Beteiligten bei der Eröffnung in einer Videobotschaft ihre Bewunderung aus. Hier zeige sich, dass eine Stadt durch Kooperation in kurzer Zeit viel geschaffen habe, so die Monarchin.
Quellen
- World Childhood Foundation (Hg.): Das Konzept Childhood-Haus: Eine Lösung im Sinne des Kindes, auf: childhood-haus.de.↩
- Landeshauptstadt Schwerin (Hg.): 30 Jahre UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland: Erstes Childhood-Haus zum Schutz von Kindern in Mecklenburg-Vorpommern eröffnet, auf: schwerin.de (5.4.2022).↩
- Ebd.↩
- Gürtler, Lena; Schroeder, Philip: „Power for Kids“: Schaute ein weiteres Amt weg?, auf: NDR.de (31.5.2016).↩