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Nato-Außengrenze

Soldat:innen aus MV in Litauen

Seit fünf Jahren sind Nato-Streitkräfte im Baltikum und in Polen stationiert, um die Ostflanke des Bündnisses zu sichern und notfalls zu verteidigen. Im litauischen Rukla sind 1.675 Soldat:innen stationiert, davon mehr als 1.000 von der Bundeswehr und davon mehr als die Hälfte aus Meck-Vorp.

Da muss man für ein privates Telefongespräch im Wald spazieren gehen“, sagt Daniel S. Er ist einer von 1.675 Bundeswehrsoldat:innen, die aktuell im Rahmen eines Nato-Einsatzes in Litauen stationiert sind.

Als Reaktion auf die russische Annexion der Krym ist seit 2017 die Nato mit einer multinationalen Kampftruppe in der 2.000-Einwohner-Gemeinde Rukla – rund 100 Kilometer nordwestlich der litauischen Hauptstadt Vilnius und 40 Kilometer von Kaunas entfernt, einer der diesjährigen Kulturhauptstädte Europas. Mit ihren fünf Einheiten der litauischen Streitkräfte und dem Nato-Verband ist Rukla der größte Militärstandort Litauens. Untergebracht sind die Soldat:innen in der größten Kaserne der litauischen Armee.

Elfte Rotation zu Beginn des Krieges

Der 43-jährige Oberstleutnant Daniel Andrä kommandiert die Truppe. Er ist Kommandeur des Panzergrenadierbataillons 411 aus Viereck in Vorpommern. In Rukla leisten neben deutschen Soldat:innen Militärangehörige aus Belgien, den Niederlanden, Norwegen, Tschechien und Luxemburg ihren Dienst. Mehr als 500 Soldatinnen und Soldaten der internationalen Truppe kommen aus Bundeswehrstützpunkten in MV. Kaum angekommen, erfolgte am 24. Februar der russische Überfall auf die Ukraine. Der Krieg war damit nur 470 km entfernt.

Aufgrund der Bedrohung der Ukraine durch russische Truppen war das Nato-Kontingent von rund 1.200 auf aktuell über 1.600 Soldat:innen aufgestockt worden, davon mehr als 1.000 aus der Bundeswehr. Im Februar begann für die Soldat:innen die elfte Rotation innerhalb der sogenannten enhanced Forward Presence (eFP), der halbjährlichen „verstärkten Vorgeschobenen Präsenz“ der Nato.

Ebenfalls aus MV, nämlich aus Schwerin, kommt Daniel S. Für ihn ist es in seinen elf Dienstjahren der erste Einsatz außerhalb Deutschlands. Er koordiniert in der Nato-Truppe in der Versorgungskompanie den Transportzug mit über 100 Fahrzeugen. Diese müssen ständig fahrbereit und verfügbar sein. Ersatzteile besorgen und Reparaturen rasch erledigen ist entscheidend, damit alles rechtzeitig bei der Truppe ankommt. Wasser für die Verpflegung, Munition für die Geschütze und mitunter auch mal ein Panzer müssen bewegt werden. Beim Transport von gefährlichen Gütern, wie etwa Munition, ist eine klare Absprache mit den litauischen Kamerad:innen der eFP unverzichtbar.

Kernauftrag der eFP sind Ausbildung, Training, Abschreckung und notfalls Verteidigung. Sogenannte Battlegroups stehen auch in Estland, Lettland und Polen. Die Gastgebernationen bilden den Kern der Kampfverbände, welche jeweils von einer Rahmennation geführt werden. Deutschland hat die Führung der Kampfgruppe in Litauen inne.

Das Personal rotiert jedes halbe Jahr, denn die Nato-Russland-Grundakte von 1997 verbietet die dauerhafte Stationierung alliierter Truppen in Osteuropa. Daniel S. freut sich darauf, im Sommer wieder zurück zu seiner Familie zu kommen. „Man ist zu zweit und mitunter zu dritt in einem kleinen Containerzimmer und manche noch immer im Zelt untergebracht.“ Die fehlende Privatsphäre sei mit zunehmender Aufenthaltsdauer eine Belastung für die Soldat:innen.

Besuch bei einer Übung im Gelände

Iron Wolf, Saber Strike, Flaming Thunder oder Eager Leopard – so heißen die regelmäßigen Übungen bei der eFP, bei denen verschiedene Gefechte und Manöver trainiert werden, vom Häuser- und Stellungskampf bis zur Verzögerung eines anrückenden Feindes. Das Gefechtstraining findet in Pabradė statt, auf dem größten Truppenübungsplatz Litauens.

Im in die Jahre gekommenen Land Rover fährt Kraftfahrer Robin C. routiniert und sicher zum Truppenübungsgelände nahe der eFP-Kaserne. Der erfahrene tschechische Soldat schwört auf die britische Technik von gestern. Seine Erklärung ist simpel: Wo keine Elektronik drin ist, kann auch keine kaputtgehen.

Mittagspause. Schnell wird die Plastikschale, aus der Oberfeldwebel Sebastian K. gerade die Mahlzeit der Truppenküche gelöffelt hat, mit einer Handvoll Sand saubergeputzt und ab geht es zu seinem „Boxer“. Der 35-jährige gebürtige Cottbusser ist der Kommandant des gepanzerten Transporters. Zusammen mit dem Oberstabsgefreiten Heiko B., der aus dem rheinischen Neuss stammt, gehört er zu einem Sicherungszug, der den Gefechtsstand der Kampftruppe schützen soll. In der Heimat sind sie in Torgelow stationiert.

Der erfahrene Kommandant war vor über zehn Jahren schon im Auslandseinsatz im Kosovo. Aber auch der 25-jährige Heiko B., seit vier Jahren bei der Bundeswehr, hat schon über ein halbes Jahr in Afghanistan gedient. Multinationale Einsätze empfinden beide als Bereicherung. „Man lernt viel über die kulturellen Hintergründe der Menschen, denen man begegnet“, sagen die Berufssoldaten über ihre Auslandserfahrungen. Hier in Rukla haben sie Kontakt zu ihren litauischen Kameraden und tauschen bei gemeinsamen Übungen Erfahrungen aus.

Mann in Flecktarnanzug steht vor einem Panzerfahrzeug.
Kommandant Sebastian K. vor seinem „Boxer“ bei einer Übung im Gelände (Foto: Peter Scherrer)

Ausflüge nach Vilnius, die Besichtigung der Wasserburg Trakai und Informationen über Land und Leute stehen bei Betreuungsfahrten unter anderem auf dem Programm. Dann kommen die Soldat:innen auch in Kontakt mit Litauer:innen, die ihnen häufig Anerkennung für ihren Einsatz zeigen. Dies sei auch eine Bestätigung für sie, dass sie hier das Richtige tun, meinen die beiden Infanteristen. Diese grundsätzliche Anerkennung wünschen sie sich auch in ihrer Heimat.

Litauen war das erste Nato-Land mit Grenze zu Russland, das Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) seit dem Kriegsausbruch besucht hat. Anfang Juni sicherte er so dem Bataillon in Litauen 500 zusätzliche Bundeswehrsoldat:innen zu: Es soll zu einer Kampfbrigade ausgebaut werden.

Eine Nato-Kampfbrigade in Litauen, die 3.000 bis 5.000 Soldat:innen umfassen würde, will auch Litauens Präsident Gitanas Nauseda. Er plädierte im Vorfeld des Nato-Gipfels vom 28. bis 30. Juni in Madrid für mehr Nato-Präsenz im östlichen Bündnisgebiet und fordert, von der Abschreckung in die Vorwärtsverteidigung überzugehen.

Organisationstalent und Hansa-Fan

Der gebürtige Rostocker Mirko K. hat schon in Kundus und Kabul, aber auch im Kosovo als Kraftfahrer und bei der Feldlagersicherung Erfahrungen bei Auslandseinsätzen gesammelt. Er dient im Stab der Panzergrenadierbrigade 41 Neubrandenburg. Mirko K. kümmert sich um die Versorgung der multinationalen Truppe. Kaum einer kennt die Produktpalette der Supermärkte rund um Rukla so gut wie er. „Ob es ein besonderes Shampoo ist oder ein spezieller Rasierschaum gewünscht wird, wir versuchen es zu beschaffen“, erklärt der engagierte Hansa-Rostock-Fan seinen Job.

Mann in Flecktarn schaut aus einem LKW.
Chefeinkäufer für die Truppe in Rukla Mirko K. in seinem „Einkaufswagen“ (Foto: Peter Scherrer)

Besonders beliebt machte sich der quirlige Einkäufer vor ein paar Tagen, als er eine Ladung Eiscreme besorgen konnte. „So etwas hebt die Stimmung und trägt als kleines Highlight zur guten Atmosphäre bei.“ Seine Aufgabe hier ist deutlich weniger gefährlich als bei seinen früheren Einsätzen, denn es gibt keine Gefahrenlage wie etwa in Afghanistan. Er hat in seinem Arbeitsalltag Kontakt zu Litauer:innen und freut sich über die sehr positive Aufnahme der deutschen Soldat:innen im Land. Die Reaktionen der Litauer:innen seien immer freundlich und nicht selten zeigten ihm lächelnde Menschen den „Gefällt-mir-Daumen“.

Die elfte Rotation bereitet sich schon auf den kommenden Truppenwechsel im Sommer vor und für viele Armeeangehörige geht es zurück in die Kasernen im Nordosten Deutschlands. Auch für Mirko K. endet im Sommer der Einsatz in Rukla. Wenn die Familie einverstanden ist, kann er sich auch einen weiteren Auslandseinsatz vorstellen. „Manchmal entsteht in den Medien der Eindruck, man sei in Litauen schon fast im Kriegseinsatz.“ Das führe zu überflüssiger Beunruhigung der Familienangehörigen der Soldat:innen, kritisiert der Oberstabsgefreite die Berichterstattung über den Einsatz.

Für Sebastian K. und Heiko B. ist klar: Wenn der ganze Zug erneut in den Auslandseinsatz geht und Familie und Freundin zustimmen, sind sie wieder mit dabei.

Dieser Artikel erschien in KATAPULT MV Ausgabe 9.

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