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ÖPNV

Streckenvergleich in Meck-Vorp

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Lesedauer: ca. 8 Minuten

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Der öffentliche Personennahverkehr soll ein Baustein der Mobilität der Menschen sein. So wünscht es sich die Landesregierung. Doch noch ist es eher ein Bausteinchen. Derzeit werden lediglich sieben Prozent aller Wege in Meck-Vorp mit dem ÖPNV zurückgelegt. Etwa 38 Prozent werden zu Fuß oder mit dem Rad bewältigt und für mehr als die Hälfte aller Wege nutzen die Menschen den Pkw, wie aus einem Gutachten im Auftrag des Verkehrsministeriums hervorgeht.

Zu den Schwächen des ÖPNV in MV gehört, dass selbst auf Hauptstrecken wie Greifswald–Neubrandenburg oft nur ein Zweistundentakt angeboten wird. Der Busverkehr ist maßgeblich auf den Schülerverkehr ausgerichtet und nicht für jedermann angelegt. Dazu kommen demografische Herausforderungen wie die ausgedehnte Bevölkerungsverteilung, abnehmende Bevölkerungszahlen in vielen Landesteilen sowie eine älter werdende Gesellschaft. Auch ist der Zugang zum ÖPNV oft nicht barrierefrei. Eine Mehrheit von 73 Prozent sieht im ÖPNV keine Alternative zum PKW und sogar 93 Prozent bezeichnen die Reisezeit im ÖPNV als nicht konkurrenzfähig.

KATAPULT MV macht Streckenvergleich

Wie relevant sind die verschiedenen Verkehrsmittel also im Alltag? KATAPULT MV hat nachgeforscht. Wir betrachten eine kurze, mittlere und lange Strecke, vergleichen Kosten und Zeitaufwand zwischen Bus, Bahn und PKW im Juni 2022. Unsere Überlegung: Wir wollen ohne Subventionen durch Schüler- oder Auszubildendentickets zur Schule oder Arbeit fahren können, zurück natürlich auch. Das ist nicht repräsentativ, denn eine Strecke, die nicht nur mit Bussen, sondern auch mit Zügen bedient wird, stellt in MV Mobilitätsluxus dar.

Das Schienennetz in Meck-Vorp ist nicht gleichmäßig ausgebaut. Das Land hat in Nord-Süd-Richtung mehr Strecken als in Ost-West-Richtung. Auch wenn etwa 17,6 Millionen Zugkilometer pro Jahr gefahren werden, sind bestimmte Verbindungen nur über Umwege und Umstiege möglich.

Kurzstrecke: Sassnitz–Bergen, 22 Kilometer

Unsere erste untersuchte Route verläuft auf Rügen: von Sassnitz nach Bergen. Auf der Kurzstrecke weichen die erhobenen Daten der Verkehrsmittel nur geringfügig voneinander ab. Von Bahnhof zu Bahnhof oder ZOB zu ZOB benötigt ein PKW auf direktem Weg etwa 25 Minuten. Der Zug des privaten Betreibers ODEG fährt mit Zwischenhalten 28 Minuten. Der Bus der Verkehrsgesellschaft Vorpommern-Rügen (VVR) hinkt mit 64 Minuten und einem Umstieg auf der schnellsten Route weit hinterher.

Eine Monatskarte für diese Strecke kostet bei der Bahn 132,40 Euro und bei der VVR 149,70 Euro. Im Vergleich zur Bahn kostet die Fahrt mit dem eigenen PKW mehr als das Doppelte. Ausgehend von 22 Arbeitstagen im Juni, einem Verbrauch von 7 Litern Kraftstoff auf 100 Kilometern und einem Preis pro Liter von 2,01 Euro kostet die Autofahrt für eine Person unter Berücksichtigung der laufenden Kosten 285,56 Euro.

Finanziell ist das Auto also kein Faktor, zeitlich gesehen schon. Die Bahn fährt als günstigste Alternative lediglich im Zweistundentakt. Die VVR bedient zwar zwischen 6 und 21 Uhr mehr als 60 Abfahrten zwischen beiden Orten, benötigt aber aufgrund vieler Zwischenstopps und einem Umstieg sehr viel Zeit.

Mittelstrecke: Demmin–Neustrelitz, 80 Kilometer

Auf unserer Mittelstrecke hat der Zug die Nase vorn. Eine einfache Fahrt zwischen beiden Orten dauert 70 Minuten. Das Monatsticket kostet 277,80 Euro, bei einer einstündigen Taktung.

Die Busverbindung zwischen beiden Städten ist dagegen umständlich. Die günstigste Verbindung dauert 4 Stunden und 42 Minuten, mit zwei Umstiegen. Sie führt mit dem Bus der Verkehrsgesellschaft Vorpommern-Greifswald (VVG) von Demmin nach Jarmen und anschließend mit dem der Mecklenburg-Vorpommerschen Verkehrsgesellschaft (MVVG) von Jarmen nach Neubrandenburg. Nach einem knapp zweistündigen Aufenthalt in der Stadt der vier Tore folgt der letzte Streckenabschnitt von Neubrandenburg nach Neustrelitz. Diese Option benötigt mindestens zwei Monatstickets, jeweils eines für den Geltungsbereich der VVG und der MVVG.

Im Tarifsystem der MVVG kostet das teuerste Monatsticket 170,60 Euro. Allerdings gibt es nach Auskunft der Verkehrsgesellschaft keinen Fahrschein für die gesamte Strecke von Jarmen nach Neustrelitz, sondern lediglich für die Teilstrecken Jarmen–Neubrandenburg und Neubrandenburg–Neustrelitz. Die Strecke Jarmen–Neubrandenburg entspricht bereits der teuersten im Tarifsystem der MVVG abgebildeten Preisstufe. Laut Tarifsystem kostet der Streckenabschnitt von Neubrandenburg nach Neustrelitz weitere 160,20 Euro im Monat. Ob dieses Ticket aber notwendig sei, wenn bereits das teuerste Ticket der Verkehrsgesellschaft auf der Strecke Jarmen–Neubrandenburg erworben wurde, konnte die MVVG nicht beantworten. Offenbar rechnet bei der MVVG niemand damit, dass für die Strecke Jarmen–Neustrelitz der Bus genutzt wird.


Unter der Annahme, dass im Geltungsbereich der MVVG ein Monatsticket genügt, liegen die monatlichen Gesamtkosten bei 323,10 Euro. Da jedoch eine einfache Strecke bereits fast fünf Stunden dauert, ist der ÖPNV über die Straße als Arbeitsweg keine Option.

Das Auto schneidet hinsichtlich der aufgebrachten Zeit erwartbar gut ab, ist aber dennoch fünf Minuten langsamer als die Bahn. Dafür schießen die Kosten in die Höhe. Unter den bekannten Voraussetzungen zahlen PKW-Fahrer:innen 1.024,54 Euro für die Strecke.

Je weiter der Weg, desto unrentabler wird das Auto aus finanzieller, aber auch aus ökologischer Sicht. Doch der ÖPNV mit Bussen ist auf mittleren Strecken keine Option, weil er viel Zeit beansprucht und mehrfache Umstiege notwendig sind. Auch der Wechsel zwischen Verkehrsverbünden ist nicht zufriedenstellend geregelt. Die Bahn bietet dagegen eine gute Alternative. Davon profitiert aber nur, wer in einem zumutbaren Zeitraum einen Bahnhof erreichen kann.

Langstrecke: Greifswald–Schwerin, 170 Kilometer

Auf dieser Strecke bietet die Bahn sogar zwei Wege: entweder über Stralsund und Rostock für einen Monatspreis von 365 Euro, oder über Pasewalk für einen Monatspreis von 510,30 Euro. Eine einfache Fahrt über Rostock dauert 2 Stunden und 45 Minuten, über Pasewalk jedoch 4 Stunden und 39 Minuten.

Statt des ÖPNV auf der Straße nehmen wir auf dieser Strecke ein Privatunternehmen in den Vergleich. Jeweils ein Flixbus fährt morgens von Greifswald nach Schwerin und nachmittags von Schwerin nach Greifswald. Eine einfache Fahrt kostet zwischen 9,99 Euro und 13,99 Euro. Daraus ergeben sich monatliche Gesamtfahrtkosten von etwa 530 Euro. Die einfache Fahrtzeit beträgt 2 Stunden und 35 Minuten mit einem Zwischenhalt in Rostock.

Das Auto fährt den Öffis davon – sowohl bei der aufgewendeten Zeit als auch bei den Kosten. Ohne Stau in Tribsees dauert die Fahrt lediglich eine Stunde und 46 Minuten. Doch in einem Monat würde dieser hypothetische Arbeitsweg 2.174,48 Euro verschlingen.

Die Zukunft des ÖPNV in Meck-Vorp

Diese Streckenbetrachtungen sind Spielerei und doch ist die Situation rund um den ÖPNV ernst. Politisch gewünscht ist eine Vergrößerung des öffentlichen Angebots, das jene Menschen erreicht, die bisher selten oder nie mit Bus und Bahn fahren. Dafür müssen die verschiedenen Verkehrsmittel jedoch gut getaktet und aufeinander abgestimmt sein.

Besonders in den späten Abendstunden ist das Angebot des ÖPNV und Regionalverkehrs wenig attraktiv. Dies führt dazu, dass neben der Rückfahrt auch eine notwendige Hinfahrt nicht mit dem ÖPNV gemacht wird. Ein standardmäßiger Stundentakt im Schienenverkehr zwischen 5 und 22 Uhr und Taktbussysteme in den Landkreisen können das ganztägige ÖPNV-Angebot optimieren, wo es wirtschaftlich möglich ist. Auch flexible Rufbusangebote können die Mobilität in weiteren Landesteilen unterstützen, heißt es im Gutachten.

Zur Zukunftsvision des ÖPNV, die die Studie formuliert, gehört auch die Einführung eines Landestarifs, der über Verkehrsverbundsgrenzen hinaus gültig ist. Bisher wenden Verkehrsverbünde zumeist ihren Haustarif an. Es gibt kaum Übergangsregelungen zwischen den Landkreisen.

Das Ziel für den ÖPNV in Meck-Vorp ist ein planbares, verlässliches und differenziertes Mobilitätsangebot, das eine Schlüsselfunktion bei der Verkehrswende einnehmen kann. Die dafür benötigten Fahrgäste lassen sich nur gewinnen, wenn der ÖPNV tatsächlich ein attraktives, flächendeckendes Angebot sicherstellt.

ÖPNV mit Lücken

Doch gerade im Busverkehr gibt es teilweise erhebliche Lücken in den Fahrplänen. Vielerorts ist der ÖPNV unterentwickelt. Diese Einschätzung deckt sich mit einer Onlineumfrage von KATAPULT MV zur Mobilität im Land. Von 490 Teilnehmenden gaben 55 Prozent an, dass es ihnen nicht möglich sei, regelmäßig den ÖPNV zu nutzen. Diese Umfrage ist nicht repräsentativ, dennoch spiegelt sie die Wahrnehmung des ÖPNV im Land wider. An den Wochenenden fehlen Angebote teils komplett. Im überregionalen Verkehr mangelt es zusätzlich an attraktiven Verbindungen auf Strecken, wo der Schienenverkehr aufgrund fehlender Infrastruktur Lücken aufweist. Bürgerbusse und Carsharing als Alternativen zum ÖPNV sind kaum verbreitet.

Außerhalb der Städte sinkt das Angebot des ÖPNV drastisch. Schon im Landkreis Rostock gibt es Orte, die ausschließlich vom Schulbusverkehr angefahren werden. Aber auch alle anderen Landkreise haben blinde Flecken in der öffentlichen Anbindung. Die Befragten haben Dutzende Ortschaften genannt, die entweder nur Schulbusverkehr oder gar keine ÖPNV-Anbindung haben. Je kleiner die Orte, desto schwieriger gestaltet sich der ÖPNV.

Egal ob Jördenstorf oder Lieblingshof, Rieps oder Groß Molzahn, Banzkow oder Zarchlin, Waldsee oder Podewall, Guest oder Kölzin, Carlsthal oder Kavelsdorf: Es gibt keinen ÖPNV, weil es keine Fahrgäste gibt. Und weil es keine Fahrgäste gibt, gibt es keinen ÖPNV. Vom gewünschten Rückgrat der Mobilität ist der ÖPNV in der Fläche noch weit entfernt.

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Fußnoten

  1.  KCW (Hg.): ÖPNV-Zukunftsvision für Mecklenburg-Vorpommern, S. 6, auf: regierung-mv.de (Oktober 2021).
  2. Ebd, S. 19.
  3. Ebd, S. 63-68.
  4. Ostdeutsche Eisenbahn GmbH.
  5. Berechnungsgrundlage: 15 Cent pro Kilometer für Wertverlust, Reparaturkosten, Versicherung und Steuern.
  6. KCW (Hg.): ÖPNV-Zukunftsvision für Mecklenburg-Vorpommern, S. 7, auf: regierung-mv.de (Oktober 2021).
  7. Ebd.
  8.  Ebd., S. 54.
  9. Ebd., S. 23.
  10. Ebd., S. 103, 106.

Autor:innen

ist KATAPULT MVs Inselprofi und nicht nur deshalb gern am Wasser. Nutzt in seinen Texten generisches Femininum.

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