Tarifpolitik
Universitätsmedizin Greifswald: Mehr als 200 Beschäftigte im Warnstreik
Von Louise Blöß
Lesedauer: ca. 5 Minuten
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Mit der ersten Frühschicht begann heute an der Universitätsmedizin Greifswald der Warnstreik, zu dem die Gewerkschaft ver.di in der vergangenen Woche aufgerufen hatte. Ab 5:45 Uhr Uhr versammelten sich dazu Beschäftigte der Unimedizin auf dem Vorplatz des Krankenhauses, gleich neben der großen Mensa der Universität. Mit Trillerpfeifen, Flaggen und Ratschen machten die Streikenden auf sich aufmerksam. „Ihr seid richtig laut, das ist sehr gut!“, freute sich Streikleiter Friedrich Gottschewski, Sekretär von ver.di.
Keine Ergebnisse in der zweiten Tarifrunde
Hintergrund des Warnstreiks in Greifswald sind die Tarifverhandlungen zwischen den Gewerkschaften und der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL). Diese hatten auch in der zweiten Runde in der vergangenen Woche in Potsdam zu keinem Ergebnis geführt. Die Gewerkschaften fordern für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst der Länder fünf Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 150 Euro bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Die Ausbildungsvergütungen sollen um 100 Euro angehoben werden. Die Beschäftigten im Gesundheitswesen sollen, so die Forderung, monatlich sogar 300 Euro mehr erhalten. Zusätzlich möchten die Gewerkschaften unter anderem einen eigenen Verhandlungstisch für die Gesundheitsbeschäftigten und die Übernahme von Auszubildenden nach Ausbildungsende durchsetzen.
„Applaus reicht nicht“
Beim Streik in Greifswald sind diese Gewerkschaftsforderungen ebenfalls deutlich präsent. Vom Streikleiter animiert, verlangen die Teilnehmer:innen beim Streikzug durch die Stadt in Sprechchören beispielsweise „300 Euro mehr“. Applaus reiche eben nicht aus. Auch die Arbeitsbedingungen müssten anständig sein, was eine angemessene Bezahlung einschließe, erklärt Friedrich Gottschewski von ver.di. Das sehen die Streikenden ähnlich. „Es braucht eine vernünftige Bezahlung, zumindest aber eine, die an die Inflation angepasst ist“, betont Medizintechniker Sebastian, der ebenfalls zum Streik gekommen ist.
Wenig Spielraum für Gehaltssteigerungen
Die TdL steht den von den Gewerkschaften geforderten Gehaltssteigerungen kritisch gegenüber. Obwohl die Beschäftigten im Gesundheitswesen Wertschätzung verdient hätten, gebe es dafür wenig Spielraum, ließ der Vorstandsvorsitzende der TdL, der niedersächsische Finanzminister Reinhold Hilbers (SPD), verlauten. Grund dafür sei die angespannte Haushaltssituation der Länder, ausgelöst durch hohe Pandemiekosten und zu erwartende Steuermindereinnahmen. Der Pressesprecher des niedersächsischen Finanzministeriums teilte auf Nachfrage von KATAPULT MV zudem mit, dass für die Beschäftigten im Gesundheitswesen bereits bei der letzten Lohnrunde 2019 viel getan worden sei. Es gebe kaum einen anderen Bereich, in dem es so starke Steigerungen gegeben habe wie bei Pflege und Gesundheit.
Wertschätzung heißt auch mehr Personal
Doch die monetäre Wertschätzung ist nicht das Einzige, was den Streikenden in Greifswald wichtig ist. Wertschätzung könne man zum Beispiel auch mit einer besseren Personaldecke im Krankenhaus zeigen. „Es braucht neues Personal“, sagt dazu eine Streikteilnehmerin, die anonym bleiben möchte. Ob ein Personalmangel besteht oder nicht und wenn ja wo, darüber scheinen sich Gewerkschaften und TdL jedoch nicht einig zu sein. Laut ver.di sehe die TdL einen Mangel höchstens in Spezialbereichen, während sie selbst auch die Intensivmedizin für betroffen halte.
Nur reden reicht nicht
Bis mittags beteiligen sich am Warnstreik in Greifswald 230 Menschen. Der Streikzug zieht vom Vorplatz der Unimedizin über die Anklamer Straße zum Markt und, nach einer kleinen Kundgebung, wieder zurück. „Es ist ein befriedigendes Gefühl, beim Streik mitzulaufen“, finden einige. Man bleibe der Arbeit fern und zeige damit, dass man es ernst meine. Es sei schließlich schon genug geredet worden. Und nur durch reden wird sich nicht viel bewegen“, ist sich auch Medizintechniker Sebastian sicher. Deshalb Druck aufbauen durch den Streik oder, wie es Streikleiter Friedrich Gottschewski formuliert: „Was macht man, wenn ein Arbeitgeber partout nicht hören will? Streiken!“
Die nächste, dritte Verhandlungsrunde zwischen Gewerkschaften und TdL findet am 28. und 29. November in Potsdam statt. Mit den Streiks erhofft sich die Gewerkschaft ver.di, genug Druck für einen Tarifabschluss aufbauen zu können.
Notdienstvereinbarung erst gestern beschlossen
Die Arbeitgeberin, in diesem Fall die Universitätsmedizin Greifswald, die nach eigenen Angaben seit Oktober 2019 Mitglied der TdL ist, weist mit Blick auf den Streik ihrer Mitarbeiter:innen auf den verfassungsrechtlichen Schutz der Streikteilnahme hin. Sie einigte sich außerdem mit der Gewerkschaft ver.di gestern Nachmittag auf eine Notdienstvereinbarung. Diese regelt die Besetzung der Dienste im Krankenhaus während der Zeit des Streiks. Nachdem ver.di einen eigenen Entwurf dazu bereits am 29. Oktober vorgelegt hatte, sei eine Reaktion von Arbeitgeberseite erst am 4. November erfolgt, gab ver.di an. Die Verhandlungen selbst begannen dann am 6. November. „Wir sind in höchstem Maße unglücklich über die Situation des späten Termins erster Notdienstverhandlungen“, äußerte sich ver.di-Sekretär Gottschewski. Man habe sehr schnell verhandeln müssen. Solcherlei Absprachen bräuchten eigentlich mehr Zeit, so Gottschewski.
Wer streikt und wer nicht?
Als problematisch ordnete der Streikleiter zudem ein, dass an der Unimedizin im Vorfeld des Streiks auf verschiedenen Stationen Listen im Umlauf gewesen seien. Darauf hätten sich die Mitarbeiter:innen eintragen sollen, die am Streik teilnehmen. Das sei nicht rechtmäßig, so Gottschewski.
Gewerkschaft zieht positive Bilanz
Mit dem Warnstreik und der Teilnehmer:innenzahl zeigte sich ver.di heute Mittag dagegen zufrieden. Die Teilnahme sei wie erhofft ausgefallen. Man sei sehr zufrieden.
Nicht nur an der Universitätsmedizin in Greifswald wird heute gestreikt. Auch an der Universitätsklinik Schleswig-Holstein (UKSH) an den Standorten Kiel und Lübeck legen Beschäftigte noch bis zum Ende der Spätschicht ihre Arbeit nieder. Bis zum Mittag konnten zum Beispiel in Lübeck mehr als 270 Beteiligte registriert werden. Bei der Demonstration durch die Innenstadt seien es dann fast 300 Mitarbeiter:innen gewesen. Der Grund ist auch hier die ergebnislose zweite Tarifrunde.
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Redakteurin bei KATAPULT MV.