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Klimakrise in MV

„Uns rennt die Zeit davon“

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Lesedauer: ca. 7 Minuten

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KATAPULT MV: Frau Tanneberger, Moore haben eine Superkraft: Sie binden CO2 und sind ein wichtiges Instrument im Kampf gegen die Klimakrise. Ohne eine Wiedervernässung der Moore werden sich die Klimaziele kaum erreichen lassen. Seit November haben wir eine neue Landesregierung. Wie zufrieden sind Sie mit deren Moorschutzplänen?

Franziska Tanneberger: Erst mal muss man anerkennen, dass die Landesregierung das Land bis 2040 klimaneutral machen will. Das ist ein ambitioniertes Ziel, deutschlandweit zielen wir mit dem Klimaschutzgesetz bisher auf 2045. Was mir aber weitgehend fehlt, sind konkrete Schritte, wie wir da hinkommen. Was das betrifft, bin ich sehr unzufrieden.

Was läuft falsch?
Wir brauchen Strukturen im Land, die Klimaschutz als Aufgabe haben. Die gibt es noch fast gar nicht. Was die Moore betrifft, können das zum einen bestehende, gestärkte Einrichtungen wie Wasser- und Bodenverbände sein. Zum andere neue, wie eine halbstaatliche Moorklimaschutzagentur, deren Mitarbeiter überall im Land an der Wiedervernässung von Flächen arbeiten, vor Ort und ansprechbar. Einfach gesagt, wir brauchen Leute. Denn es geht ja nicht um ein paar Hektar hier und da. In Mecklenburg-Vorpommern sind 12 Prozent der Landesfläche Moorböden. Wir müssen all diese Flächen wiedervernässen. Also wirklich alle. Von einigen bebauten Moorflächen mal abgesehen.

Trockengelegte Moorböden sind für ein Drittel der Treibhausgasemissionen in MV verantwortlich.
Franziska Tanneberger, Leiterin des „Greifswald Moor Centrums“

Viele dieser Flächen sind aber im Privatbesitz von Landwirten und werden landwirtschaftlich genutzt.
Ja, das ist richtig, und das ja kann auch so bleiben. Trockengelegte Moorböden sind für ein Drittel der Treibhausgasemissionen in MV verantwortlich. Es führt also kein Weg an den Mooren vorbei. Aber wir wissen, dass hohe Wasserstände im Moor die Emissionen verhindern. Und dass man das Land dann dennoch landwirtschaftlich nutzen kann.

Wie meinen Sie das?
Wenn man trockengelegte Moore wiedervernässt, kann im Boden gebundener Kohlenstoff nicht mehr als CO2 entweichen, er bleibt gespeichert. Das ist eine vergleichsweise einfache Lösung und sehr wirkungsvoll. Hingegen können wir nicht so gut auf die wenige Industrie verzichten, die wir in MV haben, oder den Individualverkehr, der noch über viele Jahre für Emissionen sorgen wird. Wenn man hier auf dem Land lebt, braucht man einfach ein Auto und wird das auch noch in zehn Jahren brauchen. Ich denke, das grundlegende Problem ist, dass kaum jemand weiß, wie groß der Anteil der trockenen Moore an unseren CO2-Emissionen ist.

Kaum eine, einer der Bürgerinnen und Bürger?
Ja, aber auch kaum jemand in Politik und Verwaltung. Ich höre immer wieder, dass viele Menschen im Land sagen: „Na ja, bei uns gibt es ja kaum Industrie, außerdem haben wir viel Natur, wir haben also kein großes Problem mit klimaschädlichen Emissionen.“ Dass wir in MV aber höhere Treibhausgasemissionen haben als der Bundesdurchschnitt (Anm. d. Red.: Deutschland 2017: 10,1 Tonnen pro Einwohner, MV 2017: 11,8 Tonnen), weiß kaum jemand. Dass die Moore so einen immensen Anteil an den Emissionen haben, auch nicht.

Dass wir in MV höhere Treibhausgasemissionen haben als der Bundesdurchschnitt, weiß kaum jemand.
Franziska Tanneberger, Leiterin des „Greifswald Moor Centrums“

Was ist mit der Regierung, ist die Bedeutung der Moore da bekannt?
Ich glaube, so richtig bewusst ist es da auch nur wenigen. Und das Fatale ist ja, dass mit jedem Tag mehr CO2 in die Atmosphäre gelangt. Allein aus den entwässerten Mooren in MV im Schnitt 16.500 Tonnen pro Tag. Neuerdings haben wir ja ein Klimaschutzministerium. Für MV ist es grundsätzlich die richtige Entscheidung, dass der Klimaschutz jetzt dort angesiedelt ist, wo es um Landwirtschaft geht, um Wasser, um Böden (Anm. d. Red.: Bis 2021 war das Energieministerium für Klimaschutz verantwortlich). Aber ich sehe bisher nicht, dass es da mit der notwendigen Entschlossenheit losgeht. Und ehrlich gesagt benutze ich daher auch den Namen „Klimaschutzministerium“ noch gar nicht.

Der Minister ist Till Backhaus von der SPD, der auch bisher Umwelt- und Landwirtschaftsminister war.
Für jede und jeden wäre es nach 23 Jahren im Amt nicht leicht, vielleicht kaum möglich, Aufbruch und Neuanfang zu verkörpern. Das läuft auf der Bundesebene derzeit anders.

Wie läuft es auf der Bundesebene?
Man kann natürlich nach ein paar Monaten kein belastbares Urteil fällen und am Ende sollte die Politik anhand dessen bewertet werden, was wirklich im Bereich Klimaschutz, also genauer gesagt, für das Überleben unserer Zivilisation, erreicht wurde. Aber auf Bundesebene gibt es schnelle Umstrukturierungen, Personalentscheidungen, Neuausrichtungen. Egal ob im Bundesumweltministerium unter Steffi Lemke oder in Robert Habecks (Anm. d. Red.: beide Bündnis 90/Die Grünen) Klimaministerium: Klartext in den Regierungserklärungen. Aus MV habe ich dazu wenig vernommen, und unsere Landesregierung ist etwa zeitgleich mit der Bundesregierung gestartet. Da muss jetzt ganz schnell was passieren, denn Klimaschutz muss ja in der Fläche umgesetzt werden! Uns rennt einfach die Zeit davon.

Inwiefern?
Die Dimension der Aufgabe ist einfach gewaltig und ich glaube, das wurde in der Landesregierung noch längst nicht verstanden. Wenn wir 2040 klimaneutral sein wollen – und so steht es im Koalitionsvertrag –, dann sind das nicht mal mehr 20 Jahre! Seit 1991, also in den letzten 30 Jahren, sind die Emissionen in unserem Bundesland – übrigens gegen den Bundestrend – überhaupt nicht gesunken. Wir können es uns daher nicht leisten, auch nur einen einzigen Monat zu verlieren. Wir müssen sofort anfangen, wenn wir das schaffen wollen. Und ich würde sehr gerne wissen, wer mal vom Jahr 2040 zurückgerechnet hat, was bis zu welchem Jahr konkret erreicht sein muss.

Ich würde sehr gerne wissen, wer mal vom Jahr 2040 zurückgerechnet hat, was bis zu welchem Jahr konkret erreicht sein muss.
Franziska Tanneberger, Leiterin des „Greifswald Moor Centrums“

Womit sollte Minister Backhaus anfangen?
Ganz wichtig: Wir brauchen ein Landesklimaschutzgesetz. Das hat übrigens auch der Zukunftsrat MV im vergangenen Jahr bereits mit hoher Dringlichkeit gefordert. Überhaupt hat der MV-Zukunftsrat der Landesregierung eine ganze Reihe weiterer konkreter Vorschläge zum Klimaschutz gemacht, von denen leider sehr viele nicht in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurden.

Was braucht es noch, neben dem Klimaschutzgesetz?
Das A und O ist doch, dass wir wissen, wo unsere Treibhausgasemissionen herkommen. Da müssen dringend die Karten auf den Tisch, wir brauchen Daten, so genau wie möglich. Eine solide Zahlengrundlage über die Treibhausgasemissionen, am besten auf lokaler Ebene, für jeden Landkreis, für jede Gemeinde.

Warum?
Um gut entscheiden zu können, in welche Bereiche wir in der knappen Zeit unsere Kräfte zur Verringerung der Emissionen stecken. Was macht am meisten Sinn? Müssen wir uns in unserer Gemeinde besonders um Moore oder um Emissionen aus der Industrie kümmern? Um die energieeffiziente Sanierung von Gebäuden? Dazu braucht es doch Zahlen, wenigstens Größenordnungen. Viele Menschen möchten sich für Klimaschutz einsetzen. Und jeder Mensch möchte doch das Richtige tun, an der richtigen Stelle ansetzen. Und wir müssen bei den großen Klimaschutz-Baustellen endlich aus der „Projektphase“ herauskommen.

Wie meinen Sie das?
Wir im Greifswald Moor Centrum erforschen Paludikultur, also die (land-)wirtschaftliche Nutzung von Mooren. Wir haben in den letzten Jahren auch eine ganze Reihe an Pilotprojekten umgesetzt, auch kleine Flächen wiedervernässt und uns damit an der Grenze von angewandter Forschung bewegt. Jetzt gibt es diese Pilotprojekte – aber die Umsetzung von Klimaschutz und Entwicklung von neuen Wertschöpfungsmodellen muss auf der gesamten Moorfläche erfolgen, das können wir nicht mit Projekten erledigen. Und als wissenschaftliche Institution auch nicht leisten, das muss auf viel mehr Schultern verteilt werden. Die Entwässerung der Moore wurde damals staatlich organisiert und umgesetzt. Das muss mit der Wiedervernässung genauso geschehen. Sonst wird es nicht funktionieren. Und gerade in Vorpommern hat das eine ähnliche Dimension wie der Kohleausstieg.

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Fußnoten

  1. Hirschelmann, Sophie u. a.: Moore in Mecklenburg-Vorpommern im Kontext nationaler und internationaler Klimaschutzziele – Zustand und Entwicklungspotenzial, S. 20, auf: greifswaldmoor.de (Juni 2020).
  2. Statista Research Department (Hg.): Pro-Kopf-Treibhausgasemissionen in Deutschland in den Jahren 1990 bis 2018, auf: de.statista.com (21.1.2022); Landtag MV (Hg.): Kleine Anfrage Mignon Schwenke/Die Linke und Antwort der Landesregierung: Entwicklung der Treibhausgasemissionen in Mecklenburg-Vorpommern, S. 2, auf: polit-x.de (13.11.2020).
  3. Landtag MV (Hg.): Kleine Anfrage Mignon Schwenke/Die Linke und Antwort der Landesregierung: Entwicklung der Treibhausgasemissionen in Mecklenburg-Vorpommern, S. 2, auf: polit-x.de (13.11.2020).
  4. MV Zukunftsrat (Hg): Abschlussbericht des Zukunftsrats, auf: regierung-mv.de (März 2021).

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