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Nordkreuz“ nannte sich ab Anfang 2016 ein loser Zusammenschluss von etwa 40 Personen aus dem Umfeld von Polizei und Bundeswehr. Die Mitglieder bereiteten sich überwiegend in mecklenburgischen Dörfern und Kleinstädten in ihrer Freizeit auf den Zusammenbruch des Staates am sogenannten „Tag X“ vor. Bei dieser Gelegenheit – so lassen es sichergestellte Chats vermuten – beabsichtigten sie, als Gegner identifizierte Personen aus dem linken politischen Spektrum gezielt zu töten. Bei der Auswertung beschlagnahmter Daten fanden Ermittler nach Angaben der Bundesregierung eine sogenannte „Feindesliste“ mit rund 25.000 Namen.
Die Gruppe wurde von Marko G. aus Banzkow (Landkreis Ludwigslust-Parchim) gegründet und geleitet. Der ehemalige Soldat, der ab 1999 der Landespolizei angehörte und dort langjährig beim Spezialeinsatzkommando tätig war, administrierte auch die Gruppenchats. Schon bei der Bundeswehr soll der frühere Fernspäher und Fallschirmjäger mit rechtem Gedankengut auffällig geworden sein.
Das Netzwerk war den Behörden spätestens Mitte 2017 durch die Aussage eines Kronzeugen bekannt geworden. Der ehrenamtliche Soldat Horst S., ehemaliger Landesvize des Reservistenverbandes aus Krakow am See (Landkreis Rostock), war im Juni 2017 vom Bundesamt für Verfassungsschutz und dem Militärischen Abschirmdienst zu Buchbestellungen beim „Thule-Seminar“ befragt worden. Daraufhin soll sich der Major der Reserve dem Bundeskriminalamt als Informant angeboten und umfangreiche Angaben zur Nordkreuz-Gruppe gemacht haben. Dabei stellte sich heraus, dass die Nordkreuzler Teil eines bundesweit agierenden Netzwerks mutmaßlich rechtsextremer Soldaten und Angehörigen von Spezialeinheiten waren. Dem „Hannibal-Netzwerk“ – benannt nach dem Administrator „Hannibal“ – gehörten neben „Nordkreuz“ auch die Chatgruppen „Ostkreuz“, „Südkreuz“ und „Westkreuz“ an, außerdem Gruppen für Österreich und die Schweiz.
Löschkalk und Leichensäcke
Am 28. August 2017 fanden in Mecklenburg-Vorpommern erste Durchsuchungen bei sechs Personen statt, darunter auch Marco G. Die Ermittler stellten in großem Umfang Waffen und Munition sicher. Auf dem Grundstück von G. wurde neben Waffen, Waffenbestandteilen und rund 24.000 Schuss Munition auch eine Bestellliste für 200 Leichensäcke und Löschkalk entdeckt. Der Generalbundesanwalt ermittelt seither gegen den Rostocker Rechtsanwalt und Reservisten Jan Hendrik H. und den Kriminaloberkommissar Haik J. aus Grabow (Landkreis Rostock). Es besteht der Verdacht der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Beide Beschuldigte sind bis heute auf freiem Fuß.
Marko G. ließ sich von der Razzia nicht beirren. Statt kürzerzutreten, rüstete der Polizist wieder auf. Und zwar legal. Die Bundespolizisten hatten ihm zwar seine Waffen abgenommen, der Landkreis Ludwigslust-Parchim entzog dem Nordkreuz-Anführer die zugehörigen Waffenbesitzkarten jedoch erst im September 2019. Zwei Jahre nach der ersten Durchsuchung. Bei einer erneuten Razzia im Juni 2019 entdeckten die Ermittler unter anderem 31.000 Schuss Munition und eine Maschinenpistole.
Das Landgericht Schwerin verurteilte den Beamten im Dezember 2019 wegen illegalen Waffen- und Munitionsbesitzes zu 21 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung. Waffen darf er bis auf Weiteres nicht mehr besitzen. Aus dem Staatsdienst ist der ehemalige Elitepolizist infolge der rechtskräftigen Verurteilung mittlerweile ausgeschieden. Sollte G. erneut straffällig werden, droht ihm Gefängnis.
Verbindungen zur AfD
Keine Berührungsängste zu „Nordkreuz“ hat anscheinend die AfD. Ihr Landesverband berief Haik J. Ende 2017 in eine parteiinterne Arbeitsgruppe zum Thema Innere Sicherheit. Die Vorwürfe gegen den Kriminalbeamten waren da schon öffentlich bekannt. Im Januar 2018 wählte ihn die Partei sogar zum stellvertretenden Vorsitzenden ihres Fachausschusses 5, „Innere Sicherheit, Justiz und Datenschutz“.
Darüber hinaus arbeitete J. für den damaligen Landtagsabgeordneten Holger Arppe. Der ehemalige Landessprecher war 2018 aus der Partei ausgeschlossen worden, nachdem bekannt wurde, dass der Politiker in Chats mit Parteikollegen unter anderem über die Hinrichtung politischer Gegner fantasiert hatte. Kontakt bestand auch zwischen Arppe und Jan Hendrik H. Über diesen hatte der AfD-Abgeordnete geschrieben: „Typ würde perfekt in unsere Reihen passen. Er hasst die Linken, hat einen gut gefüllten Waffenschrank in der Garage und lebt unter dem Motto: Wenn die Linken irgendwann völlig verrückt spielen, bin ich vorbereitet.“ Das NDR-Magazin Panorama hatte 2017 berichtet, dass auch Nordkreuz-Gründer Marko G. seinerzeit Mitglied der AfD gewesen sei.
Waffenrechtliche Verfahren
Warum die Waffenbehörde im Fall Marko G. nicht früher tätig wurde, bleibt schleierhaft. Fakt ist: Meck-Vorps Behörden ließen sich auffällig viel Zeit, um die mutmaßlichen Rechtsextremisten zu entwaffnen. Erst ab August 2020 hatten die Sicherheitsbehörden den Landkreisen und kreisfreien Städten zielgerichtet Informationen zu jenen Personen übermittelt, die in den Nordkreuz-Chats aktiv waren. Die dort angesiedelten Waffenbehörden sind für die Erteilung von Waffenbesitzkarten zuständig. Die Waffenbehörden leiteten daraufhin Verfahren zur Überprüfung der Zuverlässigkeit der Nordkreuz-Chatter ein.
Wer zum Beispiel wegen schwerer Straftaten verurteilt wurde oder einer extremistischen Gruppierung angehört, darf in Deutschland insbesondere keine Schusswaffen besitzen. Erlangen die Behörden die entsprechenden Erkenntnisse erst nach Erteilung einer Waffenbesitzkarte, sind sie verpflichtet, die Erlaubnis zu widerrufen und die Waffen einzuziehen.
„Wir wissen von insgesamt zehn Fällen in drei Landkreisen, bei denen im Zusammenhang mit der Gruppe Nordkreuz entsprechende Verfahren durchgeführt wurden, die zum Teil auch gerichtsanhängig geworden sind. Abschließende gerichtliche Entscheidungen dazu liegen unseres Wissens bislang nicht vor“, berichtet Renate Gundlach, Sprecherin des Innenministeriums. Nach Recherchen von KATAPULT MV führen Meck-Vorps Behörden gegen mindestens 17 Personen Verfahren, die auf den Entzug von waffenrechtlichen Erlaubnissen nebst zugehöriger Schusswaffen gerichtet sind. Die allermeisten davon sind noch nicht rechtskräftig abgeschlossen.
Zurück an die Waffen?
Einigen Nordkreuzlern scheint sehr daran gelegen zu sein, so bald wie möglich wieder mit scharfen Waffen hantieren zu können. Am Verwaltungsgericht Schwerin werden im Augenblick drei Eilverfahren von ihnen bearbeitet. In einem dieser Fälle hatte die Waffenbehörde dem Antragsteller sogar den Besitz von erlaubnisfreien Waffen untersagt – das sind zum Beispiel freiverkäufliche Luftpistolen oder Reizstoffsprühgeräte. Die Nordkreuzler wollen erreichen, dass das Gericht die Verbotsbescheide vorübergehend aussetzt, bis über ihre parallel erhobenen Klagen entschieden worden ist. Dies dauert in der Regel mehrere Jahre. Die Antragsteller machen geltend, dass die behördlichen Maßnahmen rechtswidrig seien. Neben den Eilverfahren seien elf Klageverfahren anhängig, so Gerichtssprecherin Stefanie Wendt.
Die Klagen betreffen den Widerruf von mindestens 26 Waffenbesitzkarten mit 179 eingetragenen Waffen, zwei kleinen Waffenscheinen, einer Erlaubnis zum Umgang mit Sprengstoff sowie die Sicherstellung der zugehörigen Waffen. Die zwölf Nordkreuzler stammen aus Schwerin, Rostock, Hagenow-Land, Goldberg-Mildenitz, Güstrow, Carbäk und Laage. Wann das Verwaltungsgericht die Klagen verhandeln wird, ist nicht absehbar. Auf eine Entscheidung wartet man an den Verwaltungsgerichten für gewöhnlich mehrere Jahre.
„Baltic Shooters“
Mit strafrechtlichen Ermittlungen sah sich auch ein weiterer Nordkreuzler konfrontiert. Schießplatzbetreiber Frank T. aus Güstrow gehörte der Gruppe bis 2017 an. Gemeinsam mit dem Landeskriminalamt veranstaltete der Unternehmer auf seinem Gelände bis 2018 den „Special Forces Workshop“, eine Art Leistungsschau für Spezialkräfte aus dem In- und Ausland mit Wettbewerben und Waffenmesse. Auf seinem Internetauftritt distanziert sich der Waffenhändler heute vom politischen Extremismus.
Das Innenministerium hatte den Vertrag mit seinem Unternehmen „Baltic Shooters“ im Mai 2019 gekündigt, nachdem dessen Verbindungen zu Nordkreuz publik geworden waren. Der Schießtrainer soll sich mehrfach von seinen Kunden aus Sicherheitskreisen in Naturalien vergüten lassen haben – mit Munition aus Behördenbeständen. Den damaligen Innenminister, Lorenz Caffier (CDU), kostete die Nähe zu Frank T. den Job. Anfang 2018 schenkte der Schießtrainer dem passionierten Jäger eine Pistole. Nachdem der Vorfall Ende 2020 öffentlich publik wurde, legte der Minister sein Amt nieder.
Die Staatsanwaltschaft Rostock führte gegen Frank T. insgesamt sieben Ermittlungsverfahren. „Die Verfahren sind mittlerweile alle eingestellt oder an die Ordnungsbehörden abgeben worden“, berichtet Oberstaatsanwalt Harald Nowack. In zwei Fällen stellten die Staatsanwälte demnach Ordnungswidrigkeiten fest. Ein Tatvorwurf sei verjährt gewesen. In einem weiteren Fall sei die Einstellung gegen Zahlung einer Geldauflage erfolgt. In den übrigen Fällen hätten sich die Vorwürfe nicht belegen lassen.
Insgesamt ermittelten die Strafverfolger im Zusammenhang mit Nordkreuz gegen zehn Beschuldigte unter anderem wegen Betrugs, Unterschlagung und Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz. Drei dieser Personen stehen beziehungsweise standen im öffentlichen Dienst, zwei davon bei der Polizei. Während Marko G. infolge der rechtskräftigen Verurteilung entlassen wurde, befindet sich Haik J. nach wie vor im Staatsdienst. Die Bundesregierung ging im Juni 2021 von einem Fortbestand der Gruppe aus. Nach Erkenntnissen der Behörden verfügten mehrere Mitglieder zum damaligen Zeitpunkt immer noch über einen legalen Zugang zu Schusswaffen. Ein Verbot der Vereinigung nach dem Vereinsrecht ist bis heute nicht erfolgt.
Landtag untersucht Nordkreuz-Aktivitäten
Das Thema „Nordkreuz“ wird die Landespolitik noch länger beschäftigen. Der Landtag hat am 16. Dezember einen erneuten NSU-Untersuchungsausschuss eingesetzt. Dieser soll nicht nur die Arbeit des Untersuchungsausschusses der vergangenen Legislaturperiode fortführen, sondern zugleich „das Entstehen sowie Bestehen weiterer militant rechter beziehungsweise rechtsterroristischer Zusammenschlüsse“ aufklären. Der Einsetzungsantrag von Linken, SPD, Grünen und FDP nennt namentlich die Verbindungen des Nordkreuz-Netzwerks in die Sicherheitsbehörden des Landes.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe 4 von KATAPULT MV.