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Wohnen statt fliegen?

Warum Wismar für 500.000 Euro einen Flugplatz kaufen möchte

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Lesedauer: ca. 7 Minuten

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Der Verkehrslandeplatz im Wismarer Ortsteil Müggenburg verfügt über eine 610 Meter lange Graslandebahn. Große Jets können dort nicht landen. „Er wird vor allem von Freizeitfliegern genutzt“, berichtet der Wismarer Hobbypilot Tino Schwarzrock. Möchten die Wismarer:innen in den Urlaub fliegen, müssen sie zu den Flughäfen nach Lübeck, Rostock oder Hamburg. Nichtsdestotrotz hängt die Hansestadt an ihrem kleinen Verkehrslandeplatz. Die Liebe ist so groß, dass die Bürgerschaft bald über seinen Erwerb abstimmen soll.

Bisher gehört das Areal nämlich zwei Eigentümerinnen: Die bebauten Flächen im Müggenburger Weg mit Hangars, Flugzeugtankstelle, Flugschule und Tower gehören der Stadt. Start- und Landebahn hingegen gehören der Bodenverwertungs- und Verwaltungs GmbH (BVVG). Das Unternehmen ist eine Nachfolgeeinrichtung der Treuhandanstalt und vermarktet mit staatlichem Auftrag ehemals volkseigene land- und forstwirtschaftliche Flächen. Seit 2010 sucht die BVVG einen Käufer für ihre Teilflächen des Flugplatzes.

Pachtvertrag für 99 Jahre

Gepachtet hat den gesamten Flugplatz die Flughafenbetriebsgesellschaft. Der Pachtvertrag zwischen ihr und der BVVG wird bislang jährlich verlängert. Aktuell läuft er bis Ende September. Ein Erwerb der BVVG-Flächen durch das Unternehmen kam aus wirtschaftlichen Gründen bislang nicht zustande.

Mit der Kommune hat die Flughafenbetriebsgesellschaft direkt nach der Wende einen langfristigen Erbbaupachtvertrag abgeschlossen – der läuft bis zum Jahr 2089. Eine Gefahr, dass der Flugplatz mangels Nutzungsmöglichkeit seiner lebenswichtigen Infrastruktur geschlossen werden müsste, besteht kurzfristig also nicht.

Stadt möchte 500.000 Euro investieren

Jetzt möchte die Stadt die rund 17 Hektar Land erwerben. „Um den Flugplatz weiterhin als Verkehrsflugplatz der Stadt Wismar nutzen zu können, ist die Stadtverwaltung am Kauf der Flächen interessiert“, schildert eine Sprecherin der BVVG. Dies habe die Stadt dem Unternehmen mitgeteilt.

Seit dem 7. Dezember 2021 liege der Verwaltung ein Vertragsangebot vor: 460.000 Euro sind der Kommune die Flächen wert. Hinzu kommen die üblichen Nebenkosten. Insgesamt hat die Stadt für das Geschäft in ihrem Haushalt eine halbe Million Euro veranschlagt.

Stadt wird Flugplatz nicht betreiben

Im Flächennutzungsplan sind knapp sieben Hektar als Luftverkehrsflächen und elf Hektar als Forstflächen ausgewiesen. Gegenüber der Bürgerschaft betonte die Verwaltung die Bedeutung des Flugplatzes. „In der Vergangenheit war das Vorhandensein eines Landeplatzes auch ein Kriterium zur Ansiedlung von Gewerbe-/Industrieunternehmen“, heißt es in einem nichtöffentlichen Dokument, das KATAPULT MV vorliegt.

Doch Flächennutzungspläne können geändert werden. Eine Akteneinsicht der Linksfraktion förderte Planspiele des Rathauses zutage, die auf eine drohende Schließung des Flugplatzes hindeuten. Auf dem Areal könnte stattdessen ein Wohngebiet ausgewiesen werden. Wo heute Flugzeuge starten und landen, könnten in ein paar Jahren Einfamilienhäuser stehen. Von der Verwertung der Flächen erwarte sich die Stadt demnach einen Gewinn in Millionenhöhe.

Bausenator Michael Berkhahn (CDU) schloss Mitte Februar gegenüber der Ostsee-Zeitung aus, dass die Stadt den Flugplatz selbst betreiben werde. Der Flächenkauf würde das Aus für den Verkehrslandeplatz bedeuten.

Gespräche im Geheimen

Tino Schwarzrock hätte sich eine breite öffentliche Debatte über die Zukunft des Flugplatzes gewünscht. Stattdessen wurden die Pläne durch einen Bericht der Ostsee-Zeitung bekannt. Mutmaßlich ein Mitglied der Linksfraktion hatte die Lokalzeitung mit Informationen versorgt.

Im Februar probierte der Freizeitpilot, das Rathaus im Rahmen der obligatorischen Einwohnerfragestunde zu einer Offenlegung der Pläne zu bewegen. Vergebens. Die Stadtverwaltung verweigerte die Beantwortung seiner Fragen aus formalen Gründen.

Daraufhin machte sich die Linksfraktion kurzerhand Schwarzrocks Fragen zu eigen. Das Rathaus sah sich nun gezwungen, Antworten zu liefern. Dies geschah schriftlich und unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Ausführungen der Stadtverwaltung liegen unserer Redaktion vor.

Ein klares Bekenntnis zur Zukunft des Flugplatzes enthalten sie nicht. Dagegen räumt die Verwaltung ein, dass eine Umnutzung des Verkehrslandeplatzes denkbar sei. Genauere Prüfungen seien „dann zu gegebener Zeit zwingend erforderlich, um eine städtebauliche Entwicklung beziehungsweise die Möglichkeit der Verwertung beurteilen zu können.“

Im März konfrontierte Schwarzrock die Verwaltung mit einem neu gefassten Fragenkatalog. Wieder verweigerte ihm die Stadtspitze die Erörterung des Themas in der Bürgerschaft. Doch Bürgermeister Thomas Beyer (SPD) lud Schwarzrock, bis 2019 selbst für die Grünen in der Bürgerschaft, zu einem persönlichen Gespräch ins Rathaus ein. Das Treffen fand am 11. April statt.

Bürgerschaft entscheidet über Umnutzung

Schwarzrock berichtete danach unserer Redaktion, Beyer habe ihm gegenüber offen eingeräumt, den Flugplatz auf lange Sicht nicht weiterbetreiben zu wollen. „Er hat gesagt, wenn sie wüsste, dass auf der Fläche langfristig ein Verkehrslandeplatz betrieben werden müsse, würde die Stadt Wismar sie nicht kaufen“, so Schwarzrock. Stattdessen wolle die Stadt die Flächen nutzen, um einen behaupteten Bedarf an Bauland zu decken.

„Die inhaltlichen Aussagen sind zu verkürzt, unvollständig und teilweise unrichtig wiedergegeben“, kommentiert Stadtsprecher Marco Trunk. Der Bürgermeister habe in dem Gespräch darüber informiert, dass solche Flächenankäufe der Bevorratung dienten. Im konkreten Fall seien die Flächen zuerst der Stadt durch die BVVG zum Kauf angeboten worden. Die Bürgerschaft entscheide über einen Flächenankauf. Erst danach werde sie entscheiden, was mit den Flächen geschehen soll.

„Dies bedeutet nicht, dass der Flugplatzbetrieb sofort eingestellt wird“, so Trunk. Auch würden bei einem Erwerb der Flächen die bestehenden Pachtverhältnisse übernommen. „Der Bürgermeister hat erläutert, dass der Flächenankauf Müggenburg nicht erfolgt, um dauerhaft den Verkehrslandeplatz zu sichern“, erklärt Trunk. Dafür wäre ein Ankauf nicht sinnvoll. Insofern bestehe an einem dauerhaften Betrieb des Verkehrslandeplatzes seitens der Stadt kein Interesse.

Will Wismar Flugplatzbetreiber verdrängen?

Sollte der Kauf wie geplant abgewickelt werden, würde die Stadt zunächst in den Pachtvertrag mit der Flugplatzgesellschaft eintreten. Im Herbst, wenn der Vertrag ausläuft, müsste die Hansestadt dem Unternehmen einen neuen Vertrag anbieten, heißt es. „Die Betreibergesellschaft hat uns signalisiert, den in Wismar für Unternehmen üblichen Pachtzins nicht zahlen zu können“, berichtet Britta Fust von der Linksfraktion. Ohne die Piste könnte der restliche Flugplatz nicht sinnvoll betrieben werden.

Fust glaubt, die Stadtverwaltung spekuliere darauf, dass die Betreibergesellschaft den Betrieb dann einstellen und ihren Pachtvertrag mit der Stadt aufkündigen werde. Dann könnte der Flugplatz durch Änderung des Bebauungsplans in ein Wohngebiet umgewidmet werden.

Linke haben Gesprächsbedarf

Auf die Verwaltung kämen im Falle einer Umnutzung Folgekosten zu. Laut der BVVG enthält das Vertragsangebot für diesen Fall eine Klausel, nach der erzielte Mehrerlöse an die Gemeinde abgeführt werden müssten. In der Beschlussvorlage des Rathauses findet diese hingegen keine Erwähnung.

Von einer beabsichtigten Schließung des Flugplatzes oder einer Umnutzung und Verwertung der Flächen als Wohngebiet ist dort ebenfalls keine Rede. Geschweige denn von der Höhe der Kosten, die der Stadt entstünden, sollte die Klausel greifen. Die Linken haben deshalb Gesprächsbedarf.

Einnahmen müssten abgeführt werden

Fust kündigte an, dass sich ihre Fraktion vor der Abstimmung den Kaufvertrag vorlegen lassen wolle. „Der Bürgermeister muss jetzt gegenüber der Bürgerschaft die Karten offen auf den Tisch legen und dies auch der BVVG so mitteilen“, fordert die Kommunalpolitikerin.

„Für den Fall, dass die Hansestadt Wismar die in Rede stehenden Grundstücke in den nächsten zehn Jahren unter bestimmten Voraussetzungen weiterveräußert, müsste die Stadt als Erwerberin hinnehmen, dass der Verkäufer für die Dauer der Mehrerlösklausel den mit einem Weiterverkauf verbundenen Gewinn abschöpfen kann“, erklärt Stadtsprecher Marco Trunk. Dies sei eine übliche Vertragsregelung, die auch die Hansestadt in ihren Grundstückskaufverträgen praktiziere. „Es wäre also ein Nullsummenspiel, denn es würden nur die höheren Einnahmen abgeführt.“

Wann die Bürgerschaft über den Kauf abstimmen wird, ist noch unklar. Die Vorlage soll zunächst im Verwaltungsausschuss am 2. Mai beraten werden – wie in Wismar üblich unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Verkehrslandeplätze in MV gibt es in Wismar, Neustadt-Glewe, Rechtlin-Lärz, Tutow, Anklam und Bergen auf Rügen.

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Fußnoten

  1. Auskunft der BVVG vom 22.4.2022.
  2. Ebd.
  3. Hoffmann, Heiko: Wismar will aus Flugplatz ein Wohngebiet machen, auf: ostsee-zeitung.de (18.2.2022).
  4. Bürgerschaft der Hansestadt Wismar: Vorlage BA/2022/4248-01, Beantwortung der Anfrage der Fraktion DIE LINKE zur Grundstücksangelegenheit „Flugplatz Müggenburg“ im Rahmen der Bürgerschaftssitzung am 24.02.2022.
  5. Hoffmann, Heiko: Wismar will aus Flugplatz ein Wohngebiet machen, auf: ostsee-zeitung.de (18.2.2022).
  6. Ebd.
  7. Bürgerschaft der Hansestadt Wismar, Vorlage BA/2022/4248-01, Beantwortung der Anfrage der Fraktion DIE LINKE zur Grundstücksangelegenheit „Flugplatz Müggenburg“ im Rahmen der Bürgerschaftssitzung am 24.02.2022.
  8. Ebd.
  9. Auskunft der BVVG vom 22.4.2022.
  10. Bürgerschaft der Hansestadt Wismar, Vorlage VO/2022/4247.

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