Zum Inhalt springen

Zivilgesellschaft in Polen

„Noch haben wir eine Stimme!“

Von

Lesedauer: ca. 8 Minuten

Magda Nowak, Künstlerin und Aktivistin aus Polen, sitzt an einem Tisch und schnitzt. Ihr Gesicht sieht man nicht. Zitat: "Die polnische Regierung versucht die gesamte Zivilgesellschaft zu zerstören. Das macht mir große Angst."

Artikel teilen

KATAPULT MV: In welchen Organisationen sind Sie aktiv?
Magda Nowak: Seit 2017 kämpfe ich mit Strajk Kobiet („Frauenstreik“) gegen das Abtreibungsverbot und mit Lambda, einer Stettiner Organisation, für die Rechte von LGBTQ*-Personen. Außerdem bin ich bei MSK aktiv, einer Klimaschutzorganisation, die in Polen – ähnlich wie Fridays for Future in Deutschland – gegen die Klimakrise kämpft.

Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?
Gerade mit Strajk Kobiet erst mal sehr positive. Das ist eine Bewegung, die in ganz Polen mit breiter Unterstützung – auch vieler Männer – für das Selbstbestimmungsrecht der Frauen und gegen das Abtreibungsverbot der polnischen Regierung kämpft. Für viele Menschen ist diese Bewegung das Gesicht des Protestes gegen die Bestrebungen der PiS-Regierung, die seit 2015 versucht, den polnischen Rechtsstaat abzuschaffen. Die Demonstrationen, gerade die großen in Warschau, haben mir viel Mut und Hoffnung gegeben. Ich bin Künstlerin und entwerfe und drucke Poster und Plakate. Damit habe ich auch eine persönliche Nische gefunden, in der ich meinen Protest ausdrücken kann. Mittlerweile ist mein Optimismus aber getrübt. Die polnische Regierung versucht, unsere Bewegung, die gesamte Zivilgesellschaft zu zerstören. Das macht mir große Angst.

Wie geht die Regierung gegen die Zivilgesellschaft vor?
Zum Beispiel durch die Praxis, Oppositionelle, aber auch Vereine und Initiativen mit Klagen zu überziehen, sodass diese einerseits keine staatlichen Gelder mehr bekommen können und andererseits dadurch Aktive so eingeschüchtert werden, dass sie aufgeben. Ich selber wurde vor zwei Jahren in Stettin nach einer Demo von Strajk Kobiet kontrolliert und die Polizisten haben meine Kontaktdaten aufgeschrieben. Noch am selben Abend standen zwei Beamte vor der Tür. Ich war gerade nicht da. Meine Mutter behauptete, dass ich nicht mehr dort wohne. Die Maßnahme der Polizei war sicher nicht rechtmäßig und diente nur dem Zweck, zu zeigen, „wir haben dich im Blick, wir wissen, wo du wohnst“. Und das in Stettin.

Wie meinen Sie das?
Stettin feiert sich gerne als weltoffene, bunte Stadt. Da ist auch etwas Wahres dran, der polnische Norden ist viel liberaler als der Süden. Man muss sich einmal vorstellen: Im Süden haben sich vor drei Jahren viele Gemeinden zu LGBTQ*-freien Zonen erklärt, insgesamt ein Drittel aller Gemeinden in Polen. Dort wurde der soziale Ausschluss, der Hass gegen queere Menschen, quasi von offizieller Seite geduldet und gefördert. (Anm. d. Red.: Die Drohung der EU-Kommission, diese Regionen nicht an Corona-Aufbauhilfen zu beteiligen, führte 2021 dazu, dass dieser Status wieder aufgehoben wurde.) Aber auch bei uns in Stettin gibt es viele nationalkonservative, rechtsextreme, frauenfeindlich eingestellte Menschen. Ein sehr einschneidendes Erlebnis war für mich, als auf der Demo zum polnischen Nationalfeiertag in Warschau Molotowcocktails auf Häuser flogen, an denen Regenbogenflaggen hingen.

Aber die Werfenden waren keine Staatsbeamten, sondern Rechtsextreme, oder?
Ja. Aber die PiS-Regierung ist von ihrer Ideologie her ebenso extrem wie diese Demonstranten. Sie wirft die Cocktails nicht selber, sie lässt sie werfen. Sie ist frauenfeindlich, hat ein reaktionäres Familien- und Frauenbild und ist nationalistisch. Fast alle Gesetze, die die Regierung erlässt, gehen in diese Richtung.

Haben Sie ein Beispiel?
Seit 2020 ist Przemysław Czarnek Bildungsminister. Er sagt, dass Frauen dazu bestimmt sind, viele Kinder zu bekommen und für die Familie da zu sein. Sie sollen keine Karriere verfolgen oder arbeiten. Er hasst die LGBTQ*-Bewegung. Für ihn sind queere Menschen keine richtigen Menschen, für sie gelten seiner Meinung nach keine Menschenrechte. Er hat die Lehrpläne umgestaltet, sodass Lehrer:innen nun bestimmte Inhalte nicht mehr vertreten dürfen. Sexualkundeunterricht ist verboten, wer das unterrichtet, macht sich strafbar. Lehrer:innen sind deshalb aus dem Schuldienst geflogen, so wie überhaupt alle möglichen Stellen nach dem Willen der Regierung umbesetzt worden sind. Dramatisch ist auch, dass die Regierung ein Gesetz erlassen hat, womit es ihr möglich ist, Richter:innen überall und auf allen Ebenen abzuberufen und auszutauschen. Die Justiz ist nicht mehr unabhängig. Zusätzlich schürt die Regierung Hass in der Bevölkerung.

Wie das?
In Polen sind alle großen Zeitungen und auch die bekannten TV-Sender staatlich und stehen anders als in Deutschland unter inhaltlicher Kontrolle der Regierung. Die Medien sind also Propagandainstrumente und da wird gegen LGBTQ*-Leute, Abtreibungsbefürworter:innen und insgesamt gegen Oppositionelle gehetzt. Das wirkt auch: Ich bin zum Beispiel einmal in der Straßenbahn angegriffen worden, als ich einen Anstecker von Strajk Kobiet getragen habe. Ein Mann hat mir den Anstecker abgerissen und mich beschimpft: „Du Hure, du weißt nicht, was du tust!“

Denken viele Menschen so?
Es ist schwierig. Das Land ist tief gespalten, es gibt keine richtige Mitte. Nur wenige Menschen gehen zur Wahl, bei den Präsidentschaftswahlen vor zwei Jahren waren es noch nicht mal 50 Prozent. Und das ist schon ein guter Wert für Polen. Viele Menschen interessieren sich kaum für Politik, und das nationalkonservative und das linke Lager stehen sich unversöhnlich gegenüber. Die Rechten sind gefährlicher, sie sind an der Macht und nehmen uns unsere Rechte weg. Aber in dieser Auseinandersetzung haben sich auch die Linken radikalisiert und sind extrem konfrontativ. Die Menschen hören sich gegenseitig nicht wirklich zu. Es ist auch schwierig, Kritik an der Regierung oder an Teilen unserer Gesellschaft zu üben. Selbst Freund:innen von mir fragen: „Liebst du denn Polen nicht, wenn du es so kritisierst?“ Ich liebe mein Land, meine Sprache, aber Kritik ist doch wichtig, finde ich. Es gibt auch so etwas wie Scham, ich fühle die auch.

Wieso Scham?
Einerseits, dass wir überhaupt in dieser Situation sind, uns schon so sehr entmachtet haben zu lassen. Und dann gibt es auch immer wieder die Situation, in der ich denke, „ach, aber woanders ist doch alles noch viel schlimmer, wir sind nicht in Ungarn, nicht in Belarus oder gar in Russland“. Damit wir da nicht hinkommen, sollten wir uns äußern. Noch haben wir ein Recht auf freie Meinungsäußerung. Wir sollten reden, demonstrieren, kämpfen. Noch haben wir eine Stimme!

Und trotzdem wollen Sie lieber nicht unter ihrem echten Namen sprechen.
Ja, das stimmt. Es ist zur Zeit einfach total unklar, wie die Entwicklung weitergeht. Die Regierung entfernt Menschen aus dem Staatsdienst, erlässt abstruse Gesetze, will, dass Frauen zu Hause bleiben, nicht arbeiten … Ich möchte aber in Polen studieren und brauche einen Studienplatz.

Das klingt sehr pessimistisch.
Ja. Zwischendurch sah es mal so aus, als könnte es gelingen, die Regierung in die Schranken zu weisen. Das Abtreibungsverbot, das war für viele ein Schritt zu viel. In dem Protest dagegen ging es um mehr als dieses Gesetz, das war Protest gegen das Regierungsprojekt, aus Polen einen autokratischen Staat zu machen. Es war ein Symbol für so viel mehr. Aber dann kam die Pandemie. Und jetzt in dieser Zeit sammelt die PiS-Regierung viele Pluspunkte durch ihre Solidarität mit der Ukraine und ihre Flüchtlingspolitik. Dahinter steckt auch Strategie, natürlich, um Stimmen aus dem linken Lager zu bekommen.

Was sagen Sie dazu, dass der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) den polnischen Präsidenten Andrzej Duda vor Kurzem als „Freund und Kollegen“ bezeichnet hat?
Ich kenne mich nicht besonders gut mit der deutschen Politik aus. Für mich sieht es so aus, dass die Strategie der polnischen Regierung, alle in Europa mit ihrer Hilfe für geflüchtete Menschen aus der Ukraine zu beeindrucken, aufgegangen ist. Klar ist es gut, dass wir so viele Menschen aufgenommen haben, aber man sollte darüber nicht die Aushöhlung des Rechtsstaats, das Sterben der Meinungsfreiheit und das andauernde Brechen von EU-Recht vergessen.

Sie haben sich nicht nur in sozialen Bewegungen engagiert, sondern auch bei der Klimaschutzorganisation MSK. Wie ist die Situation aus Ihrer Sicht für Naturschutzorganisationen in Polen?
Schwierig. Während die anderen beiden Organisationen eher größer werden, ist MSK immer kleiner geworden. Umweltschutz ist kein Thema, das sehr viele Menschen interessiert. Viele denken, dass es den Klimawandel nicht gibt.

Hat die Tatsache, dass Oppositionelle und Aktivist:innen so stark unter Druck stehen, etwas an Ihrem Engagement geändert?
Ja. Nachdem die Polizisten vor meiner Tür standen und ich in der Straßenbahn angepöbelt wurde, habe ich Ängste entwickelt. Als ich im Herbst 2021 alleine im Dunkeln von einer Demo nach Hause kam, habe ich zum Beispiel zuvor meine Demoplakate in ein Gebüsch geworfen und meine Anstecker abgenommen. Die Einschüchterung funktioniert also, auch bei mir.

Denken Sie darüber nach, aus politischen Gründen das Land zu verlassen?
Ja, tatsächlich. Ich möchte wenn dann freiwillig gehen und nicht, weil ich dazu gezwungen werde. Ich sehe mich als Künstlerin und möchte in Freiheit arbeiten und gestalten. Wenn ich meine Kunst nicht mehr ausüben kann, wäre das ein Grund für mich, zu gehen. Aber ich will nicht gehen. Ich möchte, dass sich mein Land in eine gute Richtung bewegt, und ich möchte dazu beitragen. Ich habe einen Freund aus Belarus, der mich sehr dazu ermutigt, in Polen zu bleiben.

Warum?
Er hat am eigenen Leib erfahren, was passiert, wenn man es nicht schafft, eine nationalistische und autokratische Regierung in die Schranken zu weisen. Wenn wir die Kurve nicht kriegen, dann ist es in Polen bald so schlimm wie in Russland oder Belarus.


Dieses Interview erschien in der gedruckten Ausgabe 8 von KATAPULT MV und kann im KATAPULT-Shop bestellt werden.

MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo!

Autor:innen

Neueste Artikel

MV-Karte mit Restaurants mit einem Michelinstern, sortiert nach Preis für das günstigste Menü, pro Person, in Euro. 88: freustil in Binz; 135 bis 150 Euro: Ich weiß ein Haus am See in Krakow am See, Ostseelounge in Dierhagen, Alte Schule - Klassenzimmer in der Feldberger Seenlandschaft; 179 bis 189 Euro: Friedrich Franz in Heiligendamm, Der Butt in Rostock, The O´ROOM und Kulmeck in Heringsdorf. Grüner Stern für Nachhaltigkeit: Alte Schule - Klassenzimmer in der Feldberger Seenlandschaft

28.03.2024

Sterneküche in MV

Diese Woche wurde der berühmte Restaurantführer Guide Michelin für 2024 veröffentlicht.

27.03.2024

„Bildungsveranstaltungen“ von Rechten und Querdenker:innen

Telegram, Tiktok und alternative Medien: Die Kommunikationswege aus rechten oder Querdenker:innenkreisen sind vielfältig. Immer öfter finden „Bildungs- und Informationsveranstaltungen“ aber auch im echten Leben statt. Unsere Recherche klärt über Beispiele aus Greifswald, Schwerin und Neubrandenburg auf. Auffällig: Häufig besteht direkte Verbindung zur AfD.

27.03.2024

Wer rettet die Natur?

Das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur hängt in der Luft. Mit einem neuen Gesetz nannte die EU erstmals Zahlen, um geschädigte Ökosysteme wieder in einen gesunden Zustand zu bringen. Doch nachdem am 25. März deutlich wurde, dass mehrere Umweltminister:innen gegen das Gesetz stimmen würden, wurde die finale Abstimmung verschoben. Auch der Bauernverband MV hält den Gesetzentwurf für einen „Rückschritt für die Kooperation zwischen Landwirtschaft und Naturschutz“.