Was ab dem 22. August 1992 mit Menschenansammlungen vor dem Sonnenblumenhaus beginnt, entwickelt sich über Tage zum größten Pogrom der deutschen Nachkriegsgeschichte. Doch bereits bevor die Gewalt in Lichtenhagen unter den Augen von Anwohner:innen, Polizei und Politik eskalierte, gab es Angriffe auf Unterkünfte von Asylsuchenden und Ausländer:innen in MV.
Nach dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen wurde vor 30 Jahren das Asylrecht in Deutschland erstmals stark beschnitten. Nun setzt auch die geplante Asylreform auf EU-Ebene auf Abschreckung, Abschottung und Isolation.
Schon seit mehr als 400 Jahren leben Sinti:zze und Rom:nja in MV. Umso unverständlicher, dass über die Geschichte lokaler Sinti:zze und Rom:nja bis vor wenigen Jahren so gut wie nichts bekannt war. Vom Schicksal vieler Kinder im Nationalsozialismus ganz zu schweigen. Das muss sich dringend ändern, sagen Initiativen und Vereine. Nicht nur vor dem Hintergrund des 31. Jahrestages von Rostock-Lichtenhagen. Sondern weil Antiziganismus grundsätzlich stark verankert sei.
Das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen war das größte der deutschen Nachkriegsgeschichte. Aber nicht der einzige rassistische Angriff auf Asylbewerberheime. Allein im August und September 1992 gab es in MV davon elf.
2023 jährt sich das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen zum 31. Mal. Ende August 1992: Tagelange Menschenansammlungen und kollektive Gewalt vor dem sogenannten Sonnenblumenhaus im Rostocker Stadtteil. Das größte Pogrom der deutschen Nachkriegsgeschichte richtete sich gegen Asylsuchende und Vertragsarbeiter:innen mit ihren Familien, die dort untergebracht waren. Die mediale Berichterstattung heizte die Situation zusätzlich auf. Politik und Polizei waren maßlos überfordert. Katapult MV gibt einen Überblick über die Vorfälle an jedem einzelnen Tag.
Immer wieder stranden Menschen aus aller Welt nach einer oft langen und anstrengenden Flucht am Boizenburger Bahnhof. Ihr Ziel: die Landeserstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete in Horst. Wie sie in den neun Kilometer entfernten Wohnkomplex kommen sollen, wissen die wenigsten. Eine Infotafel soll jetzt für Klarheit sorgen. Ob das reicht?
Die aktuell wieder entflammte Debatte über Geflüchtete in Deutschland und insbesondere in MV – von Loitz über Upahl bis nach Greifswald – zeigt: Wir sind nicht weiter als 1992, die Gefahr rassistischer, menschen- und verfassungsfeindlicher Übergriffe besteht unverändert.
Rassismus hat eine lange Tradition, erklärt Politiksoziologe Aladin El-Mafaalani. Ohne Rassismus sei die heutige Weltgesellschaft, seien Kolonialismus, Nationenbildung und Ausgrenzung nicht erklärbar. Gerade im Osten Deutschlands gerät er immer wieder ins Schlaglicht. Das rassistische Pogrom in Rostock-Lichtenhagen 1992 steht noch immer beispielhaft für die Eskalation rechter Gewalt.
„Sozialtourismus“ hat wieder Hochkonjunktur. Zumindest das Wort. Und mit ihm eine erneut entflammte Asyldebatte. Dass diese – unter maßgeblicher Beteiligung der Medien – 1992 zum Lichtenhagen-Progrom führte, erscheint für die Berichterstattung heute nur von geringer Bedeutung. Es werden die immer gleichen Fehler wiederholt. Eine Analyse.
Vor 31 Jahren wurde der damals 18-jährige Dragomir Christinel in einer Asylunterkunft in Saal von 25 bis 40 rassistischen Jugendlichen im Bett erschlagen. Dieses Jahr wird seiner das vierte Mal gedacht – seine Ermorderung drohte, vergessen zu werden. Das Beratungsnetzwerk Lobbi geht von weit mehr Todesfällen rechter Gewalt in MV aus, als bisher offiziell anerkannt.
Dem Rostocker Nordwesten unvoreingenommen zu begegnen, kann schwer fallen. Ist die Wirkung, die vom größten rassistischen Pogrom der Nachkriegszeit ausging doch international nicht von der Hand zu weisen und zu Recht ein Denkstück, welches allen Rostocker:innen in Erinnerung und Gegenstand notwendiger politischer Diskurse bleiben sollte.
Justiz und Polizei werden im Rahmen der Aufarbeitung des Pogroms von 1992 bis heute besonders kritisiert. Fehler, Überforderung, vor allem aber Verantwortungslosigkeit sind die Vorwürfe, die seit Jahren im Raum stehen.
KATAPULT MV hat im August mit dem Diakon der evangelischen Innenstadtgemeinde in Rostock gesprochen. Arne Bölt berichtet von menschenunwürdigen Bedingungen in der Erstaufnahmeeinrichtung Nostorf-Horst, bis zu sieben Jahre dauernde, zermürbende Asylverfahren, Chancen der Einwanderung für den Fachkräftemangel und institutionellen Rassismus.
Mit Graffitis auf Stromkästen am Stadthafen wollten Jugendliche an das Pogrom 1992 in Lichtenhagen erinnern. Doch das Rostocker Hafenamt hat das Übermalen der Botschaften angeordnet.
Bilder wie die aus Rostock-Lichtenhagen sollten längst der Vergangenheit angehören. Genauso wie die rassistischen Motive von damals. Tun sie aber nicht. Boizenburg, Rostock und Wismar – an jedem dieser Orte erlebten Menschen im vergangenen Jahr rassistische Gewalt. 42 Angriffe waren es laut der Opferberatung Lobbi MV im Jahr 2021. Doch die Dunkelziffer ist vermutlich wesentlich höher. Viele Betroffene suchen keine Hilfe, erstatten keine Anzeige. Auch, weil es gegenüber Polizei und Justiz oft an Vertrauen mangelt. Die tatsächliche Dimension von Rassismuserfahrungen in MV ist bisher kaum erfasst.
Eine versammelte Menschenmenge stützte tagelange, kollektive Gewalt gegen Asylsuchende, Vertragsarbeiter:innen und deren Familien im sogenannten Sonnenblumenhaus. Die Ereignisse in Rostock-Lichtenhagen vom 22. bis 26. August 1992 im Zeitverlauf als Infografik.
Einige Wochen nach dem Pogrom, am 12. Oktober 1992, wurde in Rostock der erste Migrant:innenrat Mecklenburg-Vorpommerns und einer der ersten Ostdeutschlands gewählt. Bis heute gibt es nur fünf Migrant:innenräte in Meck-Vorp.
Kernbestandteil des Pogroms in Rostock-Lichtenhagen war Rassismus gegen Rom:nja – auch Gadjé-Rassismus oder Antiziganismus genannt. Dennoch fehlen sowohl in der Forschung als auch in der Berichterstattung über das Pogrom die Perspektiven und Geschichten dieser Hauptzeug:innen. Ein aktuelles Forschungsprojekt des Rostocker Dokumentationszentrums „Lichtenhagen im Gedächtnis“ möchte das ändern.
Eine versammelte Menschenmenge stützte tagelange, kollektive Gewalt gegen Asylsuchende, Vertragsarbeiter:innen und deren Familien im sogenannten Sonnenblumenhaus. Die Ereignisse in Rostock-Lichtenhagen vom 22. bis 26. August 1992 werden allmählich von der Geschichts- und Politikwissenschaft als Pogrom bezeichnet.
Nach dem Pogrom von 1992 wurde die Geflüchtetenunterkunft in Nostorf-Horst im Landkreis Ludwigslust-Parchim eingerichtet. Seitdem dient sie als Erstaufnahmelager für Migrant:innen in MV. Verbessert hat sich dort kaum etwas. Ebenso wenig an den Asylgesetzen. Im Gegenteil.
Die Theater- und Hörspielproduktion „Sonnenblumenhaus“ ist bis heute das einzige Kunstprojekt, in dem das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen aus Sicht der vietnamesischen Vertragsarbeiter:innen geschildert wird. Ein Gastbeitrag des Regisseurs und Autors über den Kalten Krieg, die Spaltung der vietnamesischen Community, Kunst und rechte Angriffe.
Der Nordkurier. Tageszeitung zwischen Ostmecklenburg und dem nördlichen Brandenburg und in weiten Teilen das einzige Lokalmedium. Da hat man schon Verantwortung. Der kann man sich stellen. Der Nordkurier geht einen anderen Weg.
Geboren wurde Jana Michael in der damaligen Tschechoslowakischen Republik. Sie gründete Organisationen für und von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, setzte sich für die migrantische Community in MV ein und erhielt für ihr Engagement das Bundesverdienstkreuz. Dieses Jahr wurde sie Integrationsbeauftragte des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Im Interview mit dem Rostocker Lokalradio Lohro und KATAPULT MV sprach sie über das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen 1992, Rassismus heute und die Aufgaben der Landesregierung. Das Interview führte Lohro-Redakteurin Flavia.
Wolfgang Richter war von 1991 bis 2009 Ausländer- und Integrationsbeauftragter der Stadt Rostock. Beim Pogrom in Lichtenhagen am 24. August 1992 war er zusammen mit Bewohner:innen im Sonnenblumenhaus eingesperrt. Sie mussten sich übers Dach retten, weil Feuerwehr und Polizei nicht halfen oder helfen konnten. Als Zeitzeuge berichtet er seitdem immer wieder über die Geschehnisse und will damit vor allem die Sicht der Betroffenen hervorheben, die bis heute nur wenig zu Wort gekommen sind.
Am Samstag findet in Rostock ab 14 Uhr die Demonstration des Bündnisses „Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992“ statt, zu der die Organisator:innen bundesweit aufgerufen haben. Motto: „Damals wie heute: Erinnern heißt Verändern.“ Es wird fünf Kundgebungen geben, im Fokus stehen die Betroffenen des Pogroms vom August 1992.
Am heutigen Donnerstag findet die Gedenkveranstaltung der Stadt statt. Schon wieder eine Großveranstaltung am Sonnenblumenhaus, schon wieder hält der Bundespräsident eine Rede – wie vor zehn Jahren zum 20. Gedenktag des Pogroms in Lichtenhagen. Und diese war laut kritischer Stimmen ein ziemliches Desaster, wie auch einige andere Gedenkaktionen der Stadt. Ein Spaziergang auf dem schweren Weg des Erinnerns.
Das Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen war der Beginn. Zwei Monate später gab es ein neues Gesicht in der Vereinslandschaft der Hansestadt, gemeinnützig und unabhängig. Der Verein Diên Hông setzte sich zunächst für das Bleiberecht der Vertragsarbeiter:innen in Deutschland ein, das eigentlich nicht vorgesehen war. Und leistet nun Projektarbeit, mit der Wertschätzung und Toleranz untereinander gestärkt werden sollen.
Ein Augusttag in Rostock. Sonnenstrahlen und Kinderlachen dringen durch ein geöffnetes Fenster in einen kleinen Konferenzsaal des Vereins „Diên Hông“. Doan Hoang Mai, Duc Duong und Susanne Düskau sitzen um einen Tisch. Der 30. Jahrestag von Lichtenhagen rückt näher. Erinnerung wird wieder einmal vorbereitet, um in den späten Augusttagen symbolisch auf die Bühne der Öffentlichkeit gehievt zu werden. Verschiedene Veranstaltungen sollen dem Publikum ins Gedächtnis rufen, was 1992 geschehen ist. Es wird Redebeiträge geben, der Jahrestag wird vorübergehen und dann? Alles wie vorher?
Beim Spiel von Hansa Rostock gegen den FC St. Pauli am 21. August 2022 im Ostseestadion, gab es noch anderes zu sehen, als die zwei Tore des Gastgebers. Auf der Rostocker Fankurve fanden sich neben Plakaten Verunglimpfungen des Spielgegners, homophobe Äußerungen und ein aus aktuellem Anlass fragwürdiges Banner mit der Aufschrift „Lichtenhagen“. Der Verein äußerte sich dazu bisher nicht. Dabei ist es nicht das erste Mal, dass Fans des Clubs etwa durch Diskriminierung auffallen. So ist seit Jahren bereits ein Flyer im Umlauf, die „Regeln der Süd-Tribüne“ betreffend. Darauf werden Frauen explizit ausgegrenzt.
Unter dem Motto: „Dieses wie jedes Jahr: Gedenken heißt verändern! Kontinuitäten von Rassismus und Widerstand“ kamen etwa hundert Menschen am Südufer des Pfaffenteichs zusammen, um über Wege zu mehr gegenseitiger Akzeptanz und weniger Rassismus zu diskutieren.
Rostock gedenkt des Pogroms von Lichtenhagen. Vor allem in der Innenstadt. Initiativen und Vereine erinnern mit Ausstellungen, Lesungen, Gesprächen und Filmabenden an die Eskalation der Gewalt vor 30 Jahren.
Mit einer Bustour von Rostock über die Landeshauptstadt bis zur heutigen Erstaufnahmestelle für Geflüchtete in Nostorf-Horst möchte die antirassistische Initiative Pro Bleiberecht auf den 30. Jahrestag der Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen aufmerksam machen, der einstigen Erstaufnahmestelle für Geflüchtete.
Vor 30 Jahren, im Oktober 1992, wurde der erste Migrant:innenrat Meck-Vorps in Rostock gegründet. Damals als Reaktion auf das Pogrom von Lichtenhagen. Gestern wurde der Wahlaufruf für den Migrantenbeirat Greifswald veröffentlicht. Es wird das dritte Gremium seiner Art im Land. 2023 ist die Gründung für den Kreis Vorpommern-Greifswald geplant.
Vor 30 Jahren wurde der damals 18-jährige Dragomir Christinel in einer Asylunterkunft bei Ribnitz-Damgarten von 25 bis 40 rassistischen Jugendlichen im Bett erschlagen. Das erste Mal wurde erst vor drei Jahren seines Todes gedacht. Eine Initiative fordert eine Gedenkstätte und eine offizielle, jährliche Gedenkveranstaltung gegen das Vergessen.
Mit einer Gedenkwoche im August wurde an die Krawalle in Rostock-Lichtenhagen vor 29 Jahren erinnert. Dort hatten 1992 rechtsextreme Randalierende unter dem Beifall Tausender Zuschauer:innen das Asylbewerberheim und eine benachbarte Unterkunft für vietnamesische Vertragsarbeiter:innen angegriffen. Nach den Vorfällen wurden die Migrant:innen nach Nostorf-Horst gebracht. Das dortige Erstaufnahmelager ist bis heute in Betrieb – weit weg von den Augen der Öffentlichkeit. KATAPULT MV hat mit einer ehemaligen Bewohnerin des Lagers gesprochen.
Am Sonntag wurde der Opfer des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen im Jahr 1992 gedacht. Dazu gab es eine Kundgebung und eine Mahnwache am Erstaufnahmelager in Nostorf-Horst.
Keine Wahl in MV ist größer: Diesen Juni werden Tausende kommunalpolitische Sitze neu vergeben. Abgestimmt wird sowohl über die Zusammensetzung der Kreistage und Gemeindevertretungen als auch über die ehrenamtlichen Bürgermeister:innen im Land.