Russland-Krise

Erst gelogen, dann geschossen

Seit Ende des Ersten Weltkriegs sind Angriffskriege geächtet. Daher versuchen Angreifer seitdem, ihre Kriege mit aus ihrer Sicht zwingenden Gründen zu rechtfertigen. Ein Kommentar.

Russische Truppen haben die Grenze zur seit 1991 unabhängigen Ukraine überschritten und greifen die militärische Infrastruktur des Landes an. Vielfältige Begründungen des russischen Präsidenten und Oberbefehlshabers Wladimir Putin verfolgen vor allem ein Ziel: einen rechtswidrigen Angriffskrieg zu legitimieren.

Putin hat mehrere Gründe vorgebracht, die aus seiner Sicht den Angriff auf die Ukraine rechtfertigen. Einer davon ist, dass die Ukraine historisch zu Russland gehöre, ja sogar nur wegen Russland existiere. Doch egal ob solche Begründungen für Kriege nun schlicht falsch sind oder die Realität unzulässig vereinfachen, sie dienen einzig der Rechtfertigung von geächteten kriegerischen Handlungen. Ähnlich wurden in der Vergangenheit bereits öfter illegale Angriffe begründet.

Eine Auswahl historischer Beispiele:

1939: Sender Gleiwitz

Eine der berüchtigsten Rechtfertigungen für einen illegalen Angriffskrieg ist der fingierte Angriff auf den Sender Gleiwitz, der dem Deutschen Reich als Vorwand für den Angriff auf Polen diente. Der Angriff auf den Rundfunksender wurde von SS-Leuten vorgespielt, war also von Anfang an eine geplante Lüge, um den illegalen Krieg vor der Öffentlichkeit zu rechtfertigen. Die Sowjetunion besetzte daraufhin – wie im Hitler-Stalin-Pakt vereinbart – den östlichen Teil Polens. Diese Gebiete wurden nach dem Krieg nicht an Polen zurückgegeben.

2003: Massenvernichtungswaffen

Aus der jüngeren Geschichte bleiben die Begründungen der US-amerikanischen Führung für den Angriff auf den Irak 2003 im Gedächtnis. Der damalige Außenminister und frühere General Colin Powell begründete die Notwendigkeit eines Krieges gegen den Irak mit falschen Geheimdienstinformationen über Massenvernichtungswaffen in Händen der irakischen Regierung. Am 21. März 2003 begannen die USA gemeinsam mit der sogenannten Koalition der Willigen einen Krieg gegen den Irak, der das Land jahrelang ins Chaos stürzte und Hunderttausende Tote forderte.

2022: Angeblicher Genozid und ein Trick

Bereits seit acht Jahren wird in den Regionen Donezk und Luhansk im Osten der Ukraine ein militärischer Konflikt zwischen der ukrainischen Regierung und von Russland unterstützten Separatisten ausgetragen. Der russische Präsident und Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Wladimir Putin, hat den Einmarsch russischer Soldat:innen in die Ukraine und den Angriff auf das ukrainische Militär befohlen. Als Begründung dienten altbekannte Narrative – unter anderem ein „Genozid“ – und ein juristischer Trick: Russland hatte zuvor völkerrechtswidrig die beiden Regionen als sogenannte Volksrepubliken anerkannt und damit versucht, seine militärische Unterstützung der Separatisten zu legitimieren. Das war genauso durchschaubar wie vorgeschoben.

Quellen

  1.  Tagesschau (Hg.): „Frage von Leben und Tod für unser Land“, auf: tagesschau.de (24.2.2022).
  2.  Kellerhoff, Sven F.: Uniformierte Leichen sollten Hitler den „Kriegsgrund“ liefern, auf: welt.de (26.11.2021).
  3.  NS-Archiv (Hg.): Überfall auf den Sender Gleiwitz, auf: ns-archiv.de.
  4.  Gwozdz-Pallokat, Magdalena: Als Polen verloren war: Der sowjetische Überfall vor 80 Jahren, auf: dw.com (17.9.2019).
  5.  Delvaux de Fenffe, Gregor: Polnische Westverschiebung, auf: planet-wissen.de (23.4.2020).
  6.  Borger, Julian: Colin Powell’s UN speech: a decisive moment in undermining US credibility, auf: theguardian.com (18.10.2021).
  7.  Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (Hg.): Der Irak Krieg 2003 (Archiv), auf: lpb-bw.de.
  8.  Tagesschau (Hg.): „Frage von Leben und Tod für unser Land“, auf: tagesschau.de (24.2.2022).
  9.  Zeit Online (Hg.): Russland erkennt Separatistengebiete in Ostukraine als unabhängig an, auf: zeit.de (21.2.2022).

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  • Katapult MV

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