Katharina Schütt aus Griebenow kommt gerade aus dem Asylamt in Stralsund. Da niemand erreichbar war, ist sie einfach hingefahren. Nun endlich hat sie einen Termin bekommen, um die zwei aufgenommenen geflüchteten Familien aus der Ukraine registrieren zu können. Das Formular auszufüllen, sei gar kein Problem, sagt die 27-Jährige. Das Verfahren sei sehr vereinfacht worden, damit es schnell und möglichst unbürokratisch gehe. „Es gibt wohl aktuell zu wenig Mitarbeitende, um die vielen Anfragen schnell abzuarbeiten.“ Die Registrierung sei aber wichtig, weil Geflüchtete erst dann einen Anspruch auf finanzielle Unterstützung haben. So haben Katharina und ihre Eltern in den ersten Wochen vor allem Essen und Kleidung aus eigener Tasche und von Spenden bezahlt.
Am 7. März sind sie nach Mecklenburg-Vorpommern gekommen: zwei Familien, die aus Kyjiw flüchten mussten. Zwei Frauen, vier Kinder, auch die Väter sind dabei. „Das ist eine besondere Situation“, erklärt Oksana, eine der beiden aufgenommenen Frauen. Denn Männer zwischen 18 und 60 Jahren dürfen nach wie vor nicht aus der Ukraine ausreisen. „Sie arbeiteten beide in Deutschland, als der Krieg begann. Wir sind sehr froh darüber“. Einer der Männer hatte über seine Arbeit Katharinas Vater kennengelernt. So gab es den Kontakt nach Vorpommern und das Ziel, hierher zu fliehen.
Beide Familien kommen aus einem Vorort von Kyjiw. „Mein Mann und ich haben vor wenigen Monaten begonnen, ein Haus zu bauen“, sagt Oksana. Jetzt sind sie erst einmal in einem Dorf bei Greifswald untergekommen, wo Katharinas Eltern gerade ein Haus gekauft und angefangen hatten, es auszubauen.
Die Spendenbereitschaft ist enorm
Die beiden Familien wohnen im Obergeschoss. Als der Plan feststand, dort Geflüchtete aus der Ukraine einziehen zu lassen, wurden schnellstmöglich Möbel zusammengesammelt. Die Spendenbereitschaft sei überwältigend, auch nach wie vor, sagt Katharina. Die Erzieherin lebt eigentlich in Rostock. Für ihre ehrenamtliche Hilfe hat sie eine berufliche Auszeit genommen, ist täglich im Landkreis unterwegs und sammelt die angebotenen Sachspenden ein: Kleidung, Spielzeug, Hygieneprodukte, Gutscheine für Nahrungsmittel und auch weitere Möbel. Geldspenden sammelt sie über ein paypal-Konto.
Die Familien sind mittlerweile angekommen, erzählen sie. Und sie sind dankbar für die Chance, sagt Mariia, die zweite Mutter: „Wir haben viel Kleidung bekommen, die Familie fährt mit uns einkaufen und wir machen Ausflüge. Das ist eine gute Ablenkung. Wir haben großes Glück.“ Denn immer wieder komme auch die Sorge hoch, wie es den verbliebenen Familienmitgliedern und Freunden geht.
Problematisch ist noch die Sprachbarriere: Sie können kein Englisch, erst recht kein Deutsch, Katharina kein Ukrainisch. Die Verständigung läuft per Google-Sprachübersetzer. Da gehe aber sicher viel verloren, befürchtet Katharina. Aber zumindest könne man sich so ein bisschen austauschen.
Man hätte von 2015 lernen können
Aktuell herrscht viel Unklarheit, wie alles weitergehen soll. Es hapert zum Beispiel an der Anmeldung der Kinder in Kita und Schule. Eine Lösung sei leider nicht in Sicht, erzählt Katharina. Dadurch könnten aber auch die Mütter keine Beschäftigung annehmen. Zudem müssten sie sich dafür persönlich beim Arbeitsamt vorstellen. Das kostet Zeit und organisatorischen Aufwand, und es fallen Fahrtkosten an. Die übernehme keine Behörde.
Außerdem ist sie sich sicher, dass noch sehr viel mehr Menschen kommen werden. Sie und ihre Eltern können sich vorstellen, auch noch die untere Etage des Hauses für Geflüchtete anzubieten. Die müsste aber erst einmal ausgebaut werden. Dafür wären wieder neue Spenden nötig, denn alleine können sie nicht alles finanzieren. „Zumal wir dort auch eine Ölheizung haben. Bei den aktuellen Energiepreisen ist es schwer, das für so viele Menschen ohne finanzielle Unterstützung zu stemmen.“
Vom Landkreis würde sich Katharina deshalb ein paar Zuschüsse wünschen, für Heizkosten zum Beispiel. Und auch generell etwas mehr Unterstützung, etwa in Form eines klaren Leitfadens. „Damit sich mehr Leute trauen, Menschen aufzunehmen. Es soll kein Vorwurf sein, aber nach den vergangenen Migrationsbewegungen sollte es feste Strukturen zur Aufnahme und Unterbringung geflüchteter Menschen geben.“
Erst einmal helfen Katharina und ihre Eltern da weiter, wo sie können. Der Vater plant, einen der beiden ukrainischen Männer fest in seinem Unternehmen einzustellen.
Wenn man zweimal fliehen muss
Wie es ist, eine Familie mitzubetreuen, weiß auch Kathrin Müller aus Behrenhoff bei Greifswald. Sie hatte sich bereits vor sieben Jahren um eine aus der Ukraine geflüchtete Familie gekümmert. Sie kam aus Donezk und war damals in Jarmen untergebracht. Über die Kirchengemeinde und das Orchester hat Kathrin Müller sie kennengelernt, fortan mit der sechsköpfigen Familie Deutsch gelernt und ihr bei organisatorischen Aufgaben geholfen. Besonders schwierig war es schon damals, die Kinder in der Schule anzumelden und für die Mutter eine Arbeit zu finden. Dann aber wurde der Asylantrag abgelehnt. Die Familie musste zurück, wollte dann in Kyjiw neu anfangen. Die Mutter, gelernte Krankenschwester, versuchte schließlich über eine Ausbildung zur Pflegefachkraft, wieder in Deutschland Fuß zu fassen. Auch dabei half ihr Kathrin Müller – mit Erfolg: Gerade ist sie in ihrem zweiten Ausbildungsjahr.
Mit Beginn des Angriffskrieges haben sie nun den Mann, die Oma und zwei erwachsene Kinder hergeholt. Vorübergehend leben sie in einer Wohnung in Greifswald. Dank eines großen Netzwerkes engagierter Menschen konnte alles schnell organisiert werden, erzählt Kathrin Müller. Sie selbst ist auch oft bei ihnen, hilft, wo sie kann. Zum Beispiel bei der Organisation einer Betreuung für die fast 90 Jahre alte Großmutter. Momentan kümmere sich noch der Mann um sie, es bräuchte aber eine 24-Stunden-Pflege. Die beiden Kinder arbeiten jetzt im KATAPULT-Ukraine-Team.
Sorgen machen sie sich um die anderen Familienmitglieder, die noch in der Ukraine sind. „Zwei der älteren Kinder sind bei einer Freundin der Familie im heftig umkämpften Charkiw. Sie bleiben dort, weil der junge Mann nicht ausreisen darf. Es ist sehr schwer und natürlich immer Thema Nummer eins“, so Müller. Sie versucht trotzdem, mit ein paar Ausflügen für etwas Ablenkung zu sorgen.
Außerdem sucht sie zusammen mit der Familie eine eigene Wohnung. „Am besten wäre es natürlich, wenn sie in der Stadt bleiben könnten.“ Denn in viele Dörfer gebe es nun mal keine guten Busverbindungen. Da kämen sie ohne Hilfe gar nicht zu den Ämtern, um alles behördlich zu klären.
Übergangslösung Ferienwohnungen
Dass es aber zunehmend knapp wird mit ausreichend Wohnraum, ist den Betroffenen klar. Landesweit gibt laut einer Studie des Tourismusverbandes Mecklenburg-Vorpommern 92.500 Ferienwohnungen. Etwa noch einmal so viele sind es ohne Registrierung, schätzt Geschäftsführer Tobias Woitendorf. Viele Anbieter haben ihre Unterkünfte bereits zur Verfügung gestellt. Auch Herbergen, Hotels und Pensionen machen das zunehmend. Das sei ein gutes und vor allem großes Potenzial, zumindest vorübergehend, betont Woitendorf.
Diese Möglichkeit habe aber auch Grenzen. Denn allein die Nachfrage nach Ferienwohnungen und Pensionen vor Ostern ist schon höher als in den Monaten März und April der vergangenen Jahre. Nach der schwierigen Zeit der Corona-Pandemie und den langanhaltenden Beherbergungsverboten müssten Anbietende durchaus gründlich abwägen, ob sie Geflüchtete unterbringen können. Alle, die dies wegen freier Kapazitäten jedoch leisten können, bieten ihre Räumlichkeiten in der Regel auch an, betont Woitendorf. Langfristig müssten aber wohl andere Lösungen gefunden werden.
Quellen
- Dwif-Consulting (Hg.): Die Auswirkungen von Ferienhäusern und Ferienwohnungen auf die Regionalentwicklung in Mecklenburg-Vorpommern. Studie im Auftrag des Tourismusverbandes MV, S. 15 (2.10.2013).↩