„Die Volkswerft kommt nach Hause“, versprach Oberbürgermeister Alexander Badrow (CDU) vor einem halben Jahr, als die Bürgerschaft beschloss, die Zukunft der Werft selbst in die Hand zu nehmen. Gesagt, getan: Als das Insolvenzverfahren der MV-Werften Anfang März formal eröffnet wurde, hatte man in der Hansestadt schon fast den Kaufvertrag in der Tasche.
Der Oberbürgermeister wollte das 34 Hektar große Werftgelände für ursprünglich zehn Millionen Euro kaufen, um einerseits „Genting ein Stück Liquidität zu verschaffen“ und andererseits weitere Firmen auf dem Gelände anzusiedeln. „Damit wären wir auch als Stadt besser vor Krisen geschützt, breiter aufgestellt und freier in der Stadtentwicklung“, begründete Badrow damals seine Pläne.
Hintergrund
Die auf Kreuzfahrtschiffe spezialisierte MV-Werften-Gruppe mit Standorten in Wismar, Rostock und Stralsund hatte im Januar Insolvenz angemeldet. Auslöser der Pleite war der Corona-bedingte Zusammenbruch des weltweiten Kreuzfahrtgeschäfts. Der asiatische Mutterkonzern Genting Hong Kong war in der Folge zahlungsunfähig geworden und hatte sich mit Landes- und Bundesregierung nicht mehr auf weitere Hilfskredite einigen können.
Die Stralsunder Werft soll nun zum Dreh- und Angelpunkt maritimer Industrie und Innovation werden. Im Wahlkampf zur Oberbürgermeisterwahl am 8. Mai blieben die ambitionierten Pläne für die Volkswerft natürlich nicht unerwähnt. Die ersten Schiffe sollten noch in diesem Jahr gebaut werden, hieß es noch kurz vor der Wahl in der gesponserten Facebook-Werbung auf dem Profil des Oberbürgermeisters. Mitte Oktober meldete der norwegische Schiffbauer Fosen Yard, dass Anschlussjobs für etwa 80 Werftarbeiter:innen voraussichtlich im Frühjahr 2023 geschaffen werden. Das Unternehmen will laut IG Metall im neuen Jahr Küstenmotorschiffe oder Schiffsrümpfe bauen. Möglich sei auch, das Schwesterschiff der Silver Endeavour (ehemals Crystal Endeavour) in Stralsund fertigzustellen. Bislang gebe es jedoch nur Absichtserklärungen und keine Verträge, bemängeln Gewerkschaft und Betriebsrat.
Kommt der Name Volkswerft zurück?
Den berühmten Namen Volkswerft versprach der Oberbürgermeister im Wahlkampf seinen Bürger:innen zurück. Nach 2010 wurde die Volkswerft durch mehrere Eigentümerwechsel erst zu P+S-Werften, dann zu Nordic Yards Stralsund und bis vor Kurzem zu den MV-Werften. Die Volkswerft gehöre zur DNA der Stadt, so Badrow, man blicke zurück auf eine lange Schiffbautradition. Ein Antrag der Linksfraktion zur Wiederherstellung des traditionsreichen Namens Volkswerft wurde von der Bürgerschaft zunächst zur Beratung in den zeitweiligen Ausschuss Volkswerft verwiesen. Dort teilte die zweite Stellvertreterin des Oberbürgermeisters, Sonja Gelinek, mit, dass es sich nicht mehr ausschließlich um ein Werftgelände handele. Es seien Unternehmen aus verschiedenen Branchen willkommen. „Deshalb regt die Verwaltung an, den Begriff ‚Volkswerft‘ nicht zu verwenden, sondern den aktuellen Namen ‚Maritimer Industrie- und Gewerbepark‘ beizubehalten“, heißt es weiter. Die entsprechenden Internetseiten mit dem Namen Volkswerft habe man sich dennoch bereits gesichert.
Vielversprechende Pläne sollten die Fachkräfte vor Arbeitslosigkeit schützen und die Volkswerft in ein neues Zeitalter begleiten. Statt für zehn Millionen Euro ging das Gelände mit Hallen, Maschinen und Anlagen letztendlich für 16,5 Millionen Euro an die Hansestadt. Erklärtes Ziel: 1.000 Arbeitsplätze in den Bereichen Schiffbau und -reparatur, Offshore- und regenerative Energien sowie Meeresforschung.
Von über 50 Interessenten haben ein halbes Jahr später fünf Pächter unterschrieben: Der Seehafen Stralsund, die Ostseestaal GmbH, der Windkraftanlagenbauer German Sustainables, Fosen Yard und die Steamergy Stralsund GmbH. Der letzte Pachtvertrag wurde Ende September mit dem Unternehmen Steamergy aus Bayern geschlossen. So sollen am Sund hochmoderne Komponenten von klimaneutralen Dampfkraftwerken entstehen, um bezahlbare, klimaneutrale Schiffsantriebe anzubieten. Dafür gründete das bayerische Unternehmen aus Deggendorf extra ein Tochterunternehmen: Steamergy Stralsund. Aktuell laufen Gespräche mit potenziellen Mitarbeiter:innen. Produktionsbeginn soll noch in diesem Jahr sein.
Platz für weitere Interessenten ist da: Bislang seien 65 Prozent der Produktionsfläche vermietet. In den kommenden Monaten sollen noch weitere Pächter dazukommen. Schwierig sei die Verpachtung der Büroflächen, so Bauamtsleiter Frank-Bertolt Raith. Mit weiteren Interessenten für Hallen und Flächen werden aktuell Gespräche geführt.
Wachsende Sorge in Schwerin
Landeswirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) brachte im Oktober seine Sorge um den Standort Stralsund zum Ausdruck. Die Entwicklung sei bisher ein Traum geblieben, eine Zukunft sei nicht erkennbar. In der Hansestadt sei laut Meyer noch viel Stückwerk dabei – besonders, was die Beschäftigung betrifft: „Es gibt kaum neue Arbeitsplätze. Wir stehen als Land bereit, um zu helfen. Aber man muss unsere Hilfe wollen. Das ist die Botschaft an die Stadt Stralsund“, sagte Meyer. Das Land wolle die Ansiedlungen unterstützen, doch müsse die Stadt ihre Kommunikation verbessern.
Gewerkschaft und Betriebsrat kritisieren fehlende Mitsprache
Bislang seien von den versprochenen 1.000 jedoch nur 150 Arbeitsplätze entstanden. An echter Beschäftigung sei fast nichts herausgekommen, kritisiert Guido Fröschke von der IG Metall. Die Gewerkschaft kritisiert fehlende Mitsprache bei den Verhandlungen um die Zukunft der Werft. Fröschke zufolge sei die Lage am Sund besonders angespannt. Dies wurde auch in der letzten Sitzung des Volkswerft-Ausschusses deutlich – die Fronten zwischen Stadt, Betriebsrat und Gewerkschaft sind verhärtet: Es kam zu hitzigen Diskussionen um die Auflösung der Werksfeuerwehr, den Verkauf von Werftmaterialien und die Unsicherheit, wie es mit den Stralsunder Fachkräften weitergeht. Die Nebenkosten des Geländes könnten die Stadt auf ein finanzielles Abenteuer schicken. Rund 500.000 Euro fallen monatlich an – steigende Energiepreise nicht mitgerechnet.
Der eigens für das Projekt eingesetzte Ausschuss soll die Anlaufphase des Gewerbeparks begleiten und die Öffentlichkeit informieren, wie es mit den Plänen der Stadtverwaltung vorangeht. Nun wollen sich Betriebsrat, Gewerkschaft und Stadtverwaltung zu Gesprächen treffen. „Besser, bevor es zu spät ist“, sagte Ausschussvorsitzender Jörg Schulz – bevor die Transfergesellschaft ausläuft und Fachkräfte in die Arbeitslosigkeit rutschen.
Es bleibt viel zu tun in der Stadtverwaltung. Durch die Übertragung der Werft zurück auf die öffentliche Hand müssen andere Bereiche zurückstecken, wie die Energiesparpolitik der Stadt. Ende September letzten Jahres beauftragte die Bürgerschaft den Oberbürgermeister, sämtliche städtische Gebäude auf ihren Energieverbrauch und ihr energetisches Einsparpotenzial zu untersuchen. Auf die Nachfrage von Thomas Haack, Fraktionsgeschäftsführer der Bürger für Stralsund, ob es ein Jahr später dazu auch Ergebnisse gebe, wird mit dem Kauf der Werft argumentiert: „Die Ermittlung der Einsparpotentiale aller Gebäude sowie die Erarbeitung einer Strategie für eine möglichst grüne Energie- und Wärmeversorgung der städtischen Gebäude verzögert sich aufgrund der Übernahme der Werft und der daraus resultierenden notwendigen Aufgaben“, erklärt Amtsleiterin Gelinek. Bis zum 30. November wolle die Stadtverwaltung in der Sache Klarheit schaffen. Die nächste Sitzung des zeitweiligen Ausschusses Volkswerft findet wieder öffentlich im Rathaus statt – am 7. Dezember. Sieben Tage nach Ende der Transfergesellschaft.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe 13 von KATAPULT MV.
Seitdem kam am 9. November eine neue Pächterin, die Strela Shiprepair GmbH, auf dem Gelände des maritimen Ge dazu. Der Interessenverbund von Reedern und Schiffsbetreuern von der Nord- und der Ostseeküste will ab dem 1. Januar 2023 mit 35 Schiffbauern starten und einen nachhaltigen Schiffsreparaturbetrieb am Sund entwickeln.
Quellen
- Hansestadt Stralsund (Hg.): Stralsunder Oberbürgermeister will Flächen der Stralsunder Werft für die Hansestadt sichern, auf: stralsund.de (5.3.2022).↩
- Bürgerschaft der Hansestadt Stralsund (Hg.): Niederschrift der 09. Sitzung der Bürgerschaft am 22.9.2022, S. 14-15, auf: webris.stralsund.de.↩