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Volkswerft Stralsund

Gewerkschaft kritisiert fehlende Mitsprache bei maritimen Industrie- und Gewerbepark

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Während an anderen Werftstandorten künftig für die Marine gebaut werden soll, hat sich die Stadt Stralsund ihre Volkswerft selbst zum Projekt gemacht. Die Hansestadt will auf dem Werftgelände ein maritimes Gewerbegebiet entwickeln und kaufte das Gelände rund um die alte Volkswerft Anfang März für etwa 16,5 Millionen Euro, um mit verschiedenen Pächtern gut 1.000 Arbeitsplätze zu schaffen. Bislang arbeiten dort jedoch nur 150 Menschen.

Statt wie zuvor nach einem großen Investor zu suchen, entschloss die Stadt nunmehr mehrere Pächter auf dem Gelände unterzubringen, um so das Risiko einer erneuten Werftenpleite, wie zuletzt beim asiatischen Konzern Genting – zumindest für die Hansestadt Stralsund – einzudämmen. 

Das Interesse der Investoren an einem innovativen und nachhaltigen maritimen Gewerbepark schien groß: Über 50 Interessenten hätten ein Auge auf die ​​32.000 Quadratmeter Büroflächen, 24.000 Quadratmeter ausgestattete Werkstätten und 97.000 Quadratmeter Hallenflächen geworfen.

Steamergy als fünfter Pächter ab Oktober im Boot – nichts Neues von Fosen

Bislang seien allerdings nur etwa 65 Prozent der Flächen verpachtet. Der letzte Pachtvertrag wurde Ende September mit dem Unternehmen Steamergy aus Bayern geschlossen. Die Firma will am Sund hochmoderne Komponenten von klimaneutralen Dampfkraftwerken bauen, um bezahlbare, klimaneutrale Schiffsantriebe zu entwickeln. Dafür gründete das bayerische Unternehmen aus Deggendorf extra ein Tochterunternehmen: Steamergy Stralsund GmbH. Aktuell laufen Gespräche mit potenziellen Mitarbeiter:innen. Für die Fertigung werden vor allem WIG-Schweißer und Konstruktionsmechaniker gesucht. Produktionsstart soll noch in diesem Jahr sein. 

Weitere Pächter auf dem Werftgelände sind der Seehafen Stralsund, die Ostseestaal GmbH, der Windkraftanlagenbauer German Sustainables und Fosen Yard

Der zeitweilige Ausschuss Volkswerft in Stralsund tagte am 5. Oktober zum dritten Mal. Hier im historischen Kollegiensaal des Rathauses der Hansestadt. Foto: Patrick Hinz
Der zeitweilige Ausschuss Volkswerft in Stralsund tagte am 5. Oktober zum dritten Mal über die Entwicklung des alten Volkswerftgeländes. Hier im historischen Kollegiensaal des Rathauses der Hansestadt. Foto: Patrick Hinz

Zwischen Unwissen und Uneinigkeit

Laut Guido Fröschke, Geschäftsführer der IG Metall Stralsund-Neubrandenburg, hat der norwegische Schiffbauer Fosen Yard als bisher größter Pächter auf dem ehemaligen Werftgelände frühestens für Januar eine mögliche Beschäftigung von etwa 80-90 Fachkräften in Aussicht gestellt. Für den nächsten Sommer sollen 150 Beschäftigte dazukommen. „Wobei wir das mit unseren Beobachtungen für sehr sportlich halten, so wie es in Emden für Fosen gelaufen ist“, betont Fröschke. Bisher seien keine Verträge unterzeichnet. Man habe nur Absichtserklärungen, sogenannte Letter of Intents vom norwegischen Schiffbauer. Obwohl Fosen Yards am Standort Emden Insolvenz anmelden musste, sei man in Stralsund von den Auswirkungen nicht betroffen, versicherte die Stadt im Juni.

Bauamtsleiter Frank-Bertolt Raith stellte zusammen mit den beiden ebenso für das Areal zuständigen Amtsleiter:innen Sonja Gelinek (Amt für Schule und Sport) und Peter Fürst (Amt für Wirtschaftsförderung/Stadtmarketing) in einem Kurzvortrag die aktuellen Entwicklungen zum maritimen Industrie- und Gewerbepark vor. 

Viel Neues gab es nicht: Neben der Ansiedlung von Steamergy soll auch die Arbeit in der Kantine in Kürze wieder aufgenommen werden. Am kommenden Samstag soll das Segelschulschiff Greif aus Greifswald nach Stralsund überführt werden und in 90 Tagen auf dem Werftgelände von verschiedenen Firmen instand gesetzt werden. 

Fröschke zufolge sind die ehemaligen MV-Mitarbeiter zudem entrüstet, dass die Stadt Stralsund als neue Eigentümerin des Geländes die noch vorhandene Ausrüstung möglichst schnell verkaufe. Der IG-Metall-Geschäftsführer sprach von einer fehlenden Weitsicht im Rathaus. Kräne und weitere Maschinen würden „verwertet“ beziehungsweise versteigert oder demontiert, nachdem man sie zuvor potenziellen Pächtern zur Übernahme angeboten hat, heißt es aus der Stadtverwaltung. Einer der Kräne soll auf die Hafeninsel verlegt werden. 

Heiße Diskussionen um die Feuerwehr auf dem Werftgelände

Die Diskussionen um die Einstellung der Werkfeuerwehr sind noch nicht beendet. Um laufende Kosten für die jetzigen und noch kommenden Pächter zu vermeiden, soll statt der bisherigen Werksfeuerwehr ein modernisiertes Brandschutzkonzept für Sicherheit bei der industriellen Produktion in der Werft (mit Ausnahme der Bürogebäude) sorgen. So zumindest stellte es Bauamtsleiter Raith vor.

Anstelle einer durchgehend besetzten Werksfeuerwehr mit den erforderlichen 53 Angestellten, sei eine freiwillige Betriebsfeuerwehr für Stadt und Pächter wesentlich günstiger, so Raith. Die Betriebskosten sollen sich im Jahr auf mehrere Millionen Euro belaufen haben – einen Teil davon müssten die Pächter tragen. Dabei sei eine freiwillige Betriebsfeuerwehr nicht mit der freiwilligen Feuerwehr der Stadt zu vergleichen, sondern würde sich aus speziell geschulten Mitarbeiter:innen der einzelnen Pächter-Unternehmen zusammensetzen. „Pro Betrieb würden zwei Mitarbeiter mit Ortskenntnissen ausgebildet werden, die dann zu der freiwilligen Betriebsfeuerwehr gehören“, erläutert der Bauamtsleiter. „Einen Stahlkahn anzuzünden dauert ewig, das wird wahrscheinlich nie brennen“, so Raith. Die Abschaffung der Werksfeuerwehr sei eine kleinstmögliche Investition zu einem größtmöglichen Ziel: der Reduktion der Kosten für Pächter, die auch in Zeiten der Energiekrise konkurrenzfähig bleiben müssen. 

Bauamtsleiter Frank-Bertolt Raith verteidigt die Einsparung einer kostenintensiven Werksfeuerwehr durch möglichen Ersatz durch eine freiwillige Betriebsfeuerwehr bestehend aus den Werftmitarbeiter:innen. Foto: Patrick Hinz
Bauamtsleiter Frank-Bertolt Raith verteidigt die Einsparung einer kostenintensiven Werksfeuerwehr durch möglichen Ersatz durch eine freiwillige Betriebsfeuerwehr bestehend aus den Werftmitarbeiter:innen. Foto: Patrick Hinz

IG Metall und Betriebsrat warnen vor fehlender Weitsicht im Rathaus

Keine gute Idee, finden IG Metall-Vorsitzender Guido Fröschke und der ehemalige Betriebsratsvorsitzende der MV-Werften in Stralsund, Bernd Fischer. Was das Konzept betrifft, sei nicht klar, wie es gelingen soll. „Wir wünschen uns von den Fraktionen, dass auch die Beschäftigten einbezogen werden“, so Fröschke. 

Die Gewerkschaft fordert deshalb mehr Mitspracherecht. Wenn ein Konzept vorläge, sollten sich nach Auffassung der Gewerkschaft, darüber Expert:innen gemeinsam mit Beschäftigten beraten. „Nicht, dass wir die Feuerwehr abschaffen und hinterher keine Betriebserlaubnis mehr bekommen“, fürchtet Fröschke. 

Der ehemalige Betriebsratsvorsitzende Bernd Fischer bemängelt im Werftausschuss ebenso fehlende Weitsicht bei der Idee einer freiwilligen Betriebsfeuerwehr. Eine Kostenaufstellung für die dann an Dienstleister zu vergebenden Erwachsenenschulungen im Brandschutz gibt es dafür bislang nicht. „Wie wollen sie die Ausbildung der Mitarbeiter:innen bezahlen? Hat das mal jemand durchgerechnet?“, fragt Fischer. „Wir haben ja Kollegen in der Freiwilligen Feuerwehr. Aber wenn die Kollegen arbeiten, können sie mit kontaminierten Arbeitssachen keine Menschen retten – sie müssten sich erst umziehen. Nach sieben Minuten ist ein Mensch dort tot. Ich will nicht sagen, ein Mensch ist gestorben, weil wir die Feuerwehr eingestampft haben.“ Beim Bau der Crystal Endeavor seien auf der Volkswerft 1.600 Menschen beschäftigt gewesen – 42 mal mussten Rettungseinsätze gefahren werden. „Da gab es Herzinfarkte und und und“, so Fischer. 

Gespräche zwischen Gewerkschaft, Stadtverwaltung und Betriebsrat angestrebt

"Ich will nicht, dass wir Entscheidungen treffen, die uns später leidtun", warnt Geschäftsführer der IG Metall Stralsund-Neubrandenburg, Guido Fröschke, vor dem Sonderausschuss. Foto: Patrick Hinz
"Ich will nicht, dass wir Entscheidungen treffen, die uns später leidtun", warnt Geschäftsführer der IG Metall Stralsund-Neubrandenburg, Guido Fröschke, vor dem Sonderausschuss. "Drohende Arbeitslosigkeit durch das Ende der Transfergesellschaft am 30.11. ist das Kernthema, das hier alle bewegt." Foto: Patrick Hinz

„Ich habe den Vorschlag gemacht, dass wir uns zum Gespräch setzen. Wir hatten schonmal einen Toten auf der Werft, ich will nicht, dass wir Entscheidungen treffen, die uns später leidtun“, meint Guido Fröschke. „Mein Vorschlag ist der: Lasst die Leute, die davon Ahnung haben, über ein Brandschutzkonzept reden.“ Auch Ausschussvorsitzender Jörg Schulz (Fraktion Bürger für Stralsund) rät Gewerkschaft und Betriebsrat, sich mit Bauamtsleiter Raith zusammenzusetzen. „Wenn es dafür nicht schon zu spät ist“, so Schulz. Man spüre weitere Verhärtungen in dem Bereich. Bauamtsleiter Raith signalisiert Gesprächsbereitschaft: „Lassen Sie uns zusammensetzen, denn so wie es gerade läuft, ist es für den Standort nicht förderlich.“ 

Amtsleiterin Sonja Gelinek nennt es „Wachstums- und Umbauschmerzen“.  Man sei gerade in einem Umwandlungsprozess. „Da führen viele Dinge zu Missverständnissen und da müssen verschiedene Kompromisse eingegangen werden.“ Man sollte „weg von der konfrontativen Art“ und die Themen lieber außerhalb der Presse diskutieren. 

Dabei soll der zeitweilige Ausschuss Volkswerft die Anlaufphase des Gewerbeparks begleiten und die Öffentlichkeit informieren, wie es mit den Plänen in der Stadtverwaltung vorangeht. Klar ist für Ausschuss-Vorsitzenden Jörg Schulz am Ende der Sitzung: „Es wird die Werft nicht mehr so geben, wie sie einmal war. Fosen äußert sich nicht und wir spekulieren weiter, wohin die Reise geht“. 

Wirtschaftsminister kritisiert Kommunikation zwischen Stadt und Land

MVs Wirtschaftsminister Reinhard Meyer (SPD) hatte am Mittwoch auf einer IG-Metall-Kundgebung vor dem Schweriner Landtag die Kommunikation der Stadt Stralsund mit der Landesregierung kritisiert: „Wir haben die Situation, dass wir allen Informationen hinterherlaufen müssen, das kann nicht so weitergehen.“ Die Landesregierung will laut Meyer helfen, eine Beschäftigung für die ehemaligen Mitarbeiter der MV Werften – die aktuell noch in der Transfergesellschaft aufgefangen werden – am Standort zu ermöglichen. Danach sehe es aktuell aber nicht aus.

Die nächste Sitzung des zeitweiligen Ausschusses Volkswerft findet wieder öffentlich am 7. Dezember statt – sieben Tage nach Ende der Transfergesellschaft. Die Transfergesellschaft mit 190 ehemaligen Mitarbeiter:innen aus Stralsund läuft nach aktuellem Stand (7. Oktober) am 30. November aus. Im nächsten Jahr will die Hansestadt dann einen Tag des offenen Werfttores veranstalten – zum 75. Jubiläum der Volkswerft Stralsund. Bis dahin bleibt abzuwarten, wie viele Fachkräfte dem maritimen Industrie- und Gewerbepark erhalten bleiben können. 

Mehr zum Thema gibt’s auf unserer Themenseite Werften.

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Autor:innen

Redakteurin bei KATAPULT MV.

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