Die Redner:innenliste für die Demokratie-Demonstration gestern in Pasewalk war prominent besetzt. Angemeldet waren neben der Kreistagspräsidentin des Landkreises Vorpommern-Greifswald, Sandra Nachtweih, und Landrat Michael Sack (beide CDU) auch die Landtagsabgeordnete und Kulturministerin Bettina Martin sowie der Staatssekretär für Vorpommern und das östliche Mecklenburg Heiko Miraß (beide SPD). Dass sowohl Sack als auch Miraß es nicht rechtzeitig zu ihrem Auftritt schafften und ihre Reden damit ausfielen, schien die rund 150 Menschen dann jedoch wenig zu beschäftigen. Vielmehr war die Veranstaltung fast von Beginn an mit Störungen durch verschiedene Gegendemonstrant:innen konfrontiert.
Um kurz nach 17 Uhr konnte Versammlungsleiterin Kerstin Seeger die Kundgebung noch ohne Zwischenrufe und Vorfälle eröffnen. Sie verlas dazu unter anderem ein Grußwort des Pasewalker Bürgermeisters Danny Rodewald (parteilos), der aufgrund eines Auslandsaufenthalts nicht an der Veranstaltung teilnehmen konnte. Deutschland sei ein demokratisches Land, in dem man sich „weltoffen“ gegenübertreten solle. Stattdessen mache man sich jedoch mit „Hass, Hetze und Verachtung“ gegenseitig das Leben schwer und nehme Verletzungen in Kauf. Das wolle er nicht akzeptieren, verlass Seeger.
Am Rande des Marktplatzes, nur einige Meter von den Demokratiedemonstrierenden entfernt, hatte sich bereits zu Beginn eine Gruppe von Gegendemonstrant:innen versammelt. Neben einer großen Deutschlandfahne wurden auch hier Protestschilder gehalten, die sich zumeist gegen Krieg aussprachen.
Auf der Bühne ergriff unterdessen als zweite Rednerin Bettina Martin das Wort. Sie bedankte sich mehrfach bei den Menschen für ihr Kommen und ihr Engagement für die Demokratie vor Ort. Gerade „in den kleinen Städten und Gemeinden“ sei das noch viel wichtiger als in Millionenmetropolen wie Hamburg oder Berlin. Martin kritisierte darüber hinaus jedoch auch das Verhalten und Aussagen von AfD-Abgeordneten etwa im Landtag. Es werde der Eindruck erweckt, dass nicht mehr frei gesprochen oder eine Meinung geäußert werden dürfe. „Und ich sage Ihnen: Das ist Unsinn!“, so Martin. „Wir leben in einem Staat, wo man seine Meinung sagen darf. Und diesen Staat wollen wir erhalten. Diese Meinungsfreiheit brauchen wir. Und eins ist auch klar: Hass ist keine Meinung!“
Die Pause nach Martins Rede nutzte einer der Gegendemonstrant:innen, um selbst auf der Bühne das Wort zu ergreifen. Nach einem einleitenden Satz zu Ungeimpften schritt Versammlungsleiterin Seeger sofort ein und wies auf die Redner:innenliste hin, auf der die Frau nicht stehe. Doch auch das Abwenden des Mikrofons hielt diese nicht davon ab, den Beginn eines vorgeschriebenen Textes von ihrem Handy abzulesen. „Auch wer mit Öl und Gas heizt ist rechts. Verbrennerfahren ist rechts.“
Unter Pfiffen und Buh-Rufen setzte Seeger schließlich ihr Versammlungsrecht durch. „Nur weil du es auf der Bühne sagst, wird es nicht wahr“, rief der Störerin noch jemand aus dem Publikum hinterher. Unter Schimpfen verließ sie schließlich die Bühne und den Platz. Wie die Polizei im Nachgang mitteilte, konnte sie von später eintreffenden Einsatzkräften vor Ort nicht mehr festgestellt werden.
Im Anschluss sprach der Pastor der evangelischen Kirche Pasewalk Johannes Grashof. Im Hinblick auf die Leute, die sich „für das Volk“ hielten oder „dessen legitime Stimme“, werde es Zeit, „sie von [dieser] Wahrnehmungsstörung zu befreien“. Deshalb sei man heute hier. „Denn es reicht.“
Es sei ihr „ein persönliches Anliegen, die Werte zu betonen, die zum Grundgerüst unserer Gesellschaft gehören“, leitete nachfolgend CDU-Politikerin Sandra Nachtweih ihre Rede ein. Dies seien „Demokratie, Vielfalt, Weltoffenheit und Toleranz“. Sie lobte ebenfalls das Motto der Demonstration in Pasewalk – dass dieses mit einem „Für“ und nicht einem „Gegen“ überschrieben sei.
Während Nachtweihs weiteren Worten – „Herz statt Hetze. Besonnenheit statt Aggressivität“ – wurden von hinten unzählige Flyer in die zuhörende Menschenmenge geworfen. Mutmaßlich von zwei Angehörigen der rechtsextremen Kleinstpartei Der III. Weg. Auf diesen war „Nationale Gegenoffensive!“ und „Schluss mit linken Hetzereien und Verbotsphantasien“ zu lesen. Darüber hinaus wurde die Versammlung durch laute Rufe und Pfiffe gestört. Mindestens ein Mann sang „Ausländer raus, Deutschland den Deutschen“. Die Polizei konnte ihn stellen und seine Personalien aufnehmen, wie der Einsatzleiter vor Ort bestätigte. Gegen den 35-jährigen Verdächtigen läuft nun eine Anzeige wegen Volksverhetzung.
Trotz der Unterbrechungen beendete Nachtweih ihre Rede auf der Bühne. Und auch die nachfolgenden Redner:innen, etwa der Vorstandsvorsitzende des Bauernverbandes Uecker-Randow, Emanuel Reim, ließen sich nicht von teils penetranten Pfiffen neben der Bühne und „Volksverräter“-Rufen aus dem Konzept bringen.
Zum Ende der Demonstration skandierten die Teilnehmer:innen einmal gemeinsam „Wir sind mehr!“, bevor Seeger die Versammlung schließlich offiziell für beendet erklärte. Die Menge zerstreute sich jedoch nicht sofort komplett, sondern richtete die Aufmerksamkeit noch auf einen Gesprächsversuch am Rande. Eine Demokratiedemonstrantin versuchte dort eine Unterhaltung mit einem lauten Protestierer zu beginnen, der im Vorfeld durch unter anderem eine 88-Anspielung aufgefallen war. Das Gespräch wurde von mehreren Polizisten abgesichert. Diese hatte zum Ende der Demonstration ihre zu Beginn eher spärliche Besetzung noch einmal deutlich verstärkt.
Wie die Polizei im Nachgang der Veranstaltung zudem mitteilte, sei nach dem Ende noch ein Veranstaltungsteilnehmer leicht verletzt worden. Ihm sei eine „Die Linke“-Fahne geraubt und er bei der Verfolgung durch einen zweiten Täter zu Boden gestoßen worden, heißt es. Eine entsprechende Strafanzeige sei gestellt worden.
Quellen
- Polizeipräsidium Neubrandenburg (Hg.): POL-NB: Mehrfache Störung einer Versammlung in Pasewalk, auf: presseportal.de (5.2.2024).↩