Bedrohung von Kommunalpolitiker:innen

Wer will sich das noch antun?

Die Kommunalwahl rückt mit großen Schritten näher und damit auch die Entscheidung „Wen weshalb wählen?“. Doch dazu müssen sich erst einmal engagierte Menschen finden, die sich für ein Ehrenamt auf Gemeinde- oder Kreistagsebene aufstellen lassen. Politisch Interessierte, aber auch Alteingesessene dafür zu begeistern, scheint eine Herausforderung für sich. Dabei hilft es wenig, dass sich die Bedrohungslage für Politiker:innen vor Ort merklich verschärft hat. Ein Blick ins Land.

Den Namen Katharina Horn kennen seit Ende Januar wohl nicht mehr nur Greifswalder:innen und Leute, die sich für grüne Landespolitik interessieren. Vielmehr ist Horns Name seitdem durch eine Vielzahl verschwörungsideologischer, rechtsradikaler und populistischer Medien gegangen. Von Auf1 bis Nius berichteten alle von jenem Abend des 31. Januar, an dem die Grünen-Politikerin einen Mann von der Greifswalder Rathaustreppe gestoßen haben soll. Sie selbst beschreibt den Sturz als Unfall des Mannes, ausgelöst durch das Gedränge auf den Stufen. Was genau auf der Treppe im Nachgang einer Sondersitzung der Bürgerschaft passiert ist, wird also sehr unterschiedlich dargestellt. Fest steht lediglich, dass eine Anzeige des mutmaßlich Geschädigten gegen Horn vorliegt und die Polizei derzeit ermittelt. Bis Anfang Mai laufen nach Auskunft der Polizeiinspektion Anklam noch die Zeugenvernehmungen. Währenddessen steht für bestimmte Gruppen Horns Schuld längst fest. Und sie verbreiten ihre Vorverurteilung in den Sozialen Medien, wie etwa die Greifswalder Initiative Bürgerentscheid (IGB).

Fest steht auch, dass sich die Grünen-Politikerin – und das nicht erst seit dem angeblichen Vorfall – immer wiederkehrenden Hasswellen gegenübersieht. Über 150 Anzeigen habe sie in den vergangenen Wochen gestellt, berichtet sie im Gespräch mit KATAPULT MV Ende Februar. Dabei gehe es um Beleidigungen und Bedrohungen, die sich auch gegen ihr Leben richteten, so Horn. 99 Prozent davon hätten sie online erreicht. In Kommentaren bei X, Instagram und Co. wird sie als „bösartiges, linkes Luder“, „Mistkind“ oder „linke Drecksbazille“ betitelt. Leute, teilweise unter ihrem Klarnamen, äußern den Wunsch, sie möge eingesperrt, blutig gestoßen, vergewaltigt oder getötet werden. Auch auf der Straße sei sie in Greifswald schon beschimpft worden. Die Menschen hätten „so viel Wut in sich, dass die Hemmschwelle überschritten wird“, überlegt Horn. Was macht das mit ihr?

„Es geht nicht spurlos an einem vorbei.“ Und zu einem gewissen Teil schüchtere es natürlich ein, gibt Horn, die auch Landesvorsitzende der Grünen ist, beim NDR zu. Gegenüber KATAPULT MV betont sie jedoch ebenfalls die „Gegenreaktion“, die dadurch bei ihr ausgelöst werde. So lasse sie sich etwa nicht von Redebeiträgen bei Demokratiedemos oder ähnlichen Veranstaltungen abhalten. Und sie zeige entsprechende Fälle an.

Angriffe und Bedrohungen bis ins Private

Das, was Katharina Horn in Greifswald und online erlebt, ist in MV kein Einzelfall. So berichten verschiedene Lokalpolitiker:innen, dass die Attacken auf sie in den vergangenen Jahren zugenommen hätten. Die landesweite Kriminalstatistik bestärkt diesen Eindruck: 106 Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger:innen wurden 2022 verzeichnet – ein Anstieg um knapp 54 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Dazu kommen Angriffe auf Wahlkreisbüros. Allerdings sei deren Zahl mit 26 im Jahr 2022 und 24 im Jahr 2021 laut Innenministerium konstant. „Protest ist legitim und in einer Demokratie ausdrücklich geschützt“, sagte Innenminister Christian Pegel (SPD) anlässlich der Veröffentlichung der Zahlen, allerdings seien Straftaten und Gewalt kein legitimes Mittel der Meinungsäußerung. „Wer den Staat und insbesondere Menschen, die ihn vertreten, in solcher Form angreift, attackiert unsere Demokratie. Das werden wir nicht dulden.

Der Minister hat damit offenbar besonders die politisch motivierten Straftaten im Blick. 27 der 106 klassifiziert das Innenministerium als solche, wie aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion im Landtag aus dem vergangenen September hervorgeht. Auch hier muss ein Anstieg um mehr als die Hälfte im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet werden. 2021 waren es „nur“ 13. Darunter vor allem Drohanrufe, Drohschreiben, Anfeindungen und Beleidigungen in den sozialen Medien. Auch Sachbeschädigungen sind zu finden. Sie reichen bis in die Privatsphäre – von der Beschädigung eines Autos bis hin zur Wohnungstür.

Von Letzterem kann die Lokalpolitikerin Ricarda Flender berichten. Sie tritt in der Gemeinde Feldberger Seenlandschaft (Mecklenburgische Seenplatte) als parteilose Kandidatin zur Kommunalwahl an. Ende Januar sei sie in Neubrandenburg auf der Demokratiedemo gewesen, erzählt sie am Telefon. In der Nacht darauf sei nicht nur ihr Briefkasten mit Mist vollgestopft worden, sondern sie habe am nächsten Tag auch einen damit befüllten Karton auf ihrer Terrasse vorgefunden. Das sei „kein Kleinjungenstreich“, findet sie mit Blick auf die Verharmlosung des Vorfalls durch einige Außenstehende.

Vonseiten der Polizei, an die sie sich danach gewandt hatte, habe es nur geheißen, Flender solle den Fall „für sich dokumentieren“. Und da der Postbote aufs Grundstück dürfe, liege kein Hausfriedensbruch vor. So erzählt sie es. Der Wahlleiter sei ebenfalls informiert worden.

Flender berichtet, dass sich seit diesem Vorfall „ein anderes Gefühl“ in ihr breitgemacht habe. Von der Kandidatur hat sie sich aber nicht abhalten lassen. Schließlich war sie auch vorher schon politisch engagiert und dabei mit Hass konfrontiert. Sie sei vor zweieinhalb Jahren an ihren jetzigen Wohnort gezogen und damals nicht nur bei den Grünen eingetreten, sondern stand auch als Sprecherin für den Ortsverband. „Hier ist voll der Grünen-Hass“, fasst sie die Einstellung zur Partei in der Region zusammen. In der Zeit nach ihrem Eintritt sei es „zappenduster“ bei manchen Leuten geworden. „Die Grünen sind gegen alles“, so ein gängiges Vorurteil. Und ihre persönlichen Ansichten seien „zum Kotzen“, habe Flender sich ebenfalls anhören müssen.

Mittlerweile ist sie kein Mitglied der Grünen mehr. Sie sei womöglich „grüner als die Grünen“, überlegt sie. Mit den Entscheidungen der letzten Jahre habe sie einfach nicht mehr viel anfangen können.

Kleinere Gemeinden schneller gespalten

Dass sich viele Lokalpolitiker:innen vor dem Hintergrund derartiger Erfahrungen unweigerlich die Frage stellen, was solche Angriffe und Bedrohungssituationen für ihr freiwilliges politisches Engagement bedeuten, verwundert wenig. Und dass es bei einigen Menschen auch jetzt schon dazu führt, wie Katharina Horn es ausdrückt, sich zu fragen, „ob sie sich das in dem Ausmaß noch geben möchten“, auch nicht.Eine düstere Prognose gibt eine Politikerin von der Insel Rügen ab. Genannt werden möchte sie nicht. Sie ist froh über das Ende ihrer Amtszeit, weil sie, ihre Familie und politische Kooperationspartner:innen zum Teil massiv unter Druck gesetzt worden seien – mit Unterstellungen und falschen Behauptungen bis hin zu übler Nachrede. „Besonders in kleinen Gemeinden ist die Bekämpfung von Gerüchten schwer“, erzählt sie am Telefon. Sie habe erlebt, wie Investor:innen sich in politische Konflikte vor Ort gezielt einmischten und mit Versprechungen, Spenden und Gefälligkeiten die Politik zu ihren Gunsten zu beeinflussen versuchten. Das wirke sich bis in die Aktivitäten verschiedener örtlicher Vereine hinein negativ aus. Und nicht nur dort. Demokratische Zusammenschlüsse seien mittlerweile schwierig geworden, berichtet sie weiter. Wer vermeintlich mit ihr und Teilen der Gemeindevertretung im Bunde gewesen sei, habe es schwer. Die Gemeinde habe sich gespalten – in das eine oder das andere Lager. Die Konsequenzen gingen über das politische Amt hinaus. Einige bisher politisch engagierte Menschen hätten sich nicht mehr getraut, zur anstehenden Kommunalwahl anzutreten – aus Angst vor persönlichen Nachteilen. Und es gebe derzeit keine Instanz, die von landespolitischer Seite sichere Unterstützung bieten könne.

Grüne erarbeiten Schutzkonzept

Um ebendiese zumindest für Mitglieder der Grünen und für Menschen, die sich für die Partei engagieren, zu gewährleisten, haben die Landes-Grünen die Erarbeitung eines internen Schutzkonzeptes angeschoben, berichtet Katharina Horn. Es soll den Umgang mit Bedrohungen und damit die Situation für Engagierte vor Ort erleichtern und eine Anlaufstelle schaffen. „Wir haben eine Verantwortung für die Leute, die für uns kandidieren“, findet Horn.

Ähnlich sieht das auch Lobbi, die Opferberatungsstelle für Betroffene rechter Gewalt in MV. Die Leute, die sich vor Ort politisch einbringen, „brauchen den Schutz der Mutterpartei“. Sie müsse sie im Blick haben und stärken, fordert die Beratungsstelle. Dafür bietet Lobbi auch eine Beratung zu Sicherheitskonzepten an. Sie sollte nicht erst dann genutzt werden, „wenn was passiert ist“.

Dass die Grünen den Schritt eines Sicherheitskonzepts gehen, sei „folgerichtig“, findet die Linkspartei. Man sehe allerdings diese Verantwortung in erster Linie bei den öffentlichen und staatlichen Strukturen, so Landesgeschäftsführer Björn Griese. Von der Landes-CDU heißt es mit Blick auf die eigenen Reihen, dass es derzeit bei ihnen keine Diskussion um ein solches Konzept gebe. Obwohl verschiedene Politiker in der Vergangenheit ebenfalls mit Angriffen konfrontiert waren – so wurde etwa 2016 ein Brandanschlag auf das mit Wahlwerbung beklebte Auto von Franz-Robert Liskow verübt und im Haus des damaligen Wolgaster Bürgermeisters Stefan Weigler waren im Nachgang der Landtagswahl 2022 Scheiben eingeworfen worden –, stelle sich ohnehin die Frage der praktischen Umsetzung.

Auf Bundesebene baut das Innenministerium seit Ende Januar eine neue Ansprechstelle auf. Sie soll in der zweiten Jahreshälfte ihre Arbeit aufnehmen. Die Einrichtung soll sich dem Schutz kommunaler Amts- und Mandatsträger:innen widmen, Information und Beratungen für Kommunalpolitiker:innen anbieten und die Kommunikation mit Behörden und Justiz verbessern. Denn auch bundesweit steige die Zahl der Angriffe und Anfeindungen, so die Begründung.

Mobbing, Angriffe, Angst: Einfallstor für rechte Gruppierungen

Inwiefern von solchen Angeboten dann auch Politiker:innen in MV profitieren können, muss sich zeigen. Für die Kommunalwahl ist es auf jeden Fall zu spät. So ist auf Rügen schon jetzt klar, dass nur noch wenige erneut antreten. Viele der erfahrenen Lokalpolitiker:innen haben sich auch deshalb nicht aufstellen lassen, um sich „dem Stress nicht mehr auszusetzen“, berichtet die Rüganer Politikerin. Sehr viel stärker wirke dagegen eine neue politische Gruppe, die ihrer Einschätzung nach von der AfD unterstützt wird. Auch mit dabei: Reichsbürger:innen, ehemalige NPD-Anhänger:innen, Corona-Leugner:innen und Vertreter:innen der sogenannten freien Presse.

Der Kommunalwahl sieht sie pessimistisch entgegen. In dieser Region verzeichne die AfD schon seit Jahren immer mehr Wählerstimmen. Zugewinne kamen vor allem im Zuge der Corona-Pandemie. Aber diesmal könnten es noch mehr werden, befürchtet sie. In den kleinen Gemeinden hätten die demokratischen Parteien keine Präsenz mehr, weder in der Gemeindevertretung noch zum Beispiel in Vereinen. Diese weißen Flecken würden von rechten Kräften, insbesondere der AfD, umso mehr besetzt. Besonders junge Leute würden so abgeschreckt oder Gefahr laufen, sich Antidemokrat:innen anzunähern.

Ob ein Zusammenschluss demokratischer Parteien helfen könnte, fragen wir. „Ja, wenn es sie vor Ort gäbe, wäre das eine Chance“, sagt sie.

Mehr Hass, weniger Engagement

Klaus-Michael Glaser vom Städte- und Gemeindetag MV bestätigt diese Beobachtung auch landesweit. Der Ton sei rauer geworden, verschiedene politische Positionen würden sich stärker gegeneinander abgrenzen als noch vor ein paar Jahren. Besonders seit der Corona-Pandemie und dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine seien Menschen mit unterschiedlichen Meinungen unversöhnlicher geworden. Es würden Brückenbauer:innen fehlen, mahnt Glaser. Kompromisse scheinen derzeit selten das Ziel zu sein. Viele fühlten sich schneller persönlich beleidigt. Befördert werde das durch die Sozialen Medien, in denen Meinungen schriftlich ungehemmter formuliert werden könnten.

Ein weiteres Problem: Viele Gemeinden finden kaum noch einen Zugang in die Öffentlichkeit. Lokale Redaktionen würden weniger über Gemeindesitzungen berichten. Auch Bürger:innen seien daran weniger interessiert. „Die Leute nehmen sich einfach weniger Zeit für Kommunalpolitik“, so Glaser.

Nach der Wende hatte es viel mehr Aufbruchstimmung gegeben. „Da ging es weniger um Sitzungsgelder und Formalien.“ Auch das Personenspektrum, das sich politisch engagierte, sei facettenreicher gewesen: „Schwerin und Greifswald hatten Oberbürgermeister, die eigentlich Pastoren waren“, erinnert sich Glaser, „heutzutage haben wir so gut wie keine Pastoren mehr in einer Partei.“ Außerdem würden viele tendenziell weniger gruppenbezogen denken. Meist gehe es „um den persönlichen Erfolg“. Wahlniederlagen würden als „persönliche Häme“ aufgefasst. „Aber auch eine Niederlage gehört zur Demokratie.“

Er beobachtet derzeit aber noch ein weiteres Phänomen: Freie Wählergruppen wecken ein größeres Interesse. Das liege daran, dass für Bürger:innen die etablierten Parteien nicht mehr überzeugend genug seien, erklärt Glaser. Im Gegensatz zu Parteien seien diese Gruppen jedoch in der Regel mehr Zufallsgemeinschaften ohne ein übergeordnetes Parteiprogramm. Das mache sie zum einen weniger vorhersehbar und lasse zum anderen die Frage offen, wofür genau sie stehen. „Bei Mitgliedern etablierter Parteien kennt man die groben Züge ihrer Arbeit, bei Wählergruppen eher nicht.“

Frauen besonders oft bedroht

Was in den Kommunalwahllisten bisher zudem auffällt, ist die vergleichsweise geringe Zahl an Frauen. Das sei ein anhaltender Trend, weiß Monique Tannhäuser vom Landesfrauenrat MV. So liegt der Frauenanteil in den Kreistagen und Vertretungen der zwei kreisfreien Städte aktuell bei nur 28 Prozent. In absoluten Zahlen bedeutet das: Unter den 510 Personen, die (noch) in den Kreistagen, der Rostocker Bürgerschaft und der Schweriner Stadtvertretung sitzen, sind lediglich 143 Frauen. Mit Blick auf die letzte Kommunalwahl 2019 hat sich der Anteil zwar schon etwas erhöht – unter den Gewählten waren damals nur 25 Prozent Frauen. Er ist aber weiterhin alles andere als repräsentativ, so Tannhäuser. Immerhin liegt der Anteil der weiblichen Bevölkerung in MV bei etwa 51 Prozent.

Um mehr Frauen für ein politisches Engagement zu gewinnen, hat der Landkreis Vorpommern-Greifswald als eine von zehn Modellregionen deutschlandweit das „Aktionsprogramm Kommune“ mit auf den Weg gebracht. Damit erhoffen sich die Initiator:innen, den Frauenanteil in kommunalen Vertretungen, bei haupt- oder ehrenamtlichen Bürgermeister:innen und Landrät:innen nachhaltig zu erhöhen.

Doch für mehr weibliches Engagement ist die Tatsache wenig hilfreich, dass sich Frauen in der Politik besonders häufig Angriffen, Hass und Hetze ausgesetzt sehen. Das zeigte zum Beispiel eine Datenanalyse zum Bundestagswahlkampf 2021 der gemeinnützigen Organisation HateAid. Generell sieht die Organisation besonders die Gewalt im Internet als „eine der größten Gefahren für den demokratischen Diskurs“. Sie werde zunehmend strategisch eingesetzt, um Politiker:innen einzuschüchtern oder Anhänger:innen eigener Parteien gegen gemeinsame Feindbilder zu mobilisieren.

Und das nicht nur auf Bundes-, sondern auch auf kommunaler Ebene, wie die Ergebnisse des Kommunalen Monitorings zeigen. Dafür werden halbjährlich Bürgermeister:innen und Landrät:innen zu ihren Erfahrungen mit Gewalt, Hass und Hetze befragt. Demnach seien weibliche Amtsträger:innen nicht nur häufiger von Hasspostings betroffen, sondern auch ihre Familien werden öfter als die ihrer männlichen Kollegen angefeindet. Der Landesfrauenrat forderte daher zuletzt ebenfalls, dass Menschen, die sich ehrenamtlich für das Gemeinwohl einsetzen, „wirksam vor Hass und Hetze geschützt werden müssen“. Dafür müsse es endlich auch Regelungen für eine finanzielle Unterstützung geben, zum Beispiel zur Kostenübernahme für einen rechtlichen Beistand nach Angriffen. Bisher sieht die Kommunalverfassung dafür keine konkreten Regelungen vor. Verbeamtete Politiker:innen sind laut Innenministerium über das Landesbeamtengesetz abgesichert, ehrenamtliche Mandats- oder Amtsträger:innen über die gesetzliche Unfallversicherung.

Solidarität großschreiben

Doch nicht nur ein rechtlicher Beistand hilft, um Tatfolgen für Betroffene – diese reichen bis hin zu Depressionen – bewältigbarer zu machen. So fordert etwa HateAid, das Strafgesetzbuch müsse die sich durch das Internet verändernden Fälle von verbalen Angriffen und Drohungen, die höhere Geschwindigkeit, Reichweite und Langlebigkeit besser berücksichtigen. Im Gespräch mit Lobbi fällt darüber hinaus das Wort „Solidarität“. Es brauche Solidarität mit den betroffenen Kolleg:innen auf kommunaler Ebene. Und das auch völlig unabhängig von Parteizugehörigkeiten und politischen Positionen. Es dürfe nicht „der eine den anderen unter den Bus werfen“, womöglich in der Hoffnung, politisches Kapital daraus zu schlagen. Die Beratungsstelle beruft sich in diesem Zusammenhang auf einen Ratgeber des Verbandes der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Dort heißt es unter anderem: „Je schneller, umfassender und öffentlichkeitswirksamer die Angegriffenen unterstützt werden (…), desto besser können Tatfolgen bewältigt werden.

Dass es an parteiübergreifender Rückendeckung oftmals noch fehlt, zeigte etwa eine Situation in der Greifswalder Bürgerschaft im Februar. Dort hatte der Grünen-Politiker Jörg König sich in einer Rede mehr Solidarität, gerade auch aus den Reihen der Greifswalder CDU, gewünscht. Dass er zum Beispiel vor deren Ohren als „Neofaschist“ beschimpft worden sei, habe dort keinerlei solidarische Reaktionen ausgelöst. Dass er Morddrohungen erhalten habe, sei vom CDU-Fraktionsvorsitzenden Axel Hochschild lediglich zur Kenntnis genommen worden. „Sie können ja zur Polizei gehen, wenn Sie wollen“, lautete sogleich dessen Zwischenruf. Solidarität, wie König sie vorher beschrieb: hier Fehlanzeige.

Mit Abstand betrachtet erweist sich wahrscheinlich nicht nur in diesem Fall Klaus-Michael Glasers Einschätzung als wahr: Es sei ganz deutlich zu erkennen, dass sich die Kommunikation untereinander wieder verbessern muss. Man solle den Respekt auch innerhalb seiner „kommunalen Familie“ wahren, fordert er.

„Es macht doch auch Spaß, mitzugestalten“

Mit Spannung richtet sich also der Blick auf die anstehende Kommunalwahl. Wie schwer der Weg dorthin gerade für lokalpolitisch Engagierte noch wird, darüber entscheiden wohl nicht nur die Themen, sondern auch der Umgang miteinander. Dass jedoch Angriffe und Bedrohungen kein „gutes Marketing“ darstellen, wie Glaser es bereits Mitte Dezember einmal formulierte, ist wahrscheinlich allen klar. „Macht Ihnen Kommunalpolitik eigentlich noch Freude?“, fragte der Grüne Jörg König bei seiner Rede die anderen Bürgerschaftsmitglieder. Die Antwort auf diese Frage sollte nicht nur vor dem Hintergrund ihrer Wichtigkeit und Relevanz für die Menschen unbedingt mit „Ja“ beantwortet werden.

Was schlimmstenfalls passiert, wenn die Antwort „Nein“ lautet, darauf weist Glaser hin. Finden sich nicht genug Freiwillige, so könne womöglich nach der Wahl nicht in jeder Gemeinde eine Person in das Bürgermeister:innenamt gewählt werden. Bisher habe sich in den jeweiligen konstituierenden Sitzungen immer noch jemand gefunden, aber regelmäßig sei es in 20 bis 30 Gemeinden im Land knapp. In diesem Jahr besteht laut dem Juristen sogar die Möglichkeit, es erstmals nicht überall zu schaffen. Auf dem Spiel stehe dann nicht weniger als die kommunale Selbstverwaltung. „Wer eine unabhängige Gemeinde bleiben will, sollte jemanden finden, der oder die das Amt übernimmt.“ Immerhin bringe ein solches Amt auch Vorteile mit sich: „Es macht doch auch Spaß, mitzuwirken und mitzugestalten!“, unterstreicht Glaser. „Jeder Bürgermeister kann von persönlichen Highlights und Errungenschaften seines persönlichen Engagements erzählen, da bin ich mir sicher.“

Dieser Artikel erschien in KATAPULT MV-Ausgabe 30. Er wurde am 29. April aktualisiert und ergänzt.

Quellen

  1. Zapp – Das Medienmagazin (Hg.): Gewaltvorwurf gegen Grünen-Politikerin in Greifswald, auf: youtube.com (6.3.2024).
  2. E-Mail der Polizeiinspektion Anklam vom 14.3.2024.
  3. Telefonat mit der Polizeiinspektion Anklam am 29.4.2024.
  4. Telefonat mit Katharina Horn am 26.2.2024.
  5. Die diesen Beschreibungen zugrunde liegenden Kommentare und Nachrichten liegen der Redaktion vor.
  6. Landespolizei Mecklenburg-Vorpommern (Hg.): Polizeiliche Kriminalstatistik 2022, auf: polizei.mvnet.de.
  7. Landtag MV (Hg.): Kleine Anfrage des Abgeordneten René Domke, Fraktion der FDP, auf: dokumentation.landtag-mv.de (19.9.2023).
  8. Telefonat mit Ricarda Flender am 6.2.2024.
  9. Erfahrungen mit Hass und Drohungen in MV schilderten Politiker:innen KMV bereits 2022. Den Artikel findet ihr hier: katapult-mv.de.
  10. Telefonat am 4.3.2024.
  11. Telefonat mit Lobbi MV am 1.3.2024.
  12. E-Mail der Partei Die Linke MV vom 12.3.2024.
  13. E-Mail der CDU MV vom 20.3.2024.
  14. Bundesministerium des Innern und für Heimat (Hg.): Neue bundesweite Anlaufstelle zum Schutz von Landräten und Bürgermeistern, auf: bmi.bund.de (26.1.2024).
  15. Telefonat mit Klaus-Michael Glaser am 27.2.2024.
  16. E-Mail von Monique Tannhäuser vom 1.3.2024.
  17. Statistisches Amt Mecklenburg-Vorpommern (Hg.): Statistische Hefte Wahlen 2019. 16. Jahrgang, Wahlheft 2, S. 14, auf: laiv-mv.de (2020).
  18. Statistisches Amt Mecklenburg-Vorpommern (Hg.): Bevölkerung. Zahlen & Fakten 2022, S. 3, auf: laiv-mv.de (2023).
  19. Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft Berlin (Hg): Zweiter Durchgang: Zehn Regionen aus ganz Deutschland, auf: frauen-in-die-politik.com.
  20. Ballon, Josephine: Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Digitale Agenda am 24. März 2021 zu digitaler Gewalt gegen Frauen und Mädchen, auf: hateaid.org (24.3.2021).
  21. Institute for Strategic Dialogue Germany; Hate Aid (Hg.): Hass als Berufsrisiko. Digitale Gewalt und Sexismus im Bundestagswahlkampf, auf: isdglobal.org (21.11.2023).
  22. Motra (Hg.): Kommunales Monitoring. Hass, Hetze und Gewalt gegenüber Amtsträgerinnen und Amtsträgern (KoMo), S. 6, auf: motra.info (Stand: 1.11.2023) / Stark im Amt (Hg.): „Macht öffentlich, wenn ihr sowas erlebt!“, auf: stark-im-amt.de.
  23. HateAid (Hg.): HateAid wirkt. Unsere politischen Forderungen, auf: hateaid.org.
  24. Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, Bundesverband Mobile Beratung (Hg.): Bedroht zu werden, gehört nicht zum Mandat, S. 13, auf: verband-brg.de (2020).
  25. Den Bericht zur benannten Sitzung der Bürgerschaft gibt es hier: katapult-mv.de.
  26. Telefonat mit Klaus-Michael Glaser am 14.12.2023.

Autor:innen

  • Redakteurin in Greifswald

    Geboren in Berlin, aufgewachsen in Berlin und Brandenburg. Tauschte zum Studieren freiwillig Metropole gegen Metropölchen.

  • Bild von KATAPULT MV Redaktionsleiterin Martje Rust

    Redaktionsleitung

    Ist in Greifswald geboren, hat in Augsburg studiert und zog für den Lokaljournalismus wieder zurück nach MV.