Im EU-Parlament verteilen sich die rechten und rechtskonservativen Parteien vorwiegend auf zwei Fraktionen. Da ist zum einen die EKR (Europäische Konservative und Reformer). Hier dominieren die ehemalige polnische Regierungspartei PiS und Fratelli dʹItalia von Regierungschefin Giorgia Meloni. In der Rechtsaußen-Fraktion ID (Identität und Demokratie) sind der französische Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen und die italienische Lega mit den meisten Sitzen vertreten. Auch die AfD war bis zu ihrem Ausschluss Teil der ID.
Bei den letzten Europawahlen 2019 erreichte die AfD in Deutschland elf Prozent der Stimmen. Aktuell werden ihr Zustimmungswerte zwischen 14 und 16 Prozent prognostiziert. Auch in anderen europäischen Ländern erzielen rechte Parteien hohe Umfragewerte. Sei es RN in Frankreich, die FPÖ in Österreich oder die Fratelli in Italien. Dass sich selbst andauernde Streitigkeiten und Verdächtigungen wie aktuell bei der AfD auf rechte Parteien weniger auswirken als bei anderen, liege an einer „Wagenburg-Mentalität“ ihrer Anhänger, glaubt der Rostocker Politikwissenschaftler Wolfgang Muno. Für die anstehende Europawahl sei ein Ergebnis, das unter dem von 2019 liege, trotz aller Umstände ein herber Rückschlag für die Partei.
Doch trotz anhaltend positiver Umfragewerte ist die europäische Rechte nicht geeint. Da ist etwa die Haltung zu Russland. Während die ungarische Fidesz, FPÖ und AfD extrem russlandfreundlich sind, zeigen sich PiS, Fratelli und mittlerweile auch RN kritischer. Themen wie die Binnenverteilung von Flüchtlingen und generelle EU-Kritik zeigen, wie heterogen die Parteien in ihren Zielen sind. Bei der Migration sticht die AfD mit extremen, völkischen Positionen hervor, während sich die anderen Rechtsparteien tendenziell „nur“ gegen „illegale Migration“ aussprechen. Auch der kürzlich vollzogene Ausschluss der AfD aus der ID-Fraktion deutet auf eine Zersplitterung der europäischen Rechten hin.
Rechtsruck macht überparteilich Sorge
„Der Rechtsruck beschäftigt mich viel“, sagt der Abgeordnete Niklas Nienaß. Der Rostocker sitzt für die Grünen im EU-Parlament. Bei einer erstarkenden Rechten komme es besonders auf die Fraktion der EVP an, zu der CDU/CSU und andere konservative europäische Parteien gehören, meint Nienaß. „Wenn diese die Zusammenarbeit mit der rechten EKR stärkt und gemeinsam mit ihr Mehrheiten sucht, wird die Rechte an Einfluss gewinnen.“ Deswegen sei es wichtig, die Konservativen in die Pflicht zu nehmen, sich demokratisch zu verhalten. Die größere Sorge hat der Parlamentarier jedoch vor dem Rechtsruck in der eigenen Region und insbesondere mit Blick auf die Jugend in MV. „In den letzten Monaten habe ich mehr rechte Kids gesehen als in den Jahren zuvor.“ Eine ganze Generation könne verlorengehen, glaubt Nienaß und fordert Investitionen in die Jugendarbeit, „sonst kehren die Baseballschlägerjahre bald zurück“.
Für Christian Albrecht, Europasprecher der Linken in MV, ist die Zeit der Sorgen vor dem Rechtsruck bereits vorbei, denn „der Rechtsruck ist schon da“. Stattdessen sorge er sich, wie „wir als Demokratinnen und Demokraten damit umgehen“. Albrecht sieht die europäischen Konservativen ebenfalls in einer besonderen Verantwortung. „Historisch wurde es immer dann kritisch, wenn die Bürgerlichen nach rechtsaußen abkippten.“ Sollte dieser kritische Moment eintreten, würden die Rechten in Europa „eine reale Machtoption erhalten“.
Sabrina Repp, EU-Spitzenkandidatin der ostdeutschen SPD-Delegierten, erwartet einen raueren Umgang, sollten die Rechtspopulisten im EU-Parlament mehr Stimmen erhalten. Gleichzeitig schließt sie eine Zusammenarbeit der Sozialdemokraten mit EKR und ID aus und lehnt auch eine entsprechende Zusammenarbeit der Konservativen ab.
Direkt Einfluss nehmen auf eine Zusammenarbeit mit den Rechten könnte Jascha Dopp, EU-Spitzenkandidat auf der CDU-Landesliste MV. Dopp zeigt sich optimistisch, dass „die demokratische Mitte im Europäischen Parlament ausreichend groß sein wird, um auch künftig politisch gestalten zu können“. Ähnlich äußert sich David Wulff, Generalsekretär der FDP MV. Seine Partei erwarte, dass sich das kommende EU-Parlament „klar zu den Werten der Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bekennt und gegen extremistische Tendenzen aus allen Richtungen vorgeht“. Für ein vereintes und freies Europa sei eine nach vorn gewandte, europafreundliche Politik notwendig.
Was folgt aus dem zu erwartenden Rechtsruck?
Nach den Europawahlen werden die Fraktionen im EU-Parlament neu gebildet. Bei Konservativen, Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen wird es keine großen Veränderungen geben, erwartet Politikwissenschaftler Muno. Unklar sei dagegen, was mit EKR und ID geschehen werde. Nachdem die ungarische Fidesz aus der EVP ausgeschlossen wurde und zuletzt fraktionslos war, könnte sie sich nun der EKR anschließen. Es ist auch möglich, dass sich eine neue rechte Gruppe im EU-Parlament formiert, zu der dann auch die AfD gehören könnte.
Ob die rechten Fraktionen nach der Wahl zusammenrücken, lässt sich kaum vorhersagen. Das liege auch daran, dass selbst innerhalb eines Landes rechte Parteien miteinander konkurrieren. Diese machtpolitische Komponente sei nicht zu verachten, erklärt Nele Vahl vom Europäischen Informationszentrum Rostock.
Der Aufstieg der Rechten wird es insgesamt komplizierter machen, Mehrheiten im EU-Parlament zu finden. Diese Mehrheiten sind jedoch wichtig für die europäische Gesetzgebung. (Ihren Einfluss auf MV lest ihr hier.) Auch Ursula von der Leyen braucht eine Mehrheit, um als EU-Kommissionspräsidentin wiedergewählt zu werden. Mit einer starken Rechten wird diese schwierig zu erringen sein.
Quellen
- E-Mail von Nele Vahl, Europäisches Informationszentrum Rostock, vom 28.5.2024.↩
- Guttmann, Philipp: Neueste Wahlumfragen im Wahltrend zur Europawahl, auf: dawum.de.↩
- E-Mail von Wolfgang Muno vom 1.6.2024.↩
- Ebd.↩
- E-Mail von Niklas Nienaß vom 30.5.2024.↩
- E-Mail von Christian Albrecht vom 31.5.2024.↩
- E-Mail von Sabrina Repp vom 3.6.2024.↩
- E-Mail von Jascha Dopp vom 5.6.2024.↩
- E-Mail von David Wulff vom 5.6.2024.↩
- E-Mail von Nele Vahl vom 28.5.2024.↩