Katapult MV: Wie wird man Leiter der Feuerwehr?
Frank Bühring: Ich bin jetzt fast 40 Jahre dabei. In Neubrandenburg habe ich am 1. November 1985 als Angriffstruppführer angefangen. 1991 habe ich mich dann zum Gruppenführer qualifiziert. Später, zwischen 1999 und 2001, habe ich an der Feuerwehrakademie Hamburg die Ausbildung für den gehobenen feuerwehrtechnischen Dienst absolviert. Von 2001 bis 2007 war ich dann als Sachgebietsleiter des Einsatzdienstes tätig. Während der Zeit habe ich die gesamte „kämpfende Truppe“ koordiniert, also den Einsatzdienst der Neubrandenburger Berufsfeuerwehr. Seit 2007 leite ich als Brandoberrat die Feuerwehr Neubrandenburg. Trotzdem bin ich hin und wieder noch vor Ort im Einsatz. Heute früh habe ich zum Beispiel nach drei Tagen Alarmdienst meinen Funkmeldeempfänger an die Ablösung übergeben.
Das heißt, Sie sind jederzeit erreichbar?
Ja. Zumindest wenn ich nach Dienstplan als Einsatzleiter eingetragen wurde. In dieser Zeit erhalte ich alle Alarme über diesen Empfänger. Der liegt dann nachts auch neben dem Bett. Für das Rathaus bin ich als Leiter der Feuerwehr immer irgendwie für die Verwaltungsspitze oder Presseanfragen erreichbar. Wenn es zu brisanten Einsätzen kommt, möchte die Stadtverwaltungs- spitze natürlich sehr schnell informiert werden. Ein Beispiel hierfür sind die Bootsschuppenbrände am Oberbach. Die Stadt versucht dann immer Wege zu finden, um unterstützend für die Betroffenen tätig zu werden. Wie zum Beispiel bei Wohnungsbränden. Hier müssen Betroffene oft für eine gewisse Zeit anderweitig untergebracht werden. Und da versucht die Stadtverwaltung im Hintergrund zu helfen.
Sie sind also ein Bindeglied zwischen Feuerwehr und Stadtverwaltung?
Genau. Über meinen Funkmelder bekomme ich alle Informationen zu eingehenden Notrufen und kann zum Beispiel den Oberbürgermeister informieren, wenn er mich anruft.
Fällt es Ihnen schwer, außerhalb des Dienstes oder im Urlaub auch mal abzuschalten?
Nach meiner Frau: ja. Im Urlaub schalte ich dann aber wirklich alles aus. Es gibt hier in der Berufsfeuerwehr insgesamt sieben Beamte, die mich im Falle meiner Abwesenheit vertreten können. Zusätzlich habe ich zwei Stellvertreter, sodass die Leitung der Feuerwehr jederzeit für die Verwaltungsspitze des Rathauses erreichbar ist.
Sie koordinieren außerdem die beiden freiwilligen Feuerwehren in Neubrandenburg. Wie wird entschieden, dass ein Einsatz durch die freiwilligen Einsatzkräfte unterstützt werden muss?
Das wird anhand der Alarm- und Ausrückeordnung entschieden. Diese beinhaltet Anforderungen an Einsatzkräfte und -fahrzeuge. Ein Mülltonnenbrand zum Beispiel wird „Feuer klein“ genannt. Hierfür braucht man ein wasserführendes Fahrzeug und mindestens sechs Einsatzkräfte. Ein Wohnungsbrand wird als „Feuer groß“ bezeichnet. Da rückt dann schon ein gesamter Löschzug – bestehend aus Führungsdienst, Einsatzleitwagen inklusive Zugführer, zwei wasserführenden Fahrzeugen und Drehleiterwagen – aus.
Während eines Einsatzes hält die koordinierende Leitstelle außerdem Kontakt zum Zugführer, der die Alarmstufe bei Bedarf erhöhen kann. Größere Brände nennen wir „Feuer groß, zweiter Alarm“. Da werden dann auch die freiwilligen Feuerwehren alarmiert. Bei den Bootsschuppenbränden im Mai war das beispielsweise der Fall. Für die verschiedenen Stadtteile können unterschiedliche freiwillige Feuerwehren alarmiert werden – je nachdem, welche Wache am schnellsten vor Ort sein kann.
Wie ist eine freiwillige Feuerwehr organisiert?
Hier in Neubrandenburg haben die freiwilligen Feuerwehren in der Hauptsache die Aufgabe, die Berufsfeuerwehr in großen Schadenslagen zu unterstützen. Kommt es außerdem zu Paralleleinsätzen, wenn die Berufsfeuerwehr beispielsweise bereits zu einem Wohnungsbrand ausgerückt ist und ein neuer Notruf eingeht, wird die freiwillige Feuerwehr alarmiert. Die Alarm- und Ausrückeordnung beschreibt genau solche Szenarien, damit keine Lücken im System entstehen. Allgemein sind die freiwilligen Feuerwehren dennoch eigenständige Einheiten – auch wenn sie der Verwaltung unter- stehen. In kleinen Dörfern und Gemeinden sind die Bürgermeister zum Beispiel die Vorgesetzten der jeweiligen freiwilligen Feuerwehr. Geführt werden die ehrenamtlichen Einsatzkräfte von einem Wehrführer. Die Wehrführer sind verantwortlich für die Einsatzbereitschaft und die Ausbildung in ihrer Wache. Hier in Neubrandenburg unterstützen meine Kollegen und ich unter anderem die Verwaltungsaufgaben der freiwilligen Feuerwehren und organisieren Lehrgänge oder Führerscheinausbildungen. Je nachdem, welchen Bedarf die Wehrführer anmelden.
Die Feuerwehr in Neubrandenburg bietet aber auch Ausbildungsplätze. Was für Voraussetzungen müssen hierfür erfüllt werden?
Wir bieten die Ausbildung zum Notfallsanitäter und zum Brandmeister an. Im Falle der Brandmeisterausbildung ist die Eingangsvoraussetzung eine abgeschlossene handwerklich- technische Berufsausbildung. Das sind alle Berufe, die durch die Handwerkskammern geprüft werden. Dazu zählt unter anderem auch der Koch. Man kann darüber schmunzeln, aber in manchen Katastrophenlagen oder Großeinsätzen ist jemand mit so einer Ausbildung Gold wert. Wir brauchen in der Regel außerdem KFZ-Mechatroniker zur Wartung unserer Fahrzeuge.
Wir brauchen Dachdecker und Zimmerleute, die im Brandfall einschätzen können, wie Dächer gebaut und gedeckt worden sind. Wir brauchen Schlosser, die ausgebildet sind, um verschlossene Türen zu öffnen. Früher hatten wir sogar eine eigene Schneiderei. Neben der abgeschlossenen Berufsausbildung müssen die Bewerber außerdem frei von Vorstrafen sein, für die demokratische Grundordnung einstehen und die gesundheitlichen Anforderungen erfüllen. Das Einstellungsverfahren besteht dann aus einem theoretischen und einem Sportteil. Wenn dieser Test bestanden wurde, schließt sich eine 18-monatige Ausbildung an.
Wie ist zahlenmäßig das Verhältnis zwischen Frauen und Männern?
Die körperlichen und gesundheitlichen Anforderungen sind sehr hoch. Allein die reguläre Schutzkleidung wiegt mit Stiefeln, Hose, Jacke, Atemschutzgerät, Hakengurt, Maske und Helm etwa 30 Kilogramm. Im sportlichen Teil des Einstellungstest sind deshalb besondere Normen einzuhalten. Der Test ist gegendert und beruht auf Empfehlungen des Sportinstituts Köln. Die größten Hürden für Mädels sind hier der 3.000-Meter-Lauf sowie Klimmzüge. Aktuell haben wir tatsächlich keine Brandmeisterinnen im Team. Bis vor kurzem hatten wir allerdings eine Brandoberinspektorin im Einsatzführungsdienst. Aus familiären Gründen ist die Kollegin aber nach Rostock gewechselt. Allgemein gibt es in den Berufsfeuerwehren aber eine ganze Reihe von Brandmeisterinnen.
Muss man vorher in der freiwilligen Feuerwehr engagiert gewesen sein, um eine Ausbildung zum Brandmeister zu machen?
Nein, das ist nicht zwingend erforderlich. Aber Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr sehen wir sehr gerne. Sie sind in der Regel hoch motiviert und „brennen für die Feuerwehr“. Ungefähr 30 Prozent des Personals unserer Berufsfeuerwehr sind zusätzlich noch Teil einer freiwilligen Feuerwehr.
Wie sieht der Altersdurchschnitt innerhalb der Brandmeister in Neubrandenburg aus?
Unser Altersschnitt liegt bei etwa 42 Jahren. Unsere jüngsten Kollegen sind knapp 20, die Ältesten über 50 Jahre alt.
Und die Kollegen in den Fünfzigern fahren auch noch raus in den Einsatz?
Ja. Bis zum bitteren Ende mit 60 Jahren.
Wie sieht der Alltag eines Brandmeisters aus, wenn er nicht gerade in einem Einsatz ist?
Wir arbeiten in 24-Stunden-Schichten. Gegen 6:30 Uhr treffen die Kollegen ein und übernehmen ihre Fahrzeuge. Anschließend gibt es ein erstes, kurzes Frühstück, damit die Truppe im Falle eines Einsatz am Vormittag nicht aus den Latschen kippt. Dann erfolgt zwischen 7:00 und 8:30 Uhr Gerätetraining. Hier wird die Handhabung der verschiedenen Geräte und Werkzeuge immer wieder geübt. Außerdem muss jeder auch im Halbschlaf wissen, wo die bestimmten Werkzeuge in den verschiedenen Fahrzeugen liegen. Es gibt außerdem Straßenkunde. Praktisch wie Taxifahrer müssen unsere Maschinisten abrufen können, wo welche Straße zu finden ist. Nach dem zweiten Frühstück, zwischen 9:00 und 11:30 Uhr, finden Fortbildungen in den Bereichen Brandbekämpfung, technische Hilfeleistung und Rettungsdienst statt. Nach der Mittagspause geht es mit der Wartung, Reparatur, Pflege und Reinigung der Fahrzeuge und Ausrüstung weiter. Um 16 Uhr wird in unseren Trainingsräumen Sport betrieben. Ab 18 Uhr werden die Kollegen dann in die Alarmbereitschaft geschickt. Sie können sich dann zum Beispiel auch hinlegen. Die Maßgabe ist allerdings, innerhalb von 90 Sekunden auf dem Fahrzeug zu sitzen. Nach jeder Schicht haben die Kollegen zwei Tage frei.
Gibt es typische Berufskrankheiten unter den Einsatzkräften?
Es gibt keine anerkannte Berufskrankheit. Typisch sind im Laufe der Jahre allerdings Haltungsschäden. Gerade Knie und Wirbelsäule werden durch die schwere Ausrüstung stark belastet. Auch Krebs ist immer wieder ein Thema. Feuerwehrleute leiden häufig an Hoden-, Prostata- oder Blasenkrebs. Zwischen 2005 und 2015 hatten wir mehrere Kollegen, die an Krebs verstorben sind. Seit fünf oder sechs Jahren haben wir glücklicherweise keine neuen Fälle mehr. Es hat sich aber auch viel in Bezug auf die Schutzkleidung getan. Heute differenzieren wir viel mehr zwischen Einsätzen und den unterschiedlichen Anforderungen an die Schutzkleidung. Bei Vegetationsbränden ist beispiels- weise eine leichte Schutzkleidung ausreichend. Wohnungsbrände erfordern Ausrüstung mit sehr hohem Schutzgrad. Wir betreiben außerdem die Schwarz-Weiß-Trennung viel intensiver als früher. Das heißt, vom Einsatz kontaminierte Schutzkleidung darf nur in bestimmten Bereichen der Wache getragen und aufbewahrt werden. Wir versuchen sogar, kontaminierte Schutzkleidung direkt am Einsatzort zu wechseln. Die Einsatzkräfte ziehen dann Trainingsanzüge an, nach- dem sie sich vor Ort grob gewaschen haben. So wird das Risiko der Kontaminationsverschleppung reduziert. Gerade der kalte Brandrauch, der aus der Einsatzkleidung ausgast, ist hochgiftig. Unsere knapp 200 Einsatzkräfte sind außerdem mit Zweit- und Drittgarnituren an Schutzkleidung ausgestattet. Ein kompletter Anzug kostet rund 1.000 Euro. Die stete Entwicklung der Ausrüstung in Kombination mit neuen Hygiene- und Gesundheitskonzepten haben aber auch dazu geführt, dass eine Verbesserung eingetreten ist.
Wie sieht es in Bezug auf die psychische Belastung aus? Gibt es Strukturen in der Feuerwehr, um damit umzugehen?
Ja. Das Ganze nennt sich psychosoziale Notfallversorgung. Das sind ehrenamtliche, aber speziell ausgebildete Einsatzkräfte, die gerade bei traumatischen Einsätzen die Erstversorgung unserer Kollegen übernehmen. Diese Leute unterstützen beispielsweise auch die Polizei bei der Übermittlung von Todesnachrichten. Die PSNV betreut so lange, bis eine professionelle Hilfe für unsere Leute organisiert werden konnte. Zusätzlich sind all unsere Führungskräfte dazu ausgebildet, Momente besonderer psychischer Belastung zu erkennen. Beispielsweise wenn sich Kollegen plötzlich zurückziehen oder ungewöhnlich ruhig und verschlossen werden. Man sagt ja immer, „sich etwas von der Seele reden“. Da steckt so viel Wahrheit drin. Man muss darüber reden.
Nach den Einsätzen setzen sich unsere Führungskräfte deshalb immer mit den Truppen zusammen und werten das Erlebte aus. Ganz besonders dann, wenn es extreme Schadenslagen mit vielen Verletzten oder sogar Toten, ins- besondere Kindern, gab.
Wird diese Hilfe gut angenommen?
Ja. Am Anfang gab es zwar immer mal wieder Bedenken, aber wie wichtig diese Hilfe ist, zeigen auch aktuelle Beispiele bei uns. Wir mussten uns vor zwei Jahren aus psychischen Gründen von einem Kollegen trennen. Er bekommt nach wie vor Hilfe und kann sein Leben mittlerweile wieder gut meistern. Es ist trotzdem tragisch, wenn jemand wegen der erlebten Situationen psychisch zerbricht. Gerade weil wir diese Arbeit ja im Interesse unserer Mitmenschen machen.
Gibt es Einsätze, die Ihnen beson-ders im Gedächtnis geblieben sind?
Es gab einen Einsatz am Heiligabend 1994. Gegen 22 oder 23 Uhr sind wir zu einem schweren Verkehrsunfall gerufen worden. Fünf Personen befanden sich in einem brennenden Fahrzeug. Zwei davon waren eingeklemmt. Wir haben das Fahrzeug abgelöscht und die eingeklemmten Personen geborgen. Auf der Fahrbahn wurden die Verletzten dann medizinisch versorgt. Irgendwann hab ich mich umgeschaut und überall lagen Mullbinden und Katheter. Das Fahrzeug qualmte und stank. Dazu noch das Blaulicht. Und das an Weihnachten. Da hab ich mich gefühlt wie im Krieg. Wir konnten glücklicherweise alle fünf Personen retten.
Ein anderer Einsatz fand in einer Kiesgrube statt. Ein Kind wurde verschüttet. Die Kollegen haben dann sogar mit ihren Helmen gegraben, um die etlichen Tonnen Sand so schnell wie möglich zu beseitigen. In diesem Fall konnten wir das Kind leider nicht retten.
Aber auch Brandserien bleiben im Gedächtnis. Anfang der Neunziger zum Beispiel wurde die Stadthalle mehrfach durch einen Brandstifter angezündet. In diesem Frühjahr wurden innerhalb von 14 Tagen fünfmal Kellerräume in der Oststadt in Brand gesetzt – davon viermal im selben Gebäude. Aber auch der mehrfache Bootsschuppenbrand im April und Mai dieses Jahres hat sich eingeprägt.
Sind Sie selbst mal in eine wirklich lebensbedrohliche Situation geraten?
Bei einem Brand in der Stadthalle bin ich mal in einen Flashover geraten. Das beschreibt ein Phänomen, bei dem der Brandraum thermisch so aufgeladen ist, dass der gesamte Rauch schlagartig durchzündet. Damals in der Stadthalle hab ich das nicht kommen sehen und bin dann fünf Meter weit nach draußen geschleudert worden. Zum Glück ist mir nichts weiter passiert.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Feuerwehr?
Wir stellen seit 2007 Brandschutzbedarfspläne auf. Gemeinsam mit der Politik schauen wir, wie die Feuerwehr aufgestellt und ausgestattet werden muss. Bisher hat die Stadtverwaltung die erforderlichen Mittel dafür immer bereitstellen können.
Für die Zukunft wünsche ich mir eigentlich nur, dass diese Mittel auch in Zeiten knapper Haushaltskassen nicht gekürzt werden. Ein kluger Kopf hat mal gesagt: „Nicht die Feuerwehr kostet Geld, sondern die Sicherheit der Bürger.“