Paradox

AfD macht Politik gegen eigene Wählerschaft

Knapp ein Drittel der Wahlberechtigten in Mecklenburg-Vorpommern würde sich neuesten Umfragen zufolge für die AfD entscheiden. Dabei würden die Menschen, die mit der rechtspopulistischen Partei sympathisieren, mit am stärksten unter ihrer neoliberalen und menschenfeindlichen Politik leiden. Warum unterstützen 32 Prozent eine Partei, deren Ziele den eigenen Interessen widersprechen?

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin, hat in einer Kurzstudie die Angaben der AfD im Wahl-O-Maten der Bundeszentrale für politische Bildung zur Bundestagswahl 2021 mit den soziodemografischen Merkmalen von Wähler:innen der Partei aus früheren Untersuchungen verglichen. Sein Ergebnis: Die Menschen, die mit der rechtspopulistischen Partei sympathisieren, wären die „Hauptleidtragenden“, sollte die AfD ihre politischen Ziele in die Tat umsetzen.

Grafik “Das wollen die Parteien in Deutschland”. Auf einer Skala zu verschiedenen Themen sind die Parteien eingetragen. Höhere bis weniger Steuern: Linke, Grüne, SPD, AfD, CDU, FDP. Inneres; mehr Öffnung bis mehr Restriktion: Linke und Grüne, SPD, FDP, CDU/CSU und AfD. Außenpolitik; globale Kooperation bis nationale Interessen: Grüne, Linke und FDP, CDU/CSU, SPD und AfD.

AfD macht Politik für Reiche

Die AfD vertritt in der Wirtschafts- und Finanzpolitik extrem neoliberale Positionen. Laut den Antworten des Wahl-O-Maten spricht sich die AfD sogar stärker und umfassender für eine marktorientierte Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik aus als die FDP. Sie ist gegen Vermögens- und Erbschaftsteuer sowie für Steuersenkungen für Spitzenverdienende. Gleichzeitig spricht sich die AfD für niedrigere Löhne für Geringverdienende und stärkere Einschnitte bei den Sozialleistungen aus: 2021 war die Partei gegen die Erhöhung des Mindestlohns – nun will sie das Bürgergeld beschneiden, auf sechs Monate begrenzen und Langzeitarbeitslose zur Arbeit zwangsverpflichten. Außerdem positioniert sich die AfD gegen die Stärkung der Rechte von Mieter:innen, wodurch die Mieten deutlich steigen würden.

Doch sind AfD-Wähler:innen die Vermögenden, Grundbesitzenden, Privilegierten, die von einer solchen Politik profitieren würden? Nein. Älteren Untersuchungen zufolge haben AfD-Sympathisant:innen eher geringe bis mittelhohe Einkommen und Bildung. Arbeiter:innen und auch Arbeitslose sind bei ihnen überdurchschnittlich häufig vertreten. Demnach würde die Politik der AfD die eigenen Wähler:innen härter treffen als die der meisten anderen Parteien. Und nicht nur das: Einkommen und Sozialleistungen würden umverteilt, weg von den Wähler:innen der AfD und hin zu denen anderer Parteien.

Würde sich die AfD-Politik durchsetzen, käme es zu einer Umverteilung von Einkommen und sozialen Leistungen von AfD-Wähler:innen hin zu den Wähler:innen anderer Parteien.

Marcel Fratzscher, DIW-Kurzstudie

AfD macht Politik für Mehrheiten

Daneben möchte die AfD Minderheitenrechte beschneiden. „Kaum eine im Bundestag vertretene Partei in Deutschland hat in den letzten 70 Jahren so hart nach unten getreten und verletzliche Gruppen so stark ausgegrenzt und diskriminiert wie die AfD“, schreibt Fratzscher. Sie möchte die heterosexuelle Familie besserstellen als andere Familienmodelle, ist gegen die Berücksichtigung unterschiedlicher Geschlechtsidentitäten, staatlich organisierte Kinderbetreuung und Feminismus. Dabei gehören gerade die AfD-Sympathisant:innen oft zu denen, auf die sich eine schlechtere Infrastruktur, wie die für Kinderbetreuung, besonders negativ auswirken würde.

Seit 2015 ist der Markenkern der Rechtspopulist:innen die Ablehnung von Geflüchteten und damit auch Diskriminierung und Hetze gegen Ausländer:innen sowie Menschen mit Migrationsgeschichte. So redet die AfD den eigenen Unterstützer:innen ein, dass sie wirtschaftlich, sozial und politisch davon profitieren würden, wenn Leistungen oder Grundrechte für andere Menschen eingeschränkt würden. Dabei merken die AfD-Wähler:innen nicht, dass Diskriminierung und Ausgrenzung sie selbst stark treffen würden. „Denn sie selbst gehören häufig zum unteren Rand der Einkommensverteilung, genießen seltener Privilegien und haben weniger Chancen als andere und sind stärker auf finanzielle Leistungen des Staates angewiesen“, analysiert Fratzscher.

AfD macht Politik für den Klimawandel und gegen die EU

Die Partei lehnt außerdem sämtliche Maßnahmen zum Klima- und Umweltschutz systematisch ab: Die AfD ist gegen den Kohleausstieg, für Verbrennungsmotoren, gegen ökologische Landwirtschaft, Windkraft oder die Besteuerung des Flugverkehrs.

Die ursprüngliche Gründungsidee der AfD war der Ausstieg aus dem Euro. Dieser Forderung ist die Partei zehn Jahre und einige Radikalisierungsschritte später treu geblieben. Für die Europawahlen im kommenden Jahr fordert sie sogar, die Europäische Union ganz abzuschaffen.

Der mittel- und langfristige wirtschaftliche und politische Schaden einer solchen Politik würde der DIW-Studie zufolge in erster Linie die finanziell Schwachen in der Gesellschaft treffen. Und zu diesen gehören vor allem auch viele Wähler:innen der AfD selbst.

Die Wählerschaft der AfD: pessimistisch und unzufrieden

Überdurchschnittlich häufig wählen Männer die Rechtsaußenpartei, zudem Menschen zwischen 45 und 59 Jahren sowie Konfessionslose, wie eine aktuelle Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL und N-tv ergab. Auch die Größe des Wohnorts spielt eine Rolle: Ein Viertel der Bewohner:innen von Orten mit weniger als 5.000 Einwohner:innen würden die Rechtspopulist:innen wählen. Das deckt sich mit Beobachtungen, dass die AfD in ostdeutschen Flächenländern mit wenigen großen Städten die bislang höchsten Wahlergebnisse erzielte, während sie in Großstädten eher geringen Zuspruch erfuhr.

AfD-Wähler:innen sind laut der Umfrage pessimistischer und unzufriedener über das eigene Leben und den Zustand von Wirtschaft und Gesellschaft als der Durchschnitt. Darüber hinaus haben sie eine größere Nähe zu rechtsextremen Überzeugungen und ihre soziale und politische Teilhabe ist oft geringer.

Älteren Studien des DIW zufolge ist die Zustimmung zur AfD vor allem in ländlichen und strukturschwachen Regionen mit großer Abwanderung hoch. Die Partei schneidet in Wahlkreisen besonders gut ab, in denen die Perspektivlosigkeit groß und die Chancen für junge Leute gering sind, weshalb Menschen abwandern und die Infrastruktur für Familien, Kinder und Unternehmen immer mehr verschwindet. Auch zeichnen sich diese Regionen durch wirtschaftliche Schwäche und geringe Diversität aus.

Falsche Vorstellungen von sich selbst und der Gesellschaft

Neben ihrer grob falschen Selbsteinschätzung begründet die Studie das sich selbst schädigende Wahlverhalten von AfD-Unterstützer:innen außerdem mit einer Fehleinschätzung der Realität. Ökonom Fratzscher beschreibt es so: „Nicht wenige AfD-Wähler:innen sind überzeugt, dass eine Rückabwicklung der Globalisierung, ein erstarkender Nationalismus sowie eine neoliberale Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik ihnen persönlich bessere Arbeitsplätze, mehr Sicherheit und bessere Chancen verschaffen würden. Dabei würde genau das Gegenteil passieren.“

Dieser Artikel wurde zuerst in unserer Novemberausgabe veröffentlicht.

Autor:in

  • Bild von KATAPULT MV Redakeurin Victoria Flägel

    Redakteurin in Rostock

    Geboren in Rostock. Aufgewachsen in Rostock. Studierte in Rostock. Und Kiel.