Häusliche Gewalt

Beratungsstelle Grevesmühlen muss schließen

Das unlängst veröffentlichte Lagebild zu Straftaten gegen Frauen zeigt ein eindeutiges Bild: In allen Bereichen, in denen Frauen von Gewalt betroffen sind, ist ein deutlicher Anstieg der Fälle zu verzeichnen.Vor diesem Hintergrund braucht es Strukturen, Betroffene zu unterstützen und aufzufangen. Dennoch schließt die AWO in Grevesmühlen zum Ende des Jahres ihre Beratungsstelle für Betroffene häuslicher Gewalt. Sie beklagt mangelhafte finanzielle Unterstützung durch das Land. Der Kreis, der bisher einen geringen Anteil der Kosten trägt, kann das Defizit nicht allein ausgleichen.

Mit einer Protestaktion im Vorfeld der heutigen Kreistagssitzung in Nordwestmecklenburg möchten die Initiative Grevesmühlen für alle und das ehrenamtliche Frauennetzwerk Zonta Club Wismar auf die Schließung der Beratungsstelle für Betroffene häuslicher Gewalt in Grevesmühlen aufmerksam machen. Dafür sprühten die Aktiven Schuhabdrücke vor der Malzfabrik, dem Sitzungsort des Kreistages, auf.1

„Die Einrichtung spielt eine zentrale Rolle dabei, akute Notsituationen zu entschärfen, Gewaltkreisläufe zu durchbrechen und langfristige Schäden für Betroffene – insbesondere auch Kinder – zu verhindern“, sagt Organisatorin Nina Rathke vom Bündnis Grevesmühlen für alle.2 Eine finanzielle Sicherung sei eine gesellschaftliche Verantwortung und eine Investition in das Wohl der Gemeinschaft. 

„Landesförderrichtlinie muss überarbeitet werden“

Die fehlende finanzielle Sicherung ist auch der Grund, warum die AWO Schwerin, die momentan noch Träger der Beratungsstelle ist, sich zur Schließung zum Jahresende entschieden hat. Daran wird sich auch nichts mehr ändern, so Geschäftsführer Axel Mielke. Er habe das verantwortliche Justizministerium und den Kreis bereits im Sommer über diesen Schritt informiert.3 

Der Eigenanteil der AWO Schwerin sei im Laufe der letzten Jahre auf rund 40.000 Euro in 2023 gestiegen, berichtet Mielke. Für dieses Jahr geht er von einer noch höheren Summe aus. Grund für die Kostensteigerungen sind unter anderem höhere Betriebskosten. Die Fördermittel, die die Beratungsstelle vom Land erhalte, fange solche Steigerungen – Stichwort: Inflation – schon lange nicht mehr auf. Gleiches gelte für die tarifgerechten Löhne. Es müsse dringend die Landesförderrichtlinie überarbeitet werden, um die tarifgerechte Bezahlung sicherzustellen und die Beratungsstellen auskömmlicher zu gestalten, meint Mielke. Kein zukünftiger Träger werde es ansonsten schaffen, „eine ausgebildete Sozialarbeiterin zu finden“. Dass die Träger mit den Beratungsstellen eine Dienstleistung für den Staat erbringen, für deren Auslöser sie nicht verantwortlich sind, und dann noch eigenes Geld mitbringen sollen, findet er nicht richtig. Gehe es so weiter, werde das Hilfenetz in MV, zu dem auch die Beratungsstellen gehören, kontinuierlich schrumpfen.

Kein neuer Träger in Sicht 

Es ist bislang völlig offen, wie es in Grevesmühlen weitergehen soll. Der Kreis ist nach eigenen Angaben in Kontakt „mit den Städten Schwerin und Lübeck, um die dortigen Beratungsstellen zu nutzen“. Über das vom Justizministerium veröffentlichte Interessenbekundungsverfahren für eine neue Trägerschaft habe sich bisher noch niemand gemeldet, heißt es weiter.4 Kein Wunder, finden die Kreistagsfraktionen von Grünen, Linken und SPD, dass sich bei einem so hohen Eigenanteil niemand zur Übernahme bereiterklärt. Mit einer Beschlussvorlage, die heute Abend im Kreistag abgestimmt werden soll, wollen sie die Schließung der Stelle abwenden. Die Forderung: Der Landkreis soll seinen Finanzierungsanteil von aktuell 7.700 auf 20.000 Euro erhöhen.5

Schaut man auf die Zahlen, die das Justizministerium in diesem Jahr bereits auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Landespolitikerin Constanze Oehlrich herausgab, scheint der Kreis hier tatsächlich im Vergleich mit anderen Kommunen zurückzufallen. Während zum Beispiel der Landkreis Vorpommern-Greifswald für seine Stelle in Wolgast 25.000 Euro und in Pasewalk 21.000 Euro beisteuerte, waren es in Nordwestmecklenburg für Grevesmühlen 2024 eben nur 7.000 Euro.6

Der Landkreis verweist auf Nachfrage auf eine Steigerung der Unterstützung – 2023 waren „nur“ 5.000 Euro nach Grevesmühlen geflossen. Darüber hinaus werde über die Verdoppelung nachgedacht. Doch das finanzielle Defizit von 40.000 Euro könne auch dadurch nicht ausgeglichen werden. Der Kreis sieht an dieser Stelle auch den Bund in der Pflicht, sich an den Beratungsstrukturen finanziell zu beteiligen. Immerhin hab dieser sich „mit dem Beitritt zur Istanbul-Konvention […] den Schutz von Frauen vor Gewalt auf die Fahne geschrieben“. 

Mit ihrer Protestaktion wollen Zonta und Grevesmühlen für alle die Kreistagsabgeordneten animieren und den Landkreis dazu auffordern, ein klares Signal für die Beratungsstelle in ihrer gesellschaftlichen Bedeutung zu geben und ihren Erhalt zu sichern.

Update vom 22. November 2024: Wegen Zeitverzögerungen wurde die Abstimmung über die Beschlussvorlage im Kreistag am Abend auf nächste Woche vertagt.

  1. E-Mail des Zonta-Clubs Wismar vom 19.11.2024. ↩︎
  2. E-Mail von Nina Rathke vom 21.22.2024. ↩︎
  3. Telefonat mit Axel Mielke am 21.11.2024. ↩︎
  4. E-Mail der Pressestelle des Landkreise Nordwestmecklenburg vom 21.11.2024. ↩︎
  5. Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke, SPD im Kreistag Nordwestmecklenburg (Hg.): Antrag 011/FRA/2024. Beratungsstelle für Betroffene von häuslicher Gewalt in Grevesmühlen dauerhaft erhalten, S. 2, auf: ris.nordwestmecklenburg.de (5.11.2024). ↩︎
  6. Landtag Mecklenburg-Vorpommern (Hg.): Kleine Anfrage der Abgeordneten Constanze Oehlrich, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Aktuelle Situation des Hilfe- und Beratungsnetzes für Betroffene von häuslicher und sexualisierter Gewalt in Mecklenburg Vorpommern und Antwort der Landesregierung, S. 14, auf: dokumentation.landtag-mv.de (26.8.2024). ↩︎

Autor:innen

  • Redakteurin in Greifswald

    Geboren in Berlin, aufgewachsen in Berlin und Brandenburg. Tauschte zum Studieren freiwillig Metropole gegen Metropölchen.

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    Redakteurin in Rostock

    Geboren in Rostock. Aufgewachsen in Rostock. Studierte in Rostock. Und Kiel.

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    Redaktionsleitung

    Ist in Greifswald geboren, hat in Augsburg studiert und zog für den Lokaljournalismus wieder zurück nach MV.