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Späti

Ein Bier und ein Stück Zeit

Ein Kiosk, der bis spät in die Nacht offen hat. Der Ort, an dem man ein Wegbier für die Kneipentour kauft. Der Laden, in dem es nach der Schule Süßigkeiten gibt. „AufLaden“ heißt der „Späti“, der all das vereint. Benjamin Pintat hat ihn im Februar in Neubrandenburg eröffnet. Doch der „AufLaden“ möchte auch ein sozialer Treffpunkt sein.
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Ihren Ursprung haben die heutigen Spätis in der DDR. Damals hießen sie Spätverkaufsstellen und waren eine Möglichkeit für Schichtarbeiter:innen, auch außerhalb der regulären Öffnungszeiten einkaufen zu gehen. Sie waren etwas kleiner als normale Kaufhallen und hatten wenig mit den heutigen Spätis zu tun. Außer natürlich, dass sie lange aufhatten.1

Heute kennt man Spätis hauptsächlich aus Berlin und anderen großen Städten. In seiner Zeit in Hamburg hat auch Benjamin Pintat sie kennen und lieben gelernt. Aber was macht so einen Späti eigentlich aus? „Ein Spätkauf ist einerseits ein Treffpunkt, andererseits auch eine Anlaufstelle für Leute, die eventuell beim Wocheneinkauf noch etwas vergessen haben“, erklärt mir Pintat, als ich ihn Anfang September in Neubrandenburg in seinem Späti AufLaden besuche. Es ist auch der Ort, an dem man sich spontane Wünsche erfüllt. Zum Beispiel einen Snack oder eine Limo nach Feierabend. Mit „Treffpunkt“ meint der gebürtige Neubrandenburger die Funktion des Spätis als den Ort, an dem man sich verabredet. Beispielsweise, bevor man gemeinsam feiern oder in eine Bar geht. Deshalb macht ein Späti nur Sinn, wenn es rund um den Laden noch weitere Unterhaltungsmöglichkeiten, wie Kneipen, Clubs oder Konzerthallen gibt.

Anlaufpunkt für junge Menschen

Benjamin Pintat ist in Neubrandenburg aufgewachsen. In seiner Jugend, so sagt er, war die Vier-Tore-Stadt noch viel belebter. „Junge Leute waren im Stadtbild deutlich stärker präsent. Es gab auch mehr Jugendclubs, die aber alle nach und nach geschlossen haben.“ Sein Laden ist deshalb auch ein Angebot für junge Menschen. Sie können sich dort treffen und „Sachen aushecken“.

Während ich mit Benjamin Pintat spreche, kommen zwei Jungs ins Geschäft. Die Schüler diskutieren darüber, welche Süßigkeiten sie sich kaufen sollen, und fragen Pintat nach seiner Empfehlung für Energydrinks. Im Laufe des Tages kommen häufig junge Leute vorbei, abends wird es auch vor dem Geschäft voller. Dann trifft man sich zum „Cornern“. Der Begriff kommt aus dem New Yorker Stadtteil Bronx und bezeichnet ursprünglich, dass sich konkurrierende Breakdance-Gruppen an Straßenecken treffen, um ihr Können zu zeigen.2 Im Fall des Neubrandenburger Spätis bedeutet es: draußen vor dem Laden sitzen, ein Bier oder eine Limo trinken, beisammen sein ohne einen festen Ort, der einen zum Konsum zwingt. Denn beim Cornern kann jede:r dabei sein, egal ob man etwas kauft oder nicht.

Doch nicht ganz so späti

Am Samstag nach 22 Uhr ist allerdings Schluss mit Cornern, dann nämlich schließt der AufLaden. Auf dem Bürgersteig könnte man theoretisch trotzdem weiter sitzen, allerdings ohne Getränkeversorgung. Der Grund dafür liegt im sogenannten Gesetz über die Öffnungszeiten von Verkaufsstellen für das Land Mecklenburg-Vorpommern. Demnach dürfen Geschäfte werktags ohne zeitliche Beschränkung, samstags bis 22 Uhr und sonntags gar nicht öffnen. Ausgenommen davon sind beispielsweise Verkaufsstellen an Bahnhöfen, die Reisebedarf anbieten, oder Bäckereien und Konditoreien.3 Benjamin Pintat fände es gut, wenn er auch am Sonntag öffnen dürfte. Dann könnte er die Versorgung der Innenstadt und angrenzender Stadtviertel mit Waren des täglichen Bedarfs verbessern. Bisher verkaufen sich Bier und Zigaretten besser als Nudeln und Tampons.

Andere Spätis in MV haben länger geöffnet, als es Geschäften gesetzlich erlaubt ist. So dürfen beispielsweise die Schweriner Spätis auch sonntags öffnen. Für Tourismusregionen, die als Kurorte anerkannt sind, und Städte mit Weltkulturerbe, können laut Öffnungszeitengesetz abweichende Regeln festgelegt werden. Neubrandenburg ist allerdings weder Tourismusregion noch Welterbestadt. Darum wird wohl auch in Zukunft niemand sonntags im AufLaden Nudeln kaufen können.

Die Grafik zeigt eine Karte von Mecklenburg-Vorpommern (MV). Darauf eingezeichnet ist die Anzahl der Spätis, die es in einzelnen Städten im Bundesland gibt. In Boizenburg, Lüdwigslust, Parchim, Wolgast und Stralsund gibt es jeweils einen, in Greifswald und Neubrandenburg zwei, drei in Rostock und Wismar und neun in Schwerin.

Bier verkaufen als Schnapsidee

Benjamin Pintat ist eigentlich gelernter Augenoptiker. Wie kommt er also dazu, einen Späti zu führen? Nachdem er in Hamburg, Berlin und Cottbus gelebt hatte, zog er wieder zurück in seine Heimatstadt Neubrandenburg. Seinen Job als Optiker wollte er nicht mehr machen. „Das war nicht wirklich erfüllend“, blickt er zurück. Also meldete er sich arbeitssuchend. Die Absicht, sich selbständig zu machen, hatte er schon länger.

Einen eigenen Laden zu eröffnen, war dann trotzdem eher eine Schnapsidee. „Prinzipiell hat jede etwas größere Stadt über 10.000 Einwohner einen Späti verdient und der Bedarf ist auf jeden Fall da“, findet Pintat heute. Die Späti-Idee präsentierte er seiner Sachbearbeiterin vom Arbeitsamt. Sie vermittelte ihn an ein Unternehmen, das Menschen in die Selbständigkeit verhilft. In einem vierwöchigen Kurs erstellte er einen Businessplan und reichte ihn bei der Bank ein. „Als ich das Telefonat mit der Bank hatte und die meinten, ‚wir genehmigen ihnen jetzt den Kredit‘, und ich das erste Mal das Geld auf dem Konto hatte, da dachte ich mir: Verdammt, ich muss das jetzt wirklich machen.“ Bis heute hat er seine Entscheidung nicht bereut.

Etablierte Stammkundschaft

Ein Grund, warum sich Pintat so wohlfühlt in seinem Späti, sind die Kund:innen: „Es gibt Anwohner:innen, die täglich vorbeikommen, ihr typisches Getränk greifen und dann eine Runde mit ihrem Hund gehen.“ Andere nutzen den Späti, um sich zu unterhalten. „Die Leute kaufen sich mit dem Bier auch ein Stück deiner Zeit“, sagt er. Besonders Menschen, die viel allein sind, suchen Anschluss oder wollen jemandem von ihren Problemen erzählen.

Wie er damit umgeht, hängt vom Thema ab. Die meisten Menschen wollen nur ein offenes Ohr – gar keine Wertung oder gar Hilfsangebote. Wenn dem Spätibesitzer allerdings Dinge erzählt werden, die klar rassistisch oder anderweitig problematisch sind, muss er Kund:innen des Ladens verweisen. Schon vorgekommen, berichtet er.

Politisches und kulturelles Engagement

Der AufLaden ist aber nicht nur Treffpunkt, sondern manchmal auch Veranstaltungsort. So zum Beispiel beim Vier-Tore-Fest Ende August 2024. Vier DJs sorgten beim „Vier-Tore-Rave“ vor dem Laden für gute Stimmung. Auch zum Halloween-Shopping in der Innenstadt hatte Pintat sich etwas ausgedacht. Vor dem Laden trat eine Gauklergruppe aus Neubrandenburg auf. Angesichts der eher kommerziell ausgelegten Veranstaltung möchte der Späti auf seine Art das Stadtbild gestalten: „Wir alle haben die Möglichkeit, etwas beizutragen. Es braucht etwas Initiative und Aufwand, aber prinzipiell ist es möglich.“ Das nächste Event steht auch schon fest: Bei der am 21. Juni stattfindende Fête de la Musique in Neubrandenburg hat der Späti eine eigene Bühne.4

Auch politisch ist Benjamin Pintat mit seinem Späti aktiv. Wer im Stadtgebiet Aufkleber von rechten Gruppierungen entfernt und zum Laden bringt, kann sie dort gegen Kaugummi eintauschen. Ziel der Aktion ist es, Jugendliche für rechtsextreme Inhalte zu sensibilisieren. Denn ein Späti ist eben mehr als der Laden, in dem man sich sein Wegbier kauft.

Weiterlesen:

Dieser Artikel erschien in KATAPULT-MV-Ausgabe 36. Er wurde am 19.3.2025 aktualisiert.

  1. Wallmeier, Fabian: Der Späti ist ein Kind des Ostens, auf: rbb24.de (8.11.2019). ↩︎
  2. Mayer, Bianca X.: Warum jetzt wieder alle an der Straßenecke abhängen, auf: spiegel.de (18.9.2016). ↩︎
  3. §§ 3-5 Öffnungszeitengesetz MV. ↩︎
  4. Telefonat mit Benjamin Pintat am 19.3.2025. ↩︎

Autor:in

  • Porträt von Lilly Biedermann Redakteurin Katapult MV in Greifswald

    Redakteurin in Greifswald

    Geboren und aufgewachsen in Sachsen. Ist zum Studieren vom tiefen Osten in den kalten Osten nach Greifswald gezogen.

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