Energiepolitik
1.800 Menschen fordern in Lubmin die Öffnung von Nord Stream 2
Von Patrick Hinz und Martje Rust
Lesedauer: ca. 5 Minuten
Artikel teilen
Angemeldet wurde die Kundgebung vom Greifswalder Martin Klein von der Partei „die Basis“. Er organisierte unter anderem die Greifswalder Montagsdemos. Auf einer dieser Kundgebungen, am 3. Januar 2022, forderte er in einem Redebeitrag etwa die Rücknahme aller Corona-Maßnahmen, den Rücktritt der Regierung, die Abwicklung der öffentlich-rechtlichen Medien und ein „Nürnberg 2.0“.
Die stellvertretende Veranstaltungsleiterin Ina Schuppa-Wittfoth (Die Basis) aus Greifswald erklärt in einer Rundmail: „Wir vertreten die Auffassung von vielen Bürgern und Politiker, so wie auch Herrn Kubicki: ‘Es gibt keinen vernünftigen Grund, Nord Stream 2 nicht zu öffnen’.“
Ziel der Organisator:innen ist es, gegen die aktuelle Energiepolitik zu agieren und Besucher:innen von den Chancen der Erdgaspipeline Nord Stream 2 zu überzeugen, die russisches Gas für Deutschland durch die Ostsee bis nach Lubmin liefern soll, wie auch schon die erste Pipeline Nord Stream 1. Ihrer Ansicht nach seien die Kosten bei einer Nichtöffnung „unüberschaubar“. Zudem sprechen sie sich gegen Fracking und Flüssiggasterminals im Bodden aus. Die Regierung plant vor Lubmin schwimmende LNG-Terminals, um Erdgas aus verschiedenen Ländern, wie den USA oder Norwegen, nach Deutschland liefern zu können. Eines soll bis Ende 2022 eingerichtet sein. Genehmigungsverfahren dafür laufen bereits. Mit diesem und weiteren Terminals vor Lubmin sollen – so der Plan – zeitnah 30 Milliarden Kubikmeter Flüssiggas für ganz Deutschland eingespeist werden können. Knapp 60 Milliarden Kubikmeter war zuletzt die jährliche Kapazitätsleistung von Nord Stream 1. Für Nord Stream 2 waren 55 Milliarden Kubikmeter geplant. Mit immer noch mehr Kubikmetern Flüssigerdgas via LNG-Terminals könnten MV und Deutschland der Abhängigkeit von russischem Erdgas, das durch die beiden Nord-Stream-Pipelines kommen würde, entgehen.
Dafür setzen sich auch die Grünen ein: Der energiepolitische Sprecher der Fraktion im Landtag, Hannes Damm, erklärt: „Würden wir Nord Stream 2 öffnen, würden wir die Ukraine und all unsere Werte verraten und uns einmal mehr politisch erpressbar machen. Die Devise muss weiterhin lauten: Wir müssen die Menschen so gut wie möglich entlasten. Und wir müssen so schnell wie möglich weg vom russischen Gas und alternative, saubere Energiequellen auftun.“
Das sieht auch Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) so: Eine Öffnung von Nord Stream 2 stehe laut der Ministerpräsidentin weiterhin nicht zur Debatte: „Diese Frage stellt sich nicht, die hat die Bundesregierung klar beantwortet“, sagte sie Ende August im ZDF-heute-journal. Sie war auf eine entsprechende Forderung des stellvertretenden FDP-Vorsitzenden Wolfgang Kubicki angesprochen worden.
Mit dem Voranbringen der LNG-Terminals setze sie sich für eine schnelle Alternative zu russischem Gas ein. Jedoch: „Nur vorhandene Energie schafft vernünftige Preise“, sagte sie zuletzt während des gemeinsamen Besuchs mit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in Lubmin. Fossiles Gas soll aber nur eine Übergangslösung sein, es soll sich langfristig auf grüne Energie konzentriert werden.
Lubmins Bürgermeister Axel Vogt (parteilos) äußerte sich nach OZ-Informationen verständnisvoll für das Anliegen der Kundgebung. Er selbst habe für die Veranstaltung abgesagt. Aus Termingründen. Auf eine Anfrage von KATAPULT MV hat er noch nicht reagiert.
Er sehe aber auch die Chancen beim Projekt um die LNG-Terminals: So hoffe er auch auf neue Arbeitsplätze für die Region. Nach Angaben des zuständigen Unternehmens Regas könnten für das erste Terminal 320 Arbeitsplätze entstehen.
Service-Center OZ
Im Vorfeld der Veranstaltung veröffentlichte die Ostsee Zeitung förmlich mehr eine Veranstaltungshinweis anstelle eines Berichts zur Kundgebung: So wurden im Artikel vom 2.9.2022 neben dem Motto der Veranstaltung hervorgehoben die Fragen „Wann und wo ist Treffpunkt in Lubmin?“ und „Wo können Teilnehmer der Kundgebung parken?“ geklärt. Eine hintergründige Einordnung oder eine Stimme, die sich kritisch gegen die Kundgebung äußert, fehlt. Der Artikel endet mit einem Zitat eines Befürworters der Aktion.
Ablauf und Aussicht
Polizeibeamte aus Greifswald, Anklam, Heringsdorf, Pasewalk und Ueckermünde haben die Kundgebung abgesichert. Laut Angaben der Polizei haben anstelle der angemeldeten 500 insgesamt 1.800 Menschen an der Kundgebung in Lubmin teilgenommen. Bevor die Kundgebung offiziell beginnen konnte, mussten deshalb zusätzliche Order:innen organisiert werden. Die Veranstaltungs verlief aus polizeilicher Sicht dennoch störungsfrei.
Die Organisator:innen wollen sich nach eigenen Aussagen nicht „dem rechten Spektrum“ zuordnen lassen. Dennoch haben die Teilnehmer:innen etliche Deutschlandfahnen und Motive aus der rechten Szene präsentiert. Sogar die russische Flagge wurde geschwenkt.
Die nächste Kundgebung wurde bereits angekündigt und soll am 24. September in Lubmin stattfinden. Das Ziel von Martin Klein und seinen Mitstreitern: Nord Stream 2 selber aufdrehen, wenn es die Bundesregierung bis dahin nicht getan hat.
Alle Informationen zu dieser Kundgebung inklusive Tipps zum Parken werden voraussichtlich wieder zeitnah von der Ostsee Zeitung bekannt gegeben.
MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo!
Autor:innen
Geboren in Vorpommern, aufgewachsen in Mecklenburg. Einziger KATAPULT-Redakteur mit Traktorführerschein UND Fischereierlaubnis. Layouter und Chefredakteur.
Redaktionsleitung bei KATAPULT MV.
Ist in Greifswald geboren, hat in Augsburg studiert und zog für den Lokaljournalismus wieder zurück nach Meck-Vorp.