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Ex-Gemeindechefin

„Als Bürgermeisterin gehörst du zu denen da oben“

Wenn Astrid Zschiesche durch Groß Kiesow radelt, drehen manche den Kopf weg. Als ehemalige Bürgermeisterin der Gemeinde ist sie nicht bei allen beliebt. Zehn Jahre lang war sie im Amt, nun wählt fast jede zweite Person AfD. Sieht die gebürtige Krebsowerin Hoffnung?

KATAPULT MV: Wollten Sie schon als Kind Bürgermeisterin werden?

Zschiesche: Nein. 

Und wie kam es dann doch dazu?

Weil sonst niemand kandidiert hat. Aus Spaß habe ich gesagt: Jetzt muss ich es machen, oder? Da wurde ich so richtig bestürmt, weil ich als Rentnerin Zeit hatte und alle wussten, dass ich mich reinknie. Dann hat es sich so ergeben.

Also waren Sie gar nicht richtig vorbereitet auf die neue Aufgabe.

Es geht. Im früheren Leben habe ich Chemie studiert und an der Uni im Entwicklungslabor gearbeitet. Nach der Wende ist alles zusammengebrochen und ich bin in die Verwaltung gegangen. Auf diesem Gebiet hatte ich also Erfahrungen. Außerdem hatte ich schon mit vielen Bürgermeistern zu tun.

Ist Bürgermeisterin ein Vollzeitjob?Es ist ein Ehrenamt, zeitlich aber sehr anspruchsvoll. Natürlich muss man nicht bei jeder Sitzung in den Gremien und Ausschüssen dabei sein, aber ständig fehlen geht nicht. Dazu erwarten die Bürger, dass du zu jeder Tag- und Nachtzeit ansprechbar bist …

Inwiefern?Sie rufen dich an. Meist geht es um amtliche oder zivilrechtliche Dinge – also wenn sich der Nachbar ärgert.

Echt jetzt?

Ja. Einmal rief nachts um zwei eine Frau an und sagte, die Hochzeitsfeier nebenan sei zu laut, ich möge mal vorbeikommen und für Ruhe sorgen. Ich habe ihr geraten, die Polizei zu rufen. Meine Anruferin war enttäuscht. Sie hat gesagt, sie wählt mich bestimmt nicht wieder. Zum Glück, dachte ich. 

War das eine Ausnahme? 

Nicht unbedingt. Ein anderes Mal hat jemand angerufen, weil zwei freilaufende Hunde in Sanz unterwegs waren. Ich sollte um neun Uhr abends über den Acker gehen, um sie einzufangen. 

Dabei wissen die Hunde ja nicht mal, dass Sie Bürgermeisterin sind. Welche Fähigkeiten braucht man noch, die nicht in der Jobbeschreibung stehen? 

Als Bürgermeisterin überlegst du dir nicht nur, was du in der Gemeinde machst und wofür du Geld ausgibst. Du bist auch Repräsentationsfigur. Im Prinzip musst du überall dabei sein, überall zuzuhören, dich aber auch abgrenzen können. Neinsagen ist eine wichtige Fähigkeit – und zwar so freundlich, dass die andere Partei sich entschuldigt, weil sie überhaupt gefragt hat. 

Sie haben zwei Wahlperioden als Bürgermeisterin hinter sich. Hat sich Ihre Arbeit innerhalb der vergangenen zehn Jahre verändert?

Die erste Wahlperiode war relativ human, ich habe uns als Gemeinschaft wahrgenommen. Mit der zweiten Periode hat sich das verändert. 

Wodurch?

Ich wollte gar nicht kandidieren, wurde aber gebeten, weil ein Kandidat antrat, der AfD-Werte vertritt. Die Wahl habe ich zwar gewonnen, aber mein Kontrahent saß in der Gemeindevertretung und wollte mir das Leben schwermachen, indem er alles, was ich gesagt habe, infrage gestellt hat. Verbal ging es meiner Meinung nach oft unter die Gürtellinie. Da brauchst du ein dickes Fell, um das auszuhalten. 

Hatten Sie Verbündete?

Ja, meine beste Freundin saß auch in der Gemeindevertretung. Wir haben aber abgesprochen, dass sie nicht viel sagt, weil es immer doof ist, wenn dich deine Freundin verteidigt. Hinterher hat sie mich zur Seite genommen und mir gespiegelt, was ich anders hätte machen können. Sie war meine schärfste Kritikerin. 

Hat sie auch mal was Gutes gesagt?Auf jeden Fall. Sie sagte, sie bewundere, wie ich mir mit freundlichem Gesicht die schlimmsten Sachen anhören kann. Und damit hat sie Recht, das war eine Anstrengung, bei dem größten Blödsinn zu sagen: „Danke für Ihren netten Beitrag.“ Es kostet mehr Kraft, das auszuhalten, statt ehrlich zu sein. 

Hat sich das politische Klima in den vergangenen Jahren verändert?

Definitiv. Während der Pandemie ist das öffentliche Leben zusammengebrochen – und alle hatten eine Meinung zum Virus oder zur Impfkampagne. Von mir als Bürgermeisterin wollten sie diese auch. 

Aber Sie wollten sie nicht geben?

Nein. Es muss jeder alleine privat entscheiden mit dem Impfen. Ich persönlich habe mich impfen lassen und in der Zusammenarbeit für Regeln gesorgt.

Welche?

Bei unseren Sitzungen mussten alle Masken tragen. Manche haben das provokativ abgelehnt. Dann habe ich eben gesagt, dass keine Sitzung stattfindet. Neben der Pandemie kam hinzu, dass eine Kollegin eine Brustkrebserkrankung hatte. Und für mich ist klar: Wenn jemand hier mit einem geschwächten Immunsystem sitzt, und ihr keine Rücksicht darauf nehmt und ohne Maske antanzt, findet eben keine Sitzung statt.

Diese Härte wurde Ihnen bestimmt auch negativ ausgelegt.

Ja, manche wollen eben provozieren. Zum Schluss hat sich das Klima deutlich verändert, auch in der Gemeinde selbst. Aber ich sage es mal so: Ich konnte nichts für die Energiekrise. Ich konnte nichts für den Ukrainekrieg. Ich konnte für viele andere Dinge auch nichts. Aber als Bürgermeisterin gehörst du trotzdem zu denen da, den Regierenden.

Zu denen da oben.

Genau. Das merke ich, wenn ich durch die Gemeinde radle, wer mir zuwinkt und wer sich wegdreht.

Wollten Sie bekämpfen, dass manche ein schlechtes Bild von Ihnen haben?

Nein. Ich habe einen Leitsatz: Wenn mich bestimmte Leute nicht leiden können, ist alles in Ordnung.

Coolbleiben funktioniert aber bestimmt nicht immer, oder?

Manchmal ist es schwierig. Oft will man ja Dinge verteidigen, muss sich aber zurücknehmen. Und trotzdem kann man nicht immer alles so stehenlassen, wenn es öffentlich gesagt wurde. Gerade auch in meiner ehemaligen Rolle.

Hatten Sie Bügermeisterunterstützung? Also befreundete Bürgermeister oder eine WhatsApp-Gruppe mit anderen Bürgermeistern? 

Ja, so etwas gibt es mit anderen Bürgermeistern. Vor ungefähr einem Jahr haben wir uns zum ersten Mal getroffen und haben daraufhin auch so eine Gruppe gegründet. Bei unseren Treffen werden Dinge besprochen, denn viele haben die gleichen Probleme. Bei manchen läuft es gut, bei manchen schlechter. Aber man kann sich auch mal beschweren und Tipps geben.

Was ist der größte Unterschied zwischen einer Bürgermeisterin aus dem Kaff und der Bürgermeisterin in der Stadt? 

Du bist im Dorf nicht anonym, da kennen und sehen dich alle. Deswegen kannst du dich nicht gut ins Privatleben zurückziehen. 

Beispiel?

Während meiner Amtszeit war ich häufig bei Rentnergeburtstagen. Bei solchen Veranstaltungen bekommt man Likör oder anderes angeboten, aber ich habe immer Nein gesagt. Ich trinke nichts, kein Likörchen, kein Glas Wein, gar nichts. Sonst heißt es am Ende: Die Bürgermeisterin ist besoffen Auto gefahren. Und ich mag Likör eh nicht.

Haben Ihnen die Treffen trotzdem gefallen?

Man erfährt, was die Menschen denken. Für manche war es ein riesiges Thema, dass ich zweimal dieselbe Bluse anhatte bei den Geburtstagsbesuchen. Da hab ich eine Liste gemacht, damit ich nicht beispielsweise fünfmal mit der Bluse nach Schlagtow zum Geburtstag fahre.

Vielleicht war es ja Ihre Geburtstagsbluse, die Sie nur zu besonderen Anlässen anziehen.

So wurde das nicht beurteilt. Es ist wichtig, was man anhat. Ob das bei einem männlichen Kollegen ähnlich bewertet würde, weiß ich nicht.

Sie sind parteilos. Wenn Sie heute eine Partei gründen würden, wie würden Sie sie benennen? 

Wahrscheinlich Umweltpartei. Früher hätte ich mich den Grünen angeschlossen, aber deren Politik kann ich nicht mehr gutheißen. Natürlich muss man bei vielen Sachen Kompromisse eingehen und sich Zwängen unterordnen. Aber die eigenen Grundsätze sollte man doch laut und deutlich sagen können. Kultur und Soziales ist mir aber auch wichtig. Dafür habe ich mich in den vergangenen Jahren auch starkgemacht und hoffe, das bleibt erhalten.

Wenn Sie die Gemeinde Groß Kiesow in drei Worten beschreiben müssten, welche wählen Sie?Gehen auch zwei?

Ja.

Inhomogen und schwierig. 

Wieso?

Weil die elf Ortschaften keine gemeinsame Geschichte haben. Bis Ende der 70er-Jahre waren es drei Gemeinden, die zusammengepresst wurden, aber nie zusammengewachsen sind. Das war schwierig. Alle Ortschaften wollten eigene Kinderfeste organisieren. Das habe ich aber nicht zugelassen.

Wieso nicht?Ich wollte ein Fest für alle. Hat auch funktioniert. Aber andere habe ich nie gemeinsam an einen Tisch gekriegt. Die einen wollen nicht mit denen, die anderen wollen nicht mit denen.

Zuletzt haben bei der Kreistagswahl 44,3 Prozent der Leute in Groß Kiesow ihre Stimme der AfD gegeben. Ist momentan wirklich der richtige Zeitpunkt, von der politischen Bildfläche zu verschwinden? 

Ich brauche auf jeden Fall eine Pause und Urlaub, will aber danach politisch aktiv bleiben. Nur eben nicht als Bürgermeisterin.

Wie schauen Sie auf die Wahlergebnisse aus dem Juni 2024?

Finde ich schrecklich. Ich bin kein CDU-Freund, aber habe mich zum ersten Mal gefreut, als der CDU-Balken gewachsen ist. Meinen Nachfolger beneide ich nicht um diese Situation. 

Weil …

Du kannst die AfD-ler abtun, solange sie wenig Sitze haben. An vielen Orten ist das nicht mehr der Fall. Also musst du mit ihnen umgehen. Zum Glück wollen nun einige in der Gemeinde dagegenhalten – obwohl sie sich im Normalfall gar nicht gut verstehen. 

Also hat Groß Kiesow Zukunft?

Eigentlich ja.

Wieso eigentlich?

Ja.

Dieser Text erschien in Ausgabe 33 von KATAPULT MV.

Weiterführende Artikel: Angriffe auf Kommunalpolitiker:innenEinen Monat nach der Wahl

Autor:in

  • Bild von freier KATAPULT MV Redakteurin Juli Katz

    Ehemals KATAPULT-Chefredakteurin, jetzt freie Journalistin mit Fokus auf Wissenschaft, Arbeit, Kultur für diverse überregionale Medien. In MV geblieben und für KATAPULT MV als freie Reporterin und Redakteurin tätig.

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