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Wege aus der Gewalt

„Ich wusste, das rettet mir das Leben“

Über zehn Jahre lang sind sie das perfekte Paar. Was ihre Familie und Freunde nicht ahnen, aber alle Nachbarn wissen: Hinter verschlossener Tür zeigt er sein wahres Gesicht. Nachdem sich Viktoria* einem Freund anvertraut hatte, ging ihre Flucht aus dem eigenen Zuhause ganz schnell. Für sie ist der jahrelange Terror nun endlich vorbei, aber für viele andere Gewaltbetroffene ist er weiterhin Alltag. Im Gespräch mit KATAPULT MV erzählt sie von ihrem mutigen Sprung in ein selbstbestimmtes und gewaltfreies Leben.

Dieser Artikel enthält Beschreibungen häuslicher physischer und psychischer Gewalt, die bei jeder dritten Frau retraumatisierend wirken können. Informationen zu Hilfsangeboten für Betroffene gibt es am Ende der Seite.

KATAPULT MV: Wie lief die Trennung von deinem gewalttätigen Partner für dich?
Viktoria1: Ich war selber überrascht, wie gut alles für mich lief, trotz all der Jahre des Schweigens. Selbst gegenüber meiner Therapeutin hatte ich geschwiegen, obwohl sie sich fragte, wo das Problem liegt. Als ich schließlich alles offenbarte, war sie überrascht.
Die finale Trennung verlief wirklich gut. Die richtigen Menschen zur richtigen Zeit waren an meiner Seite. Der Zeitpunkt der Trennung war für mich vielleicht sogar ideal, denn ich glaube, in jüngeren Jahren hätte ich die Realität nicht so gut verarbeiten können.

Wann war der Wendepunkt für dich?
Es gab diesen einen Moment, den ich oft überlegt habe zu erzählen. Das war der Punkt, an dem ich aufgewacht bin und realisiert habe, dass, wenn es so weitergeht, ich vielleicht nicht mehr am Leben sein werde. Diesen Moment werde ich nie vergessen – wie alles in mir zerrissen ist. Da wurde mir klar, dass ich für ihn offensichtlich nichts wert bin. Ich hatte mir vieles schöngeredet und dachte, mit der Zeit und Veränderungen würde sich alles bessern. Doch dieser Moment war entscheidend – ich hatte Angst um mein Leben.

Wie haben deine Freunde bemerkt, dass etwas nicht stimmt?

Am Ende in der gemeinsamen Wohnung war es wirklich am allerschlimmsten. Dann war da jemand anderes, der ging auch gern spazieren wie ich. Manchmal habe ich dabei einfach Dinge gesagt, die mir selber gar nicht so aufgefallen sind – die er aber auffällig fand. Sowas wie, „ich muss fragen, ob ich darf“. Oder, dass ich nervös wurde, weil ich vergessen habe, mich zuhause zu melden.

Ich war einfach sehr durcheinander. Mein Freund fand es sehr merkwürdig, wenn ich manchmal gesagt habe, „es ist grad wieder schwer zuhause“ oder „ich bin grad froh, einfach mal raus zu sein“. Und dann meinte er, dass ich zum Teil ziemlich eingeschüchtert wirke. Und ob ich nicht mal sagen möchte, was los ist und ob es doch mehr ist als nur eine blöde Situation zuhause. Da habe ich gesagt: Das kann ich nicht machen. Ich kann das nicht erzählen, weil er beruflich noch so viele Pläne hat.

Daraufhin hat er mich einfach nur angeguckt und gesagt: „Ich frage dich jetzt einfach, wirst du zuhause geschlagen?“ Und da habe ich einfach nur angefangen zu weinen. Und er hat auch geweint.

Warst du erleichtert, darüber reden zu können?
In dem Moment war ich schon erleichtert. Da habe ich das erste Mal ein bisschen darüber geredet. Ich meinte, na ja, er schlägt mich nicht, er drückt mich eher zu Boden, drückt mich am Hals oder Nacken zu Boden, benutzt Hebel oder drückt die Stirn an meine Stirn und mich dann an die Wand. Also er hat mich oft eingeengt, mich oft in die Ecke gedrängt. Hat mir einen Krug mit Wasser über den Kopf gegossen, zum Beispiel, wenn ich gesessen habe. Also auch einfach so Respektlosigkeiten, um mich so richtig zu entwerten. Ich hatte das Gefühl, das war seine Mission.

Und dann war es bei mir komplett zu Ende. Ich wusste immer schon ein bisschen, dass es scheiße ist, aber ich habe immer gedacht, der Bärenanteil liegt ja bei mir. Weil ich so schwierig bin, so emotional und mit so vielen Erkrankungen, immer Probleme habe und alles immer schwierig ist. Und auf einmal sagt da einer, egal wie schwierig man ist, das geht einfach nicht.

Wie sind deine Freunde damit umgegangen?
Mir wurde recht schnell gesagt, dass ich gerade nicht mehr so ganz Herr meiner Sinne bin und jetzt vielleicht für mich mal entschieden werden müsste. Dass jemand zu mir jetzt mal sagen müsste, entweder du gehst freiwillig oder wir holen dich. Sie mussten dann auch für mich entscheiden und das war gut so. Es wurden Fahrzeuge organisiert und mir dann spontan mitgeteilt, dass jetzt der Zeitpunkt wäre, um meine Sachen zu holen. Ich begann kurz zu verhandeln und dann begriff ich, dass ich gar nicht verhandeln will, sondern eigentlich nur aufbrechen möchte.

Das war für mich eine totale Erleichterung, weil ich irgendwie gemerkt habe, krass, ich habe es jetzt gesagt und es hat definitiv bald ein Ende. Gleichzeitig hat es mir auch total wehgetan, weil ich direkt den Schmerz von meinem Partner gespürt habe, zumindest den Schmerz, den ich denke, dass er ihn fühlen würde. Obwohl ich mir auch nicht sicher bin, ob das wirklich an meine Person gebunden ist oder ob das einfach nur daran liegt, dass sein kleiner Knecht nun weg ist. Aber er war schon auch mein bester Freund und wir hatten viele Gemeinsamkeiten, viele tolle Momente zusammen und viele gemeinsame Pläne.

Wie ging es dir mit der Erkenntnis?
Ich war da zum ersten Mal relevant. Zwischen totaler Panik, wie soll mein Leben jetzt weitergehen, was wird in Zukunft, wie wird er das erzählen, wie stehe ich nachher da? Und gleichzeitig war ich einfach nur froh, jetzt ein selbstbestimmtes und hoffentlich glückliches Leben führen zu können.

Nach diesem Schlüsselmoment ging also alles schnell voran?
Bevor ich endgültig ging, wollte ich noch ein paar Dinge regeln. Wir hatten gemeinsame berufliche Aufträge geplant, und ich fühlte mich verpflichtet, diese zu Ende zu bringen. Auch wollte ich noch mit meiner Therapeutin sprechen.

Wie hast du die Zeit vor deiner Flucht erlebt?
Qualvoll. Der Stress zu Hause war hochexplosiv und gefährlich. Ich war permanent angespannt und fühlte mich klein. Der Tag meines Auszugs und die Tage davor waren schrecklich. In dieser Woche fühlte ich mich wie in Trance. Mein Umfeld erkannte meine Lage und half mir bei der Flucht. Die Tage vor dem Auszug waren fürchterlich. Der Schmerz und gleichzeitig die Erleichterung überwältigten mich.

Wie hat dein Ex-Partner reagiert?
Anfangs geläutert, er wollte sich ändern. Mittlerweile glaube ich das aber nicht mehr so ganz. Er möchte an sich arbeiten, aber ich glaube, er weiß gar nicht, woran er arbeiten müsste. Ich hoffe, er findet die Hilfe, die er braucht. Das wünsche ich vor allem seinem nahen Umfeld, dass sich zum Teil immer noch bemüht, ihm zu erklären, was an seinen Handlungen falsch war. Dafür bin ich diesen Menschen sehr dankbar.

Wie erlebst du anderthalb Jahre später den Umgang deines Umfelds mit der Situation?
Ich habe immense Unterstützung und Verständnis erfahren. In meinem engen Freundeskreis und meiner Familie spreche ich offen über meine Trigger. Mein Umfeld zeigt großes Verständnis, beruhigt mich ehrlich in Panikmomenten und lässt mich fühlen, dass meine Gefühle berechtigt sind. Ich fühle mich stärker und selbstbewusster als in der Beziehung. Ich habe ein neues Studium begonnen und festgestellt, dass ich mit Menschen klarkomme. Meine Freunde und Familie bestärken mich, und ich bin wieder stolz auf mich.

Gibt es etwas, das du beim nächsten Mal anders machen würdest?
Ich würde nicht so schnell mit jemandem zusammenziehen, wenn ich mich nicht wohlfühle. Probleme gab es schon vorher, und ich hätte nicht ignorieren sollen, wie unwohl ich mich fühlte. Ich würde nie wieder zulassen, dass sich jemand so über mich stellt und mich abhängig macht. Die Erfahrung zeigt mir, dass ich künftig meine Grenzen besser aufzeigen muss.

Wie geht es dir heute damit?
Ich bin viel weniger angespannt. Auch meine Gesundheit verbessert sich. Meine Selbstwahrnehmung hat sich positiv verändert, ich kann trotz der Herausforderungen resilienter auf Schwierigkeiten reagieren. Vor allem der Stress ist weg.

Wussten deine Eltern eigentlich von der Gewalt?
Nein. Wenn wir bei meinen Eltern waren, hat er mich wie eine Prinzessin behandelt. Meine Eltern mochten ihn, er war Teil unserer Familie. Die Vorstellung, wie meine Eltern, die ihr Leben lang alles für unser Glück gegeben haben, mich in diesem Zustand sehen würden, hat mich oft zum Weinen gebracht. Ich hatte Angst, ihnen das Herz zu brechen.
Als ich schließlich zu meinen Eltern ging, erzählte ich ihnen vorsichtig von der Trennung und packe es auch heute nur portionsweise aus. Sie unterstützen mich nach wie vor und wollen meine Kämpfe und Entscheidungen verstehen, und das macht mich stark.


Bist du selbst betroffen, oder kennst von Gewalt Betroffene?
Ein gewaltfreies Leben ist möglich!
Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist ein bundesweites Beratungsangebot für Frauen, die Gewalt erleben oder erlebt haben. Unter der 116 016 und über Onlineberatungen werden Betroffene 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag unterstützt. Auch Angehörige, Freund:innen und Fachkräfte können die Beratung kostenfrei und anonym nutzen.

Die Grafik zeigt eine Karte von Mecklenburg-Vorpommern. Eingezeichnet sind Einrichtungen des Hilfenetzes gegen Gewalt in MV. Darunter die Beratungsstellen für häusliche und sexualisierte Gewalt, die Interventionsstellen für häusliche Gewalt und Stalking, die Frauen- und Kinderschutzhäuser, die Opfer- und Traumaambulanzen, die Täterberatungsstellen und die Beratungsstellen für Betroffene von Menschenhandel und Zwangsverheiratung.

Dieser Beitrag erschien erstmalig in Ausgabe 28 von KATAPULT MV.


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  1. *Die Namen wurden von der Redaktion geändert.
    ↩︎

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