Zum Inhalt springen

Drachenbootsport

„Are you ready? Attention! Go!“

Von und

Lesedauer: ca. 9 Minuten

Artikel teilen

Jedes Jahr im Frühsommer schlagen die Herzen der Wassersportler:innen höher: endlich wieder segeln, rudern oder paddeln, endlich wieder Meeresluft. Während Windsurfer und Kiterinnen nicht ohne Wind auskommen, freuen sich Kanutinnen und Ruderer über glattes Wasser und Windstille. Ähnlich verhält es sich mit den Drachenbootsportler:innen. Nass darf es ruhig werden. Wird es in aller Regel auch. Wind und Wellen mag man in der Szene hingegen weniger.

Seit April wird auf dem Ryck wieder trainiert. Das Team Arabros trifft sich zweimal wöchentlich, um sich auf die Wettkämpfe vorzubereiten.

Die Faszination Drachenboot

Beim Team Arabros, das seit April auf dem Greifswalder Fluss Ryck unterwegs ist, sind die ersten Muskelkater schon wieder überwunden. Zweimal pro Woche, immer montags und mittwochs, treffen sich die Mitglieder am Vereinshaus des Greifswalder Ruderclubs Hilda 1892 und tragen ihr Boot zu Wasser. Sie alle machen das nicht zum ersten Mal. Seit Jahren trainieren sie bei Wind und Wetter, egal ob Sommer oder Winter, gemeinsam auf und neben dem Wasser. Fragt man sie, was diesen Sport so besonders macht, lautet die Antwort: „Man braucht zum Einstieg keine Vorkenntnisse. Die Technik lernt man schnell während des Paddelns. Dabei unterstützt sich das ganze Team. Oft werden Regatten zu großen Events und schnell schließt man Freundschaften mit sportlichen Konkurrenten außerhalb des Bootes“, berichtet Jens Brosemann. Trainer Mario Albrecht fügt hinzu: „Wir sind ein großes Team, ein Kollektiv. Das ganze Boot ist dabei nur so stark wie der schwächste Paddler. Ziehen wir nicht alle an einem Strang, verlieren wir das Rennen. Hierbei fallen Entscheidungen in Zehntel- oder Hundertstelsekunden. Ich denke, dieses Zusammenspiel macht es schon sehr besonders.“ Beide sind bereits seit der Gründung von Arabros 2011 dabei.

Drachenbootfahren ist ein Teamsport, der traditionell in Sportbooten mit 20 Paddler:innen betrieben wird. Seit 2014 gibt es auch die Kurzbootvariante mit zehn Paddlerinnen. Die Athletinnen und Athleten sitzen in dem speziellen Boot paarweise nebeneinander mit einem Stechpaddel bewaffnet auf einer schmalen Bank. Neben der Position des Steuermanns oder der Steuerfrau am Heck des Bootes ist die des Trommlers die präsenteste: Er oder sie sitzt am Bug des Bootes und gibt den Takt für die Paddelschläge vor.

In der traditionellen Variante sollen die Boote einen chinesischen Drachen darstellen. So sind sie meist bemalt oder mit Schnitzarbeiten verziert und besitzen sowohl einen dekorativen Drachenkopf am Bug als auch einen Schwanz am Heck. 

Für alle anderen geht es unweigerlich auf Kuschelkurs, auch wenn das Boot besonders lang und offen ist. Nicht selten sitzen zwei durchtrainierte Athleten in der ersten Reihe auf der schmalsten Bank. Genauso ist es beim Team Arabros, wo sich Teamkapitän und Trainer Mario circa 90 Zentimeter Sitzfläche mit Danilo teilt. Aber die Nähe erfüllt auch einen Zweck: „Alles eine Frage der Gewichtsverteilung und der Stichtiefe des Paddels“, erklären sie. Je besser verteilt, desto schneller am Ende.

Hauptsächlich gibt es bei den Drachenbooten Mixedteams. Bei großen Meisterschaften sind aber auch reine Herren- und Damenmannschaften zu sehen. Gefahren wird dabei in der Regel die Kurzdistanz über 200 Meter, die Mitteldistanz über 500 Meter oder die Langdistanz mit 1.000 Metern.

Von China nach Europa

Das traditionelle Drachenbootfest hat seinen Ursprung in China und zählt neben dem chinesischen Neujahr und dem Mondfest zu den bedeutendsten Festen im Land. Da es jedes Jahr am fünften Tag des fünften Monats des chinesischen Kalenders gefeiert wird, wird es auch als „Doppelfünffest“ bezeichnet. In diesem Jahr fällt es auf den 22. Juni. Im ganzen Land wird dann drei Tage lang gefeiert, Kinder haben sogar schulfrei.

Die Geschichte reicht bis etwa 500 v. Chr. zurück, als die Boote noch als einfaches Fortbewegungsmittel genutzt wurden. In den Siebzigerjahren wurde es in den modernen, neuzeitlichen Kontext integriert.

Als Werbemaßnahme für den Sport veranstaltete die Millionenmetropole Hongkong 1976 das erste International Dragon Boat Race. Der Drachenbootsport gewann damit auch international an Bedeutung. Bereits vier Jahre später gab es das erste europäische Drachenbootrennen in London. 1989 folgte das erste Rennen in Deutschland. Es wurde als Teil des 800. Hamburger Hafengeburtstages ausgetragen. Nur ein Jahr später gründete sich dort auch der Deutsche Drachenbootverband.

Dreizehn Drachenbootvereine in Meck-Vorp

In Mecklenburg-Vorpommern existieren neben zahlreichen Freizeitteams dreizehn Mannschaften, die sich in Vereinen organisieren und für nationale und internationale Regatten trainieren. Neben Schwerin und Rostock sind auch Barth, Greifswald, Neubrandenburg und Neustrelitz Hauptanlaufstellen für interessierte Drachensportler:innen. Seit 1998 tragen die Mitgliedsvereine des Landeskanuverbandes kleinere und größere Regatten aus. Diese ziehen jedes Jahr unzählige Besucher:innen an. Hinzu kommen mit den sogenannten Indoor Cups spezielle Wettkämpfe in Schwimmhallen, die bis in den Winter hinein stattfinden.

Wie erfolgreich man damit sein kann, zeigten die Prenzlauer Uckerdrachen bei der internationalen Klubweltmeisterschaft 2016 im australischen Adelaide. Dort konnten vier Sportler:innen aus MV, die normalerweise für das Greifswalder Team Arabros antraten, in einem deutschen Standardboot die Goldmedaille über die 200-Meter-Distanz gewinnen.

Aus MV zur Weltmeisterschaft

Frank „Emma“ Maaß von den Uckerdrachen erinnert sich gerne an die Zeit in Australien zurück: In gemeinsamen Trainingslagern haben sie sich vor sieben Jahren auf die Wettkämpfe vorbereitet, erzählt er. Angekommen in Australien, ging es von Sydney aus für die Greifswalder rund 1.600 Kilometer über Melbourne quer durchs Land nach Adelaide. Die vorherrschenden Witterungsbedingungen brachten Teamkapitän Mike Förster an seine körperlichen Grenzen: Mit einem Sonnenstich fiel er für den ersten Wettkampftag aus. Doch die Hoffnung sei groß geblieben, die 200 Meter dennoch erfolgreich zu absolvieren. Die Ernüchterung folgte prompt: „Als in Runde zwei die Brisbane River Dragons an uns vorbeischossen, war ich erst mal fassungslos“, erinnert sich Emma. „Waren wir so schlecht?“ So wurden noch mal alle Kräfte mobilisiert. Das Erfolgsrezept sei gewesen: Ein guter Start und lange, kraftvolle Schläge. „Die Hong Kong Dragons konnten das gar nicht fassen, dass wir so einen tiefen Schlag hatten und vor allem, dass unser Steuermann fast zwei Meter groß war“, scherzt er. Die Hongkonger versuchten, ihr Boot leichter zu machen, indem sie mehr Frauen als erforderlich ins Boot setzen. Es nützte alles nichts. Das deutsche Team gewann die meisten Läufe und wurde somit Weltmeister. Emma und die anderen Mitglieder vom Team Arabros brachten insgesamt dreimal Bronze, einmal Silber und einmal Gold mit nach Hause. In ihrer Vereinsgeschichte bisher der größte Erfolg.

Auf dem Ryck wird schon trainiert

Nun steht auch hierzulande die Drachenbootsaison wieder vor der Tür. Für das Highlight der Region Vorpommern am 17. Juni in Greifswald sind nicht nur die Arabroski, sondern auch die anderen 30 angemeldeten Teams schon seit mehreren Wochen auf dem Ryck zu sehen. Die 21. Ausgabe des Drachenbootfestivals liegt zumindest immer in der Nähe des traditionellen Datums des chinesischen Doppelfünffestes, erzählt Mitorganisatorin Anne Kohler von der HSG Uni Greifswald. Um nicht in Konkurrenz mit anderen Drachenbootevents zu treten, wurde „ganz pragmatisch immer der dritte Samstag im Juni gewählt“.

Den ganzen Tag über können Besucher:innen am Ryck die Wettkämpfe über 250 Meter Kurzstrecke und 1.350 Meter Langstrecke verfolgen. Dabei kämpfen Polizistinnen gegen Steuerberater und Rechtsanwältinnen oder Krankenpfleger gegen Bankkauffrauen. Vor allem stehe der Spaß im Vordergrund, heißt es von den Veranstalter:innen. Die Drachenboote sind ununterbrochen unterwegs. Steuerleute springen ständig hin und her. Es kann durchaus vorkommen, dass man Paddler:innen in mehreren Teams sieht – nur mit einem anderen Trikot. Sich gegenseitig unterstützen, lautet die Devise, um alle Boote voll zu bekommen. Die Teams fahren den Fluss hoch und runter – zwischen Museumshafen und Wieck. Ziel ist es, die Strecken schnellstmöglich und ohne Kentern zu absolvieren. Dass das nicht immer klappt, mussten die OC Butterflies im letzten Jahr am eigenen Leib erfahren. Ihr Boot kenterte direkt nach dem Zieleinlauf, als das Rennen schon vorbei war und die Freude über den Sieg überkochte. Alle Beteiligten blieben unverletzt.

Passiert aber auch mal bei der ganzen Euphorie: Im letzten Jahr kenterte das Boot der OC Butterflies direkt nach dem Zieleinlauf.

Adrenalin für Sportler:innen und Schaulustige

Gab es vor ein paar Jahren noch ein ganzes Drachenboot-Wochenende, ist es mittlerweile nur noch ein Wettkampftag. Corona habe dafür gesorgt, dass sich viele Teams getrennt oder danach nicht wieder zusammengefunden haben, so die Organisator:innen. Sie hoffen aber erneut auf viele Besucher:innen. Besonders voll soll es wie in den vergangenen Jahren am Museumshafen werden, wenn die Langstrecke ansteht: Die Teams fahren zur Startposition direkt an die Fußgängerbrücke und warten auf das Signal. Durch ein Megafon ertönen dann die magischen Worte: „Are you ready? Attention! Go!“

Das jährliche Drachenbootrennen auf dem Ryck wird von Mitgliedern der HSG Uni Greifswald organisiert und geleitet. In der Hafenstraße herrscht dann viel Trubel.

Adrenalin schießt in die Körper der Athlet:innen und das Publikum feuert sie lautstark an. Nach etwa 200 Metern Volldampf heißt es dann, einen langen Atem zu haben. Die Langstrecke fordert den Sportler:innen alles ab. Am Ziel angekommen, schaut man in erschöpfte, aber meist glückliche Gesichter.

Nach den Rennen und Siegerehrungen wartet zum Abschluss die legendäre Aftershowparty. Mit Livemusik und Sonnenbrand wird jedes Jahr bis in die Dämmerung getanzt und gefeiert. Für einige heißt es im Anschluss: weitertrainieren. Denn es warten noch weitere Events. Unter anderem findet eine der größten Veranstaltungen in Europa in der Landeshauptstadt statt: das Schweriner Drachenbootfestival vom 18. bis 20. August auf dem Pfaffenteich. Mit dabei auch einige der Greifswalder Teams. Und auch dort hört man dann in mehreren Wettkampfklassen wieder: „Are you ready? Attention! Go!“

Alle Fotos: André Gschweng.

Dieser Artikel erschien in Ausgabe 20 von KATAPULT MV.

MV braucht mehr als nur eine Zeitung pro Region. Holt euch ein KATAPULT-MV-Abo!

Fußnoten

  1. Landeskanuverband Mecklenburg-Vorpommern 1990 (Hg.): Drachenboot, auf: kanu-mv.org.
  2. Bardaro, Daniele: Das Drachenbootfest in China, auf: mandalingua.com.
  3. Schulferien.org (Hg.): Drachenbootfest in China, auf: schulferien.org.
  4. Hamburger Abendblatt (Hg.): Die Geschichte der Drachenbootrennen in Deutschland begann beim Hamburger Hafengeburtstag, auf: abendblatt.de (7.4.2011).
  5. Deutscher Drachenbootverband (Hg.): Mitglieder, auf: drachenboot.de.
  6. Landeskanuverband Mecklenburg-Vorpommern 1990 (Hg.): Drachenboot, auf: kanu-mv.org.
  7. Drachenbootverein Prenzlau (Hg.): Uckerdrachen landen in Adelaide einen großen Coup, auf: uckerdrachen.de.
  8. E-Mail von Frank Maaß vom 10.5.2023.
  9. Aktualisierungshinweis: In der gedruckten Ausgabe wurde an dieser Stelle von 28 Teams gesprochen, da sich zum Redaktionsschluss am 17.5.2023 erst 29 Teams angemeldet hatten.
  10. E-Mail von Anne Kohler vom 10.5.2023.

Autor:innen

Sportreporter

Redaktionsleitung bei KATAPULT MV.

Ist in Greifswald geboren, hat in Augsburg studiert und zog für den Lokaljournalismus wieder zurück nach Meck-Vorp.

Neueste Artikel

03.05.2024

Links- oder Rechtsrutsch?

Die Anzahl von registrierten, rechtsmotivierten Straftaten in MV ist von 2022 auf 2023 um fast 20 Prozent gestiegen. Gleichzeitig haben linksmotivierte Straftaten um 3,4 Prozent abgenommen. Das Verhältnis zwischen rechter und linker Kriminalität beträgt rein rechnerisch 8,1 zu 1.

03.05.2024

Sau tief, aber ziemlich flach

Das tiefste, jemals in MV gebohrte Loch ging bis auf enorme 8.008 Meter runter. Es entstand während Bohrarbeiten in der Nähe von Mirow und galt als tiefste Bohrung der DDR. Das tiefste Bohrloch der Welt befindet sich übrigens in Russland und ist etwa 12.200 Meter tief. 🚧

02.05.2024

Wer Fleisch will braucht Platz

Etwa 3.660 Quadratkilometer landwirtschaftliche Fläche wären nötig, um alle 1,6 Millionen Menschen in MV mit Getreide, Gemüse, Obst, Fleisch, Eiern und Milchprodukten zu versorgen. Das entspricht knapp 16 Prozent der Landesfläche. 🐖