Neukalen

„Ausländer raus“-Gesänge auf Abiparty

Im vorpommerschen Bergholz fing alles an. Von hier aus gingen ausländerfeindliche und rechte Parolen zu einem 90er-Hit via Social Media viral. Nachdem etwa aus Schleswig-Holstein ähnliche Aufnahmen bekannt wurden, gibt es nun auch in MV einen neuen Fall – aus der Diskothek Neukalen. Hier waren es mutmaßlich 16- bis 20-Jährige im Rahmen einer Abiparty. Es bleibt die Frage: Wie damit umgehen? Als Veranstalter:in, aber auch als Gast.

Die Diskothek Neukalen in der Nacht vom 3. Februar: Es ist nicht sonderlich voll an diesem Samstagabend. Deshalb kann nur auf zwei Floors getanzt werden. Vor allem Jugendliche sind zur „AbiSinth“-Party erschienen. Ein Format, das in Neukalen (Mecklenburgische Seenplatte) regelmäßig angeboten wird. Abiturient:innen aus umliegenden Orten haben so die Möglichkeit, Geld für ihren Jahrgang zu sammeln. Der Club unterstützt sie dabei. Die Partys sind dennoch offen für jeden.

Screenshot der Veranstaltung auf der Facebook-Seite der Diskothek Neukalen

Um etwa 0:30 Uhr legt der DJ den 90er-Hit L’Amour Toujours von Gigi D’Agostino auf. „Alle sind aufgesprungen und auf die Tanzfläche gerannt“, beschreibt ein Partygast die Reaktion des Publikums gegenüber KATAPULT MV. Was dann passiert, kennt die Öffentlichkeit bereits aus einem Clip aus dem vergangenen Jahr, von einem Erntefest aus dem kleinen Ort Bergholz (Vorpommern-Greifswald). Damals sangen einige Männer – darunter mutmaßlich der Sohn des Pasewalker Bürgermeisters – die Zeilen „Ausländer raus, Ausländer raus. Deutschland den Deutschen. Ausländer raus.“ In der Neukalener Disko Anfang Februar sollen es nun Jugendliche, mutmaßlich zwischen 16 und 20 Jahre alt, gewesen sein, die die Arme zum Takt in die Luft reckten und diese ausländerfeindlichen Parolen skandierten. Das ist auch auf einem kurzen Video zu sehen, welches der Redaktion vorliegt.

Konsequenzen, etwa vonseiten des Veranstalters, ergaben sich daraus für die Neukalener Gäste offenbar nicht. Weder Sicherheits- noch anderes Personal habe eingegriffen, berichtet ein Gast.

Kay Mehling, Eigentümer der Diskothek, distanziert sich jedoch gegenüber KATAPULT MV von den Parolen. Er finde den Text, der zu einer „unpolitischen Melodie“ gesungen werde, „in höchstem Maße abstoßend“. Dennoch halte er nichts davon, „den Song aus den Clubs zu verbannen“. Da Jugendliche aus seiner Sicht „naturgemäß zur absichtlichen Grenzverletzung“ neigten, würde man so bei ihnen „eigentlich nur das Gegenteil“ erreichen. Den Vorwurf, auf jener Abiparty seien nicht zum ersten Mal in Neukalen solche Parolen gesungen worden, kommentiert er insofern, als dass über die bei ihm gespielten Tracks nicht Buch geführt werde.

Darüber hinaus warb die Diskothek Neukalen Anfang Januar in den Sozialen Netzwerken mit Musik der Formationen Böhse Onkelz und Frei.wild. Beiden Bands wird eine Neonazivergangenheit nachgesagt.

Screenshot der Veranstaltung auf der Facebook-Seite der Diskothek Neukalen

Mindestens vier Vorfälle seit Anfang 2023

Seitdem das Bergholz-Video viral ging und ähnliche Aufnahmen von Veranstaltungen beispielsweise in Schleswig-Holstein aufgetaucht sind, wird in den Medien diskutiert, wie der unschuldige Partyhit des Italieners D’Agostino zu einer Art „Hymne“ von Rechten und Rechtsextremen werden konnte. Wie der Musiker selbst dazu steht, ist bisher offen. Wir haben versucht, ihn über seine Website und seine Booking-Agentur zu kontaktieren und um eine Einschätzung der unerfreulichen Verwendung seiner Musik gebeten – ohne Erfolg.

In Mecklenburg-Vorpommern jedenfalls, das zeigt auch das Beispiel Neukalen, scheinen offensichtlich nicht nur rechte oder rechtsextreme Menschen das Lied auf diese Weise abzuwandeln. Es handelt sich auch nicht um einen Einzelfall. Wie das Polizeipräsidium Neubrandenburg auf Nachfrage mitteilt, registrierte die Polizei allein in den Landkreisen Vorpommern-Greifswald, Vorpommern-Rügen und Mecklenburgische Seenplatte seit Anfang 2023 vier Vorfälle, bei denen die oben genannte Parole gesungen wurde: im März 2023 in Greifswald, im Oktober in Bergholz und zweimal im Januar 2024 in Stralsund.

Dies seien aber nur die der Polizei bekannten Fälle, in denen die Parole gesungen wurde, ergänzt das Präsidium. So laufen derzeit Ermittlungen wegen Volksverhetzung gegen einen Störer einer Demokratiedemonstration in Pasewalk Anfang Februar. Er soll der rechtsextremen Kleinstpartei Der III. Weg angehören und die besagten Zeilen gerufen haben.

Auch dem Polizeipräsidium Rostock, in dessen Verantwortungsbereich die anderen Landesteile fallen, sind Fälle bekannt, in denen die Parole öffentlich skandiert wurde. So sei es etwa in Rostock zu einem solchen Vorfall gekommen. Anwohner:innen hätten daraufhin die Polizei verständigt und die Tatverdächtigen hätten noch festgestellt werden können.

Wie damit umgehen?

Ist das noch ein Tabubruch oder hat schon ein Gewöhnungseffekt eingesetzt? Für Menschen, die im öffentlichen Raum mit solchen Parolen und Gesängen konfrontiert werden, aber auch für Veranstalter:innen von Tanzveranstaltungen und deren Gäste stellt sich die Frage: Wie damit umgehen?

Für Inhaber:innen von Tanzlokalen oder Ähnlichem gelte erst einmal das jeweilige Hausrecht, erklärt das Polizeipräsidium Neubrandenburg. Danach könne jeder Betreiber oder Inhaber „individuell entscheiden, wie er darauf reagieren möchte“. Dass diese dafür verantwortlich sind, dass „sowas nicht passiert“, ergänzt das Polizeipräsidium Rostock. Die Polizei empfehle, sie in solchen Fällen zu verständigen, damit eine Anzeige aufgenommen werden könne.

Ähnliches gelte auch für andere Beobachter, heißt es weiter. „In jedem Fall sollte die Polizei dazu verständigt werden.“ Das würde eine Strafanzeige nach sich ziehen, wobei eine möglichst detaillierte Personenbeschreibung für spätere Ermittlungen hilfreich sei. Die Polizei könne nur dann schnell handeln, wenn sie auch informiert werde, betont Rostock dazu. Deshalb sei die Meldung so wichtig. Wie das Innenministerium auf Nachfrage angab, seien die örtlichen Staatsschutzdienststellen für die umgewidmete Nutzung des Liedes sensibilisiert worden. Dazu zähle auch das Auftauchen neuer damit in Zusammenhang stehender „Codes der rechten Szene“ – zum Beispiel „‚444‘ für ‚Deutschland den Deutschen‘“.

Die Leiterin des Regionalzentrums für demokratische Kultur Mecklenburgische Seenplatte, Kathrin Nepperschmidt-Holm, betont zudem die Möglichkeit, sich an das Regionalzentrum zu wenden. Dort können sich Betroffene vertraulich beraten lassen. Solche Regionalzentren gebe es auch in anderen Landkreisen. Trotzdem sieht auch sie die Notwendigkeit, bei bestimmten Äußerungen sofort Anzeige zu erstatten – etwa wenn es um die Verwendung und/oder Verbreitung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen geht.

Was eine dann folgende Strafanzeige betrifft, so fällt die Nutzung der Parole „Deutschland den Deutschen. Ausländer raus“ zunächst einmal unter Paragraf 130 Strafgesetzbuch – Volksverhetzung –, der eine Geld- oder Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren vorsieht. Es sei jedoch immer eine „Einzelfallprüfung“ durchzuführen, betont Neubrandenburg. So müsse der Zusammenhang, in dem die Äußerung gefallen ist, und die Frage, „inwiefern andere Menschen davon beeinträchtigt waren“, geklärt werden.

Nichtsdestotrotz zeigt dies: Es ist keinesfalls ein „Kleinejungenstreich“, sich auf einer Party oder nachts auf die Straße zu stellen und solche Parolen zu skandieren.

Transparenzhinweis: Nach Veröffentlichung des Artikels meldete sich der Eigentümer der Diskothek Neukalen doch noch auf unsere Anfrage. Wir haben den Text und die erste Version des Videobeitrages daher um seine Stellungnahme ergänzt. Wir haben den Artikel darüber hinaus am 19.2. um eine zusätzliche Information des Landesinnenministeriums erweitert.

Quellen

  1. E-Mail von Kay Mehling vom 15.2.2024.
  2. Deutschlandfunk Kultur (Hg.): „Die Böhsen Onkelz sind keine rechte Band mehr“, auf: deutschlandfunkkultur.de (14.6.2017).
  3. Focus (Hg.): Frei.Wild-Sänger macht Geständnis über seine Neonazi-Vergangenheit, auf: focus.de (9.10.2023).
  4. NDR (Hg.): Junge Parteien in SH verurteilen rechtsextreme Parolen in Discos, auf: ndr.de (26.1.2024).
  5. E-Mail des Polizeipräsidiums Neubrandenburg vom 13.2.2024.
  6. Telefonat mit dem Polizeipräsidium Neubrandenburg am 13.2.2024.
  7. Telefonat mit dem Polizeipräsidium Rostock am 14.2.2024.
  8. E-Mail des Ministeriums für Inneres, Bau und Digitalisierung MV vom 16.2.2024.
  9. E-Mail des Regionalzentrums für demokratische Kultur Mecklenburgische Seenplatte vom 14.2.2024.

Autor:innen

  • Redakteurin in Greifswald

    Geboren in Berlin, aufgewachsen in Berlin und Brandenburg. Tauschte zum Studieren freiwillig Metropole gegen Metropölchen.

  • Bild von Patrick Hinz, Chefredakteuer Katapult MV

    Chefredakteur

    Geboren in Vorpommern, aufgewachsen in Mecklenburg. Einziger KATAPULT-Redakteur mit Traktorführerschein UND Fischereierlaubnis.