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Reform der Lehrkräftebildung

Bildungseinheitsbrei? Was?

Die CDU wirbt aktuell mit einer Plakataktion und in den Sozialen Medien mit dem Spruch „Finger weg vom Gymnasium“. Die Parole zielt auf die geplante Reform der Lehrkräftebildung. Interessant: Die Abschaffung der Schulform Gymnasium ist in der Reform gar nicht vorgesehen. Der Entwurf erntet Kritik, aber auch Lob. Was also plant das Wissenschaftsministerium?

Wissenschaftsministerin Bettina Martin (SPD) zeichnete im Mai ein schlechtes Bild vom Lehramtsstudium in Mecklenburg-Vorpommern: 48 Prozent der Studierenden würden das Studium zum Gymnasiallehramt abbrechen. Beim Lehramt für Regionale Schulen seien es mit 70 Prozent noch deutlich mehr. Besonders im Hinblick auf den Lehrkräftemangel geben diese Zahlen zu denken. Im Zeitraum von 2023 bis 2030 fehlen in MV nach Ministeriumsangaben ungefähr 2.600 Lehrer:innen.

Mit einer Reform der Lehrkräfteausbildung soll Abhilfe geschaffen werden. 25 Millionen Euro möchte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig dafür ausgeben. Weitere Mittel unter anderem als Eigenanteil der Hochschulen sollen hinzukommen. Das Geld sei gut investiert, schließlich ist es das Ziel der Reform, bessere und mehr Lehrer:innen auszubilden.

Dieses Ziel soll beispielsweise durch die Einführung des Stufenlehramts erreicht werden. Damit ist gemeint, dass Lehramtsstudierende sich nicht mehr im Studium entscheiden müssen, ob sie später am Gymnasium oder der Regionalen Schule unterrichten wollen. Beide Studiengänge sollen zusammengelegt werden, zu einem Stufenlehramt für alle Schüler:innen von Klasse fünf bis zwölf. Das Modell gibt es bereits in anderen Bundesländern wie Hamburg oder Berlin. Gleichzeitig soll der fachwissenschaftliche Anteil im Studium zugunsten der Pädagogik gesenkt werden. Damit ist nicht nur die allgemeine Bildungswissenschaft gemeint, sondern auch die sogenannte Fachdidaktik, also die Vermittlung von Inhalten. Sprich: Zukünftig soll im Studium weniger das Fachwissen und dafür mehr die Unterrichtskompetenz im Mittelpunkt stehen.

Rückhalt von der Gewerkschaft

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) spricht sich für den Vorschlag aus. In MV müssten angehende Gymnasiallehrer:innen einen sehr hohen fachwissenschaftlichen Anteil erfüllen, der über die bundesweiten Anforderungen hinausgehe. Die Pädagogik bleibe dabei auf der Strecke. Obwohl es eben die pädagogischen Kompetenzen sind, die Lehrende von Fachwissenschaftler:innen unterscheiden. Das Stufenlehramt würde sich stärker an den Entwicklungsbedürfnissen der Schüler:innen orientieren. Für Lehramtsstudierende sei das Stufenmodell deshalb ein guter Deal, sagt Nico Leschinski, Vorsitzende der GEW. Mit diesem Studium könne man anschließend an einer Vielzahl von Schulen arbeiten.

Auch der Allgemeine Studierendenausschuss (Asta) der Universität Rostock spricht sich für eine Absenkung des fachwissenschaftlichen Anteils aus. Zusätzlich merkt die studentische Interessenvertretung an, dass Unterschiede zwischen den Schulformen Gymnasium und Regionalen Schule zwar existierten, aber nicht signifikant seien. Bereits jetzt gebe es gemeinsame Lehrveranstaltungen für Regionalschul- und gymnasiales Lehramt. Doch der Asta übt auch Kritik. So hätten die Studierenden Sorge, dass der fachliche Anteil in Zukunft zu gering ausfallen könnte. Auch stehe die Frage im Raum, ob es bei einem reduzierten fachlichen Anteil nach dem Studium noch möglich sei, im Fach zu promovieren.

Die Kritik ist vielfältig

Kritik kommt auch vom Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät Rostock, an der die Lehrer:innenausbildung stattfindet. In einer Stellungnahme heißt es, die Reform würde „überforderte Lehrkräfte produzieren“. Einerseits wären Lehrer:innen am Gymnasium den fachlichen Herausforderungen dann nicht mehr gewachsen, andererseits würden Lehrkräfte gezwungen, an Regionalen Schulen zu unterrichten, ohne über die dafür nötigen pädagogischen Fähigkeiten zu verfügen. Studieninteressierte würden dadurch eher abgeschreckt. Der Fakultätsrat befürchtet zudem, dass die Reform zu einer Absenkung des Unterrichtsniveaus führen würde und damit zu einer „faktischen Abschaffung der Schulform Gymnasium durch die Hintertür“.

Dieser Kritik schließt sich auch die CDU an. Der Vorsitzende der Landtagsfraktion, Daniel Peters, sagt: „Der Weg, den die Landesregierung mit dem Einheitslehrer beschreiten will, ist ideologisch motiviert – er nützt weder den regionalen Schulen noch den Gymnasien. Es geht ausschließlich um den Kampf gegen das als elitär empfundene Gymnasium und um nichts anderes.“

Der Philologenverband MV, also die Gewerkschaft der Gymnasiallehrer:innen, zeigt sich skeptisch in Bezug auf die Reform. Es müsse zwingend sichergestellt werden, dass das Studium auch in anderen Bundesländern anerkannt wird. Sonst gäbe es in Zukunft noch weniger Studieninteressierte. Um den Lehrkräftemangel zu beheben, ist eine Zusammenlegung nach Meinung des Verbandes der falsche Weg. Es bräuchte eher eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen an Regionalen Schulen.

Vorwürfe teilweise ungerechtfertigt

Die Landesregierung verteidigt ihren Vorschlag gegen die Kritik. Die Abschaffung des Gymnasiums als Schulform sei nie Teil der Pläne gewesen. Beide Schularten sollen durch die Reform gestärkt werden, weil Lehrkräfte am Ende ihres Studiums besser unterrichten können, egal in welcher Schulart. Die Kürzungen in den Fachwissenschaften erfolgten schließlich nicht ersatzlos. Zur bundesweiten Anerkennung der Abschlüsse heißt es in einer Pressemitteilung: „Wir würden niemals ein Studium einführen, das nicht deutschlandweit anerkannt wird. Das Lehramtsstudium in MV entspricht auch nach der Reform weiterhin den Vorgaben der Kultusministerkonferenz der Länder und wird in allen Bundesländern anerkannt.“ Einen „Einheitslehrer“ soll es insofern nicht geben, da weiterhin Lehrkräfte speziell für Grundschulen, Berufsschulen und in der Sonderpädagogik ausgebildet werden.

Mehr Absolvent:innen im Lehramt sollen auch durch eine Erhöhung der Studienplätze und mehr Möglichkeiten zur Spezialisierungen erreicht werden. In Zukunft soll man auch an der Universität Greifswald Biologie und Informatik auf Lehramt studieren können. Bislang ist dies in MV nur in Rostock möglich.

Ziel der Reform ist es auch, den Quereinstieg in das Lehramt zu fördern. Dafür sollen spezielle Masterstudiengänge eingeführt werden. Absolvent:innen mit einem fachlichen Bachelorabschluss können darin pädagogische Kompetenzen erwerben und direkt ins Referendariat starten.

Es ist geplant, die Reform noch im Sommer im Kabinett zu beschließen. Danach wird der Entwurf im Parlament und in den Verbänden diskutiert. Wann und ob es die ersten Stufenlehrer:innen aus MV geben wird, ist also noch offen.

Zum Weiterlesen:

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Transparenzhinweis: In einer vorigen Version dieses Artikels war von Bettina Martin als Wissenschafts- und Bildungsministerin die Rede. Wir haben den Fehler korrigiert.

Quellen

  1. DPA MV (Hg.): Lehramtsstudium in MV soll effizienter werden, auf: zeit.de (24.5.2024).
  2. Ministerium für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten MV (Hg.): Reform der Lehrkräftebildung, auf: regierung-mv.de.
  3. GEW MV (Hg.): 25 Mio. Euro mehr – Reform des Lehramtsstudiums wird zur Chefinsache, auf: gew-mv.de (18.4.2024).
  4. GEW MV (Hg.): Schreckgespenst Stufenlehramt?!, auf: gew-mv.de (13.6.2024).
  5. AStA Universität Rostock (Hg.): PM: Reform der Lehrkräftebildung, auf: asta-rostock.de (27.3.2024).
  6. Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät (Hg.): Stellungnahme des Fakultätsrates zur angekündigten Reform der Lehrkräftebildung, auf: phf.uni-rostock.de (18.1.2024).
  7. CDU-Landtagsfraktion MV (Hg.): Daniel Peters: Für bessere Bildung in MV – gegen Einheitslehrer, Einheitsschulen, Einheitsbrei, auf: cdu-fraktion.de (26.6.2024).
  8. Philologenverband MV (Hg.): Philologenverband Mecklenburg-Vorpommern besorgt über geplante Überarbeitung des Lehrerbildungsgesetzes durch das Wissenschaftsministerium, auf: phv-mv.de (24.3.2024).

Autor:in

  • Porträt von Lilly Biedermann Redakteurin Katapult MV in Greifswald

    Redakteurin in Greifswald

    Geboren und aufgewachsen in Sachsen. Ist zum Studieren vom tiefen Osten in den kalten Osten nach Greifswald gezogen.

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