Selbsternannter Großherzog
Bloßer Spinner oder Gefahr für die Demokratie?
Von Louise Blöß und Martje Rust
Lesedauer: ca. 15 Minuten
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Schwerin, Rostock, Greifswald – hier tauchten im Herbst 2023 Flugblätter von „Großherzog Friedrich Maik“ auf. Der Inhalt: ein Vergleich von parlamentarischer Monarchie mit parlamentarischer Demokratie. Die vermerkten Unterscheidungen in Kategorien wie „medizinische Versorgung“ oder „Energie“ sollen die Leser:innen offenbar von den Vorteilen der Monarchie überzeugen. So verursache etwa die medizinische Versorgung in dieser Staatsform „keine Kosten“ und „freie Energie“ sei verfügbar. Im Gegensatz dazu die Demokratie: circa „15 % vom Lohn“ für die medizinische Versorgung, Energie verbunden mit „Kosten“ und „Ausplünderung“. Genauer erklärt wird nichts. Besonders kurios: die unter dem Punkt „Pädophilie“ aufgestellte Behauptung, diese werde in der Demokratie „systembedingt gefördert“, wohingegen die Monarchie sie verbiete.
Viele mögen das Blatt kopfschüttelnd oder ungelesen im Altpapier entsorgt haben, doch die Frage, wer eigentlich dieser „Großherzog Friedrich Maik“ ist und warum er MV abschaffen will, bleibt.
Bis zu 1.000 Reichsbürger:innen in MV vermutet
Der Verfassungsschutzbericht erwähnt den selbsternannten Großherzog nicht nur in der letzten Ausgabe im Kapitel über Reichsbürger und Selbstverwalter, sondern jedes Jahr seit 2019. Zuletzt heißt es zu Friedrich Maik, er sehe sich „als legitimes Staatsoberhaupt“ der Großherzogtümer Mecklenburg-Strelitz und -Schwerin und des Herzogtums Pommern. Sein Ziel sei die Errichtung einer „parlamentarische[n] Monarchie unter seiner Führung“.
Friedrich Maik, der mit bürgerlichem Namen Maik G. heißt und offenbar Immobilienmakler ist, kann also der Reichsbürgerszene zugeordnet werden. Dafür bestehen „konkrete Anhaltspunkte“, bestätigt das Innenministerium. Seine Ziele verstoßen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung. Mit solchen Bestrebungen ist er in MV nicht allein. Laut Verfassungsschutz wurden 2022 insgesamt 670 Reichsbürger:innen und Selbstverwalter:innen registriert. Die Zahl wächst seit Jahren stetig. Und sie zeigt höchstwahrscheinlich nicht das gesamte Ausmaß. So schätzt das RAA – Regionalzentrum für demokratische Kultur Westmecklenburg das Personenpotenzial auf 900 bis 1.000 Personen. Doch den Behörden fehle für die Reichsbürgerszene die klare Einordnung, kritisiert Daniel Trepsdorf von der RAA.
Nach dessen Angaben pflegt Maik G. Kontakte zu weiteren Reichsbürger:innen. So sei er seit Jahren in einer bundesweit agierenden Gruppe aktiv, die sich „Vereinte Patrioten“ nennt. Von dort reichen Verbindungen unter anderem zu Heinrich Prinz Reuß, der Ende 2022 im Rahmen einer Großrazzia gegen ein Reichsbürger:innennetzwerk wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung verhaftet wurde und der aktuell deswegen vor Gericht steht.
Friedrich Maik selbst will mit Reichsbürger:innen nichts zu tun haben. Gegenüber der Schweriner Volkszeitung bezeichnete er deren Ideologie als „Schwachsinn“.
Doch dass wohl Beziehungen etwa zur Gruppe „Volldraht Deutschland“ und deren Veröffentlichungen bestanden, ist naheliegend. So berichtete laut Nordkurier die Zeitung Volldraht, die 2020 in Demminer Briefkästen auftauchte, nicht nur von „Großherzog Friedrich Maik“. Auch „die Umstrukturierung des Landes in eine parlamentarische Monarchie“ wurde aufgegriffen – inklusive der oben erwähnten Gegenüberstellung. In einer Ausgabe, die im Dezember 2020 in Neubrandenburg entdeckt wurde, war die „Ernennungsurkunde von Großherzog Friedrich Maik“ abgedruckt.
Mittlerweile scheint zumindest letztere Verbindung erkaltet. So berichtete Volldraht 2019 noch von einem gemeinsamen Treffen zwischen G. und Jörn Baumann, dem Herausgeber und Hauptredakteur der Zeitung – beide seien sich einig über den Umbau MVs. Doch in einer später hinzugefügten Ergänzung scheint sich das Reichsbürgerblatt zu distanzieren. Man sei getäuscht und für Desinformation missbraucht worden, heißt es dort. Es hätten sich zu viele Widersprüche ergeben beim „gesteuerten empathielosen parasitären asozialen Hochstapler mit Thronfolger-Belastungssyndrom“. 2021 schrieb Baumann dann konkret von einer Distanzierung von G. und der parlamentarischen Monarchie.
Keine Reaktion reicht als Bestätigung
G. hat von dieser Idee offensichtlich noch nicht abgelassen. „Seine“ Großherzogtümer und das Herzogtum Pommern – das Staatsgebiet – habe er bereits Anfang Dezember 2020 „aktiviert“. Dafür sind nach eigenen Angaben die Botschaften der USA, Großbritanniens, Russlands und Kanadas schriftlich informiert worden. Die Mitteilungen überbracht hätten, so heißt es weiter, „Vertreter der Alliierten (Staatsanwälte und Richter)“. Welche, bleibt der Text schuldig. Fest stehe für den „Großherzog“ jedoch, dass mit der Aktivierung „das Konstrukt des Bundes BRD“ aufgehoben sei.
Dies scheint G. jedoch nicht zu reichen, um den Anschein von Legitimation zu schaffen. So ist auch von einer Anerkennung durch die Vereinten Nationen die Rede. Diese will G. in Person von Generalsekretär António Guterres schriftlich informiert haben. Als Beleg ist ein Schreibens an Guterres angefügt, das die Souveränität von Mecklenburg-Strelitz und -Schwerin verkündet. Da keine Antwort auf das Schreiben und kein Widerspruch seitens der UN ergingen, sei das genannte Gebiet „stillschweigend anerkannt“, so die auf der Website formulierte Schlussfolgerung.
Die Fantasie vom eigenen Großherzogtum
G. schreibt dort weiter, er sei „rechtmäßiger Erbe und Nachfahre des Großherzogtums Mecklenburg-Strelitz“. Seine Biografie, so räumt er selbst ein, „klingt (...) abenteuerlich“. Er behauptet darin etwa, bei Zieheltern aufgewachsen zu sein und erst später erfahren zu haben, dass er aus einer Liebesbeziehung seiner leiblichen Eltern stamme. Wer diese sein sollen, lässt er offen, impliziert allerdings deren adlige Herkunft.
Dass Maik G. oder, wie er sich selbst nennt, Friedrich Maik tatsächlich Nachkomme der Mecklenburgischen Großherzöge sein könnte, halten die Experten, mit denen KATAPULT MV im Zuge der Recherche in Kontakt war, für ausgeschlossen. Auf Nachfrage teilt das Landeshauptarchiv Schwerin zwar mit, als Landesbehörde zu „gewisser Neutralität (...) verpflichtet“ zu sein, schreibt jedoch auch, dass die Verhältnisse der Großherzoglichen Familie eigentlich klar seien. So sei die Linie Mecklenburg-Schwerin 1996 „im Mannesstamm“ ausgestorben – sprich: Es gibt keine männlichen Nachkommen mehr. Die Schwester des letzten Herzogs hatte zwar Nachkommen, doch zu diesen gehöre G. nicht. Ein anderer Bruder starb kinderlos.
Auch die Linie Mecklenburg-Strelitz sei bereits ausgestorben. Und das schon 1918. Zwar habe es in den nachfolgenden Jahren verschiedene Versuche gegeben, „Erbansprüche entfernter Verwandter des kinderlos verstorbenen letzten Strelitzer Großherzogs durchzusetzen“, doch diese seien gescheitert.
Die Auffassung des Archivs bestätigt auch Rajko Lippert, Vorsitzender des Vereins Kulturgut Mecklenburg-Strelitz. Er hält G.s Biografie für „frei erfunden“. Sie sei mit nichts zu belegen. Einen Nachweis gebe es nicht. Und wenn es sich bei G. um ein uneheliches Kind gehandelt hätte, so wäre das nicht geheim geblieben, ist er überzeugt. In einem solchen Fall hätte die Familie sich gekümmert und es versorgt.
Klingelt die Kasse dank „Adelsgeschichte“?
Dass die Lebensgeschichte erfunden ist, betonen auch das Innenministerium und die Staatskanzlei MV. Sie bezeichnen diese als „absurd“ und „völligen Unsinn“. Dort ist ebenfalls zu lesen, Friedrich Maik habe Kontakt zu Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) gehabt, mit ihr und anderen Minister:innen sogar gemeinsame Beschlüsse gefasst. Auch das fällt laut Staatskanzlei unter die Kategorie „frei erfunden“.
Mit seiner „vermeintlich ‚adligen‘ Abstammung“ wolle G. vielmehr an Anhängerschaft gewinnen und „seine antidemokratischen Ansichten legitimieren“. Dies sei ihm, bilanziert das Innenministerium, in kleiner Zahl auch gelungen. So verzeichnet der letzte Verfassungsschutzbericht für das „Großherzogtum Friedrich Maik“ etwa 45 Mitglieder in MV.
Für diese, aber auch für Interessierte organisiert G. landesweit Veranstaltungen. Es gibt Stammtische und Informationsveranstaltungen, die überall in MV stattfinden sollen, wie zuletzt in Schwaan im Landkreis Rostock oder auch das Sommerfest in Leyerhof (Vorpommern-Rügen). Doch obgleich der selbsternannte Großherzog „sehr viel Wert“ darauf lege, „sich persönlich mit den Menschen aus seinem Land zu treffen“, lässt er sich die Treffen gern bezahlen: 35 Euro kostet es, ihm zuhören und Fragen stellen zu dürfen, die vielleicht beantwortet werden – „sofern er (G., Anm. d. Red.) zum aktuellen Zeitpunkt bereits darüber sprechen darf“. Zu überweisen ist der Betrag an eine litauische Bankverbindung.
Doch „Friedrich Maik“ versucht wohl auch, auf fremden Veranstaltungen für sich zu werben. So berichtet Mathias Schott, Vorstandsvorsitzender des Vereins der Freunde des Schweriner Schlosses, er sei im Februar 2023 im Vorfeld einer Geburtstagsveranstaltung für Großherzog Friedrich Franz II. von der Stadt darauf hingewiesen worden, dass G. sich anschließen wolle. Er sei „sprachlos“ gewesen. Schließlich sei der falsche Großherzog im Schlosscafé aufgetaucht und habe dort Kuchen gegessen.
Die Bezahlbedürftigkeit von G.s Veranstaltungen wirft die Frage auf, ob neben einer Legitimation seiner Ansichten, wie das Innenministerium es formuliert, das Interesse des selbsternannten Friedrich Maiks nicht auch in einer Monetarisierung liegt. So behauptet er zwar, im Jahr 2018 ein Privatvermögen von „1,3 Billionen Pfund“ (!) geerbt zu haben, welches er den Menschen in seinen Großherzogtümern zur Verfügung stellen wolle. Doch zusätzlich zu den Einnahmen aus Veranstaltungen betreibt G. auch einen eigenen Onlineshop. Hier verkauft er neben „Mecklenburger Staatsflaggen“ in allen Größen und Formen auch Aufkleber, die vorgeblich (s)ein Familienwappen darstellen.
Dieses Wappen findet sich auch in der Kopfzeile seiner Website gleich neben dem Titel „His Royal Highness Grand Duke Friedrich Maik“. Beide ließ sich G. als Wort- beziehungsweise Bildmarke beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) eintragen. Wie passt das zusammen mit seiner öffentlichen Ablehnung der Institutionen der Bundesrepublik?
Eingetragene Marken als Familiennachweis
Ob es rechtlich relevant ist, wenn sich eine x-beliebige Person einen großherzoglichen Titel als Wortmarke eintragen lässt, stellt Mathias Schott infrage. Immerhin sei der Titel per Gesetz Anfang des 20. Jahrhunderts abgeschafft worden. Es könne also aus juristischer Sicht eigentlich keinen Großherzog mehr geben.
Das DPMA schreibt dazu, dass Personennamen grundsätzlich als Marke eingetragen werden können und dazu dienen, „die Waren/Dienstleistungen eines Anbieters von denjenigen eines anderen (...) zu unterscheiden“. Wenn also der ausgesuchte Name keine Merkmale seiner Dienstleistung beschreibt und es die Marke so ähnlich noch nicht gibt, greift erst einmal kein Eintragungshindernis. Für G.s Wortmarke sind „Dienstleistungen eines Immobilienmaklers“ beziehungsweise „Immobiliendienstleistungen“ hinterlegt.
Gleiches gilt für die Bildmarke. Und doch wird es beim Wappen noch kurioser: Bei diesem besteht nämlich starke Verwechslungsgefahr. So ähnelt das Wappen in beachtlicher Weise dem der britischen Königsfamilie. Prinz Edward, Prinz Harry und „Großherzog Friedrich Maik“. Das DPMA schreibt auf Nachfrage, dass Wappen historischer Personen grundsätzlich geschützt werden können. Dem spricht nur entgegen, wenn das Wappen so bekannt ist, dass Verbraucher:innen darin eine sogenannte „beschreibende Bedeutung“ für die historische Person erkennen. Bei einem historischen Wappen, das womöglich kaum jemand kenne, geschweige denn einer anderen Person zugeordnet werden könne, dürfte die Wahrscheinlichkeit aber gering sein.
Gegen solche Markeneintragungen – etwa das besagte Wappen – ist auch Widerspruch möglich, etwa durch Inhaber:innen älterer Rechte. Ob sich die britische Königsfamilie jedoch dafür interessiert, dass ein Immobilienmakler aus MV ein ihrem Wappen sehr ähnliches als Marke nutzt, ist fraglich. Zumindest wurde innerhalb der drei Monate nach Veröffentlichung der Marke kein Widerspruch eingelegt. Ob G. mit den Marken und der angeblichen Lebensgeschichte potenziell in die Irre führt, ist eine andere Frage, die sich vor diesem Hintergrund stellt.
Der Großherzog ist vorbestraft
Zumindest der Justiz in MV ist G. kein Unbekannter. So berichtete der Nordkurier bereits 2021 davon, dass gegen ihn „Verfahren wegen Volksverhetzung, Staatsschutzdelikten, Betrugs und Verstoßes gegen das Bundesdatenschutzgesetz“ im Raum gestanden hätten. Eine Polizeisprecherin wird zitiert: G. sei „in einigen Punkten (...) verurteilt worden“. Ob gegen ihn in MV im Herbst 2023 Verfahren laufen, wollten sowohl die Staatsanwaltschaft Schwerin als auch die Generalstaatsanwaltschaft Rostock auf Anfrage nicht kommentieren. Dass G. bereits aufgrund verschiedener Delikte verurteilt wurde, bestätigen beide. Laut Schwerin gebe es Verurteilungen „unter anderem wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Urkundenfälschung“. Rostock spricht ebenfalls vom Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen sowie von Betrug.
Wir haben Maik G. für diesen Text um eine Stellungnahme gebeten. „Eine Stellungnahme wird es nicht geben“, antwortete seine Sekretärin stellvertretend. Generell scheint die Presse beim „Großherzog“ nicht gern gesehen zu sein. Das erfuhr etwa ein Reporter der Ostsee-Zeitung im Juli 2023 bei der Veranstaltung in Leyerhof. Das lässt aber auch die „Einverständniserklärung“ vermuten, die alle Teilnehmer:innen von G.s Veranstaltungen unterschreiben müssen. Darin ist nicht nur die Aufnahme von Fotos, Videos oder Ton untersagt, auch alle Informationen zu Ort und Zeitpunkt der Veranstaltung dürfen bis zum Ende nicht an Dritte weitergegeben werden.
Rechtsextreme Verbindungen von Reichsbürger:innen
Die RAA betrachtet G.s adlige Fassade als Betrug – nicht nur auf rechtlicher Ebene, sondern vor allem auf zivilgesellschaftlicher. Das sei gefährlich. Denn auch vermeintlich friedliche Protagonist:innen mit Alleinherrschaftsanspruch legten eine gewisse Art von Gewaltaffinität an den Tag. Das bestätigt auch das Innenministerium. Von einigen Personen werde „Gewalt als legitimes Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele“ angesehen. Dass in der Szene ein „gesteigertes Interesse am Besitz von Waffen“ bestehe, komme hinzu. Von den derzeit registrierten Reichsbürger:innen verfügen elf über eine Waffenbesitzkarte. „Wir wissen, dass einige Anhänger Waffen in den Wäldern deponiert haben“, so Trepsdorf.
Außerdem bestünden in der Regel Kontakte zur rechtsextremen Szene, ergänzt er. Viele Anhänger:innen seien zudem seit Jahren im rechten Milieu, in der Prepper- oder der Kampfsportszene aktiv. Diese habe sich besonders in Rostock und Güstrow etabliert.
Reichsbürger:innen lange unter dem Radar
Als die RAA 2013 begann, zu Reichsbürger:innen zu recherchieren, gab es für diese Gruppe noch keinen Begriff. So begann auch der Verfassungsschutz erst 2016 eine ernsthafte Beobachtung. Sie seien zunächst etwa in den Arbeitsagenturen in Erscheinung getreten, um Fördermittel abzuschöpfen, erinnert sich Trepsdorf. Mitarbeiter:innen hätten sich mit Aufkommen dieser Besuche an die Beratungsstelle gewandt: Reichsbürger:innen hätten Mitarbeitende verbal bedroht, mit Gegenständen um sich geworfen und zum Teil von Sicherheitskräften hinausgeführt werden müssen. In den folgenden Wochen wurden die Agenturen mit Auskunftsanfragen überhäuft. „Sie beriefen sich auf das Auskunftsrecht für jeden. Allerdings kann man so auch gezielt Behörden lahmlegen“, bilanziert Trepsdorf. „Ein Machtinstrument.“
„Angst macht manipulierbar“
Angst und Verunsicherung in der Gesellschaft auszunutzen sowie Druck aufzubauen, sei ein Markenzeichen der heute als Reichsbürger:innen bezeichneten Szene. Daher erfuhr diese in der Corona-Pandemie einen enormen Auftrieb.
„Angst macht Menschen manipulierbar“, zitiert Trepsdorf dazu den Politikwissenschaftler und Journalisten Peter Neumann, einen Experten für Terrorismus und Präventionsstrategien. Das kann auch die RAA bestätigen. 90 Prozent der Menschen, die sich privat an den Verein wenden, seien Frauen mit Kindern, die aus der rechten Szene fliehen wollen. Oft laste auf ihnen ein schwerer psychischer Druck. „Zuerst wirst du mit Liebe überhäuft, wenn du einsteigst. Solltest du aber aussteigen wollen, wirst du mit Hass konfrontiert“, so Trepsdorf. Problematisch: Wegen des Drucks und der Angst vor Verfolgung trauten viele sich nicht, sich von der Szene abzuwenden.
Mit Seminaren, Stammtischen oder Nachwuchsförderung, etwa im Sport, versuchten diese Gruppierungen, immer mehr Menschen anzuwerben – nicht zuletzt Kinder und Jugendliche. Auch Maik G. hat angekündigt, Gemeinwohlzentren aufbauen zu wollen.
„Der Rechtsstaat schützt auch seine Feinde“
Seine eigene Lebenswirklichkeit zu erschaffen, wie es Reichsbürger:innen tun, „sowas kann man im privaten Bereich meinetwegen machen, oder sein, wer man will“, so Trepsdorf. „Aber sobald demokratische Werte in Frage gestellt werden, wird es gefährlich.“
Sollte der Staat also eingreifen? Für Trepsdorf ist dies nötig, wenn es öffentlich relevant wird. Zunächst einmal gilt für jede:n jedoch das Persönlichkeitsrecht – auch für Feinde der Demokratie. Solange solche Gruppen also keine drängende Gefahr für die Demokratie und den Rechtsstaat darstellen, interveniere dieser nicht, erklärt der Rechtsextremismusexperte. Was die Gruppengröße angeht, gibt er zu bedenken: „Nur etwa 80 Personen haben den NSU aufgebaut.“ Wenn eine solche vergleichsweise kleine Gruppe gewaltbereiter Anhänger:innen so viel anrichten konnte, sollte man dann nicht schon im Kleineren beginnen, so etwas zu verhindern?
Trepsdorf bejaht das, auch mit Blick auf Kinder und Jugendliche aus der Szene. Deutschlandweit gebe es bereits jetzt Gruppierungen, die die allgemeine Schulpflicht anfechten wollen und eigene Schulen gründen, um ihre Ideologie zu verbreiten. Für MV existiert bisher noch keine Untersuchung, wie viele solcher Schulverweigerer:innen hier leben. Das Problem: Vieles geschehe noch unter dem Radar der Behörden, so Trepsdorf. Denn es werde nicht etwa auf parlamentarischer Ebene agiert, sondern im privaten Bereich – „und das bedeutet sieben Tage, 24 Stunden“.
In der Regel würden die besonders gut geschulten Anhänger:innen dann nach außen wirken. Den Manipulationen seien selbst Expert:innen mitunter nicht gewachsen. Für Trepsdorf ist klar: Eine Vorbereitung auf jedwede Art von Diskussion sollte es früh geben, etwa mit einem Schulfach Rhetorik. Für ebenso nötig hält er die Stärkung von gesellschaftlichen Beteiligungsprozessen im ländlichen Raum. „Vereinswesen, Anlaufstellen – das alles sollte gefördert werden, damit die Menschen auf dem Land nicht alleingelassen werden. Denn besonders dort stoßen rechte Kräfte auf Leerstellen.“
Diese manipulativen Gruppen gibt es jedoch nicht nur in der realen Welt. Man dürfe nicht vergessen, dass auch immer mehr online agieren, sagt Trepsdorf. Dazu dürfte in jedem Fall auch der selbsternannte Großherzog Maik zählen.
Dieser Text erschien in Ausgabe 24 von KATAPULT MV.
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Autor:innen
Redakteurin bei KATAPULT MV.
Redaktionsleitung bei KATAPULT MV.
Ist in Greifswald geboren, hat in Augsburg studiert und zog für den Lokaljournalismus wieder zurück nach Meck-Vorp.