Ende März wird die Petition für ein Bürgerbegehren zur Unterbringung von Geflüchteten in Greifswald initiiert. Mitte April, knapp drei Wochen später, sind die nötigen Stimmen zusammen – der Bürgerentscheid kommt. Die Greifswalder CDU-Fraktion hat früh erkennen lassen, welche Position sie einnimmt. In der Bürgerschaftssitzung am 27. März 2023 bezieht Fraktionsvorsitzender Axel Hochschild eindeutig Stellung: „Ich bin den Greifswaldern sehr dankbar, dass sie mit dem Bürgerbegehren zeigen, dass sie sich nicht alles gefallen lassen. Die migrationspolitische Geisterfahrt muss endlich gestoppt werden.“
In die gleiche Richtung zielt Parteikollegin Madeleine Tolani: „Ich sage erst mal danke an die Initiatoren dieses Bürgerbegehrens, eine großartige Leistung, sie nutzen hier zu Recht demokratische Instrumente und dafür danke ich Ihnen.“
Auch Grit Wuschek, Einzelmitglied der Bürgerschaft, teilt auf ihren Social-Media-Kanälen vermehrt Inhalte der Nein-Kampagne und bekundet, dass sie „zu 100 Prozent hinter den Initiatoren des Bürgerbegehrens“ stehe. Auf ihren sozialen Kanälen, in Bürgerschaftssitzungen und mit Werbeplakaten werben diese dafür, mit „Nein“, zu stimmen, das Ziel des Bürgerbegehrens.
Die Unterstützung der Bürgerinitiative ist dabei durchaus kritisch zu betrachten: Besonders Initiator Ronny Bormann fällt durch rechtsextreme, antisemitische und den sogenannten Reichsbürgern nahestehende Aussagen und Inhalte auf Facebook auf. Gemeinsam mit Bürgerschaftsmitglied Thomas Kerl (parteilos, ehemals AfD) betreibt er außerdem einen fragwürdigen Tiktok-Kanal. Vor allem an Energie- und Asylpolitik arbeitet man sich dort ab. KATAPULT MV hat mehrfach versucht, mit Bormann Kontakt aufzunehmen. Seine Reaktion: „Kein Kommentar zu einem Demokratie Feindlichen (sic!) Medium.“ Mit dem rechtsextremen Magazin Compact sprach Bormann gemeinsam mit seinen Mitstreitern Christian Vollert und Ralf Leonard allerdings.
Bormann, Vollert, Leonard und die Greifswalder CDU haben ein gemeinsames Ziel: Containerdörfer für Geflüchtete innerhalb der Stadt verhindern. Gleichzeitig sprechen sie sich jedoch auch gegen die Unterbringung in Sporthallen aus. Also wohin mit den Geflüchteten? Das bleibt offen.
Humane Werte oder Werteunion?
Im Grundsatzprogramm der CDU Mecklenburg-Vorpommern steht in den Leitsätzen, dass die Politik aus einem christlichen Menschenbild abgeleitet wird: „Wir sehen uns in der christlichen Pflicht, Verfolgten im Rahmen unseres Grundgesetzes sowie des Völkerrechts Asyl zu gewähren.“ Zudem heißt es dort: „Solidarität setzt keine Bedürftigkeit voraus, sondern gilt für jedermann.“
Bei der Bürgerschaftssitzung Ende März merkte Hochschild noch an: „Niemand, niemand in diesem Saal, niemand in dieser Stadt hat irgendwas gegen Zuwanderung, gegen Leute, die hierherkommen, die hier arbeiten wollen und sich ihren Lebensunterhalt selber verdienen. Dagegen hat kein Mensch was.“ Die abwehrende Politik rund um die Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten, die die Greifswalder CDU derzeit betreibt, spricht eine andere Sprache und kann Mitgliedern der Werteunion, dem konservativen Flügel der CDU, zugeordnet werden. Nicht unbedingt ein Zeichen der oft beteuerten Nächstenliebe.
Auf Nachfrage, inwiefern die CDU-Fraktion ihre aktuellen Forderungen zur Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten mit dem parteieigenen Grundsatzprogramm vereinbaren kann, antwortet Hochschild, dass auch die Greifswalder Fraktion „uneingeschränkt zum Grundrecht auf Asyl und zur Unterstützung schutzbedürftiger Menschen“ stehe. Problematisch sei jedoch die massive und ungesteuerte Zuwanderung von Personen, die gerade keinen Anspruch auf Asyl oder einen anderen vergleichbaren Status haben. „Diese Menschen ohne Bleibeperspektive sollten im Idealfall gar nicht erst auf Kommunen wie Greifswald verteilt werden“, so Hochschild. Die Haltung decke sich seiner Ansicht nach mit den Beschlüssen des gestrigen EU-Gipfels, wonach es an den EU-Außengrenzen zukünftig entsprechende Asylzentren geben soll.
Neue Pläne für Europa
Der Flüchtlingsrat MV zeigte sich dagegen nach dem Beschluss bestürzt: Durch Maßnahmen wie die Auslagerung der Asylverfahren an die EU-Außengrenzen sowie die Erklärung weiterer Länder zu „sicheren Drittstaaten“ drohe eine Aushebelung des Asylrechts, teilt die Vorsitzende Ulrike Seemann-Katz in einer Erklärung mit. „Es drohen Haftlager, in die selbst Familien mit Kindern verbracht werden können, und durch das Konstrukt sicherer Drittstaaten droht sogar für Schutzsuchende aus Syrien und Afghanistan die Zurückweisung an den Außengrenzen. Elendslager und Pushbacks werden legalisiert.“
Sollte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) diesen „massiven Angriff auf Menschenrechte in Europa“ als Erfolg bezeichnen, zeige das, wie weit die Bereitschaft, rechtspopulistische Maßnahmen umzusetzen, bereits Mainstream der deutschen Politik geworden ist, so Seemann-Katz weiter. Dabei hatten die Regierungsparteien im aktuellen Koalitionsvertrag angekündigt, sich dafür einsetzen zu wollen, das Leid an den EU-Außengrenzen zu beenden.
Hochschild geht es nach eigener Aussage beim Bürgerbegehren nicht um Solidarität, sondern lediglich um die Frage, ob städtische Grundstücke an den Landkreis „zum Zwecke der Flüchtlingsunterbringung“ verpachtet werden sollen.
„Grundsätzlich gilt für uns in der gesamten Debatte um die Flüchtlingspolitik der Satz des Altbundespräsidenten und früheren evangelischen Pastors Joachim Gauck, ‚Unser Herz ist weit, doch unsere Möglichkeiten sind endlich‘.“In Greifswald gibt es allerdings auf mindestens drei städtischen Flächen die Möglichkeit, entsprechende Infrastruktur und Unterbringungsmöglichkeiten zu errichten. Darüber hinaus werden auch weitere private Flächen in Betracht gezogen. Gespräche mit den Eigentümer:innen dazu würden laufen, heißt es mehrfach von Stadt und Landkreis.
CDU-Kollege und Bürgerschaftsmitglied Gerd-Martin Rappen äußert sich in einer Pressemitteilung ähnlich: „Man kann beim Bürgerentscheid guten Gewissens mit ‚Nein‘ stimmen und zugleich eindeutig für das Recht auf Asyl und die Unterstützung von Kriegsflüchtlingen, wie gegenwärtig aus der Ukraine, einstehen.“ Wie genau das vor Ort geschehen soll, ließ die CDU offen, plädiert lediglich unter anderem für eine „deutliche Aufstockung der Plätze in den Erstaufnahmeeinrichtungen“. Der Entscheid solle vielmehr ein „klares Signal nach Berlin und Schwerin“ sein, so Rappen.
Christlich bleiben wohl nur die Kirchen
Gerecht werden dem christlichen Programm eher die vielen Kirchengemeinden, die auf der Liste der Unterstützer:innen der Gegenseite stehen, etwa die evangelischen Kirchengemeinden Dom Sankt Nikolai und Sankt Marien in Greifswald. „Unser Kirchengemeinderat hat sich für die Unterstützung der Ja-Kampagne entschieden, weil dies unserer christlichen Botschaft entspricht“, sagt der Pastor der Greifswalder St. Jacobikirche, Michael Mahlburg, und ergänzt: „Ein Nein im Bürgerentscheid würde uns die Unterstützung von Menschen in Not erschweren. Immer deutlicher wird mir, dass genau das von den Initiatoren des Bürgerentscheides gewollt ist.“
Die Greifswalder Bürger:innen haben am 18. Juni die Möglichkeit, Geflüchteten eine menschenwürdige Unterbringung zu ermöglichen. Unabhängig vom Ausgang der Abstimmung müssen alle Landkreise in Mecklenburg-Vorpommern geflohene Menschen aufnehmen.
Quellen
- Universitäts- und Hansestadt Greifswald (Hg.): Bürgerbegehren für angestrebten Bürgerentscheid erreicht nötige Stimmenzahl – Abstimmung für Juni geplant, auf: greifswald.de (13.4.2023).↩
- Screenshot von Grit Wuscheks Facebook-Seite (liegt der Redaktion vor).↩
- Screenshots von Ronny Bormanns Facebook-Seite (liegen der Redaktion vor).↩
- @rob17491, auf: tiktok.com.↩
- Compact TV (Hg.): Asyl-Wahn: Greifswald steht auf!, auf: youtube.com (25.3.2023).↩
- Ebd.↩
- CDU MV (Hg): Grundsatzprogramm der CDU Mecklenburg-Vorpommern, S. 23, auf: cdu-mecklenburg-vorpommern.de (2019).↩
- Ebd., S. 4.↩
- Universitäts- und Hansestadt Greifswald (Hg.): UHGW Sondersitzung der Bürgerschaft – öffentlicher Teil – 27.03.2023, auf: youtube.com (27.3.2023).↩
- E-Mail vom 9.6.2023.↩
- Flüchtlingsrat MV (Hg.): Historischer Angriff auf die Menschenrechte, auf: fluechtlingsrat-mv.de (9.6.2023).↩
- CDU-Stadtverband Greifswald (Hg.): CDU-Stadtverband empfiehlt den Greifswaldern ein „Nein“ beim Bürgerentscheid am 18. Juni, auf: cdu-greifswald.de (26.5.2023).↩